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Selbstbestimmungsgesetz: Ampel will Geschlechtseintragsänderung reformieren


Selbstbestimmungsgesetz der Ampel
Und noch ein verworrenes Projekt


Aktualisiert am 24.08.2023Lesedauer: 4 Min.
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Familienministerin Lisa Paus (Grüne): Sie stellte am Mittwoch das Selbstbestimmungsgesetz vor. (Quelle: Michael Kappeler/dpa)

Mit dem Selbstbestimmungsgesetz will die Ampelkoalition eine fortschrittliche Gesellschaftspolitik vorantreiben. Doch das Gesetz ist umstritten – es prallt auf eine komplizierte Wirklichkeit.

Und dann lächeln sie beide. Marco Buschmann, der FDP-Justizminister, steht an diesem Mittwochmittag neben der grünen Familienministerin Lisa Paus vor dem Kanzleramt. Vor ihnen sind die Mikrofone der Fernsehsender aufgebaut. Sie wollen jetzt über ihre Einigung sprechen, das große Projekt, über das sie monatelang verhandelt haben. Buschmann sagt also: "Heute ist ein guter Tag für den gesellschaftspolitischen Fortschritt in diesem Land". Und Paus ergänzt: "Das ist ein wichtiger Tag für alle transgeschlechtlichen und intergeschlechtlichen Menschen in Deutschland." Die Sonne scheint, die Laune ist gut. Zumindest in der Gesellschaftspolitik ist sich die Ampel einig, es geht voran – das ist die Botschaft.

Wenige Minuten vor dem Statement der beiden Minister hat das Kabinett das Selbstbestimmungsgesetz beschlossen. Der eigene Vorname und das Geschlecht sind künftig die Entscheidung jedes einzelnen Bürgers. Beim Standesamt kann man, sobald das Gesetz in Kraft tritt, beides ändern, der Wechsel tritt innerhalb von drei Monaten in Kraft. Anschließend gibt es eine Sperrfrist von einem Jahr, in der keine Änderung mehr vorgenommen werden kann. Der Wechsel erfolgt jedoch ohne richterlichen Beschluss. Ohne psychiatrisches Gutachten. Und ohne eine verpflichtende Beratung. So war es bisher vorgeschrieben.

Video | Ende gut, alles gut? Wohl kaum
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Quelle: t-online

Eine Reform prallt auf die komplizierte Wirklichkeit

Es ist eines der Kernversprechen der Ampelkoalition: In der Gesellschaftspolitik haben SPD, Grüne und FDP eine grundsätzliche Wende vorgenommen. Sie lässt sich in etwa so zusammenfassen: weg von staatlichen Eingriffen, hin zu einer größeren Eigenverantwortung.

Doch schon im Gesetzgebungsprozess zeigte sich, wie schwierig diese Art von Konsensfindung ist. Die Kritik an dem Vorhaben war groß, sogar die SPD-Innenministerin hatte zuvor noch Bedenken. Die Genese des Gesetzes ist deshalb auch eine Geschichte darüber, wie die Koalition versucht, gesellschaftlich fortschrittliche Politik zu machen, dabei aber teilweise auf eine komplizierte Wirklichkeit prallt.

 
 
 
 
 
 
 

Das bisherige Transsexuellen-Gesetz ist etwa vierzig Jahre alt und wurde mehrfach vom Bundesverfassungsgericht kritisiert. Marco Buschmann sagt in der Augustsonne am Mittwochmittag über trans, inter und nichtbinäre Menschen: "Unser Gesetz hat sie wie Kranke behandelt." Bislang wurden Menschen, die ihr Geschlecht ändern wollten, vom Amt befragt, welche Unterwäsche sie tragen, welche sexuellen Vorlieben sie haben. Damit soll nun Schluss sein.

Familienministerin Paus sagt dazu: "Das Grundgesetz garantiert die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Und wer ich bin, das weiß nur ich selbst. Das gilt auch für die geschichtliche Identität. Darüber selbstbestimmt entscheiden zu können, ist ein Menschenrecht." Es sind große Begriffe, mit denen die beiden Minister ihre Entscheidung begründen.

