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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Jette Nietzard schmeißt hin Eine Provokation zu viel

"ACAB"-Pulli oder provokante Posts in sozialen Netzwerken: Die Chefin der Grünen Jugend hat keinen Skandal ausgelassen. Dass Jette Nietzard ihren Platz räumen wird, ist nicht nur für ihre Partei eine gute Nachricht.
Jette Nietzard wirft also hin. Sie wird beim Bundeskongress der Grünen-Nachwuchsorganisation Mitte Oktober nicht erneut als Vorsitzende antreten. Damit verliert die Grüne Jugend ihr prominentestes und – vor allem – umstrittenstes Gesicht. Dass Nietzard nun die Reißleine zieht, ist ein Segen für die Partei und für das Land. Denn die Nachwuchspolitikerin hat nicht nur der eigenen Partei geschadet, sondern auch der Debattenkultur generell. Die Art und Weise ihres Rückzugs lässt allerdings jedwede Einsicht vermissen.
Nietzards Ankündigung kam zwar einigermaßen überraschend. Doch dass sich ein neuer Skandal zusammenbraute, hat wohl auch die 26-Jährige mitbekommen. Nur Stunden bevor sie ihr Rückzugsvideo bei Instagram veröffentlichte, hatte eine neue Aussage Nietzards Schlagzeilen gemacht. Sie sprach darüber, wie in Zukunft ein Widerstand im Zusammenhang mit einer potenziellen Regierungsbeteiligung der AfD aussehen könnte. "Ist der dann intellektuell, ist der dann vielleicht mit Waffen?" Gesellschaftlich müsse man sich darüber Gedanken machen, sie habe auch keine Antwort.
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Die Aussagen sind zwar schon rund eine Woche alt, sie fielen im "radioeins & Freitag Salon", einem vom Verleger der Wochenzeitung "Der Freitag", Jacob Augstein, moderierten Podcast. Erst am Montag allerdings teilte "Der Freitag" das Zitat von Nietzard auf Instagram, allerdings in stark zugespitzter Form. Die Aufregung ließ nicht lange auf sich warten, Nietzards Aussage ist mindestens missverständlich und eine Steilvorlage für die AfD und ihre Anhänger. Mit ihrem Rückzug kam Nietzard einer neuerlichen Debatte um ihre Person zuvor, die auch die Partei wieder in Geiselhaft genommen hätte.
Immer wieder Ärger um Nietzard
Die AfD-Äußerung ist beileibe nicht Nietzards erste Provokation, mit der sie Kopfschütteln und Empörung ausgelöst hat. Im Mai posierte sie mit einem Pullover, auf dem das Kürzel "ACAB" zu lesen war. Es steht für "All Cops Are Bastards", ein Spruch, der für eine radikale Ablehnung der Polizei als Institution steht. An Silvester postete sie: "Männer die ihre Hand beim Böllern verlieren können zumindest keine Frauen mehr schlagen." (sic!) Vor einigen Wochen entschuldigte sie sich für Äußerungen zu Gaza. Zuvor hatte sie das Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023 als "militärische Operation" verharmlost.
Und nun also bewaffneter Widerstand? Es ist bezeichnend, dass Nietzard sich bisher gar nicht erst an einer Rechtfertigung versucht. In ihrem Rückzugsvideo auf Instagram kommt das Thema mit keinem Wort zur Sprache. Es ist offen, ob es etwas mit ihrer Entscheidung für den Rückzug zu tun hat. Der Zeitpunkt ist allerdings auffällig.
In ihrem Video setzt Nietzard – typisch für sie – auf Angriff und teilt fast schon trotzig gegen ihre eigene Partei aus. Ihr Auftritt ist eine gnadenlose Abrechnung. Menschen aus der eigenen Partei hätten "lieber öffentlich auf eine Einzelperson eingedroschen, als sich mit ihren Inhalten auseinanderzusetzen". Sie sei ausgebuht und angeschrien worden. "Ganz ehrlich, das sollte nicht der Alltag von der Grünen-Jugend-Sprecherin sein", schiebt Nietzard nach.
Nietzard musste sich in den vergangenen Monaten für ihr Verhalten immer wieder heftige Kritik aus der eigenen Partei gefallen lassen. Parteichef Felix Banaszak, der einst selbst Chef der Grünen Jugend war, wies Nietzard öffentlich zurecht. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann forderte sie gar zum Parteiaustritt auf.
