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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Nato-Gipfel Eine Frage von Leben und Tod

Kommt er? Oder kommt er nicht? Der Nato-Gipfel diese Woche steht und fällt mit Donald Trump. Ob der US-Präsident anwesend ist, wird nicht nur für Europa ein wichtiges Signal sein.
Sie glauben es wahrscheinlich erst, wenn er wirklich mit am Tisch sitzt. Wenn sich der Westen am Dienstag und Mittwoch in Den Haag zum Nato-Gipfel trifft, steht und fällt mal wieder alles mit einem Mann: Donald Trump. Der hat zwar gesagt, dass er kommen will. Doch vergangene Woche hatte er auch versprochen, den gesamten G7-Gipfel über in Kanada bleiben zu wollen. Wenige Stunden später saß er wieder in der Air Force One Richtung USA.
Ruhiger ist die Weltlage seitdem nicht geworden, im Gegenteil. Trump hat am Wochenende drei Atomanlagen des Iran bombardieren lassen. Es gibt Zweifel, ob die wichtigste in Fordo komplett zerstört ist. Der Iran hat nun außerdem mit seinem Gegenschlag auf US-Basen in Katar und im Irak begonnen. Auch wenn Trump offenbar trotzdem auf Deeskalation setzt, könnte die Lage im Nahen Osten ein Grund für ihn sein, lieber in Washington, D.C. zu bleiben. Es gäbe auch aber Gründe, das Verteidigungsbündnis Nato demonstrativ zu stärken und nach Den Haag zu reisen.
So oder so, die 31 anderen Nato-Staaten werden beim Gipfel auf positive Signale in der wichtigsten Frage hoffen. Der Frage, die über Leben und Tod entscheiden kann: Wie fest steht Donald Trump zur Bündnisverpflichtung, also dem großen Versprechen des Artikel 5, jedem Nato-Partner militärisch beizustehen, wenn er angegriffen wird?
Alles für Donald Trump
Man kann Nato-Generalsekretär Mark Rutte kaum vorwerfen, nicht alles versucht zu haben, um Donald Trump den sprichwörtlichen roten Teppich auszurollen. Er hat die ursprünglich für drei Tage geplante Veranstaltung auf knappe zwei Tage heruntergekürzt.
Am Dienstagabend gibt es nur einen einzigen Programmpunkt, der Trump gefallen dürfte: ein Dinner mit royalem Glanz. Der niederländische König Willem-Alexander und seine Frau Königin Máxima speisen mit den Staats- und Regierungschefs.
Die entscheidende Arbeitssitzung soll am Mittwochvormittag nur zweieinhalb Stunden dauern. Vorher noch ein gemeinsames Foto. Und am frühen Nachmittag ist der Gipfel schon wieder vorbei. Alles, um den ungeduldigen Trump nicht mit komplizierten Details zu behelligen. Es sei "ihm zuliebe ein schön kompaktes Format geworden", heißt es aus der Bundesregierung. In der Tat.
Die Sorge vor einem Rückzug der USA
Trotzdem ist in Washington offiziell noch immer nicht bestätigt, dass Trump nach Den Haag reist. In der Regel kommuniziert das Weiße Haus am Wochenende einen groben Plan der Termine des US-Präsidenten. Bislang steht nur fest, dass Trump an diesem Montag seine nationalen Sicherheitsberater trifft. Im Weißen Haus wird aktuell von Stunde zu Stunde gedacht.
- Was vom Nato-Gipfel zu erwarten ist, auch hier im Podcast anhören (ab 25:00):
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Wie kompliziert der erhoffte Gast aus Amerika für die Nato ist, zeigte sich mal wieder vor einigen Tagen. Reporter fragten Trump, wie er selbst zum Fünf-Prozent-Ziel für die Verteidigungsausgaben stehe. "Ich glaube nicht, dass wir das tun sollten, aber ich denke, sie sollten es tun", antwortete er. Die Europäer stünden tief in der Schuld der USA. Die Verbündeten, sie bleiben aus Trumps Sicht also vor allem: Trittbrettfahrer.
