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Fall Walter Lübke: Video führt zu Verdächtigen – und zur AfD


Brisanter YouTube-Kanal
Lübcke-Video führt zu Verdächtigen und zur AfD

  • Lars Wienand
Von Lars Wienand

Aktualisiert am 20.01.2020Lesedauer: 5 Min.
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Stephan E. (rechts) und Markus H.: Sie sind die Hauptverdächtigen im Mordfall Walter Lübcke und hatten den Regierungspräsidenten gefilmt. Gemeinsam besuchten sie auch Demonstrationen wie etwa einen großen Schweigemarsch der AfD in Chemnitz.Vergrößern des Bildes
Stephan E. (rechts) und Markus H.: Sie sind die Hauptverdächtigen im Mordfall Walter Lübcke und hatten den Regierungspräsidenten gefilmt. Gemeinsam besuchten sie auch Demonstrationen wie etwa einen großen Schweigemarsch der AfD in Chemnitz. (Quelle: Screenshot YouTube/t-online.de)

Eine Spende, Teilnahme auf Demos, Wahlaufruf für die Partei: Die mutmaßlichen Täter im Mordfall Walter Lübcke standen der AfD offenbar näher, als ihr lieb sein kann. Ein bekanntes Video liefert dafür neue Hinweise.

Recherchen von t-online.de zeigen, dass von den Hauptverdächtigen im Mordfall Lübcke mehr Spuren zur AfD führen als bisher bekannt. Mitglieder der Partei hatten ein Video verbreitet, um Stimmung gegen den Regierungspräsidenten Walter Lübcke und die Regierung zu machen. Es zeigt einen kurzen Ausschnitt einer Bürgerversammlung mit dem später ermordeten CDU-Politiker. Recherchen von t-online.de ergeben nun, dass Stephan E. und Markus H. das Video offenbar selbst ins Netz gestellt haben. Die Aufnahmen, um die es geht, und die Einordnung sehen Sie oben im Video.

Stephan E. wird vorgeworfen, Walter Lübcke erschossen zu haben. Markus H. wird Beihilfe zum Mord vorgeworfen.

In der Informationsversammlung sagte Lübcke die Worte, die in rechten Kreisen so viel Empörung auslösen: "… es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, kann dieses Land jederzeit verlassen." Im Video war nicht zu erkennen, dass er damit die Störer aus den Reihen von Kagida meinte, der örtlichen Pegida. Verbreitet wurde es mit der Botschaft, Kritiker der Regierung sollten das Land verlassen.

E. berichtete vom Hochladen des Videos

Der Urheber des Videos spielte in der Öffentlichkeit bisher keine Rolle: Allenfalls war von "einem Nutzer" die Rede, der es im Kanal "Professor Moriatti" hochgeladen hat. Doch der Nutzer war offenbar der mutmaßliche Mordkomplize Markus H. Die Bundesanwaltschaft und H.s Anwalt wollen das nicht kommentieren.

Der unter Mordverdacht festgenommene Stephan E. berichtete Vernehmungsbeamten in seinem ersten ausführlichen Geständnis: Gemeinsam hätten sie beschlossen, ein Video ins Netz zu stellen, das H. von der Szene aufgenommen hatte. Er widerrief das Geständnis später. Die Ermittler halten seine ersten Angaben aber für glaubwürdig.

Sie saßen unter den Zuhörern der Bürgerversammlung, Stephan E. ist im Video zu hören. Der wütende Ausruf "Verschwinde!" soll von ihm stammen, während H. laut E.s Geständnis filmte. E. habe "beinahe völlig die Fassung verloren", fasste der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung zusammen. Auch Markus H. sei sehr verärgert gewesen. Aufgewühlt hätten sie das Video bei YouTube hochgeladen, sagte E. in seinem ersten Geständnis laut BGH.

Keine Spuren für ein zweites Video vom Abend

Ab 23.39 Uhr war die kurze Aufzeichnung von "Professor Moriatti" abrufbar. Im Netz gibt es keine Hinweise, dass an dem Abend noch ein zweites Video der Szene bei YouTube hochgeladen worden sein könnte. Demnach ist es sehr wahrscheinlich, dass das Video im Kanal "Professor Moriatti" die Aufnahme der beiden Männer ist. Der Kanal ist demnach ihnen zuzurechnen. Den Namen "Professor Moriatti" nutzte auch jemand in H.s Alter für fast hundert Beiträge – meist zu Flüchtlingsthemen – im Forum der örtlichen Tageszeitung "HNA". Zahlreiche Details in Beiträgen des "Professor Moriatti" im Forum treffen auf H. zu, zudem hatte er dort der "Frankfurter Rundschau" zufolge schon vor 2007 unter dem Namen "Stadtreiniger" kommentiert.

Bei dem bekannten Video weiß die Bundesanwaltschaft, wer es hochgeladen hat, sagte ein Sprecher zu t-online.de. Es sei das einzige von dem Abend, das für das Verfahren relevant sei. Weitere seien ihm auch nicht bekannt. Eine Bestätigung, dass "Professor Moriatti" der YouTube-Name von Markus H. oder Stephan E. ist, war von der Behörde nicht zu bekommen. Der Sprecher verwies auf das laufende Verfahren.

