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Ampel-Koalition findet Kompromiss im Haushaltsstreit: Stochern im Nebel


Ampelkoalition
Es wird schmutzig


06.07.2023Lesedauer: 6 Min.
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Und wie gehts nun weiter? Wirtschaftsminister Habeck, Kanzler Scholz und Finanzminister Lindner auf Schloss Meseberg.Vergrößern des Bildes
Und wie geht's nun weiter? Wirtschaftsminister Habeck, Kanzler Scholz und Finanzminister Lindner (v. l.) auf Schloss Meseberg. (Quelle: IMAGO)

Die Ampelkoalition hat sich im Haushaltsstreit geeinigt. Trotzdem offenbart sich, wie unklar die Prioritäten der Koalition sind – und dass das Land vor ungewissen Zeiten steht.

Olaf Scholz hat eine klare Mission am Mittwochmittag: Er will zeigen, dass er sich nicht aus der Ruhe bringen lässt. Von keiner Frage. Von keiner Finte. Also spricht Scholz, wie Scholz eben spricht, wenn er die eigene Ausgeglichenheit demonstrieren will: Ruhig, taktvoll, langsam.

Scholz, blaue Krawatte, ernster Blick, steht hinter der Regierungsbank und beantwortet Fragen der Abgeordneten. Dabei sagt er: "Wir haben aktiv etwas für Zusammenhalt getan und werden das auch weiter tun." Oder: "Wir müssen uns dafür einsetzen, dass wir eine gute Zukunft haben." Eine halbe Stunde lang geht das so. Es wirkt, als könnte Scholz seine Mission erfüllen. Als könnte er die Ruhe wie eine Vase vor sich hertragen.

Doch um 13.31 Uhr meldet sich die Linken-Abgeordnete Heidi Reichinneck zu Wort. Sie spricht ganz anders als Scholz, schnell, laut, fordernd. Reichinneck fragt nach der Kindergrundsicherung, ob es mehr Geld geben wird für das Projekt als die nun anvisierten 2 Milliarden Euro ab dem Jahr 2025. Es geht zwischen Scholz und ihr hin und her.

Dann sagt Reichinneck, Scholz plane künftig nur eine Verwaltungsreform – und nicht mehr Geld. In dem Moment bricht es aus Scholz heraus. "Sie liegen falsch, wenn Sie über das, was Sie gar nicht kennen, sagen: 'Es ist nur eine Verwaltungsreform'", fährt er Reichinneck an. Dann schiebt er nach: "Aber Sie werden es ja kennenlernen und dann werden Sie’s einfach nicht mehr sagen." Klirr. Die Vase der Ruhe zerschellt auf dem Boden.

In dieser Szene spiegelt sich der Zustand der Bundesregierung. Eigentlich suggeriert Scholz gern, dass er alles im Griff hat. Doch ausgerechnet bei der Frage nach der Kindergrundsicherung, ein Herzensprojekt der Grünen, das aktuell die Koalition spaltet, sagt Scholz sinngemäß: "Kriegen wir schon irgendwie hin, ich sage Ihnen aber nicht wie." Das ist kein Zufall. Denn wahrscheinlich ist noch gar nicht klar, wie die Koalition das hinkriegen will.

Der Fortschritt wird zum Ausfallschritt

Es zeigt sich in diesen Wochen, dass der Ampelregierung eine gemeinsame Richtung fehlt. Die Haushaltsplanung für das nächste Jahr steht nun formal, doch vieles darin ist noch ungewiss – unter anderem die Frage, ob die Grünen doch mehr Geld für die Kindergrundsicherung bekommen. Die großen Linien der Koalition zerbröseln. Stattdessen wird im Tagesgeschäft immer wieder aufs Neue nach Kompromissen gesucht und gestritten.

