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TV-Kritik zu "Anne Will": "Jede Maßnahme wird bis ins Kleinste zerlegt"


TV-Kritik "Anne Will"
"Jede Maßnahme wird bis ins Kleinste zerlegt"


Aktualisiert am 30.11.2020Lesedauer: 4 Min.
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Talkrunde bei "Anne Will": Zwischen Lockern und Verschärfen – wie sinnvoll ist Deutschlands Corona-Strategie noch?Vergrößern des Bildes
Talkrunde bei "Anne Will": Zwischen Lockern und Verschärfen – Wie sinnvoll ist Deutschlands Corona-Strategie noch? (Quelle: NDR/Wolfgang Borrs)

Deutliche Worte von Markus Söder: Der bayerische Ministerpräsident kritisiert, dass in Deutschland ständig die Corona-Gefahr heruntergeredet werde. Unterstützung bekommt er von einer Expertin: Sie fordert harte Entscheidungen.

Die meisten Deutschen stellen sich auf ein Weihnachten und Silvester zu zehnt ein. Aber sind Lockerungen der Kontaktbeschränkungen zum Fest in der Pandemie der richtige Weg? Gibt es überhaupt einen klaren Plan, was Bund und Länder genau erreichen wollen? Macht Asien es besser? Darüber diskutierte Anne Will am Sonntagabend mit ihren Gästen. Ein Überblick.

Die Gäste

  • Markus Söder, CSU-Parteivorsitzender und Ministerpräsident von Bayern
  • Michael Müller (SPD), Regierender Bürgermeister von Berlin
  • Christian Lindner, FDP-Parteivorsitzender und Fraktionsvorsitzender im Bundestag
  • Viola Priesemann, Physikerin vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation
  • Vanessa Vu, Redakteurin von "Zeit Online"

Corona-Regeln: Pro und Contra

Sicher ist derzeit nur eins: Nach dem Corona-Gipfel ist vor dem Corona-Gipfel. Eigentlich schien nach der jüngsten Übereinkunft von Bund und Ländern der Fahrplan zumindest bis Neujahr klar zu sein. Die Kontaktbeschränkungen werden zu Weihnachten gelockert. Statt fünf Menschen dürfen zum Fest und zu Silvester in den meisten Bundesländern maximal zehn Verwandte und enge Freunde zusammenkommen, Kinder bis 14 Jahre ausgenommen. Als aber Anne Will ihren Gast Markus Söder fragte, ob er den Bayern also Weihnachten zu zehnt versprechen könne, antwortete der CSU-Chef zunächst: "Versprechen kann in diesen Zeiten von Pandemie keiner etwas."

Zwar bekräftigte Söder später mit Blick auf Weihnachten: "Die Zehn bleibt schon." Er wollte aber eine Verschärfung der Einschränkungen zum Jahreswechsel nicht ausschließen, sollte "der mildeste Lockdown in Europa" die Zahl der Neuinfektionen nicht weiter wie gewünscht drücken. "Wir werden in zwei Wochen spätestens wissen, ob es da eine Auswirkung gibt oder nicht und dann müssen wir überlegen, ob man nachschärfen muss", sagte der Ministerpräsident, der aus Bayern zugeschaltet war.

Dass Deutschland bislang im Kampf gegen Corona nicht erfolgreicher ist, liegt für Söder in erster Linie an einem Grundproblem: "Wir streiten uns zu viel." Seit Monaten werde die Gefahr durch das Virus kleingeredet und jede Schutzmaßnahme – sei es Masken oder Kontaktbeschränkungen – bis ins Kleinste zerlegt. "Jedes Mal gibt es eine unendliche Debatte", beklagte der CSU-Chef. Kritische Fragen gehörten in der Demokratie dazu. Aber: "Dieses Bestreiten der Grundidee ist etwas, was uns insgesamt nicht stärkt." Es sei klar, worum es im Kampf gegen Covid-19 gehe: "Die Mutter aller Zahlen ist die Infektionszahl." Sie zu drücken sei das Entscheidende.

Aber auf welchen Wert eigentlich genau?, fragte sich Pandemieforscherin Viola Priesemann. "Mir fehlt die klare Kommunikation: Was ist das Ziel?", kritisierte sie. Für Epidemiologen sei die wirksame Strategie gegen die Pandemie klar: "Wir wissen, wie es geht." Die Zahl der täglichen Neuinfektionen müsse von jetzt rund 20.000 Fällen auf 2000 bis 5000 gedrückt werden, der Reproduktionswert von 1 auf beispielsweise 0,75 sinken. Dann würden die Kapazitäten in Gesundheitsämtern und Testlaboren ausreichen, um Infektionsketten nachzuvollziehen und die wichtige Dunkelziffer gering zu halten, erklärte die Forscherin vom Max-Planck-Institut: "Dann sind wir in zwei, drei, maximal vier Wochen auch wirklich durch."

