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Reichsbürger wollten Regierung umstürzen: "Erst der Blackout, dann der Aufstand"


Vereitelte Putschpläne
"Erst der Blackout, dann der Aufstand"

  • Annika Leister
InterviewVon Annika Leister

Aktualisiert am 07.12.2022Lesedauer: 4 Min.
Interview
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Das Ende der Putschpläne: Der Prinz wurde verhaftet, der Staatsstreich fällt aus. (Quelle: Reuters)

Die Polizei hat eine Gruppe von "Reichsbürgern" festgenommen, die einen Umsturz plante. Wie groß ist die Terrorgefahr durch die Szene in Deutschland?

Es ist einer der größten Polizeieinsätze gegen Extremisten, den die Bundesrepublik je gesehen hat: Am Mittwochmorgen wurden mehr als 130 Wohnungen durchsucht und 25 Verdächtige aus der "Reichsbürger"-Szene festgenommen. Ihnen wird vorgeworfen, Mitglieder einer Terrorgruppe zu sein oder diese unterstützt zu haben. Wie aktiv und gefährlich sind die "Reichsbürger" und andere Gruppen derzeit in Deutschland? Ein Gespräch mit Jannis Jost, Experte für Terrorismus am Sicherheitsinstitut der Universität Kiel.

t-online: Herr Jost, wie groß ist die Gefahr, die von den "Reichsbürgern" in Deutschland ausgeht?

Jannis Jost: Die Gefahr ist durchaus beachtlich. Fantasien von Staatsstreichen und Bürgerkriegen gehören zur Folklore dieser Szene zwar dazu, nicht jeder Facebook-Post sollte aber wörtlich genommen werden. Im letzten Jahr aber sind mehr als 1.000 rechtsextremistische Straftaten aus dem "Reichsbürger"-Milieu heraus begangen worden, darunter fast 200 Gewalttaten.

Die Verdächtigen, deren Räume heute durchsucht wurden, sollen sehr konkrete Umsturzpläne gehabt haben.

Es gibt aus der Szene immer wieder ernstzunehmende Pläne für terroristische Taten. Diese Pläne richten sich besonders gegen Vertreter des Staates, aber auch gegen die Bevölkerung. Oft geht es dabei um Anschläge auf die kritische Infrastruktur, deren Ausfall vor allem der breiten Bevölkerung schaden würde. Das ist sehr besorgniserregend – zumal wir über eine Szene reden, die größeren und leichteren Zugriff auf Waffen hat als andere.

Terrorexperte Jannis Jost
Terrorexperte Jannis Jost (Quelle: Privat)

Zur Person

Jannis Jost ist Leiter der Abteilung "Terrorismus- und Radikalisierungsforschung" am Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel.

Warum ist das so? Auch bei der Razzia heute sollen mehrere Soldaten der Bundeswehr im Fokus gestanden haben.

Es gibt in der "Reichsbürger"-Szene eine nicht zu vernachlässigende Anzahl an Personen, die legal Waffen besitzen. Wenn man einen gewalttätigen Umsturz plant, ist es außerdem nur folgerichtig, sich um Personen zu bemühen, die an Waffen ausgebildet sind. Dementsprechend finden sich ehemalige Soldaten in allen extremistischen Szenen. In der rechtsextremen Szene sind ehemalige Soldaten aber weit häufiger engagiert als im Dschihadismus oder im Linksextremismus. Zum einen gibt es zum Rechtsextremismus größere ideologische Anknüpfungspunkte. Zum anderen ist die Überschneidung zwischen der "Querdenker"-, "Reichsbürger"- und der Prepper-Szene groß – besonders in letzterer sind Soldaten stark vertreten.

Was unterscheidet die "Reichsbürger"- und die Prepper-Szene?

Die unpolitische Prepper-Szene bereitet sich auf einen Zusammenbruch der Staats- und Versorgungsstrukturen vor, um die Auswirkungen besser überstehen zu können. Diesen Zusammenbruch, den "Tag X", fürchtet die Prepper-Szene. Einige "Reichsbürger" sehnen den "Tag X" dagegen als Start einer Machtergreifung herbei. Aus dem so entstehenden Chaos wollen sie als führende Kraft hervorgehen. Den Staat und seine Institutionen wollen sie abschaffen und ersetzen. Erst der Blackout, dann der Versorgungsengpass, dann der Aufstand – so lässt sich ihre Ideologie verkürzt erklären. Die Durchlassfähigkeit zwischen beiden Szenen ist groß; und in beiden Szenen sind Soldaten aufgrund ihres besonderen Know-hows sehr willkommen.

Nicht nur Soldaten, auch eine ehemalige Bundestagsabgeordnete der AfD steht bei den aktuellen Ermittlungen im Fokus. Wie groß ist die Verbindung zwischen "Reichsbürgern" und rechtem Spektrum in den Parlamenten?

Eigentlich ist das Verhältnis ideologisch schwierig. Schließlich ist auch die AfD eine parlamentarische Partei – und den Parlamentarismus lehnen "Reichsbürger" insgesamt ab. Doch es gibt mannigfaltige Belege für Kontakte und Nähe von AfD-Angehörigen und Ehemaligen hin in die rechtsextremistische Szene. Die AfD hat außerdem – stärker als alle anderen Parteien – mit Blick auf diesen Herbst von einem "heißen Herbst" und "Wutwinter" gesprochen. Und einige Vertreter haben dabei deutlich gemacht, dass sie diesen Wutwinter durchaus willkommen heißen. Das ist nicht allzu weit entfernt von der Sehnsucht einiger "Reichsbürger" nach dem "Tag X".

Rechtsextreme, linksextreme Gruppen, Islamisten und Klimaaktivisten: Wie groß ist die Terrorgefahr insgesamt in Deutschland?

Das lässt sich schwer einschätzen, immer wieder arbeiten Täter auch völlig im Verborgenen an ihren Plänen. Insgesamt würde ich sagen: Die Terrorgefahr ist real, aber im Vergleich zu vorherigen Jahren etwas gesunken. 2016 bis 2020 war die Hochphase rechtsextremer und dschihadistischer Gewalt. Der gewalttätige Dschihadismus hat an Wirkkraft verloren, seit der "Islamische Staat" eine kleinere Rolle spielt. Der IS war eine große Inspiration für Täter weltweit. Die größte Gefahr geht in Deutschland vom Rechtsterrorismus aus. Die Szene ist wesentlich ausdifferenzierter und breiter aufgestellt als früher oft angenommen.

Wie groß ist die Gefahr durch Linksextremisten und Klimaaktivisten wie die "Letzte Generation"?

Im Linksextremismus gibt es sicherlich ein Gewaltpotenzial, zum Beispiel gegen Konzerne gerichtete Sabotage wird dort diskutiert. Auch Gewalt gegen Polizeikräfte gilt oft als salonfähig. Aber eine akute Gefahr, dass linksextreme Gruppen mit Gewalt einen Umsturz versuchen könnten, sehe ich nicht. Und die Klimaaktivisten der "Letzten Generation" machen zwar mit zivilem Ungehorsam auf sich aufmerksam, womit sie sich ein Stück weit über die etablierten Prozesse der politischen Entscheidungsfindung hinwegsetzen. Von radikalen Methoden bis zur vorsätzlichen Gewalt gegen Menschen ist es allerdings noch ein ziemlich weiter Weg.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Jost!

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Jannis Jost
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