Die Folge ist, dass die Politik der Ampelkoalition oft reaktiv und uneinig wirkt. Dass sich kein größerer Plan mehr erkennen lässt. Die Parteien, vor allem Grüne und FDP, haben völlig unterschiedliche Pläne für das Land. "Mehr Fortschritt wagen" so lautete der Titel des Koalitionsvertrages. In der Praxis wird der Fortschritt oft zu einem Ausfallschritt. Die Parteien müssen sich gegenseitig ausweichen, Politik aneinander vorbei machen, ohne sich gegenseitig zu beschädigen. Eine gemeinsame Strategie? Wirkt kaum noch erkennbar. Wohin die Reise geht? Unklar.

Etwa eine Dreiviertelstunde, nachdem Scholz die Ruhe verloren hat, sitzt Finanzminister Christian Lindner im Haus der Bundespressekonferenz, 1.500 Meter vom Reichstag entfernt, vor der berühmten blauen Wand. Er trägt ein schwarzes Jackett und sieht zufrieden aus. Lindner sagt: "Der Staat kann nicht alles mit Geld lösen. Der Staat kann nicht überall helfen. Er kann nicht überall fördern und subventionieren." Seine Hände gehen bei jedem Satz kurz nach oben und dann nach unten, als wolle er jede Aussage vor sich abstellen.

Lindner präsentierte am Mittwoch seine Haushaltsplanung für das Jahr 2024, also wofür der Bund sein Geld ausgeben will. Vorausgegangen war ein mühsamer Kampf um diesen Kompromiss. Die FDP will die Schuldenbremse im nächsten Jahr wieder einhalten, Kanzler Olaf Scholz will das auch. Die Grünen finden das weniger wichtig und setzen sich für Projekte wie die Kindergrundsicherung ein, die mehr Geld kosten könnten, als Lindner ihren Ministerien dafür zubilligen will. Im Zwist darum zeigte sich bereits in den letzten Monaten, dass die Prioritäten der Regierung sehr unterschiedlich sind.

So unterschiedlich, dass Christian Lindner das Verfahren der sogenannten Eckwerte im Frühling bereits aussetzte – ein Novum nach etlichen Jahren. Es war also lange völlig unklar, mit welchen Zahlen grob kalkuliert wird. Mehr Zeit brachte aber in dem Streit nicht mehr Einigung, stattdessen führte Lindner gemeinsam mit Kanzler Olaf Scholz dann Gespräche mit den einzelnen Fachministern. Eine solche Zuspitzung hatte es im Kampf um das viele Geld in der Regierungszeit von Angela Merkel nie gegeben.

Nun konnte Lindner am Mittwoch den Kompromiss präsentieren: Im Jahr 2024 will der Bund 445,7 Milliarden Euro ausgeben, etwa 30 Milliarden weniger als in diesem Jahr. Damit liege man "25 Prozent über dem Vorkrisenniveau von 2019", zitiert die "WirtschaftsWoche" das Finanzministerium. Der Kampf schon für diese erste Einigung war dermaßen lang, dass er in den nächsten Jahren nicht einfacher werden dürfte.

Beim Elterngeld schreibt man sich gegenseitig sogar Briefe

Wie dünn der Geduldsfaden vieler Ampelkoalitionäre mittlerweile ist, zeigte sich am Dienstag. Zwischen FDP und Grünen entbrannte ein Wettbewerb darum, wer mit dem Regieren am wenigsten zu tun hat. Der jüngste Streitpunkt: Das Elterngeld.

Der Haushaltsentwurf sieht vor, dass das Elterngeld künftig nur noch an Paare mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von bis zu 150.000 Euro ausgezahlt wird. Bislang waren 300.000 Euro die Obergrenze. Brauchen Paare, die mehr verdienen, das Geld wirklich? Darüber wird nun gestritten.

Und in der Ampelregierung will es niemand gewesen sein. Die zuständige Familienministerin der Grünen, Lisa Paus, schiebt Finanzminister Lindner von der FDP die Schuld zu. Sie argumentiert, er habe Einsparungen beim Elterngeld eingefordert. Und statt allen Familien weniger zu geben, habe sie sich für das kleinere Übel entschieden: Die Gutverdiener auszuschließen.

