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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Vorwürfe gegen Bundespolizei Unter Verdacht
Ein Journalist berichtet regelmäßig kritisch über den Umgang der Polizei mit Menschen mit Migrationshintergrund. Als er einen Vorfall beobachtet, gerät er selbst ins Visier der Beamten.
Marvin Oppong ist aufmerksam, wenn er Polizisten bei der Arbeit sieht. Schon aus Berufsgründen, denn er ist Journalist. Vor allem aber, wenn der Verdacht besteht, dass Beamte aus rassistischen Motiven Menschen kontrollieren. Oppong ist Deutscher, schwarz und wurde nach eigenen Aussagen selbst schon Opfer von rassistischem Verhalten von Polizisten.
Vor drei Jahren wurde Oppong am Wuppertaler Hauptbahnhof Zeuge eines Einsatzes der Bundespolizei. Zwei Männer mit Migrationshintergrund wurden kontrolliert, er griff zu seinem Handy, um die Situation zu dokumentieren. Die Polizisten reagierten laut Oppong gereizt. Er geriet daraufhin selbst in den Fokus der Ermittlungen.
Ein Blick in die Ermittlungsakte zeigt: Belege fehlen, ein Zeuge wird aufgeführt, der nicht auffindbar ist, die Akte enthält einseitige, unbewiesene Behauptungen. Wollte die Bundespolizei einen Kritiker mundtot machen? Diesen Verdacht hegt Oppong. Er fühlt sich zudem bestätigt durch kritische Polizeibeamte, die das Vorgehen der Bundespolizei in seinem Fall als "zweifelhaft" bezeichnen.
Kontrolle in Wuppertal eskaliert
Es ist der 31. Oktober 2021 am Wuppertaler Hauptbahnhof. Der Journalist Marvin Oppong will privat mit dem Zug in seine Heimatstadt Bonn reisen. Oppong ist ein ausgezeichneter Journalist – im Wortsinne. Er hat schon den Grimme Online Award gewonnen, den Alternativen Medienpreis und die renommierte Otto-Brenner-Stiftung zeichnete ihn mit einem Recherchestipendium aus. Der 42-Jährige gilt als hartnäckiger Rechercheur.
Um 13:45 Uhr sieht Oppong am Rande des Bahnhofgebäudes eine Kontrolle der Bundespolizei. Polizisten haben zwei Männer, einer von ihnen ist Afghane, an eine Wand gestellt. Was genau mit ihnen gemacht wird, kann er nicht sehen. Die Stelle ist etwas abseits gelegen, von Passanten nicht gut einzusehen. Marvin Oppong ist aufmerksam, wenn er bei einer verdachtsunabhängigen Kontrolle der Polizei Racial Profiling vermutet, also eine Kontrolle von Personen aufgrund ihres physischen Erscheinungsbildes.
Polizist hält Oppong fest
Oppong richtet das Handy auf die Situation. Er sagt, er wollte Fotos machen. Er habe den Beamten auch gesagt, dass er Pressevertreter sei. Die Polizisten reagieren gereizt, sie sprechen ihn an, wollen, dass er stehen bleibt. Oppong reagiert nicht und geht stattdessen zu seinem Zug. Ein Polizist läuft ihm hinterher. So erzählt Marvin Oppong den Vorfall.
Unter Anwendung körperlicher Gewalt, so steht es sinngemäß in der Akte, holt der Beamte Oppong aus dem Zug. Er wird am Arm gepackt und gemeinsam mit den anderen Kontrollierten zur Wache gebracht. Die Polizisten durchsuchen Oppong. Sein Handy wird nicht kontrolliert. Später wird ihm vorgeworfen, er habe mit dem Handy am Bahnhof ein Video gemacht, was Oppong bestreitet. Für ihn sei die Kontrolle damit eigentlich abgeschlossen gewesen, sagt er. Doch auf der Wache erhebt einer der beiden am Bahnhof kontrollierten Männer den Vorwurf, der Journalist habe ihn angestiftet, Gewalt gegen einen Dritten auszuüben. Oppong ist da noch auf der Wache. Er bestreitet den Vorwurf, der auch nie zur Anzeige kommt.
Oppong darf dann gehen, für ihn ist die Situation damit erledigt. Denkt er.
Unwahre Pressemitteilung der Polizei
Mehrere Tage später, am 7. November gibt die Pressestelle der Polizeidirektion Sankt Augustin zu dem Vorfall eine Pressemitteilung heraus. Darin heißt es: Ein "freier Journalist" habe ausländische Reisende angestiftet, "eine Streife der Polizei" anzugreifen, um den Vorfall zu filmen und einen "Beweis für Polizeigewalt" zu haben. Außerdem schreibt die Polizei, dass Oppong die Kontrolle der Bundespolizei filmte. Alles im Indikativ, also als Tatsachenbehauptung. Gerichtlich ist zu dem Zeitpunkt keine der Aussagen bestätigt und wird es auch nie.
