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Tagesanbruch: Trump feuert und faucht nach den Midterm-Wahlen


Tagesanbruch
Was heute Morgen wichtig ist

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 08.11.2018Lesedauer: 7 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Präsident Trump stutzt den CNN-Reporter Jim Acosta zurecht und beschimpft ihn als “furchtbare, unverschämte Person“. Eine Mitarbeiterin des Weißen Hauses versucht, dem Reporter das Mikrofon wegzunehmen.Vergrößern des Bildes
Präsident Trump stutzt den CNN-Reporter Jim Acosta zurecht und beschimpft ihn als "furchtbare, unverschämte Person". Eine Mitarbeiterin des Weißen Hauses versucht, dem Reporter das Mikrofon wegzunehmen. (Quelle: Evan Vucci/ap-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

"Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert wurden."

Der berühmte Satz Winston Churchills gilt bis heute. Wer in einer Demokratie lebt, kann sich glücklich schätzen. Herrschaft muss durch das Volk legitimiert und Macht muss kontrolliert werden, sonst drohen Ungerechtigkeit, Korruption, Misswirtschaft, Unterdrückung und Gewalt. Allerdings kann man Demokratie so oder so auslegen. Und man kann den wichtigsten Prozess einer Demokratie, die Wahl der Volksvertreter, so oder so organisieren. Es bieten sich mannigfache Möglichkeiten an, den demokratischen Prozess zu beeinflussen, zu manipulieren – oder gar zu verfälschen.

Ein treffendes Beispiel dafür ist die mächtigste Demokratie der Welt. Damit meine ich jetzt nicht die abenteuerliche Pressekonferenz, bei der der mächtigste Mann auf Erden in seiner grenzenlosen Hybris gestern einen CNN-Reporter anfauchte, als dieser tat, was Journalisten eben tun: kritische Fragen stellen (unser Korrespondent Fabian Reinbold war live dabei). Dem Journalisten wurde dann kurze Zeit später der Presseausweis für das Weiße Haus entzogen.

Ich meine auch nicht den verdächtigen Umstand, dass der Präsident als erste Amtshandlung nach der mit einem blauen Auge überstandenen Kongresswahl seinen Justizminister Jeff Sessions feuerte – also genau den Mann, der sich weigerte, die Ermittlungen gegen Trump in der Russland-Affäre zu stoppen (der CNN-Analyst Renato Mariotti erklärt die brisanten Hintergründe).

Nein, ich meine die Ungleichheiten, Merkwürdigkeiten und Tricks, die bei Wahlen in den USA gang und gäbe sind, was die Midterms jetzt wieder einmal anschaulich bewiesen haben. Sowohl republikanische als auch demokratische Amtsträger versuchen seit Jahren, den demokratischen Prozess massiv zu beeinflussen, und entwickeln dabei bemerkenswert kriminellen, pardon: kreativen Ehrgeiz. Denn formal sind die Tricks fast immer legal – aber gerecht sind sie meistens eben nicht.

Beispiele gefällig? Wer sich nicht für die Wahl registrieren kann, weil er beispielsweise keinen festen Wohnsitz hat oder gerade erst umgezogen ist, darf vielerorts nicht mitmachen. Manche Wahllokale in Bezirken mit einem hohen schwarzen Bevölkerungsanteil werden kurzerhand geschlossen, sodass die Leute weite Wege in Kauf nehmen müssten, um andernorts abzustimmen. Vielen ist das entweder zu aufwendig oder sie können es sich schlicht nicht leisten. Oder das Aufsichtspersonal in den Wahllokalen wird drastisch reduziert, bis sich vor den Türen so lange Schlangen bilden, dass manche Wähler entnervt aufgeben, bevor sie ihre Kreuzchen gemacht haben.

Auch die ominösen Wahlmaschinen fallen verdächtig oft aus oder produzieren zweideutige Ergebnisse. Dieses Phänomen beeinflusste im Jahr 2000 wohl George W. Bushs Wahlsieg. Aber vollständig in den Griff bekommen haben die Amerikaner das Problem auch 18 Jahre später immer noch nicht, wie die "New York Times" berichtet. Raketen ins All schicken, den teuersten Militärapparat der Welt unterhalten, zig Milliarden in Geheimdienst- und Überwachungstechnologie stecken – aber den eigenen Bürgern keinen reibungslosen Wahlablauf garantieren: Das ist schon ein bemerkenswertes Verständnis staatlicher Aufgaben und Pflichten. Aber all das geschieht selten zufällig. Eher erzeugt es den Eindruck, dass es interessierte Kräfte gibt, die eben nicht wollen, dass die Wahlen wirklich überall allgemein, frei und gleich ablaufen.