Belege für die eigene Unschuld

Lindner revanchierte sich für die Attacke auf Twitter. Wenn "die zuständige Kollegin" von der Elterngeld-Änderung selbst nicht überzeugt sei, "kann und sollte sie ihren Konsolidierungsbeitrag in anderer Weise erbringen". Ihr Ressort, ihre Entscheidung, so sieht das der Finanzminister.

Und nicht nur die Ministerkollegen griffen sich gegenseitig an. Auf Twitter sprangen ihnen reihenweise Politiker von Grünen und FDP bei. Sie veröffentlichten eigentlich interne Briefe von Lindner an Paus und andersherum, um zu belegen, wie unschuldig man selbst an all dem sei. Der Zwist ist groß, der Ton wird schärfer.

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Emotionaler Streit um die Heizungen

Der Kampf der Ampelkoalition gegen die Krisen von Corona bis Ukraine überdeckte lange Zeit die Risse, die jetzt so deutlich zutage treten: Während sie Wirtschaft und Energieversorgung retten musste, blieb kaum Zeit zu erkennen, wie fundamental die Unterschiede in vielen anderen Fragen sind.

Nirgendwo hat sich das so sehr gezeigt wie beim Heizungsgesetz, bei dem Grüne und FDP aus anderen Welten kamen und sich über Monate mühsam zusammen verhandeln mussten. Die Grünen wollten den aus Ihrer Sicht besten Weg möglichst schnell und fest vorschreiben. Die FDP wollte gar nichts vorschreiben.

Dann kochten die Emotionen hoch, die "Bild"-Zeitung führte eine regelrechte Kampagne gegen "Habecks Heizhammer". Das Thema war volksnah, weil alle Bürger eine Heizung haben – und weil schnell klar war, dass es teuer werden könnte.

Sogar Pistorius bekommt weniger Geld als geplant

Die positive Nachricht für die Ampel ist: Im Falle der Heizungen gibt es nun einen Kompromiss. Die schlechte Nachricht lautet: Der Streit wird trotzdem weitergehen, denn er entzündet sich im Kern an der Frage, wie viel der Markt und wie viel die Politik steuern sollte. Im Zweifel auch mit Verboten. Darüber wird auch bei anderen Themen weiter gestritten werden.

Wie verfahren die Lage ist, zeigt sich selbst bei vermeintlichen Konsensthemen. Boris Pistorius, der neue Verteidigungsminister, forderte Anfang des Jahres in der "Süddeutschen Zeitung" ein Aufwachsen seines Etats um 10 Milliarden Euro. Schon da war klar, dass die Ministerien deutlich an Geld sparen sollten.

Zunächst hieß es sogar aus den Reihen der FDP, das könne man sich schon vorstellen, auch aus dem Kanzleramt wurde Zustimmung signalisiert. Nun die Nachricht: Pistorius bekommt doch weniger Geld: Es werden 1,7 Milliarden. Zwar ist er der einzige Minister, dessen Etat wächst – die Summe ist aber weit von der ursprünglich gewünschten Zahl entfernt. Niemand ist sicher im Gerangel der Koalitionäre.

Für Boris Pistorius ist die Lage trotzdem noch vergleichsweise günstig: Er kann die geplanten 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die bessere Ausrüstung der Truppe in den nächsten Jahren ausgeben. Die anderen Minister haben solche zusätzlichen Finanztöpfe nicht zur Verfügung.

Kaum jemand in der Ampelkoalition glaubt an einen ruhigen Sommer. Grünen-Parteichef Nouripour sagte kürzlich über die bisher angepeilte Summe im Haushalt für die Kindergrundsicherung: "Es ist relativ klar, dass wir mit den 2 Milliarden am Ende des Tages nicht auskommen werden, wenn wir Kinderarmut eindämmen wollen". Es dürfte noch schmutzig werden.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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