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Der Kampf gegen Migration in Upahl: "Die Politik treibt uns zur AfD"


Konflikt um Flüchtlingsunterkunft
"Die Politik treibt uns zur AfD"

Von Tobias Eßer

Aktualisiert am 16.02.2023Lesedauer: 4 Min.
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Zwischenrufer bei einer Bürgerversammlung in Grevesmühlen: Die geplante Unterbringung von Flüchtlingen im nahegelegenen Ort Upahl ist schwer umstritten. (Quelle: Jens Büttner/dpa)

Vor dem Gipfel am Donnerstag klagen die Länder über Probleme bei der Unterbringung Geflüchteter. Besonders deutlich werden sie im Dorf Upahl in Mecklenburg-Vorpommern.

Langsam rollt der dunkelrote Kleinwagen über die Dorfstraße. Vor einem Backsteinhaus kommt er zum Stehen. Der Fahrer steckt den Kopf aus dem geöffneten Fenster, zieht ein Megafon hervor. "Achtung, Achtung!", lässt er alle wissen. "Für Donnerstag hat das Aktionskomitee eine Bürgerversammlung einberufen." Dann fährt er weiter, vorbei an Transparenten und Schildern am Straßenrand. "Einwanderung bundesweit stoppen" steht da geschrieben, "Wer schützt unsere Familien?" fragt ein anderes.

Es ist eine fast gespenstische Szene, die sich auf der Verlängerung der Landstraße in Upahl zuträgt. Hier, im Nordwesten von Mecklenburg-Vorpommern in der Nähe von Wismar, wird deutlich: In vielen Orten des Landes ist etwas ins Rutschen geraten. Angst macht sich breit, die Furcht vor zu viel Zuwanderung, vor Flüchtlingen, vor Problemen, die sich daraus für die Einheimischen ergeben.

Rund eine Million Menschen kamen durch den Ukraine-Krieg

Darum und um andere Fragen der Flüchtlingspolitik geht es auch an diesem Donnerstag in Berlin. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hat zum Flüchtlingsgipfel geladen, mit dabei sind Vertreter von Bund, Ländern und Kommunen.

Das Thema ist brisant – und betrifft nicht nur Upahl: Durch Russlands Überfall auf die Ukraine sind vergangenes Jahr rund eine Million Menschen aus der Ukraine nach Deutschland gekommen.

Länder und Kommunen stoßen an ihre Grenzen

Vielerorts stoßen Länder und Kommunen bei der Unterbringung von Geflüchteten an ihre Grenzen. Ukrainerinnen und Ukrainer müssen zwar keinen Asylantrag stellen, sondern bekommen dank einer EU-Richtlinie sofort Schutz in Deutschland. Doch auch sie müssen die Sprache lernen, eine Bleibe finden und ihre Kinder in die Schulen und Kitas des Landes schicken.

Upahl steht dabei stellvertretend für die prekäre Lage mancher Orte: Hier leben etwas mehr als 500 Menschen. In einem Gewerbegebiet am Ortsrand sollen demnächst Container-Unterkünfte für 400 Geflüchtete entstehen, wie der Kreistag Nordwestmecklenburg im Januar beschlossen hat.

400 Geflüchtete auf 500 Einwohner

Wegen dieser großen Zahl sind die Upahler besorgt. Während der Sitzung, in der der Kreistag den Bau der Unterkunft beschloss, demonstrierten rund 700 Menschen gegen das geplante Containerdorf – neben Anwohnern aus Upahl waren Menschen aus ganz Mecklenburg-Vorpommern sowie einige gewaltbereite Rechtsextreme aus Rostock und Wismar.

Dabei kam es auch zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, als Menschen versuchten, in das Kreistagsgebäude vorzudringen. Die Bilder flirrten über TV-Sender. Schnell verurteilten Politiker die Ablehnung der Demonstranten, ebenso schnell regte sich Zustimmung im Netz: Endlich sagt's mal einer, genug ist genug.

Von der aufgeheizten Stimmung ist Anfang dieser Woche im Ort kaum noch etwas zu spüren. Das Dorf wirkt verschlafen, bis auf den Wagen mit dem Megafon-Mann ist kaum ein Mensch auf der Straße unterwegs. Der große Medienrummel scheint vorerst vorbei zu sein, die Kamerateams und Reporter sind abgezogen.

"Rest in Peace, Upahl"

Zwischen Dorfkern und Gewerbegebiet haben Einwohnerinnen und Einwohner auf einem Erdwall Schilder befestigt, um ihrem Unmut über die geplante Unterkunft Ausdruck zu verleihen. Jemand hat ein Kreuz aus Pappe in den Wall gesteckt, darauf steht: "Rest in Peace, Upahl", "Ruhe in Frieden, Upahl", dahinter die Jahreszahl 2023.

