Der russische Millionenregen kam anders als behauptet
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Eilig errichtete die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern eine Klimastiftung, die Nord Stream 2 vorantreiben sollte. Nun stellen sich gravierende Fragen zu deren Finanzen.
Eine sogenannte Klimastiftung grΓΌnden, um mit Gazprom-Millionen die Gaspipeline Nord Stream 2 fertigzustellen: Mit diesem zweifelhaften ManΓΆver brachte Manuela Schwesig die SPD, ihre Landesregierung und ihr Bundesland Mecklenburg-Vorpommern international in die Schlagzeilen. Kein Thema setzt die MinisterprΓ€sidentin derzeit mehr unter Druck. Und das liegt nicht nur daran, dass sich das Projekt seit der russischen Invasion in die Ukraine erledigt hat, Schwesig also einer groben politischen FehleinschΓ€tzung unterlag.
Sie muss sich nun auch andere Fragen gefallen lassen, die ihr noch schaden kΓΆnnten. Denn Zweifel, welche Rolle Klimaschutz in der Stiftung ΓΌberhaupt spielen sollte, waren von Beginn an zu vernehmen und werden immer lauter. Nun scheint allerdings auch mit Blick auf die FinanzverhΓ€ltnisse des Stiftungskonstrukts vieles ungeklΓ€rt.
Stiftungskapital blieb ΓΌber Monate liegen
Denn eigentlich, so hieΓ es bei der eiligen Unterrichtung des Landtags Anfang Januar 2021, sei die Umgehung von US-Sanktionen zur Fertigstellung der Pipeline nur ein temporΓ€rer Nebenzweck der Stiftung. 20 Millionen Euro von Nord Stream 2 sollten die langfristige Arbeit fΓΌr den Klimaschutz gewΓ€hrleisten, die laut Satzung den Hauptzweck darstellt. Das Land selbst stiftete dafΓΌr einen eher kleinen Beitrag von 200.000 Euro.
Recherchen von t-online und FragDenStaat legen jetzt nahe, dass die Arbeit der Stiftung offenbar von Beginn an in erheblichem AusmaΓ auf die Fertigstellung der deutsch-russischen Pipeline konzentriert war. Behauptungen seitens Landesregierung und Stiftung ΓΌber die Art der Zuwendungen stellen sich zudem als falsch heraus. Das lΓ€sst die Zukunft der Stiftung unabhΓ€ngig von weiteren politischen Entscheidungen ungewiss erscheinen.
Landesregierung grΓΌndete Stiftung im Eilverfahren
Laut vorliegenden Dokumenten der Staatskanzlei wurde das StiftungsvermΓΆgen des Landes in HΓΆhe von 200.000 Euro ΓΌber Monate nicht abgerufen. Auf Anfrage bestΓ€tigte Regierungssprecher Andreas Timm, es sei erst am 24. April 2021 ΓΌberwiesen worden β also fast vier Monate nach GrΓΌndung. Das ist zumindest erstaunlich.
Denn Anfang Januar war die Stiftung der Landesregierung derart dringlich im Eilverfahren gegrΓΌndet worden, dass Teile der Opposition im Landtag die "schwache" Informationslage der Fraktionen bemΓ€ngelten. TatsΓ€chlich nahmen die Stiftungsverantwortlichen um den ehemaligen SPD-MinisterprΓ€sidenten Erwin Sellering schon kurz darauf die Arbeit auf.
Im Februar ging eine Homepage online, Stellen wurden ausgeschrieben und spΓ€ter besetzt. Und bereits Anfang MΓ€rz verkΓΌndete Sellering im Deutschlandfunk, der wirtschaftliche GeschΓ€ftsbetrieb mit dem von Nord Stream 2 bestimmten GeschΓ€ftsfΓΌhrer sei in Hamburg eingerichtet β das "Warenregal" sei "gefΓΌllt". Der GeschΓ€ftsbetrieb war fΓΌr die Stiftung das zentrale Instrument zur Umgehung der Sanktionen.
