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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Merz in London Ein besonderer Gruß an Putin

Friedrich Merz ist nach Großbritannien gereist. Ein neuer Freundschaftsvertrag soll die Beziehungen nach dem Brexit neu ordnen. Doch auch Wladimir Putin darf sich gegrüßt fühlen.
Vielleicht soll es britisches Understatement sein. Zwei Paar Flaggen, ein Tisch, zwei Stühle und ein wenig Platz in einem Gang. Mehr braucht es offensichtlich nicht, um die deutsch-britische Freundschaft zu besiegeln. Oder alles andere war einfach aus.
Bundeskanzler Friedrich Merz sitzt in diesem Gang neben seinem Amtskollegen, dem britischen Premier Keir Starmer. Die Außenminister beider Länder sind auch da, es ist das große personelle Besteck. Und immerhin: Der Gang befindet sich im "Victoria and Albert Museum" in London, benannt nach Queen Victoria und ihrem Ehemann Prinz Albert, der aus Deutschland stammte.
Wichtiger als der Ort aber ist das, was die vier hier unterzeichnen: einen Freundschaftsvertrag nämlich, den Kensington-Vertrag. "Ein sehr besonderer Vertrag", sagt Starmer, "der erste seiner Art jemals, können Sie es glauben?" Und Merz, der es offenbar glauben kann, sagt: "Das ist ein historischer Tag für die deutsch-britischen Beziehungen."
Der Bundeskanzler ist an diesem Donnerstag nach London gereist, offiziell ist es sein Antrittsbesuch in Großbritannien, doch anzutreten gibt es nicht mehr viel. Starmer und Merz kennen sich gut, seit sie Anfang Mai, wenige Tage nach Merz' holpriger Kanzlerwahl, gemeinsam viele Stunden im holpernden Zug nach Kiew verbracht haben.
In der Ukraine wollten sie ein Zeichen gegen Wladimir Putin setzen. Und das ist neben der vertraglichen Neuaufstellung der deutsch-britischen Beziehungen nach dem Brexit auch diesmal ein wichtiges Ziel. Zumal sich das mit den konkreten Erfolgen für die Ukraine als schwieriger herausgestellt hat, als Merz und Starmer wohl Anfang Mai gehofft hatten.
Europäisches Ultimatum ohne Wirkung
Damals im Mai hatten Merz und Starmer mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Polens Premier Donald Tusk dem Kremlchef Wladimir Putin in Kiew ein Ultimatum gestellt. Mit großer Geste forderten sie einen 30-tägigen Waffenstillstand. Sonst wolle man die Waffenlieferungen ausweiten und die Sanktionen verschärfen.
Klang schneidig, allerdings schert sich Putin bis heute wenig um das Ultimatum. Seine Angriffe auf die Ukraine hat er seitdem mehrfach verstärkt. Und die Einlösung der Drohung, die Starmer, Macron, Tusk und Merz damals aussprachen, lässt unglücklicherweise auch noch weitgehend auf sich warten.
Die EU verhandelt zwar seitdem über das 18. Sanktionspaket. Es soll unter anderem die "Schattenflotte" treffen, mit der Russland die Sanktionen auf Öl und Gas umgeht, und zugleich den Ölpreisdeckel senken.
Doch eine Einigung scheiterte auch in dieser Woche an einem Veto der Slowakei. Ministerpräsident Robert Fico will sich die Zustimmung offensichtlich mit einer Ausnahme abkaufen lassen, und zwar einer Ausnahme vom geplanten Verbot von Gasimporten aus Russland ab 2028. In der Bundesregierung sind sie darüber nicht amüsiert, sondern besorgt.
Merz' Werben, Trumps Ultimatum
Auch der Druck aus den USA ließ lange auf sich warten. Merz und andere Staats- und Regierungschefs schafften es zwar offensichtlich, Trump davon abzuhalten, sich komplett aus der Ukraine-Unterstützung zurückzuziehen. Das gelang mit viel gutem Zureden, positiver Verstärkung und einer gewissen Schambefreitheit, die auch Merz bei seinem Washington-Besuch, dem Treffen der G7 in Kanada und dem Nato-Gipfel zeigte. Doch dem folgte lange nichts Konkretes.
Am Montag nun versuchte es Trump seinerseits mit einem Ultimatum. Wenn es zwischen Russland und der Ukraine innerhalb von 50 Tagen keinen Deal gebe, wolle er Zölle von 100 Prozent gegen Russlands Handelspartner erheben, sagte Trump bei einem Treffen mit Nato-Generalsekretär Mark Rutte. Waffen wie die dringend benötigten Patriot-Systeme will Trump liefern – sofern sie von den Europäern bezahlt werden. Ein "guter Deal" sei das für die USA, sagte Trump dazu.