Mit der gleichen Begründung will sich auch H.s Anwalt derzeit nicht äußern. "Ich kann das weder bestätigen noch dementieren", sagte Björn Clemens zu t-online.de. E.s Anwalt Frank Hannig beantwortete eine Anfrage nicht.

AfD postete Link zum Video an Hunderttausende

Der im Geständnis geäußerte Plan ging aber auf, mit dem Video Stimmung zu machen: Keine 24 Stunden später hatten es unter anderem die heutige AfD-Europaabgeordnete Christine Anderson* und der heutige Schatzmeister der WerteUnion, Udo Kellmann, auf Facebook geteilt. Der "Moriatti"-Kanal hatte zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 18 Abonnenten, kann auf YouTube folglich also kaum aufgefallen sein.

Der Hauptaccount der Bundes-AfD selbst postete den Link zu dem Video anderthalb Tage nach der Einwohnerversammlung mit dem Text "Noch ist es unser Land, Herr Lübcke" auf Facebook. Lübcke erhielt in der Folge des Videos Hunderte Drohungen. Das Video oder Texte dazu wurden anlasslos immer wieder verbreitet, so etwa im Februar 2019 von Erika Steinbach. Das Posting der AfD verschwand in der zweiten Junihälfte nach dem Mord an Walter Lübcke am 2. Juni 2019 und der Festnahme des Rechtsextremisten Stephan E. am 15. Juni.

Der mutmaßliche YouTube-Kanal von H. oder E. untermauert Vermutungen, dass sie mehrfach Demonstrationen der AfD besucht haben. Sie hatten ein enges freundschaftliches Verhältnis, sie tickten politisch gleich und sie gingen nicht nur zusammen zu Schießübungen, sondern auch zusammen zu politisch rechts orientierten Demonstrationen, wie der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss festhielt.

Im Kanal: Video von AfD-Demo in Erfurt

Bereits bekannt war, dass E. und H. auch bei der von der AfD zum "Trauermarsch" erklärten Kundgebung in Chemnitz waren. Die von Björn Höcke angeführte Demonstration war nach dem Tod von Daniel H., der bei einem Streit mit Asylbewerbern durch Messerstiche tödliche Verletzungen erlitten hatte, Teil von Protesten. Die Teilnahme von E. und H. lässt sich in weiten Teilen hier im Video anhand von Fotos und Videos nachvollziehen, die t-online.de ausgewertet hat. Die Szenen können Sie hier im Video sehen.

Im "Moriatti"-Kanal findet sich auch ein Video einer Großdemo in Erfurt am 7. Oktober 2015 mit Björn Höcke und Alexander Gauland. Hochgeladen wurde es noch in der Nacht nach der abendlichen Kundgebung. E.s Anwalt hatte im September 2019 erklärt, dass E. mit H. an einem Aufmarsch in Erfurt teilgenommen hatte. Bisher sind jedoch keine Bilder der Demo vom 7. Oktober 2015 bekannt, auf denen H. oder E. zu erkennen wären. Allerdings fand diese Kundgebung weitgehend in der Dunkelheit statt. Das Video im "Moriatti"-Kanal dauert nur 40 Sekunden und entstand zu Beginn der Veranstaltung.

Keine Hinweise, dass AfD Hintergründe kannte

Die Teilnahme an der Demonstration dort wäre nicht die einzige Unterstützung von E. Richtung Thüringen. Er spendete 2016 der "taz" zufolge an die Bundes-AfD, gedacht war das Geld für den Thüringer Wahlkampf. Verwendungszweck "WAHLKAMPFSPENDE 2016 GOTT SEGNE EUCH".

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Der YouTube-Kanal "Professor Moriatti" führt auch zu einem Video "Deshalb AfD wählen". Dafür wurde unter diesem Namen eine fremde Aufnahme hochgeladen. Es zeigt, wie mehrere Männer mutmaßlich mit Migrationshintergrund auf einen anderen einprügeln, angeblich ein Deutscher. Einen Tag vor der Bundestagswahl 2017 sollte die Szene offenbar noch Wahlkampfhilfe für die AfD sein. Dieses Video hat jedoch bisher nicht einmal 200 Abrufe.

Es gibt keine Hinweise, dass die AfD von dieser Unterstützung wusste oder sie befördert hätte. Parteien können sich ihre Fans nur begrenzt aussuchen und noch weniger prüfen, wer dahinter steckt.

AfD antwortete auf Anfrage nicht

Linken-Innenexpertin Martina Renner sieht einen Zusammenhang: "Die Teilnahme von E. und H. an einem AfD-Aufmarsch ist ebenso wenig zufällig wie die AfD-Spende von Stephan E. oder das aufwiegelnde Facebook-Posting der AfD gegen Walter Lübcke aus dem Jahr 2015", sagte sie t-online.de. "Rechter Terror und rechte Hetze gehören zusammen und können nur zusammen bekämpft werden."

t-online.de wollte der AfD Gelegenheit geben, zu den Recherchen Stellung zu nehmen. Die Pressestelle der Bundespartei erklärte, sie habe die Anfrage an die AfD Sachsen weitergeleitet. Weder von dort noch auf Nachfragen an die Bundespartei kam eine Antwort.

*Die AfD-Europaabgeordnete heißt Christine Anderson, nicht Christiane. Der Fehler wurde nachträglich korrigiert.

Verwendete Quellen
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