Corona: Macht Asien es besser?

Während in Deutschland Restaurants und Museen erneut schließen mussten, läuft in vielen ostasiatischen Ländern das öffentliche Leben mittlerweile fast ganz normal weiter, bei vergleichsweise extrem niedrigen Fallzahlen. Kann Deutschland also von asiatischen Ländern lernen?, fragte Will die "Zeit Online"-Journalistin Vanessa Vu. Ja, meinte die Tochter vietnamesischer Einwanderer und nannte konkret: Klare Ziele, klare Regeln, harte Quarantäneauflagen. Stattdessen stolpere Deutschland von einem Bund-Länder-Gipfel zum nächsten, was die Bürger auf Dauer zermürbe. Mit Debatten etwa um kostenfreie FFP2-Masken werde vom eigentlichen Ziel abgelenkt: Die Fallzahlen so nahe wie möglich auf null zu drücken, um nicht mehr nur auf Sicht zu fahren und auch der Wirtschaft wieder Planbarkeit zu geben.

"Wir sind immer gebunden an das Prinzip der Verhältnismäßigkeit", gab FDP-Chef Christian Lindner bei der Einschränkung von Freiheiten für den Gesundheitsschutz zu bedenken. Er warf der Regierung aber vor, insbesondere beim Schutz besonders gefährdeter Menschen Zeit verschwendet zu haben. Lindner regte unter anderem Taxi-Gutscheine für diese Risikogruppen an, um ihnen Fahrten in öffentlichen Verkehrsmitteln zu ersparen: "Da ist das Geld mal richtig eingesetzt."

"Vielleicht waren wir nicht so gut vorbereitet", räumte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller mit Blick auf Asien ein. Die Erfahrungen in anderen europäischen Ländern hätten aber gezeigt, dass ein harter Lockdown nicht das Allheilmittel sei. "Wir sind mit einem besonnenen Weg sehr weit gekommen", bilanzierte der SPD-Politiker. Sein Bundesland will die Kontaktbeschränkungen zu Weihnachten jedoch nicht lockern. "Wir müssen die Menschen schützen", sagte Müller.

Söder sagte, er wäre bereits froh, wenn die Corona-Warn-App so funktionieren würde, wie sie soll. Sie könne viel mehr helfen, das scheitere aber an der "sehr hohen Hürde des Datenschutzes".

Das Zitat des Abends

Für Priesemann ist jetzt wirklich die Zeit zum Handeln gekommen. "Lockdown light war einen Versuch wert. Es wäre super gewesen, wenn es geklappt hätte. Es hat nicht geklappt", sagte die Physikerin. Mit einem enormen, aber kurzen Kraftakt könne Deutschland die Pandemie noch vor dem Einsatz von Impfstoffen bezwingen. "Ich möchte, dass wir alles, was wir haben, einsetzen, damit die Fallzahlen runtergehen", sagte die Expertin und forderte von der Politik, sich auf ein Ziel von 2.000 bis 5.000 Neuinfektionen pro Tag festzulegen: "Es ist machbar." Dann seien auch hierzulande schnell wieder die Freiheiten da, die Menschen in anderen Teilen der Welt genießen. "Das ist eine Frage von Güterabwägung: Wollen wir denn wirklich über die nächsten vier Monate einen Lockdown light haben?", fragte Priesemann.

Der Faktencheck

Nach den beschlossenen Lockerungen zu Weihnachten und Silvester gab es Kritik von Gesundheitsexperten. "Als Virologin finde ich das nicht nachvollziehbar", sagte Melanie Brinkmann vom Helmholtz-Institut für Infektionsforschung im Deutschlandfunk. "Ich glaube nicht, dass wir die Zahlen bis dahin so weit runtergedrückt haben, dass wir da entspannt sein können, und ich halte es für keine gute Idee, zu lockern."

Einen potenziellen "Weihnachtseffekt" haben auch Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich und des Frankfurt Institute for Advanced Studies in Modellrechnungen gesehen und vor einer dritten Corona-Welle gewarnt. Ihr Fazit: "Die Simulationen zeigen, dass ein Verlängern oder Verstärken der derzeit wirkenden Kontaktbeschränkungen (durch Beibehaltung von aktuellen Maßnahmen, Einführen alternativer Regelungen oder auch durch individuelle Einschränkungen) mittelfristig dazu führen würde, dass die Neuinfektionen zurückgehen. Blieben die Kontaktraten dauerhaft deutlich unter dem Niveau des Spätsommers, so könnte eine dritte Welle unterdrückt werden."

Verwendete Quellen
  • "Anne Will" vom 29.11.2020
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