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Uefa treibt Europa in nächste Corona-Welle: Gerhard Schröder übt scharfe Kritik


Tagesanbruch
... und dann verteilen sie das Virus in ganz Europa

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 06.07.2021Lesedauer: 6 Min.
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Fußballfans feiern in London.Vergrößern des Bildes
Fußballfans feiern in London. (Quelle: imago-images-bilder)

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Gefährliche Geschäftemacherei

Gestern Abend im Restaurant gewesen. Fröhliche Geselligkeit an einem Sommerabend, lukullische Genüsse, ein Glas Wein mehr als sonst. Endlich haben wir es wieder, unser schönes Leben. So kann es bleiben, denkt man – prompt bimmelt eine Eilmeldung auf dem Handy: Die Corona-Zahlen steigen wieder, in England, in Spanien, in Portugal, in Osteuropa, rund um Deutschland färbt sich die Landkarte wieder rot. Delta kommt näher.

Ja hört der Mist denn nie mehr auf? Schluck Wein. Weiter fröhlich sein. Dann heim. Nachrichten gucken: Corona. Im Internet rumklicken: noch mehr Corona. Radio an: Corona, Corona, Corona. Mannomann. Dabei läuft es doch nicht schlecht: Die meisten Senioren sind geimpft, viele Jüngere auch, schon gibt es mehr Stoff als Impfwillige, die Intensivstationen arbeiten längst wieder im Normalbetrieb, die Inzidenzzahl liegt gerade mal noch bei fünf Infizierten binnen sieben Tagen. Wir haben es doch im Griff, wir schaffen das!

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Schaffen wir das? Die Wissenschaftler sagen klipp und klar: Für doppelt Geimpfte ist auch dieses Delta-Dingens kaum gefährlich, für viele Pumperlgesunde ebenfalls nicht, aber eine Menge Leute warten eben noch auf den zweiten oder gar den ersten Piks. Das Impfen ist langsamer als Delta, das fiese Ding kommt näher und näher. "Mittlerweile zeigen nicht nur die Zahlen aus Großbritannien, dass die Delta-Variante ansteckender ist als das Ursprungsvirus", schreibt meine Kollegin Sandra Simonsen. "Es verstärkt sich mit der Ausbreitung also die Gefahr, dass auch Deutschland bald wieder mehr Neuinfektionen zu verzeichnen hat. Vor allem durch Reisen in Virusvariantengebiete, aber auch durch viele Lockerungen in allen Bereichen des öffentlichen Lebens steigt das Risiko einer Ansteckung wieder."

Was tun? Panik hilft jetzt sicher nicht. Gegen behutsame Lockerungen kann doch niemand etwas haben, nach 15 Monaten Corona-Krise haben wir ein Recht darauf, in unser normales Leben zurückzukehren. Freunde treffen, wann immer wir wollen. Im Restaurant sitzen. Irgendwann auch die Maske loswerden. Geschehen die Lockerungen umsichtig und verantwortungsbewusst, haben wir die Lage weiter im Griff. Wären da nicht die Geschäftleshuber, die auf Teufel komm raus den Mammon über die Vernunft stellen. Wer die proppenvollen Fußballstadien und die Fan-Feste bei der Europameisterschaft in England sieht, greift sich an den Kopf: Die Leute liegen sich siegestrunken in den Armen – und verteilen auf der Rückreise das Virus in ganz Europa. Muss das wirklich sein? Fragen wir einen, dessen Wort Gewicht hat – den ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder:

Herr Schröder, was halten Sie davon, dass die Uefa Zigtausende Menschen in die Fußballstadien lässt?

