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Brosius-Gersdorf: Ist ihre Kandidatur verbrannt?


Streit über Posten am höchsten Gericht
Lügner dürfen niemals siegen


16.07.2025 - 13:29 UhrLesedauer: 1 Min.
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Frauke Brosius-Gersdorf: Wie geht es weiter?
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Die umstrittene Juristin Frauke Brosius-Gersdorf hat sich im TV erklärt. Kann das ihre Kandidatur für das Bundesverfassungsgericht retten?

Es war der vorübergehende Höhepunkt der Debatte: Am Dienstagabend verteidigte und erklärte sich Frauke Brosius-Gersdorf in der Talkshow "Markus Lanz". Die 54-jährige Juristin hätte eigentlich gemeinsam mit zwei Kollegen vakante Richterposten am Bundesverfassungsgericht besetzen sollen, am vergangenen Freitag sollte im Bundestag die Wahl der drei stattfinden. Doch die Wahl wurde insgesamt abgesetzt.

Video | "Das kann ich mir nicht länger gefallen lassen"
Video lädt
Quelle: Glomex

Der Grund waren Zweifel an Brosius-Gersdorf in der Öffentlichkeit und vor allem in der Unionsfraktion. Sie entzündeten sich an oft nur stückweise wiedergegebenen Positionen der Juristin zum Thema Abtreibung, zum Tragen des Kopftuches im öffentlichen Dienst und zum AfD-Verbotsverfahren. Als "diffamierend" und "falsch" wies Brosius-Gersdorf die Vorwürfe bei Lanz zurück, schloss aber auch nicht aus, auf ihre Kandidatur zu verzichten, um dem Gericht nicht zu schaden. Nicht erst seitdem wird diskutiert:

Sollte sich Brosius-Gersdorf aus dem Rennen um das Amt als Richterin am Bundesverfassungsgericht zurückziehen?

Pro
Annika Leister
Annika LeisterPolitische Reporterin im Hauptstadtbüro

Ja, Brosius-Gersdorf ist verbrannt

Frauke Brosius-Gersdorf hat am Dienstagabend vor einem Millionenpublikum bei "Markus Lanz" ihren Ruf wiederhergestellt. Sie hat Falschbehauptungen ausgeräumt, bis ins Unkenntliche verzerrte Darstellungen geradegerückt. Das ändert allerdings nichts daran: Brosius-Gersdorf ist verbrannt. Sie sollte ihre Kandidatur für den Posten als Richterin am höchsten deutschen Gericht zurückziehen.

Bitter ist das, weil es ein Einknicken vor dem Mob und ein Beugen vor der unseriösen Stimmungsmache gegen die Juristin bedeutet. Schließlich sind die Positionen von Brosius-Gersdorf legitim, juristisch gut begründet, streitbar zwar, aber in keiner Weise so extrem, wie sie Wutbrüller in den sozialen Medien und rechte Pöbelportale dargestellt haben. Die Debatte der vergangenen Wochen, die diesen Namen kaum verdient, hat aber eindrücklich gezeigt: Im Deutschland des Jahres 2025 haben die faktenfreien Wutbrüller viel Macht.

"Jetzt erst recht" darf darauf nicht die Antwort sein. Denn es gilt, ein höheres Gut zu schützen. Das höchste, das bleibt in einer immer gespalteneren Gesellschaft, in der sich ausgerechnet auch die Kanzlerpartei gerne auf Kulturkämpfe einlässt: die Unabhängigkeit der Gerichte und den Glauben an sie in der Bevölkerung.

Seit Jahren schon arbeiten Kräfte wie die AfD daran, diesen Glauben zu zerrütten, um sich selbst als rechtsstaatlich verkaufen zu können. Und in den kommenden Jahren stehen potenziell schwierige und weitreichende Entscheidungen an – zum Beispiel könnte das Gericht unter Umständen über ein AfD-Verbot verfügen.

