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Weltwirtschaftsforum Davos: Es braucht die Entkopplung der Weltwirtschaft


Was heute wichtig ist
Die Welt wird immer besser – und das ist ein Problem

  • Peter Schink
MeinungVon Peter Schink

Aktualisiert am 21.01.2020Lesedauer: 6 Min.
Meinung
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50 Jahre Davos: Umstrittene TagungVergrößern des Bildes
50 Jahre Davos: Umstrittene Tagung (Quelle: Guo Chen/imago-images-bilder)

Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,

die Nacht war vielerorts kalt in Deutschland. Das passt zum heutigen kommentierten Überblick über die Themen des Tages. Mit einem Blick erst nach China, dann ins verschneite Davos. Heute in Stellvertretung für Florian Harms:

WAS WAR?

Die Metropole Wuhan, zwei Flugstunden von Peking entfernt, elf Millionen Einwohner.

Um die Jahreswende stellen die Krankenhäuser der Stadt eine unerklärliche Zunahme von Lungenentzündungen fest. Exponentiell. Die Behörden reagieren schnell. Hektisch wird analysiert, werden Patienten befragt. Nach wenigen Tagen ist klar: Die Infizierten müssen sich auf einem Fischmarkt in der Stadt angesteckt haben. Dort werden auch Wildtiere verkauft. Doch welches Tier das Virus in sich trug, ist bislang unklar.

Wieder wird schnell reagiert. Die Stadtverwaltung schließt den Fischmarkt am 1. Januar. Doch die Krankheit breitet sich weiter aus. Offiziell gemeldet sind bisher 217 Fälle der Lungenkrankheit, vier Menschen sind an der Krankheit gestorben. Experten gehen von einer Dunkelziffer von bis zu 1.700 Fällen aus. Sie alle haben sich mit einer neuen Variante des Coronavirus infiziert.

Dann die Bestätigung: Das Virus überträgt sich auch von Mensch zu Mensch. Das alles ausgerechnet vor dem chinesischen Neujahrsfest am 25. Januar. Wo traditionell viele Chinesen ihre Familien besuchen, auf Reisen gehen. Die WHO berät nun bis Mittwoch, ob die Gesundheitsnotlage ausgerufen werden muss (wie zuletzt 2019 wegen Ebola und 2016 wegen Zika).

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Viren faszinieren uns. Bilder kommen mir in den Kopf. Die Spanische Grippe, Abertausende Tote. Eine weltweite Pandemie? Mitnichten. Experten widersprechen. Wir befinden uns nicht am Anfang eines Hollywood-Horrorfilms (Outbreak!). Das neue Virus wird unsere Ängste nicht bestätigen.

Dafür gibt es gleich mehrere Gründe. Mit dem Ausbruch von SARS (ebenfalls ein Coronavirus) im Jahr 2002 haben die chinesischen Behörden viel Erfahrung gesammelt. Die Analyse- und Forschungsmethoden sind heute viel besser. So konnte etwa der Ort seines Ausbruchs und seine Struktur sehr schnell identifiziert werden. Schon jetzt greifen Gegenmaßnahmen. Auch im Ausland: Beispielsweise in den USA wird bereits seit vier Tagen jeder Reisende aus Wuhan von Experten kontrolliert. Egal, ob er per Direktflug oder Anschlussflug ankommt.

Der größte Feind des Virus ist er selbst. Coronaviren verbreiten sich sehr schleppend. Anders als beispielsweise Grippeviren sind sie schlicht zu schwerfällig. So starben an der SARS-Pandemie knapp 1.000 Menschen. An der Grippe sterben jedes Jahr mindestens eine halbe Million Infizierte.

Wir können unsere Ängste also beruhigt beiseite legen. Sie bleiben eine urmenschliche Anpassungsleistung, im Sinne der Gefahrenvermeidung haben wir Ängste, um uns bestmöglich zu schützen.