Gerhard Schröder: Nichts. Schlimmer noch, die Uefa übt ja Druck auf Veranstalter und Städte aus, die Stadien zu öffnen, um ihr Profitziel zu erreichen. Wie jeder andere Fan freue auch ich mich über die Spiele, vom Ergebnis der deutschen Nationalelf mal abgesehen. Mir sind gefüllte Stadien allemal lieber als leere. Doch was die Uefa gerade mit der Öffnung der Stadien für bis zu 60.000 Menschen betreibt, das ist unverantwortlich. Das hat nichts mehr zu tun mit der Freude am Fußball oder der vorgeblichen Stärkung des europäischen Gedankens. Das ist pure Geldmacherei! Ich frage mich auch: Wo sind eigentlich die deutschen Vertreter im Exekutivkomitee der Uefa – wie etwa der DFB-Vize Rainer Koch – in dieser Diskussion? Von denen hört man nichts. Man liest nur über Intrigen im DFB. Ich glaube, dort ist ein totaler Neubeginn fällig.

England hebt nach und nach alle Corona-Beschränkungen auf, obwohl sich die Delta-Variante dort rasant ausbreitet. Die Regierung setzt voll auf den Impfschutz. Ein kluger Schritt?

Nein. Boris Johnson hat verantwortungsvoll gehandelt als er – nach sehr harten Lockdown-Maßnahmen – schon einmal das angekündigte Ende der einschränkenden Anti-Corona-Maßnahmen verlängert hat. Jetzt will er die Maßnahmen endgültig beenden und die Menschen alleinverantwortlich handeln und selbst entscheiden lassen, ob sie Masken tragen oder nicht. Angesichts der sich schnell ausbreitenden Delta-Variante halte ich das für keine gute Idee. Feierlaune und Nachholbedürfnis werden viele Menschen dazu verleiten, alle Vorsichtsmaßnahmen über Bord zu werfen. Und dann fangen die Briten und auch wir alle wieder von vorne an.

Aber auch in Deutschland sehnen sich viele Menschen nach Urlaub und wollen keine Einschränkungen mehr erdulden. Was sagen Sie denen?

Ich kann diese Menschen gut verstehen. Mehr als ein Jahr dauert diese Corona-Plage schon an. Und mehrmals haben wir schon gedacht: Jetzt kommt endlich Besserung. Gut ist, dass sich schon viele Menschen haben impfen lassen. Und noch mehr Menschen sollten das in den nächsten Monaten machen. Doch bis alle geimpft sind, die sich impfen lassen wollen, haben wir die Verantwortung, auch diejenigen zu schützen, die bisher noch überhaupt kein Impfangebot bekommen haben. Das sind noch immer mehr als zehn Millionen Erwachsene – und dazu kommen auch noch unsere Kinder.

Im Sommer vergangenen Jahres waren wir in Deutschland zu lange sorglos und sind dann geradewegs in die zweite Welle hineingestolpert. Machen wir nun denselben Fehler?

Das sehe ich nicht. Denn die meisten Menschen sind schon aufgeklärter, als sie es noch vor einem Jahr waren. Daher dürfen wir jetzt nicht leichtsinnig werden. Oder von profitorientierten Menschen bei Uefa oder DFB in hochgefährliche Situationen gebracht werden, die mit dem Schicksal vieler Menschen spielen. Was mich am meisten an diesen Fußballfunktionären und an den Politikern, die vor ihnen einknicken, stört, ist, dass sie nicht an die Kinder in unseren Schulen denken. Die werden nämlich Bildungsdefizite hinnehmen müssen, während die Fußballfunktionäre nur an sich selbst denken.

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Ein Motto muss her

Gestern war für den CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak Defensivarbeit angesagt: Es galt, die Provokationen des ehemaligen Verfassungsschutzchefs und aktuellen CDU-Bundestags-Direktkandidaten Hans-Georg Maaßen einzufangen, der Mitarbeitern der "Tagesschau" eine Nähe zu Linksextremisten unterstellt, einen "Gesinnungstest" für Journalisten und einen "NDR-Untersuchungsausschuss" gefordert hatte. Das Präsidium und der Bundesvorstand der CDU hätten sich zur Pressefreiheit und zur Unabhängigkeit des Journalismus bekannt, stellte Herr Ziemiak klar. Nach dieser Rückwärtsverteidigung will der General heute in die Offensive gehen: Zwei Wochen nach der Vorstellung des Wahlprogramms der Union präsentiert er im Konrad-Adenauer-Haus die wichtigsten Plakate und das Wahlkampfmotto seiner Partei. Mit der Kampagne will Kanzlerkandidat Armin Laschet anschließend drei Monate lang durch Deutschland tingeln.