"Vergleichbare FΓ€lle sind uns nicht bekannt"
Das wurde aus Sicht der Landesregierung vermutlich dringend notwendig, da in diesem Zeitraum wichtige Unternehmen Abstand von den Arbeiten an Nord Stream 2 nahmen. Stattdessen grΓΌndete sich damals mindestens ein neues Unternehmen mit Verbindungen in die Landespolitik, das zur Umgehung der Sanktionen gedacht war und das laut NDR angeblich auch ein VertragsverhΓ€ltnis mit der Klimastiftung hatte. Vom Rostocker Hafen aus versorgte es die Verlegeschiffe fΓΌr die Pipeline-Arbeiten.
Die Stiftung arbeitete also bereits, bevor der Stifter Mecklenburg-Vorpommern sie erstmalig mit Kapital ausgestattet hatte? Gab es mΓΆglicherweise bereits Einzahlungen durch Nord Stream 2? Das wΓ€re laut mehreren Experten zumindest ungewΓΆhnlich: "Vergleichbare FΓ€lle sind uns nicht bekannt", sagte etwa eine Sprecherin des Bundesverbands Deutscher Stiftungen auf Anfrage von t-online und FragDenStaat β wenngleich ein solcher Vorgang nicht verboten sei.
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Die Zahlungen von Nord Stream 2 an die Stiftung werfen allerdings noch weit gravierendere Fragen auf. Denn sowohl in der Plenardebatte zur Errichtung der Stiftung als auch in der Pressekonferenz zum Stiftungsauftakt Anfang Mai 2021 war explizit die Rede von "Zustiftungen" der Nord Stream 2 AG in HΓΆhe von zunΓ€chst 20 Millionen Euro und dann weiteren 2 Millionen Euro jΓ€hrlich fΓΌr 20 Jahre.
Diese BetrΓ€ge zeigen nicht nur, dass die 200.000 Euro, die das Land beisteuerte, eher symbolischer Natur waren. Es deutet auch sonst einiges auf eine grΓΆΓere AbhΓ€ngigkeit der Stiftung vom anhaltend guten Willen der Nord Stream 2 AG hin als bislang bekannt.
Denn solche "Zustiftungen" dΓΌrfen nur ins GrundstockvermΓΆgen der Stiftung einflieΓen, das selbst nicht zur ErfΓΌllung des Stiftungszwecks angetastet werden darf β es soll die langfristige Arbeit durch ErtrΓ€ge aus Kapitalanlagen ermΓΆglichen. So hΓ€lt es auch die Stiftungssatzung fest. Die Nord-Stream-2-Millionen mussten aber direkt verwendet werden, schlieΓlich durfte das vom Land gestiftete Kapital nicht fΓΌr laufende Kosten verwendet werden, selbst als es schlieΓlich abgerufen war.
Ab spΓ€testens Mai 2021 musste das Personal bezahlt werden. Auch Miete dΓΌrfte im Laufe des Jahres angefallen sein. Im Juli erwarb die Stiftung einen Gesellschaftsanteil eines Unternehmens, wie aus Registerunterlagen hervorgeht, ΓΌber die zuerst die "Welt" berichtete. Und die Stiftung erwarb fΓΌr die Arbeiten an Nord Stream 2 auch ein Schiff. Ob beim wirtschaftlichen GeschΓ€ftsbetrieb weitere Kosten entstanden, ist unklar.
Sellering widerspricht frΓΌheren Aussagen
Die Klimastiftung war also auf LiquiditΓ€t angewiesen, die unabhΓ€ngig von Jahre spΓ€ter zu erwartenden ErtrΓ€gen durch Kapitalanlagen war. Auf Nachfrage von t-online und FragDenStaat rΓ€umte die GeschΓ€ftsfΓΌhrung der Stiftung deswegen nun ein, es habe entgegen vorheriger Behauptungen keine Zustiftungen gegeben. Mehr noch: "Herr Sellering geht davon aus, dass er hinsichtlich der Gelder von Nord Stream 2, fΓΌr die Β§ 3 Abs. 1c) der Satzung gilt, nicht von 'Zustiftungen' gesprochen hat", hieΓ es in einer schriftlichen Stellungnahme.