Noch größer aber ist die Sorge der Verbündeten davor, die USA könnten sich aus der Nato zurückziehen. Seit Jahren gab es in rechtskonservativen Thinktanks die Vorstellung einer Art der "ruhenden" Nato-Mitgliedschaft zugunsten einer nach China ausgerichteten Militärstrategie. In Trumps zweiter Regierung tragen nun Personen wie Elbridge Colby Verantwortung im Verteidigungsministerium, die solche Pläne vorantreiben wollen.
Trumps ständiger Vertreter der USA bei der Nato, Matthew Whitaker, deutete zuletzt an, dass es nach dem Gipfel in Den Haag wohl zu einer Neubewertung der US-Truppenpräsenz in Europa und zu einer Truppenreduzierung kommen werde.
Fünf-Prozent-Ziel – außer für Spanien?
Für Berlin ist das potenziell ein Horrorszenario, je nachdem, was genau abgezogen wird. Dass der Anteil der USA an den Verteidigungsausgaben der Nato von über 50 Prozent nun auf immer noch deutlich über ein Drittel sinke, sei zwar gut für die Nato, heißt es aus Regierungskreisen. Die USA hätten aber "Fähigkeiten, die für unsere Sicherheit kurzfristig nicht zu ersetzen sind".
Und selbst beim Fünf-Prozent-Ziel sind auf dem Gipfel noch Verwerfungen möglich. Die Nato-Staaten hatten sich monatelang an dieses Ziel herangerobbt. Spanien sperrte sich noch bis zu diesem Sonntag komplett. Und auch am Sonntagabend sagte der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez, der Einigung zufolge müsse Spanien die fünf Prozent nicht erfüllen.
Dass Spanien der Abschlusserklärung dennoch zustimmen will, liegt laut Bundesregierung an "diplomatischer Feinarbeit". In der Passage heißt es nun, dass "die Verbündeten" zusagen, das Fünf-Prozent-Ziel bis zum Jahr 2035 zu erreichen. Und nicht: alle Verbündeten. Laut "Handelsblatt" hat Nato-Generalsekretär Rutte Spanien zugesagt, entscheidend seien die Fähigkeitsziele und nicht die fünf Prozent. Solange Spanien also alle militärischen Leistungen wie vereinbart bereitstellt, wird bei der Prozentzahl nicht so genau hingeschaut.
In deutschen Regierungskreisen wird erwartet, dass die Spanier das auch in Den Haag entsprechend kommunizieren werden. Die fünf Prozent, nur ein grober Richtwert? Möglich, dass Donald Trump das mitbekommt – und nicht begeistert ist.
Frisches Geld, alte Probleme
Deutschland will die fünf Prozent erreichen, und sie bedeuten eine enorme Steigerung der Militärausgaben. Wie aus dem Haushaltsentwurf und der Eckwerteplanung bis 2029 hervorgeht, will der Bund die Rüstungsausgaben bis 2029 auf 153 Milliarden Euro verdreifachen. Das entspräche 3,5 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Die übrigen 1,5 Prozent, die für das Fünf-Prozent-Ziel fehlen, können den Nato-Vorgaben zufolge in andere "sicherheitsrelevante" Sektoren investiert werden, etwa in panzertaugliche Brücken oder Zivilschutz.
Die Truppe kann das Geld gut gebrauchen. Deutsche Behörden gehen davon aus, dass Russland spätestens 2029 in der Lage ist, die Nato militärisch zu testen. Bis dahin muss Verteidigungsminister Boris Pistorius von der SPD die Bundeswehr verteidigungsbereit machen – was noch ein weiter Weg ist.
Geld alleine wird die Strukturprobleme der Streitkräfte dabei nicht lösen. So haben sich die teils gravierenden Material- und Munitionsmängel noch verschärft, weil Waffen an die Ukraine abgegeben werden. Erschwerend hinzu kommen ein bürokratischer Beschaffungsprozess und eine Rüstungsindustrie, die ihre Produktionskapazitäten nicht schnell genug ausweitet.