Über Zweifel erhaben müssen die Richter am Bundesverfassungsgericht deswegen sein, immer und gerade jetzt. Brosius-Gersdorf ist das nicht mehr. Unverschuldet – und doch mit derselben Konsequenz. Ihre Amtszeit würde zwölf Jahre betragen. Jedes Urteil, an dem sie beteiligt wäre, wäre Ziel von neuen und ganz ähnlichen Angriffen.

Bleibt zu hoffen, dass Politik, Medien und Öffentlichkeit eine Lehre aus ihrem Schicksal ziehen und der nächsten Kulturkampf-Schlammschlacht mit mehr Ruhe, Fakten und Vernunft begegnen. Denn die wird mit Sicherheit kommen.

Kontra
Malte BollmeierVolontär

Nein, Verleumdung darf niemals siegen

Frauke Brosius-Gersdorf sollte ihre Kandidatur auf keinen Fall zurückziehen, denn sie ist als Bundesverfassungsrichterin hoch qualifiziert: Sie ist nicht nur Professorin für Verfassungsrecht, sie war auch von 2015 bis 2024 stellvertretendes Mitglied des sächsischen Verfassungsgerichtshofs. Obendrein war sie von 2017 bis 2022 Mitglied der zentralen Ethikkommission der Bundesärztekammer, kann also weitreichende moralische Entscheidungen treffen.

Daher hat die SPD sie nominiert, daher hat auch die Spitze der Union ihrer Kandidatur zugestimmt und daher wurde sie mit einer Zweidrittelmehrheit im zuständigen Wahlausschuss gewählt.

Dann aber begann der Großangriff der Lügner: Unabhängig voneinander behaupteten Vertreter der extremen Rechten und katholische Konservative, Brosius-Gersdorf sei eine linksradikale Abtreibungsgegnerin. Ist sie aber nicht. Laut Brosius-Gersdorf sollten zu Beginn einer Schwangerschaft die Rechte der Mutter überwiegen, gegen Ende jene des ungeborenen Kindes, weshalb Abtreibungen in den ersten Monaten legal sein sollten.

Damit trifft sie die Mehrheitsmeinung der Deutschen: Einer Umfrage zufolge waren Ende 2024 drei Viertel der Deutschen dafür, Abtreibungen in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft zu legalisieren. Und im schwarz-roten Koalitionsvertrag heißt es, dass die Krankenkassen Abtreibungen bezahlen sollen. Schwarz-Rot ist also pro Legalisierung, denn die Kassen dürfen nichts Illegales finanzieren.

Ähnlich übertrieben und faktenfrei sind auch die anderen haltlosen Vorwürfe gegen die Juristin.

Trotzdem fanden sich in der Unionsfraktion zu wenige Abgeordnete, die für Brosius-Gersdorf stimmen wollten. Der Fraktionsvorsitzende der Union, Jens Spahn, hatte sich im Vorfeld nicht vergewissert, dass seine Fraktion wirklich hinter Brosius-Gersdorf steht: ein grober handwerklicher Fehler. Daher ließ er die Abstimmung über die Bundesverfassungsrichter verschieben, mit der fadenscheinigen Begründung, die Kandidatin habe möglicherweise in ihrer Doktorarbeit abgeschrieben.

Dieser Zirkus ist aber nicht nur Rhetorik, sondern hat schwerwiegende Folgen: Brosius-Gersdorf wurde bedroht, an ihren Lehrstuhl wurden verdächtige Poststücke gesendet und sie musste ihre Mitarbeiter zur Sicherheit nach Hause schicken. Obendrein hat die Schlammschlacht das Ansehen der Demokratie, der Wissenschaft und des Bundesverfassungsgerichts beschädigt. Wenn Brosius-Gersdorf jetzt ihre Kandidatur unter Druck zurückzieht, gewinnen die Polarisierer. In einer Demokratie darf Verleumdung nicht obsiegen. Doch genau dieser Eindruck entstünde.

 
 
 
 
 
 
 

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