Videoaufnahmen der Pressekonferenz (unten stehend ab Minute 21:00) und weitere Interviews aus diesem Zeitraum belegen jedoch das Gegenteil. Der Stiftungsvorsitzende Sellering sprach ebenso wie die Landesregierung mehrfach explizit von "Zustiftungen". Der erwΓ€hnte Paragraph der Vereinssatzung zielt hingegen auf "sonstige Zuwendungen" ab. De facto waren es also offenbar Spenden. Ob mit ihnen langfristige Stiftungsarbeit finanziert werden kΓΆnnte, ist unsicher.
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Das EingestΓ€ndnis der Stiftung platzt in eine politisch brisante Lage: Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine stoppte die Bundesregierung Nord Stream 2 und Schwesigs Landesregierung erklΓ€rte ihre Absicht, die Stiftung auflΓΆsen zu wollen. Mittlerweile hat sich der Landtag ungeachtet rechtlicher HΓΌrden einstimmig hinter diese Entscheidung gestellt. Der Stiftungsvorstand um Erwin Sellering allerdings wollte davon bislang nichts wissen.
FΓΌr ihn war die Sache bis vor Kurzem klar. Mittlerweile sei jede Zusammenarbeit mit Nord Stream 2 beendet, der GeschΓ€ftsbetrieb abgewickelt wie ohnehin nach Fertigstellung der Pipeline geplant. Eine Stiftung sei aber "im Grunde nichts anderes als vor jeglichem Zugriff geschΓΌtztes VermΓΆgen", hieΓ es in einer Pressemitteilung. "Auf ewig" sei ihre Arbeit festgeschrieben, eine AuflΓΆsung nicht mΓΆglich. Das Geld sei deswegen weiter fΓΌr Stiftungsarbeit vorgesehen. Wer etwas anderes fordere, begehe Anstiftung zur Untreue.
Schluss nach dem Millionenregen
Wie die zukΓΌnftige Arbeit der Stiftung aber aussehen kΓΆnnte, ist offen. Da Zustiftungen nicht erfolgten, lΓ€sst sich von KapitalertrΓ€gen des vom Land gestifteten VermΓΆgens allein kaum langfristig nennenswerte Stiftungsarbeit finanzieren. Und weitere jΓ€hrliche Zahlungen der mittlerweile vor der Insolvenz stehenden Nord Stream 2, die versprochen waren, sind nicht zu erwarten.
Bliebe vermutlich nur, das Geld nach und nach auszugeben. Entsprechend sagte die GeschΓ€ftsfΓΌhrerin der Stiftung kΓΌrzlich der "Zeit", ein neuer Finanzplan sehe vor, pro Jahr 2 Millionen der 20 Millionen Euro zu verwenden. Zehn Jahre also statt Klimaschutzarbeit "auf ewig". Nach dem russischen Millionenregen wΓ€re wohl Schluss. Experten sind sich bislang allerdings uneins, in welchem Umfang die Spenden ohne SatzungsΓ€nderung einfach ausgegeben werden kΓΆnnen.
"Mit den handwerklichen Fehlern dieser Satzung wΓ€re eine private Stiftung niemals anerkannt worden", sagte Rupert Graf Strachwitz, der GrΓΌnder der Maecenata Stiftung, die sich immer wieder zu Rechts- und Transparenzfragen im Stiftungswesen positioniert. "Hier wurde gemauschelt. Die AufsichtsbehΓΆrde hat unter offensichtlichem politischen Druck gehandelt."
Der Kampf um Geld und Stiftung dΓΌrfte also nicht beendet sein. Eine Aussprache der Landesregierung und der Landtagsfraktionen mit der Stiftung hatte am Freitag nicht zu konkreten Ergebnissen gefΓΌhrt. Seitens der Organisation zeichne sich keine Bereitschaft zur Kooperation ab, erfuhr t-online aus Teilnehmerkreisen.
Als Ultima Ratio mΓΌsse die Landesregierung den Stiftungsvorstand abberufen. Die MΓΆglichkeiten dazu soll nun mΓΆglicherweise ein Rechtsgutachten ausloten. Erst daraufhin ruderte Sellering im GesprΓ€ch mit dem NDR zurΓΌck: Sollten rechtliche Bedenken gelΓΆst werden, stehe er der AuflΓΆsung der Stiftung nicht im Wege.
- Eigene Recherchen