Das wohl größte Problem der Bundeswehr ist aber die Personalnot. Seit Jahren verfehlt die Truppe ihre Sollstärke von 203.000, weil sie rund 20.000 Dienstposten nicht besetzen kann. Diese Lücke droht nun noch größer zu werden: Durch die neuen Nato-Vorgaben rechnet Pistorius mit bis zu 60.000 Soldaten zusätzlich, die die Bundeswehr benötigt. Mit dem geplanten Wehrdienst-Gesetz will Pistorius zumindest die ähnlich große Lücke bei der Reserve schließen – auch wenn er "zunächst" auf Freiwillige statt auf einen verpflichtenden Militärdienst setzt.
Nato-Beitritt der Ukraine? Spielt keine Rolle
Auch die Ukraine wird beim Nato-Gipfel natürlich Thema sein, wenn auch nicht im Mittelpunkt stehen. Das Ergebnis dürfte mal wieder gemischt ausfallen, um es positiv zu formulieren.
Auf der Haben-Seite steht aus Sicht der Bundesregierung, dass die Schlusserklärung die "fortgesetzte Unterstützung der Nato-Partner für die Ukraine" festschreibt. Außerdem werde festgehalten, dass die Nato sich gegen eine Bedrohung stärke, die von Russland ausgehe. Ein "Substanzgewinn" sei, dass die Ausgaben der Staaten für die Ukrainehilfe voll auf das Fünf-Prozent-Ziel anrechenbar sein sollen.
Aus Regierungskreisen heißt es aber auch, man "feile noch daran" festzuschreiben, wie die Unterstützung der Ukraine konkret weitergehe. Vergangenes Jahr schaffte es die Zahl von 40 Milliarden Euro für 2025 in die Erklärung. Die bisherigen Versprechen lägen nun wieder in dieser Größenordnung, heißt es. Auch hier sind die Sorgen groß, dass Donald Trump keine neuen Hilfen bereitstellen will.
Gar keine Rolle dürfte in Den Haag die Frage eines möglichen Nato-Beitritts der Ukraine spielen. Dafür gebe es keinen Konsens unter den Staaten, heißt es aus der Bundesregierung. Erneut vor allem: weil Trump es nicht will.
Die alles entscheidende Frage: Artikel 5
Immerhin: In der Bundesregierung gilt es als Erfolg, dass sich auch die USA in der Abschlusserklärung in "großer Klarheit" zum entscheidenden Artikel 5 der Nato bekennen will. Dem "Spiegel" zufolge heißt es im Entwurf: "Wir erneuern unsere unverbrüchliche Verpflichtung zur kollektiven Verteidigung, wie im Artikel 5 im Washingtoner Vertrag verankert – ein Angriff auf einen ist ein Angriff auf alle."
Allerdings hat Donald Trump schon oft gezeigt, für wie verbindlich er solche Erklärungen hält: nicht besonders, um es vorsichtig auszudrücken. Die Zweifel von Trump und seinen Leuten am Sinn und Zweck der Nato werden mit dem Text natürlich nicht verschwinden. Trump selbst hatte noch im Präsidentschaftswahlkampf gesagt, er würde Russland im Zweifel dazu auffordern, "zu machen, was es wolle" mit Nato-Staaten, die nicht genug für Verteidigung ausgeben.
Selbst wenn der US-Präsident also nach Den Haag reist und die Abschlusserklärung unterschreibt – viel mehr als ein positives Zeichen wäre es wohl nicht. Man könnte auch sagen: immerhin mal ein positives Zeichen. Denn mehr Verbindlichkeit dürfte kaum zu erreichen sein, solange der US-Präsident Donald Trump heißt.
- Eigene Recherchen
- Lennart Meri Conference 2025: "Running on Faith: NATO Summit in the Hague" (Englisch)
- spiegel.de: "Beschlüsse für den Nato-Gipfel: Fünf knappe Absätze, um Donald Trump milde zu stimmen" (kostenpflichtig)
- handelsblatt.com: "Verteidigungsausgaben: NATO-Staaten einigen sich auf Fünf-Prozent-Ziel" (kostenpflichtig)
- Mit Infos der Nachrichtenagentur AFP