Wenn wir das verstehen, können wir uns anderen global relevanten Themen widmen.


WAS STEHT AN?

Heute geht es los: Es treffen sich die "Bonzen im Schnee". So hat Sänger und Aktivist Bono im Jahr 2006 das Weltwirtschaftsforum in Davos tituliert. Ab heute findet es zum 50. Mal statt.

Da kommen sie: die Superreichen, die Wirtschaftsbosse, Spitzenpolitiker und Staatenlenker. Umstritten war die Tagung immer. Ihre Anziehungskraft ist ungebrochen. Selbst bei den Gegnern.

So veröffentlichte die Entwicklungshilfeorganisation Oxfam pünktlich einen Tag vor Beginn eine Studie zur sozialen Ungleichheit in der Welt. Vorangestellt eine Zahl, die Ihnen vielleicht schon begegnet ist: Die 2.153 Milliardäre dieser Welt besitzen ein größeres Vermögen als 60 Prozent der Weltbevölkerung, insgesamt 4,6 Milliarden Menschen.

Die Zahl bestätigt, was wir ja eh schon dachten. Die Welt ist ungerecht. Aufgeteilt in arm und reich, westliche Welt und Entwicklungsländer. Es verfestigt sich das Bild: Die Ungleichheit in der Welt wird stetig größer, nicht kleiner.

Doch stimmt das? Nein. Heute leben weltweit nur noch halb so viele Menschen in extremer Armut wie noch vor 20 Jahren. Das Einkommen in allen Regionen der Welt ist stetig gestiegen. Mehr Menschen haben Zugang zu Bildung, Elektrizität, Gesundheitsversorgung. Die Kindersterblichkeit ist extrem zurückgegangen.

Angesichts solcher Zahlenreihen könnten die "Bonzen im Schnee" sich ein Glas Champagner gönnen.

Was also sagen die Statistiken aus über die Situation der Menschen weltweit? Der Zustand ist heute ein anderer als vor dreißig Jahren. Entwicklung findet statt. Die Welt ist viel besser, als wir denken. Viele Menschen konnten von der Entwicklung profitieren –von unserem Wohlstand ist die Mehrheit aber noch immer weit entfernt.

Es ist zynisch: Für den Planeten ist das auch gut so. Würden alle so viel CO2 erzeugen wie wir, so viele Rohstoffe verbrauchen und so viel Müll produzieren ... Sie ahnen es: Der Planet hält uns einfach nicht aus. Die weltweite Entwicklung fußt bis heute auf einem rasanten Wirtschaftswachstum (auch wenn das 2019 "nur" 2,9 Prozent betrug).

Hält dieses Wachstum an, verschärft sich die Klimakrise weiter. Doch wer möchte den Fortschritt schon Menschen in Indien, China oder Bangladesch vorenthalten? Nachhaltiges Wirtschaften braucht es, da sind sich auch die Davos-Reisenden einig.

Also, Ihr Weltenlenker. Kippt Euren Champagner in den Schnee. Macht euch an die Arbeit. Es gibt noch ein paar Probleme zu lösen.

Das wichtigste Schlagwort: Entkopplung. Das Wirtschaftswachstum muss vom Ressourcenverbrauch und Energieverbrauch "abgekoppelt" werden.

Experten streiten über den Unterschied zwischen relativer Entkopplung und absoluter Entkopplung. Heißt: Kann der Ressourcenverbrauch bei wachsender Wirtschaft nur gebremst werden, oder kann er zurückgehen? Was notwendig wäre.

Die Fakten sind ernüchternd: Im Jahr 2018 betrug das weltweite Wirtschaftswachstum 3,6 Prozent. Der Energieverbrauch stieg zeitgleich um 2,3 Prozent, die CO2-Emissionen um 1,7 Prozent.