Obwohl in der Pressemitteilung Oppongs Name nicht genannt wird, ist er darin identifizierbar. Sein Wohnsitz wird erwähnt, Veröffentlichungen des "freien Journalisten" auf Social Media werden genannt, in denen er sich als "Opfer von Polizeigewalt" darstelle. Mit wenigen Klicks kann nachvollzogen werden, um wen es sich bei dem freien Journalisten handelt. Die Pressemitteilung endet mit dem Satz: "Nun muss er sich für die Anstiftung eines tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte strafrechtlich verantworten."
Was ist Racial Profiling?
Mit dem Begriff wird die Praxis bezeichnet, Personen allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder Hautfarbe polizeilich zu kontrollieren, ohne dass konkrete Verdachtsmomente vorliegen. Diese Vorgehensweise widerspricht dem Grundsatz der Gleichbehandlung und ist in Deutschland verfassungsrechtlich unzulässig.
Solche diskriminierenden Routinen entstehen oft durch institutionelle Strukturen und unreflektierte Verhaltensmuster innerhalb der Polizei. Studien zeigen, dass bestimmte Kontrollpraktiken, die auf Stereotypen basieren, unbewusst beibehalten und wiederholt werden, wodurch eine systematische Benachteiligung bestimmter Bevölkerungsgruppen fortgesetzt wird.
Armin Bohnert, Vorsitzender des Vereins "Polizei Grün" kritisiert das Vorgehen der Behörde: "Dass bei einem vagen Ermittlungsstand zeitnah eine Pressemeldung herausgegeben wird, die zudem noch Rückschlüsse auf die Person des Beschuldigten zulässt, lässt fraglich erscheinen, dass die Pressemeldung mit der eigentlich zuständigen Staatsanwaltschaft abgestimmt war", sagt Bohnert. "Polizei Grün" ist ein Verein von Polizeibeamten, der kritisch auf die eigenen Behörden schaut. Sie verfolgen die Auseinandersetzung von Oppong und der Bundespolizei, bei der es um mehr als diesen einen Fall geht, schon seit einigen Jahren.
"Die Gesamtumstände der Ermittlungen und die angesichts des unklaren Delikts ungewöhnliche Form der Pressearbeit nähren den Verdacht", sagt Bohnert, "dass hier einem kritischen Journalisten besonders begegnet werden soll."
Bundespolizei schweigt zu Vorwürfen
Denn schon einen Tag, nachdem die Pressemitteilung herauskommt, wird in der Ermittlungsakte vermerkt, dass der genannte Vorwurf nicht haltbar ist. Es fehle ein Tatbestandsmerkmal. Die Pressemitteilung enthält also mehrere unbestätigte Behauptungen. Sie ist jedoch bis heute online. Auf Anfrage teilt die Bundespolizei mit, sich nicht zu dem Verfahren äußern zu wollen.
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Die Pressemitteilung der Polizei stößt auch bei den Medien auf Interesse. So berichtet unter anderem der "Bonner General-Anzeiger" über den Fall. Dieser übernimmt die meisten Aussagen der Pressemitteilung, einige davon zumindest im Konjunktiv, andere auch im Indikativ. Der Autor schreibt unter anderem: "Sein Plan: Per Handy wollte er Polizeigewalt filmen." Eine Anfrage bei Oppong zu seiner Sicht des Vorfalls, die journalistisch geboten wäre, unterbleibt. Und das, obwohl der Autor zu einem früheren Beitrag schon mit Oppong in Kontakt war. Der Artikel ist noch immer online. Eine Sprecherin des General-Anzeigers teilt mit, dass ihr Autor Oppong angefragt hätte. Auf t-online Nachfrage, ob sie die Anfrage zu einem vorherigen Bericht meint, antwortet sie nicht. Klar ist: Eine Anfrage zu dem Bericht über dem Vorfall am Wuppertaler Hauptbahnhof gab es nicht.
Motiv der Polizei
Oppong ist schon häufiger in Auseinandersetzungen mit der Bundespolizei geraten. Während einer Dienstreise 2019 wurde er im Dresdner Hauptbahnhof von ihr angehalten, er sollte seinen Ausweis zeigen. Einen Grund dafür nannte die Polizei nicht. Oppong weigerte sich und vermutete, dass er aufgrund seiner Hautfarbe kontrolliert wurde. Er forderte ein Gespräch mit den Vorgesetzten der Polizisten. Dafür müsste er mit auf die Wache kommen, sagten sie ihm, sonst würden sie mit körperlicher Gewalt den Ausweis bei ihm suchen. Oppong entschied sich für die Wache. Dort wurde sein Personalausweis kopiert, was er als rechtswidrig empfand. Oppong reichte daraufhin eine Klage ein. Das Verwaltungsgericht Dresden gab ihm im Februar 2024 Recht: Das Kopieren seines Ausweises stellte eine Ermessensüberschreitung dar, so das Gericht. Oppong berichtete darüber auch bei X und stellte die Polizei damit immer wieder bloß.