Denn dann gibt es da auch noch das sogenannte "Gerrymandering": Die Wahlkreise können alle zehn Jahre neu festgelegt werden. Welcher Straßenabschnitt zu welchem Wahlbezirk gehört, bestimmt keine unabhängige Kommission, sondern die Regierung des jeweiligen Bundesstaates – im Zweifel also entweder ein Republikaner oder ein Demokrat. Er oder sie kann den Zuschnitt des Bezirks so formen, wie es für die eigene Partei am günstigsten ist, um sich dort die Mehrheit zu sichern. Zu welchen abstrusen Aktionen das führt, hat der "Philadelphia Citizen" vor einiger Zeit am Beispiel eines Bezirks in Pennsylvania gezeigt. Auch dieses Schaubild veranschaulicht den Kniff:

Amerikas großartigster Latenight-Talker, der hinreißende John Oliver, hat die ganze Perfidie des "Gerrymandering" vor einiger Zeit in seiner Show nach Strich und Faden entlarvt. Wenn Sie heute ein bisschen Zeit haben, dann sollten Sie sich dieses Video ansehen. Hinterher haben Sie viel über Amerika gelernt. Und über die Tücken der Demokratie.

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WAS STEHT AN?

Die wichtigsten Termine des Tages in Kürze:

Manchmal konnte man in den vergangenen Monaten meinen, die große Koalition streite nur noch statt zu arbeiten. Heute kann sie diesen Eindruck korrigieren: Im Bundestag stehen mehrere wichtige Vorhaben der Regierung zur abschließenden Beratung an:

  • Das Rentenpaket soll das Niveau der Zahlungen und den Beitragssatz bis 2025 festschreiben. Hinzu kommen höhere Mütter- und Erwerbsminderungsrenten.
  • Auch der soziale Arbeitsmarkt zur Förderung von Langzeitarbeitslosen und die Entlastung von Familien durch mehr Kindergeld und einen höheren Kinderfreibetrag bei der Steuer sollen beschlossen werden.
  • Außerdem berät das Parlament darüber, ob Algerien, Marokko, Tunesien und Georgien als sichere Herkunftsstaaten einzustufen sind – abgelehnte Asylbewerber also leichter abgeschoben werden können.
  • Und wenn sie mit all diesen Themen fertig sind, diskutieren die Abgeordneten auch noch über den geplanten UN-Migrationspakt. Der hat bei vielen Bürgern großes Misstrauen hervorgerufen, weshalb es besonders wichtig ist, die Hintergründe transparent zu erklären. Genau das wird Gerald Knaus, Migrationsexperte und Architekt des Türkei-Abkommens, heute im Interview mit meinem Kollegen Patrick Diekmann tun. Die Ziele des Vertrages würden in Europa rein gar nichts verändern, sagt Knaus – weil es die entsprechenden Standards hier schon längst gebe. Trotzdem sei er ein wichtiges Signal. Warum? Das lesen Sie heute Vormittag auf t-online.de.

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Ebenfalls im Bundestag trifft sich heute Mittag der "Amri-Untersuchungsausschuss" zu einer öffentlichen Sitzung. Er soll klären, warum die Sicherheitsbehörden den Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz im Dezember 2016 nicht verhindert haben – obwohl der Attentäter den Sicherheitsbehörden als islamistischer Gefährder bekannt war.

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700 Delegierte auf dem Kongress der Europäischen Volkspartei, zu der auch CDU und CSU gehören, wählen heute ihren Spitzenkandidaten für die Europawahl 2019: Wird es CSU-Vize Manfred Weber oder der ehemalige finnische Regierungschef Alexander Stubb? Der Sieger könnte später auch EU-Kommissionspräsident werden. Eine wichtige Wahl also.

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In Köln wird heute über eine Klage der Deutschen Umwelthilfe verhandelt: Sie fordert, dass in Köln und Bonn Diesel-Fahrverbote verhängt werden, um die Luft zu verbessern und die Gesundheit der Bürger zu schützen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Umweltschützer sich durchsetzen, ist relativ groß. Nicht freuen kann das Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer. Heute Nachmittag will er noch einmal versuchen, der deutschen Autoindustrie Hardware-Nachrüstungen an Diesel-Autos abzutrotzen. Bislang stellen die Bosse sich stur.

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Die Bilder aus einem Flüchtlingsheim in Burbach sorgten vor vier Jahren für Empörung: Handyfotos zeigten, wie Wachleute und Heimleiter Flüchtlinge demütigten und quälten. Heute beginnt in Siegen der Großprozess gegen die mutmaßlichen Täter.