Behörden werden im Zweifel über Namensänderung informiert

Bereits vor einem Jahr hatten Paus und Buschmann die Eckpunkte des Gesetzes vorgestellt. Nun habe man sich "intensiv Zeit genommen", um "entsprechenden Befürchtungen Rechnung zu tragen" und das Gesetz gut zu machen. Vor allem aus dem Innenministerium gab es solche Befürchtungen, insbesondere das Bundeskriminalamt hatte Einwände. Wer könnte ausschließen, dass sich Straftäter einfach einen neuen Namen zulegen – und dann für die Behörden nicht mehr zu identifizieren sind?

Rechnung trug dem die Koalition mit einem Passus, der vorsieht, dass die Daten künftig trotzdem entsprechend erfasst bleiben. Damit wäre eine Verschleierung der eigenen Identität nicht mehr möglich. Einem Bericht der "FAZ" zufolge sind die Behörden angehalten, das Bundeskriminalamt, die Bundespolizei, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und das Bundesamt für Verfassungsschutz über Änderungen zu informieren. Das jedoch trifft nun auf Kritik bei denen, die ihr Geschlecht ändern lassen wollen oder das bereits getan haben. Sie fürchten um ihre persönlichen Daten. Es ist ein altbekannter Kampf zwischen Datenschutz und einem Rechtsstaat, der in der Lage sein muss, seinen Aufgaben nachzugehen.

Zudem hatte das Innenministerium auf eine weitere Änderung im Gesetz gedrängt. Dabei ging es vor allem um die Frage von möglichen Einbürgerungen. Ausländer können nun eine Anpassung ihres Geschlechtseintrags nur dann beantragen, wenn ihr Aufenthaltstitel nicht innerhalb der folgenden zwei Monate ausläuft. Damit soll verhindert werden, dass das Asylrecht missbraucht wird.

Kritik aus der Opposition

Hinter der Autonomie der Bürger steht jedoch auch die Frage, wie im praktischen Alltag noch eigene Schutzräume für Frauen geschaffen werden können. Von der Sauna, die nur für Frauen geöffnet wird, bis hin zu Frauenhäusern. Wie können Frauen dort geschützt werden, lautete eine der zentralen Fragen in der Debatte. Die Koalition hat das nun so gelöst, dass die Entscheidung individuell bei den Anbietern und Betreibern entsprechender Einrichtungen liegt. Justizminister Buschmann fasste das am Montag mit dem Satz "Das Hausrecht bleibt bestehen" zusammen.

Kritiker bemängeln daran zum einen, dass nun mehr Einzelentscheidungen getroffen werden müssten. Andererseits gebe es wenig Vergleichbarkeit zwischen den Einrichtungen: Eine Entscheidung könnte in vergleichbaren Fällen unterschiedlich ausfallen, der Willkür könnte damit Vorschub geleistet werden. In der Koalition sah man jedoch keinen anderen Weg. Mancher sagt, wer mehr Eigenverantwortung wolle, dürfe nicht davor zurückschrecken, wenn in der Umsetzung dann nicht alle Details gesetzlich geregelt werden könnten.

Der Hauptstreitpunkt des Gesetzes ist aus Sicht der Opposition jedoch die Regelung, dass für Kinder unter 14 Jahren künftig ihre Eltern entscheiden können, ob eine Geschlechtsanpassung oder Namensänderung durchgeführt werden soll. Buschmann sagt dazu einen Satz, den er in verschiedenen Varianten seit Monaten wiederholt. Er lautet: "Wir gehen davon aus, dass niemand sich so sehr ums Kindeswohl bemüht wie die eigenen Eltern."

Günther Krings, Rechtspolitiker der CDU, findet das Gesetz "nicht akzeptabel, wenn es um Kinder und Jugendliche geht". Aus Sicht der Union hätte es mindestens eine intensivere Beratung gebraucht, wenn Jugendliche einen Wechsel ihres Geschlechts oder ihres Namens anstreben. Aus der Ampelkoalition heißt es, das sei bislang nicht geplant. Das Gesetz werde jedoch noch im Bundestag beraten – sollte aus den Reihen der Regierung der Druck hierzu noch wachsen, ließe sich das möglicherweise noch verhandeln.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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