Film ab!

Mit Publikum und Prominenz startet heute das berühmteste Kinofestival der Welt, die Filmfestspiele in Cannes. Eröffnet wird der diesmal hochsommerliche Tanz um die Goldene Palme von einem gern gesehenen Gast an der Croisette: Der Regisseur Leos Carax ("Die Liebenden von Pont-Neuf") bekam dort bereits 1984 den Prix de la jeunesse. Diesmal stellt er die Musicalkomödie "Annette" vor, hochkarätig besetzt mit Adam Driver und Marion Cotillard. Wie sehr die Branche das Comeback der großen Leinwand herbeigesehnt hat, lässt sich an Dichte und Qualität des Programms ablesen, einer Art Best-of aus zwei Jahrgängen: Wes Anderson ist mit "The French Dispatch" dabei, Paul Verhoeven mit dem Nonnendrama "Benedetta", dazu Sean Penn, Benicio del Toro, Adrien Brody und andere mehr. Wer am Ende neben der Ehrenpreisträgerin Jodie Foster eine Trophäe mit nach Hause nehmen darf, entscheidet die Jury unter Vorsitz von Spike Lee.


Auf ins Halbfinale

Ein echter Fußball-Kracher: Im Londoner Wembley-Stadion treffen im ersten Halbfinale der Europameisterschaft um 21 Uhr Italien und Spanien aufeinander – eine Neuauflage des EM-Endspiels von 2012, das Spanien mit 4:0 gewann. Heute dürfte es knapper werden. Während die italienische Presse bereits den "Duft der Unsterblichkeit" wittert, drückt bei den Azzurri eigentlich nur der Ausfall von Leonardo Spinazzola auf die Stimmung. Und besser wäre es natürlich, würden weniger Fans ins Stadion gelassen (siehe oben).


Was lesen?

Altkanzler Gerhard Schröder hat den Grünen in einem Gastbeitrag auf t-online vorgeworfen, mit einer "übersteigerten Klimaschutzpolitik" Deutschlands Deindustrialisierung voranzutreiben und Millionen Jobs zu gefährden. Nun antwortet ihm sein früherer Umweltminister Jürgen Trittin von den Grünen – und widerspricht.


Sind alle Corona-Impfstoffe gleichermaßen wirksam gegen die Delta-Variante? Unsere Gesundheitsexpertin Christiane Braunsdorf zeigt Ihnen, bei welchem Impfstoff vermutlich nachgeimpft werden muss.


Ungarn und Großbritannien wollen die Maskenpflicht abschaffen. Auch in Deutschland mehren sich die Rufe nach Lockerungen. Ist das der richtige Weg? Mein Kollege Peter Schink meint, ja, meine Kollegin Camilla Kohrs widerspricht ihm.


Immer mehr Deutsche kehren ihrer Bank den Rücken: Wie mein Kollege Mauritius Kloft berichtet, ist die Zahl der Kontokündigungen in den vergangenen Jahren um mehr als 50 Prozent gestiegen. Ein Grund dafür: Viele Banken reichen die Strafzinsen der Europäischen Zentralbank an ihre Kunden weiter. Das sei eine verfassungswidrige Enteignung, meint der frühere Verfassungsrichter Paul Kirchhof. Unser Wirtschaftschef Florian Schmidt hat darüber mit ihm und Ex-Finanzminister Peer Steinbrück gesprochen.


Was amüsiert mich?

Jeder hat ja seine eigene Motivation, Dinge zu tun oder zu lassen.

Ich wünsche Ihnen einen gesunden Tag. Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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