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WAS LESEN?

Für ein Weihnachtsmärchen ist es noch ein bisschen früh. Trotzdem möchte ich Ihnen von Jack Whittaker erzählen. Die Geschichte ist nicht taufrisch, aber sie lehrt uns einiges über das Leben. Im Dezember 2002, kurz vor Weihnachten, gewann Herr Whittaker den bis dahin größten Lotto-Jackpot der USA: sagenhafte 314 Millionen Dollar sackte er ein. Aus Charleston, Virginia, kam der 55-jährige Gewinner, und er tingelte sogleich von Talkshow zu Talkshow und erklärte, was er der Menschheit nun alles Gutes tun wolle. So oft und so lange erklärte er es, bis die Briefe und Anrufe und persönlich erscheinenden Bittsteller ein eigens angestelltes Team beschäftigten. Das Team schaffte es kaum noch zu überprüfen, ob die vielen verzweifelten Menschen, die um Unterstützung für ihre schwer krebskranken Kinder flehten, tatsächlich erkrankte Kinder hatten. Oder überhaupt Kinder.

Trotzdem: Solche Probleme möchte man haben. Geld wie Heu! Alles ist möglich! Dachte auch Herr Whittaker, als er im Stripclub 50.000 Dollar in bar auf den Tisch knallte. Überhaupt tauchte er immer öfter in der Kaschemme auf und benahm sich allmählich so, als gehöre ihm der Laden. Der reiche Herr Whittaker. Seine Enkelin, Brandi hieß sie, musste bald aus Angst vor Entführern der Schule fernbleiben. Jeden Tag verteilte sie jetzt Hunderter an andere Teenager, jeden Tag cruiste sie ziellos mit ihren Freunden herum und shoppte die Läden leer. Auch noch, als die Sache mit dem Crack-Rauchen losging und bald völlig aus dem Ruder lief.

Wochen und Monate vergingen, in denen das Geld wie Gift in jeden Winkel der Familie vordrang. Freunde bezichtigten sich gegenseitig der Abzocke und des Diebstahls, Ermittlungen begannen, Verfahren liefen an. Jewell Whittaker, die Frau des Gewinners, hielt es nach fast 40 Jahren Ehe schließlich nicht mehr aus: den Alkohol, das Abrutschen, den Exzess. Sie trennte sich, ließ die Schlösser austauschen. Die Liste zerstörter Leben wurde immer länger. Fast auf den Tag genau zwei Jahre nach dem sensationellen Gewinn fand man Brandis Körper: in einer Schlucht, eingewickelt in Plastikfolie, versteckt von einem panischen Junkie. Todesursache: Überdosis. Von allem.

Die Geschichte des Herrn Whittaker kann vieles sein: eine Tragödie. Eine Parabel. Ein Fenster in die Seele, wenn das Geld sie verschlingt. Nur ein Weihnachtsmärchen, das ist sie nicht. Wäre ja auch zu früh.

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Vergegenwärtigen Sie sich bitte für einen Moment eine historische Situation: Im 15. Jahrhundert empfingen die amerikanischen Ureinwohner arglos die spanischen Seefahrer, die plötzlich an ihren Küsten landeten. Was dann geschah, haben Sie vermutlich im Geschichtsunterricht gelernt. So, und nun stellen Sie sich bitte vor: Sie sind nicht einer der Spanier, sondern einer der Ureinwohner, und die Geschichte spielt auch nicht vor mehr als 500 Jahren, sondern heute. Ach ja, und die Spanier sind in Wahrheit keine Spanier, sondern riesige Konzerne, die die Namen Facebook und Google tragen. Welch ein abwegiger Vergleich, meinen Sie? Dann lesen Sie bitte dieses Interview der "Süddeutschen Zeitung" mit Shoshana Zuboff. Was die emeritierte Harvard-Professorin zu sagen hat, ist explosiv – und betrifft Ihr Leben genauso wie das Ihrer Frau, Ihres Mannes, Ihrer Kinder und Ihrer Freunde.

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WAS AMÜSIERT MICH?

Die Kongresswahl in Amerika beeinflusse auch den Rest der Welt, also auch uns hierzulande, habe ich gestern im Tagesanbruch geschrieben – aber hey, gilt das eigentlich auch für den Mann mit den gelben Haaren im Weißen Haus? Schnell mal unseren Cartoonisten Mario Lars dazu befragen:

Ich wünsche Ihnen einen friedlichen Tag.

Ihr Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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