Als sich diese Bewegung am Montag abzeichnete, gab man sich in deutschen Regierungskreisen "vorsichtig zuversichtlich". Ob Trump aber dauerhaft genug von Putin habe, das wisse man nicht, hieß es. Der US-Präsident ist unberechenbar, das wissen auch Merz und seine Leute. Und dass er sich weiterhin nicht klar auf die Seite der Ukraine stellen will, wurde nur einen Tag später deutlich. Er sei enttäuscht von Putin, sagte er da der BBC, aber er "habe noch nicht mit ihm abgeschlossen".
Was das für seine 50-Tage-Frist und die Sanktionen bedeutet? Völlig unklar. Und auch das mit den Waffen ist kompliziert. Deutschland soll zwei eigene Patriot-Systeme im Wert von zwei Milliarden Euro an die Ukraine abgeben, aus den USA soll es dafür Ersatz geben. Doch woher genau? Vom Konzern oder aus US-Beständen? Das ist auch nach dem Besuch von Verteidigungsminister Boris Pistorius in Washington diese Woche nicht klar.
Bevor der Nachschub geklärt ist, wird Deutschland die eigenen Patriots aber wohl nicht in die Ukraine schicken. Bedeutet: Verzögerung. Merz selbst spricht das bei seinem Besuch in London an. "Wir müssen nun schnellstmöglich mit den Partnern über Einzelheiten sprechen", sagt er. "Vor allem brauchen wir Klarheit, wie Waffensysteme durch die USA ersetzt werden, die von europäischer Seite abgegeben werden."
Ein weiteres Problem an Trumps "gutem Deal" mit den Waffen: Es ist bisher ziemlich unklar, wer außer Deutschland noch so viel Geld ausgeben will, um für die Ukraine US-Waffen einzukaufen. Einzig Dänemark und die Niederlande haben sich bislang bereit erklärt, zu helfen. Viel ist das nicht.
Schulterschluss gegen die Unsicherheit
Bei so viel Unsicherheit und Problemen kann ein deutsch-britischer Schulterschluss natürlich nicht schaden. Wir lassen uns nicht spalten – so könnte deshalb der inoffizielle Titel des Freundschaftsvertrags und des Aktionsplans lauten, den Merz und Starmer unterzeichnen. Was nach dem britischen Bruch mit Europa, dem Brexit, ja in der Tat nicht selbstverständlich ist.
In den beiden Dokumenten geht es um sehr viele Dinge, sie sollen als eine Art neuer Grund für die Zusammenarbeit dienen. Es geht um die Kooperation bei Justiz und Migration im Kampf gegen Schleuser, um Wettbewerbsfähigkeit. Aber es geht auch darum, dass Schulklassen künftig einfacher nach Großbritannien und umgekehrt reisen sollen, mit Sammellisten statt mit Reisepässen und Visa.
Schon in der Präambel des Freundschaftsvertrags aber geht es eben auch um die neue sicherheitspolitische Lage, in die Russland Europa gebracht hat. Darum, wie der "brutale Angriffskrieg" von Wladimir Putin "auf dem europäischen Kontinent die bedeutendste und unmittelbarste Bedrohung ihrer Sicherheit darstellt".
So geht es dann auch weiter im Vertrag: Deutschland und Großbritannien sichern sich Beistand im Falle eines "bewaffneten Angriffs" zu – und zwar "auch durch militärische Mittel". Das soll die bestehenden Beistandsverpflichtungen der Nato ergänzen, die vorher im Freundschaftsvertrag auch noch "bekräftigt" werden. Doppelt hält besser. All das soll natürlich ein Signal an Putin sein. Mit freundlichen Grüßen, Keir und Friedrich.
Waffen mit großer Reichweite – zur Abschreckung
Es ist deshalb kein Zufall, dass der dritte öffentliche Termin für Merz und Starmer an diesem Tag im Airbus-Werk in Stevenage ist, zwei Autostunden von Victoria und Albert in London entfernt. Hier könne man sehen, sagt Merz, wie viel Innovationskraft in der Kooperation stecke. Im Teamwork werde hier Weltrauminfrastruktur auch für die deutschen und britischen Streitkräfte entwickelt und produziert.
Der Tag in London ist tatsächlich etwas mehr als nur ein Signal an Putin. Festgehalten wird in einem Aktionsplan nämlich auch, dass Rüstungsexporte erleichtert und die Rüstungskooperation verstärkt werden sollen. Ganz neu ist das zwar alles nicht, es baut wie auch der Freundschaftsvertrag auf Vorarbeiten der Ampelregierung auf. Wichtig ist es angesichts der Weltlage aber schon.
Man kooperiere, sagt Merz beim Rüstungskonzern Airbus, um die Nordsee besser gegen hybride Bedrohungen abzusichern, und arbeite an der Nato-Ostflanke eng zusammen. Und: "Wir entwickeln gemeinsam konventionelle Abstandswaffen und unbemannte Systeme zur Luft, zur See und zu Land." Besonders diese sogenannten "long range fires" erachtet die Bundesregierung für die Abschreckung gegenüber Russland als sehr wichtig.
Wladimir Putin wird die Botschaft verstehen. Doch ob sie ihn auch beeindruckt?
- Reise mit Bundeskanzler Friedrich Merz nach London am 17. Juli 2025