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Taurus für die Ukraine? Friedrich Merz und seine neue Verwirrungstaktik


Merz' Ukraine-Kurs
Taktische Taurus-Verwirrung


Aktualisiert am 13.05.2025 - 17:18 UhrLesedauer: 6 Min.
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Friedrich Merz: Der Bundeskanzler will weniger über Details der Waffenlieferungen an die Ukraine reden. (Quelle: ASSOCIATED PRESS/dpa-bilder)
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Bundeskanzler Friedrich Merz will nicht mehr über den Taurus sprechen. Wird er der Ukraine den mächtigen Marschflugkörper trotzdem liefern?

Es ist ein Satz, der fast untergegangen ist an diesem Montag. Ein Satz, der den Anfang vom Ende einer Debatte markieren könnte, die schon lange schwelt, viele sagen: deutlich zu lange. Liefert Deutschland der Ukraine die Marschflugkörper Taurus?

Der neue Regierungssprecher Stefan Kornelius sitzt an diesem Montag in seiner ersten Regierungspressekonferenz in Berlin. Er verkündet, dass Bundeskanzler Friedrich Merz sich wünsche, dass "weniger über einzelne Waffensysteme" diskutiert werde. Aus taktischen Gründen, um Russland möglichst lange im Unklaren zu lassen. Das wird später die Schlagzeile der Nachrichtenagenturen und vieler Medien sein.

Der Regierungssprecher sagt aber noch etwas anderes. Er bekräftigt, dass Deutschland die Ukraine natürlich weiter mit Waffen unterstützen werde. Und: "Ich kann im Allgemeinen sagen, dass diese Unterstützung auch das Thema long range fires, also Marschflugkörper mit einer gewissen Reichweite betrifft." Da würden "Entscheidungen in den nächsten Tagen getroffen und vorbereitet".

Marschflugkörper? Also Taurus? Diese Frage bleibt offen, denn genau über den Taurus will die Bundesregierung ja gerade nicht mehr sprechen. Allerdings muss das nicht heißen, dass sie ihn der Ukraine auch nicht liefern will. Noch vor wenigen Monaten hatte nämlich jemand lautstark und wiederholt gefordert, der Ukraine unbedingt Taurus zu liefern, der inzwischen deutlich mehr Einfluss auf diese Entscheidung hat: Friedrich Merz selbst.

Was genau meint die Bundesregierung?

Bei aller taktischen Verschwiegenheit der Bundesregierung steht eines fest: Deutschland verfügt über keine anderen Marschflugkörper als den Taurus. Bereitet die Regierung Merz also tatsächlich die Lieferung dieser bis zu 500 Kilometer weit reichenden Waffe vor, nachdem die Ampelregierung von Olaf Scholz das erfolgreich verhindert hatte?

Die Aussagen von Regierungssprecher Stefan Kornelius ließen selbst Bundestagsabgeordnete ratlos zurück, die in der Regel gut informiert sind. In der SPD-Fraktion heißt es, man müsse sich jetzt erst mal selbst schlaumachen, was die Bundesregierung vorhabe. Grundsätzlich seien aber mehrere Szenarien möglich.

Auch der Politikberater Nico Lange hält mehrere Varianten für denkbar, geht aber letztlich von einer Lieferzusage der Merz-Regierung aus: "Ich deute das so, dass die industriellen Vorbereitungen für eine Taurus-Lieferung an die Ukraine beginnen." Die Lieferung könnte im Zusammenhang mit einer gemeinsamen europäischen Produktion von neuen Taurus-Waffen stehen, die Deutschland beim Hersteller MBDA in Auftrag geben könnte.

An eine deutsche Finanzierung eines ukrainischen Langstreckenwaffenprogramms, wie manche spekulieren, glaubt Lange hingegen nicht: "Damit hätte man de facto überhaupt keine Kontrolle darüber, was produziert und wie es eingesetzt wird."