Ein Stachel im Fleisch der Partei
Natürlich ist es nicht die Aufgabe von Jugendorganisationen, sich innerhalb der Parteiführung nur Freunde zu machen. Im Gegenteil: Sie stehen für den kompromisslosen Wesenskern der Partei und sollen diese vor sich hertreiben. Sie sollen ein Stachel sein, der das Establishment von rechts – oder im Fall der Grünen Jugend von links – unaufhörlich pikst. Nicht umsonst ist ein stachliger Igel Markenzeichen der Grünen Jugend. Der Stachel sollte aber kein Messer sein. Denn es ist nicht die Aufgabe von Jugendorganisationen, der Partei ins eigene Fleisch zu schneiden, sie vorzuführen und in dauerhafte Erklärungsnot zu bringen.
Genau das hat Jette Nietzard regelmäßig getan – in einer schwierigen Phase ihrer Partei, die selbst nach dem richtigen Kurs sucht. Bei der Bundestagswahl im Januar fuhren die Grünen große Verluste ein, in Umfragen stehen sie nur noch bei um die zwölf Prozent. Es ist auch der Preis, den sie für ihre Regierungsbeteiligung in der ungeliebten Ampelkoalition bezahlt haben. Doch der Traum, Volkspartei zu werden, dürfte noch nicht ausgeträumt sein. Das heißt aber auch, sie muss anschlussfähig in allen Altersgruppen, Regionen und Bevölkerungsschichten sein.
Da ist es wenig hilfreich, wenn das Nachwuchspersonal mit einem "ACAB"-Pulli die gesamte Polizei verprellt oder Männer per se als gewalttätige Frauenschläger diffamiert. Schließlich haben sich die Grünen die Unterstützung konservativerer Wählerinnen und Wähler hart erkämpft. Diese verschreckt Nietzard mit ihren Äußerungen immer wieder aufs Neue, während die Parteispitze regelmäßig hinter ihr herputzen muss und sich um größtmögliche Distanzierung bemüht.
Grüne Jugend auf Findungskurs
Dass die Grüne Jugend mit ihrer Partei hadert, ist nicht neu. Im vergangenen Jahr trat der gesamte Bundesvorstand von allen Ämtern zurück und verließ anschließend die Partei. Die Partei sei nicht mehr links genug, so die Begründung in Kurzform für den beispiellosen Schritt. Jette Nietzard war mit ihrer Wahl zur Bundessprecherin einige Wochen später neben Jakob Blasel ein Gesicht des Neuanfangs.
Sie hätte die Grüne Jugend wieder näher an die Mutterpartei heranführen und gleichzeitig für linke Positionen innerhalb der Partei einstehen können. Auch die Partei selbst hat kein Interesse an einem neuen Zerwürfnis mit dem Nachwuchs. Nietzard hat diese Chance nicht genutzt, stattdessen provozierte sie lieber. Mit ihren Aktionen hat Nietzard keine inhaltlichen Debatten angestoßen, die die Grünen durchaus nötig hätten. Sie hat Partei und Jugendorganisation weiter voneinander entfremdet.
Klicks, Klicks, Klicks
Schlimmer noch: Nietzard hat mit ihren Provokationen in polarisierten Zeiten zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft beigetragen. Eine vergiftete Debatte, in der sachliche Argumente nicht mehr zählen, hilft am Ende denen, die die Nachwuchspolitikerin eigentlich ausbremsen will: der AfD. Wer nur auf Klicks und maximale Aufmerksamkeit um jeden Preis setzt, erweist der Demokratie einen Bärendienst. In so einem Umfeld geht es nicht mehr um Argumente.
Mit ihrem Verhalten schwächt Nietzard ihren Vorwurf der "rechten Schmutzkampagnen" gegen sie selbst. Ist es legitim, sich über die mögliche Regierungsbeteiligung einer Partei, die das Bundesamt für Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft hat, offen Sorgen zu machen? Natürlich. Doch wer gleichzeitig über einen Widerstand mit Waffen sinniert, hilft der AfD, sich weiter als Opfer zu stilisieren. Ausgerechnet AfD-Chefin Alice Weidel gibt das die Chance, sich als Hüterin der "freiheitlich-demokratischen Grundordnung" zu inszenieren. Mit Nietzards Äußerungen sei "eine Grenze überschritten", schrieb sie auf X.
Im Oktober wählt die Grüne Jugend beim Bundeskongress in Leipzig ein neues Führungsteam. Für den Parteinachwuchs dürfte diese Abstimmung auch ein Richtungsentscheid werden. Die Jugendorganisation wäre gut beraten, nicht länger auf Skandale und Frontalopposition zu setzen. Denn mit einer Sache hat Jette Nietzard recht: "Bei ständigen Anfeindungen kann keine gute Politik entstehen."
- Jette Nietzards Post bei Instagram
- radioeins & Freitag Salon: Wie radikal darf man bei den Grünen sein?