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Am 2. Mai 2018 fotografierte Oppong in Bonn ein Polizeiauto nach einem Verkehrsunfall - das Polizeifahrzeug war an dem Unfall beteiligt. Das Fahrzeug war zu dem Zeitpunkt des Fotografierens leer. Ein Polizist untersagte ihm das Fotografieren und schlug ihm die Kamera aus der Hand. Anschließend wurde Oppong von mehreren Polizisten zu Boden gebracht, wobei einer auf seinem Kopf kniete und sein Gesicht auf den Asphalt drückte. Er wurde in Gewahrsam genommen, zur Wache gebracht und dort gezwungen, sich in einer Zelle auszuziehen, so erzählt Oppong es. "Man hat mich körperlich misshandelt, bevor man sich überhaupt meine Papiere angesehen hat", sagt er.
Die Polizei beschlagnahmte seine Speicherkarte und leitete ein Ermittlungsverfahren gegen ihn ein. Oppong erstattete Strafanzeige wegen Körperverletzung im Amt und Freiheitsberaubung. Gegen sieben Beamte wurde ermittelt, das Verfahren jedoch eingestellt. Darüber informiert wurde Oppong erst auf Nachfrage.
Weitere Ungereimtheiten
In dem aktuellen Fall gibt es weitere Ungereimtheiten. Aus den Ermittlungsakten geht hervor, dass die Pressestelle des Polizeipräsidiums in Wuppertal angeblich den Anruf eines Zeugen erhielt. Der Name: Maik S.*. Dieser soll einen Tag nach dem Artikel im "Bonner General-Anzeiger" einem Mitarbeiter der Pressestelle mitgeteilt haben, dass er am Wuppertaler Bahnhof auch schon einmal von einem Mann angesprochen worden sei. Dieser habe ihn aufgefordert, Polizisten anzugreifen. Der Mann hätte den Angriff dann filmen wollen.
Weiterer Zeuge ein Phantom
Diese Begegnung soll am 3. November 2021 stattgefunden haben, also wenige Tage nach dem eigentlichen Vorfall. Der Polizist notiert sich lediglich die Telefonnummer und den Namen des Anrufers, obwohl die Dienstvorschrift vorsieht, dass auch weitere Merkmale wie Geburtsdatum und Wohnort festgestellt werden sollen. t-online hat nach dem relativ seltenen Namen des Anrufers mehrere Monate gesucht – ohne Erfolg. Auch unter der Telefonnummer war trotz zahlreicher Versuche nie jemand erreichbar. Schließlich kann t-online den Mann ausfindig machen, auf den der Anschluss zugelassen ist und auch schon 2021 zugelassen war.
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Dieser Mann heißt nicht Maik S. und bestreitet, jemals im Wuppertaler Hauptbahnhof gewesen zu sein. Er habe den beschriebenen Vorfall nicht gesehen. Hat der Polizist also einen falschen Namen notiert? Warum verstieß er gegen die Dienstvorschrift und nahm wichtige Daten des Anrufers nicht auf? Die Bundespolizei äußert sich dazu nicht.
Bei Armin Bohnert von "Polizei Grün" weckt die Art und Weise der Ermittlungen der Bundespolizei "erhebliche Zweifel an einer neutralen und fachlich richtigen Ermittlungsführung". Er sagt: "Die Ermittlungen genügen in Umfang und Qualität nicht dem Grundsatz von Aktenklarheit und Aktenwahrheit, da die erhobenen Vorwürfe nicht durch Zeugenaussagen belegt sind und Hinweise nicht ausreichend ausermittelt wurden." Gerade im Fall von Oppong, der bei der Bundespolizei als kritischer Journalist bekannt war, hätte ein besonderes Augenmerk auf eine genaue Ermittlung gelegt werden müssen. "Das hätte zu einer erhöhten Sorgfalt und der Auswahl einer möglichst neutralen Ermittlungsstelle führen müssen", so Bohnert.
Ermittlungsakte manipuliert?
Die Bundespolizei möchte auf die ungeklärten Fragen nicht antworten. Was aber klar ist: Die Ermittlungsakte ist unvollständig oder manipuliert, und in der Akte sind Dokumente aus den oben beschriebenen Fällen, obwohl sie mit dem aktuellen Fall nichts zu tun haben. Oppong will nun dagegen klagen, dass die Pressemitteilung der Polizei immer noch online steht. Auf eine Abmahnung seiner Anwältin hat die Bundespolizei bisher nicht reagiert.
*Hinweis: Name von der Redaktion geändert
- Eigene Recherche
- Artikel General-Anzeiger
- Pressemitteilung der Bundespolizei
- Treffen mit Angeblichen Zeugen
- Anfrage "Polizei Grün"