Merz habe im April betont, sagt Lange, eine Lieferung von Taurus nur in europäischer Abstimmung zu erwägen. Da Briten und Franzosen selbst dringend Nachschub für ihre Arsenale bräuchten, seit sie Kiew einen Teil ihrer Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow und Scalp überlassen haben, könnte eine neue Produktionslinie für den Taurus gleich mehrere Probleme auf einmal lösen. Doch auch andere Szenarien seien denkbar: So könnten Briten und Franzosen mit deutschen Taurus ihre Vorräte auffüllen, um im Gegenzug Kiew mit weiteren Storm Shadow und Scalp auszustatten.

Der Oppositionsführer Merz klang anders

"Wir werden hingehalten, es gibt Ausflüchte, es gibt keine präzisen Angaben darüber, was Deutschland eigentlich liefert." Das ist ein Zitat von Friedrich Merz zum Taurus. Allerdings aus dem April 2022, als Merz noch Oppositionsführer war und der Kanzler Olaf Scholz hieß.

Es sei richtig, sagte Merz damals RTL und ntv, Transportwege für Waffen geheim zu halten. "Aber wir müssen doch die Öffentlichkeit darüber informieren, was geliefert wird." Sonst setze sich die Bundesregierung "ohne Not dem Verdacht aus, dass sie ihre Zusagen nicht einhält".

Der Bundeskanzler Friedrich Merz sieht das jetzt offensichtlich anders. Regierungssprecher Stefan Kornelius gibt das am Montag offen zu: "Es ist eine Veränderung in der Kommunikation."

Allerdings zu einem guten Zweck, so sieht es Merz. Andere europäische Länder hielten es schon länger so, lautet am Montag ein Argument. Man lerne eben auch dazu. Besonders über Stückzahlen will man künftig schweigen, um Wladimir Putin wichtige Informationen nicht frei Haus zu liefern.

CDU-Politiker Bilger: Taurus wäre "sinnvoll"

Die Tatsache, dass Merz nicht mehr so gerne über Taurus sprechen will, bedeutet aber nicht, dass sich seine Position und die der Union in der Sache verändert hätte. Das machte am Dienstag der neue Parlamentarische Geschäftsführer der Union deutlich, Steffen Bilger.

Der Taurus sei in Teilen zu einem Symbolthema geworden, sagt Bilger versammelten Journalisten. Aber ihn zu liefern, sei eben auch nicht nur eine Symboldebatte. "Wir als Union sind schon auch überzeugt, dass es sinnvoll wäre", sagt Bilger. Als Fraktion habe die Union deshalb in der vergangenen Legislaturperiode "ja mehrfach den Antrag eingebracht", der Ukraine den Taurus zu liefern.

In der Sache steht die Union zum Taurus, so muss man das verstehen. Bilger verweist an diesem Tag auf den Koalitionspartner. "Wir nehmen zur Kenntnis, dass das für einige in der SPD eine schwierige Frage ist", sagt er. Wie bei anderen Fragen müsse man deshalb "in der Koalition einen gemeinsamen Weg finden".

Die SPD ist beim Taurus seit jeher gespalten

In der SPD macht man sich mit dem Thema Taurus seit jeher keine Freunde: Nicht wenige Genossen nervt die Diskussion nur noch. Selbst Verteidigungsminister Boris Pistorius ließ sich kürzlich zu einer etwas fahrigen Äußerung hinreißen. Bei einer SPD-Veranstaltung im April widersprach Pistorius Darstellungen, wonach er schon immer für eine Lieferung gewesen wäre. "Ich habe das nie gesagt", sagte Pistorius. Für eine Taurus-Lieferung gebe es gute Argumente dafür, aber auch "viele gute Argumente dagegen".

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Klar ist: Die SPD war in der Taurus-Frage stets gespalten. Vor allem der linke Parteiflügel warnte vor der Gefahr, dass eine Lieferung den Ukraine-Krieg weiter eskalieren könnte. Als Kanzlerkandidat hatte Olaf Scholz sein Taurus-Nein am Ende sogar zur Charakterfrage stilisiert und die Befürworter einer Lieferung – insbesondere Friedrich Merz – als waghalsige Spielernaturen verunglimpft.