Und wieder sprechen die Experten. Sie diagnostizieren, dass eine höhere Effizienz beim Ressourcenverbrauch weiteres Wirtschaftswachstum nach sich zieht (nachzulesen u. a. seit 2013 im Postwachstumsblog des IÖW). Ich wage zu behaupten: Es handelt sich um eine Herausforderung. Nicht um ein Naturgesetz. In Davos sitzen auf jeden Fall die richtigen Leute zusammen, um darüber zu sprechen.

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Eine prosperierende und gleichzeitig nachhaltige Wirtschaft – kann das langfristig funktionieren oder schließen sich Wachstum und Klimaschutz aus? In unserer Leserdebatte können Sie heute parallel zum Auftakt des Weltwirtschaftsforums auf t-online.de diskutieren. Wir sind gespannt auf Ihre Ideen! Zudem hat mein Kollege Florian Schmidt hier die Antworten auf die fünf wichtigsten Fragen zum Gipfel in den Bergen aufgeschrieben.


Und dann haben sie mein Internet kaputtgemacht. Also, zumindest die Startseite meines Internets, wenn man Google als so etwas wie eine Startseite bezeichnen kann.

Ist ihnen die Änderung auch aufgefallen? Die Ankündigung kam vor wenigen Tagen per Tweet. Jetzt werden im Suchergebnis die URLs der Internetseiten mit den winzigen Favicons dieser Seiten oberhalb (!) der blauen Überschriften angezeigt.

Bislang hielt ich Googles Webdesigner ja für clevere Leute. Nun rücken sie den Absender in den Fokus, das Wesentliche – der Inhalt! – verschwindet aus dem Blick. Ich halte das für einen kolossalen Fehler.


WAS LESEN ODER ANSCHAUEN?

Vielleicht erinnern Sie sich noch an das verwackelte Video einer Einwohnerversammlung mit dem später ermordeten Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Es ging nach dem tödlichen Schuss auf den CDU-Politiker durch alle Medien, weil es eine Welle von Hass ausgelöst hatte. Mein Kollege Lars Wienand hat nun eine brisante Entdeckung gemacht: Nach seinen Recherchen ist er überzeugt, dass es von den Männern stammt, die als Tatverdächtige im Mordfall in Haft sitzen.


Das deutsche Tennis hat schon bessere Zeiten gesehen. Alexander Zverev sucht seine Form, Angelique Kerber geht angeschlagen in die Australian Open und die deutsche Nummer zwei bei den Herren, Jan-Lennard Struff, ist schon in der ersten Runde am Montag beim Grand Slam in "Down Under" ausgeschieden.

Nicolas Kiefer war jahrelang eines der größten Gesichter im deutschen Tennis-Sport und kennt die Drucksituation bei den Grand Slams in- und auswendig. Meinem Kollegen David Digili hat er im Interview erklärt, was Zverev noch zur Nummer eins fehlt und warum es "unmöglich" gewesen wäre, die Australian Open aufgrund der Buschbrände abzusagen.


DIE GUTE NACHRICHT

Arme Schweine. In den Niederlanden beteiligen sich unerwartet viele Schweinebauern an einem Umsteigerprogramm, um die Klimakrise zu bekämpfen. Statt erwarteter 300 Landwirte haben sich mehr als 500 angemeldet, die aus der Schweinehaltung aussteigen wollen – um auf die enorm emissionsbelastete Zucht zu verzichten. Die Regierung steht jetzt vor einem Problem: Eigentlich waren 180 Millionen Euro vorgesehen, um die Bauern zu entschädigen. Das Geld reicht nun nicht mehr aus. Aber unsere Nachbarn haben ja den Ruf, pragmatisch zu sein. Es gibt bereits eine Lösung.


WAS AMÜSIERT MICH?

Nicht alle Menschen, die in China einen Mundschutz tragen, haben Angst vor Viren.

In diesem Sinne wünsche Ihnen einen geruchsarmen Dienstag. Morgen schreibt Florian Harms wieder an dieser Stelle.

Ihr

Peter Schink
Stellvertretender Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Twitter: @peterschink

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