Das ehemalige Corona-Testzentrum hat Schilder mit der Aufschrift "Wir schließen! So kann Integration nicht funktionieren!" an einem Zaun auf der Grundstücksgrenze angebracht. Dass das Zentrum nicht wegen der geplanten Unterkunft für Geflüchtete schließt, sondern weil Mecklenburg-Vorpommern sämtliche Corona-Schutzmaßnahmen ausgesetzt hat, steht nicht dabei.

Upahler Bürger gründen Aktionskomitee

Über die Unterkunft sprechen möchte an diesem Dienstag niemand. Vor einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung stehen etwa 20 Männer. Sie alle arbeiten dort, aus Upahl selbst kommt keiner von ihnen. "Du willst mit den Leuten über das Asylheim sprechen?", fragt einer. "Na dann viel Glück, das wird nicht leicht."

Es wirkt, als liege ein Mantel des Schweigens über dem Dorf. Und doch ist klar, was offenbar viele denken – nicht nur wegen der Schilder. Die Upahler haben ein Aktionskomitee gegründet, das Treffen organisiert. Eine Videoaufzeichnung bei Youtube zeigt, wie Menschen aus dem Dorf angeregt über die Unterbringung der Geflüchteten diskutieren.

"Die Politik treibt uns zur AfD"

"Es brennt doch in Deutschland an jeder Ecke", ruft ein Mann während der online dokumentierten Veranstaltung. "Im Osten, im Süden – die ganzen Landräte haben Probleme, weil sie über den Tisch gezogen werden." Eine Frau mit schwarzen Haaren erklärt: "Die Politik treibt uns doch zur AfD, weil hier immer weiter Menschen hereingeholt werden." "Das ist der falsche Weg", entgegnet ihr eine andere Anwesende. "Aber welcher Weg ist denn dann der Richtige?", fragt die erste Rednerin weiter.

Den richtigen Weg soll der Flüchtlingsgipfel am Donnerstag finden, damit Kommunen wie Upahl in Zukunft entlastet werden. Denn bislang werden dem Landkreis Nordwestmecklenburg, in dem Upahl liegt, pro Woche 20 bis 30 Geflüchtete zugewiesen. Und das, obwohl es keine freien Unterkünfte mehr gibt, erklärt der zuständige Landrat Tino Schomann (CDU) auf eine Anfrage von t-online.

"Das Problem hat sich über die Jahre aufgebaut"

"Das Problem besteht nicht erst seit der Ampelkoalition, sondern hat sich über die Jahre aufgebaut", sagt Schomann. Im ganzen Landkreis Nordwestmecklenburg gebe es keine Kasernen oder andere Bundesliegenschaften, welche die Unterbringungssituation entspannen könnten.

Deshalb erwartet Schomann Lösungen vom Flüchtlingsgipfel am Donnerstag: "Das System, wie es jetzt besteht, ist den hohen Gesamtzahlen und den damit anhaltend hohen Zuweisungen an Kreise und Kommunen nicht gewachsen."

In Nordwestmecklenburg gebe es drei große Probleme im Umgang mit der Flüchtlingspolitik, so der Landrat. "Die Verfahren dauern zu lange, die Zahlen sind zu hoch und die Ressourcen für Unterbringung und um die Menschen zu integrieren sind zu knapp." Zusätzliches Geld allein helfe dem Landkreis nicht weiter, es brauche mehr Menschen mit entsprechenden Qualifikationen und Grundstücke, um Gemeinschaftsunterkünfte für Geflüchtete bauen zu können.

Wohnraum im Landkreis wird knapp

Hinzu kommt: Der knappe Wohnraum sei im Landkreis sowieso schon ein Problem. Der Zuzug der Geflüchteten werde das weiter verschärfen. "Wir haben bei uns im Kreis einen Leerstand von unter zwei Prozent", sagt Schomann. "Deshalb brauchen wir mittel- und langfristig groß angelegte Programme für sozialen Wohnungsbau." Das ist sein Einsatz zur Lösung der Probleme in Upahl. Auf Bundesebene würden den Verantwortlichen allerdings noch weitere Möglichkeiten einfallen, um die Migrationsfrage zu lösen, ist sich Schomann sicher.

Sollte der Gipfel am Donnerstag keine Lösungen bringen, wollen die Upahler weiter demonstrieren. Das Aktionskomitee hat zur Planung weiterer Schritte eine Bürgerversammlung für den Abend anberaumt.

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