Doch es gibt Anzeichen, dass sich die SPD in der Frage auf die Union zubewegen könnte. Zum einen gab es unter den Genossen stets pragmatische Stimmen, die einer Lieferung von Taurus offen gegenüberstanden. Zum anderen scheint man nun bemüht zu sein, die Diskussion ein Stück weit aus der Fraktion herauszuhalten – vermutlich auch, um die hitzigen Debatten der Vergangenheit nicht erneut aufleben zu lassen.

Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Falko Droßmann, sagt t-online: "Die Entscheidung über Rüstungsexporte trifft die Bundesregierung. Das ist rein exekutives Handeln." Er selbst hätte keine grundsätzlichen Probleme mit einer Lieferung, wenn damit der öffentliche "Eiertanz um den Taurus" beendet werde. "Der Taurus ist keine Wunderwaffe, aber wir führen die Debatte, als wäre er eine."

Etwas anders sieht es Matthias Miersch, der neue Fraktionschef der Sozialdemokraten: "Wir wollen nicht Kriegspartei werden und so haben wir auch immer die Ablehnung der Taurus-Lieferung begriffen und dabei bleibt es", so Miersch am Dienstagnachmittag. In der SPD gibt es offenbar weiterhin Klärungsbedarf.

Die technischen Tücken des Taurus

Wo auch immer sich die Bundesregierung in der Taurus-Diskussion politisch neu verortet: An gewissen Grundproblemen der Waffe kommt sie nicht vorbei. Da ist zum einen die Diskussion über die hohe Reichweite: Bis zu 500 Kilometer weit soll der Taurus fliegen (die genaue Zahl ist geheim), also deutlich weiter als das, was die Ukraine bisher an westlichen Waffen erhalten hat. In Deutschland löste das bei einigen die Befürchtung aus, die Ukrainer könnten den Taurus in ihrer Verzweiflung auch gegen Moskau einsetzen – und Putin damit zu einer weiteren Eskalation provozieren.

Doch für das Reichweiten-Problem gibt es Lösungen: So könnte der Hersteller sie begrenzen oder bestimmte geografische Regionen von der Zielerfassung ausschließen. Verteidigungsexperte Lange weist zudem darauf hin, dass die Reichweite von 500 Kilometern nicht als Luftlinie gedacht werden dürfe, sondern durch die kurvenreiche Flugbahn des Taurus und den nötigen Abstand zur russischen Luftverteidigung letztlich geringer ausfalle.

Sensible Nato-Daten – und die deutsche Beteiligung

Auch die Einspeisung der Zieldaten erfordert eine genaue Abwägung: Da der Taurus sehr tief am Boden fliegt und selbst Hindernissen wie Bäumen präzise ausweichen kann, benötigt er komplexe Daten zur Berechnung seiner Flugbahn. Diese vielschichtigen Geodaten basieren nicht auf dem leicht störbaren GPS-System, was den Taurus anderen Marschflugkörpern wie den britischen oder französischen überlegen macht.

Die Daten für den Taurus werden durch US-Satelliten aufgenommen und ständig aktualisiert – sie haben die höchste Geheimhaltungsstufe der Nato. Die Merz-Regierung muss also klären, ob die Herausgabe dieser sensiblen Daten an ein Nicht-Nato-Mitglied wie die Ukraine politisch vertretbar ist – oder ob sie die Waffe mit alternativen Datenquellen versorgt.

Und Merz wird eine weitere Frage beantworten müssen: Welche Rolle spielen deutsche Soldaten? Olaf Scholz hatte sein Taurus-Nein auch damit begründet, dass für die Zielerfassung Bundeswehrsoldaten benötigt würden. Das stimmte immer nur zum Teil, denn es ist – mit einer entsprechenden Ausbildung – durchaus möglich, die Ukrainer die vollständige Kontrolle über den Taurus zu geben. Scholz wollte das allerdings nie, weil er das Risiko als zu hoch einschätzte.

Die wichtigste Frage für Friedrich Merz ist deshalb keine technische, sondern eine politische: Vertraut er den Ukrainern genug, um ihnen eine so schlagkräftige Waffe in die Hände zu geben? Und dieses Mal wird Merz diese Frage als verantwortlicher Bundeskanzler beantworten müssen – nicht als Oppositionsführer.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen und Beobachtungen
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