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Nach Sondervermögen für die Bundeswehr: Dienstpflicht für alle Deutschen


Tagesanbruch
Nächster Schritt: Dienstpflicht für alle Deutschen

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 31.05.2022Lesedauer: 6 Min.
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Bundeswehr-Übung mit Sturmgewehr.Vergrößern des Bildes
Bundeswehr-Übung mit Sturmgewehr. (Quelle: Philipp Schulze/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

die Bundeswehr hat 'ne Schraube locker. Nein, nicht nur eine. Viele. Klapprige Kampfflugzeuge gammeln vor sich hin, Hubschrauber wurden zu Ersatzteillagern degradiert, Panzer bleiben alle naselang stehen, Munition fehlt an allen Ecken und Enden. Sogar ihre Winter-Unterbüx müssen die Soldaten selbst mitbringen. Würde Deutschland morgen angegriffen (Gott bewahre!), könnte unsere Trümmertruppe dem Gegner wohl keine zwei Wochen standhalten. Nur der Oberbabo in Washington hält seine schützende Hand über uns, auf diesem Versprechen haben sich die Bundesregierungen von Schröder und Merkel jahrzehntelang ausgeruht. Nicht mal der Trump-Schock löste eine echte Kehrtwende aus.

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Das hat erst Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine getan. Nach wochenlangem Feilschen zwischen Olaf Scholz und seinen Ministern zum einen, Oppositionsführer Friedrich Merz und dessen Leuten zum anderen sowie den Pazifisten in der Ampelkoalition um SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich zum völlig anderen haben sich die politischen Lager nun zusammengerauft und den 100-Milliarden-Euro-Sonderfonds für die Bundeswehr beschlossen. Grünen-Frontfrau Annalena Baerbock zog dabei den Kürzeren, berichtet unser Reporter Johannes Bebermeier, aber der Deckel ist drauf. Nun soll alles ganz schnell gehen; noch vor der Sommerpause könnten Bundestag und Bundesrat die notwendige Grundgesetzänderung abnicken.

Und dann sollen die Euros aus dem staatlichen Füllhorn auf die Konten der Rüstungsfirmen prasseln. Bei Rheinmetall reibt man sich schon die Hände und freut sich auf die Rückkehr in den Dax. Neue Kampfjets, Panzer, Drohnen, Hubschrauber, Kreuzer, U-Boote und haufenweise Munition soll die Truppe anschaffen, damit sie endlich in die Lage versetzt wird, das Land im Kriegsfall zu verteidigen und die Nato-Ostflanke effektiv zu schützen. So lang ist die vorläufige Einkaufsliste, dass schon jetzt absehbar ist: Hundert Mille reichen dafür nie und nimmer. Eher wird in den kommenden Jahren wohl das Doppelte oder Dreifache gebraucht, um die Versäumnisse der Vergangenheit wettzumachen, räumen Eingeweihte hinter vorgehaltener Hand ein. So gesehen ist die vom Kanzler vorgegebene Summe eher als symbolträchtiger Betrag zu verstehen. 100 Milliarden, das klingt halt gewaltig. Nicht beantwortet ist damit allerdings die Frage, wie das berüchtigte Beschaffungsamt in Koblenz davon abgehalten werden soll, das viele liebe Geld wie üblich in vielen dunklen Kanälen versickern zu lassen.

Ein noch größeres Problem harrt ebenfalls seiner Lösung: Die Wunden der Bundeswehr lassen sich mitnichten allein durch finanzielle Pflaster heilen. Damit sie ihren Aufgaben gerecht werden kann, muss die Truppe erst einmal aus dem sozialen Abseits herausgeholt, muss ihr endlich wieder eine angemessene gesellschaftliche Stellung gegeben werden. Anders als beispielsweise in den USA ist das Ansehen der Soldaten hierzulande ziemlich mies und schwankt irgendwo zwischen Ignoranz und Bedauern. Wer mal gesehen hat, mit welchem Respekt Uniformträger in Amerika behandelt werden, und zum Vergleich die despektierlichen Blicke der Reisenden sieht, wenn hierzulande ein junger Mann oder eine junge Frau im Flecktarn einen Regionalexpress betritt, versteht, wie tief die Bundeswehr in der gesellschaftlichen Hierarchie gesunken ist. Angela Merkels demonstratives Desinteresse an den Streitkräften mag nicht der alleinige Grund dafür sein, aber besser gemacht hat es das auch nicht. Auch die Aussetzung der Wehrpflicht allein erklärt nicht das öffentliche Stigma der Truppe. Umgekehrt könnte eine Dienstpflicht jedoch helfen, ihr wieder eine bessere Stellung zu verschaffen – wenn sie flächendeckend eingeführt wird.

Denn eine moderne Gesellschaft beschränkt eine Dienstpflicht nicht auf den Gebrauch von Waffen. Eine moderne Gesellschaft begreift, dass sie nur dann wehrhaft gegen äußere und innere Feinde ist, nur dann vital und stabil bleibt, wenn alle Bürger sich aktiv für sie einsetzen. Deshalb ist es höchste Zeit, ein verpflichtendes Dienstjahr für alle jungen Menschen in unserem Land einzuführen, Männer wie Frauen. Schon einmal habe ich diesen Gedanken im Tagesanbruch notiert, selten gab es so viele zustimmende Leserzuschriften wie damals.

Die CDU überlegt nun, ob sie sich trauen soll, die Forderung nach einem Pflichtjahr in ihr neues Grundsatzprogramm aufzunehmen. Ich frage mich: Was gibt es denn da zu überlegen? Natürlich braucht es das! Und SPD, Grüne und FDP täten gut daran, das ebenfalls langsam mal einzusehen. Ein verpflichtender Dienst unterstützt nicht nur überlebensnotwendige Institutionen unseres Landes. Er kann auch ein entscheidender Baustein in der Persönlichkeitsentwicklung sein. Ob in der Bundeswehr, im Krankenhaus, im Seniorenheim, in der Kita oder im Jugendzentrum: Alle jungen Menschen sollten nach der Schule einen Dienst absolvieren. Beginnend mit einem Bildungsseminar, in dem sie die Grundlagen der deutschen Demokratie erlernen – Gewaltenteilung, Rechtsstaat, politische Beteiligungsmöglichkeiten, Medienkompetenz. Anschließend folgt praktische Arbeit in einer Sozialeinrichtung oder bei der Armee.

Mit Prophezeiungen soll man vorsichtig sein, aber heute wage ich mal eine: Könnten sich Regierung und Opposition dazu durchringen, würde nicht nur die Bundeswehr stärker. Sondern die ganze Gesellschaft.


EU macht Käse

Kurz vor Mitternacht hat Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán seinen Widerstand aufgegeben: Die EU-Staaten haben sich auf ein Ölembargo gegen Russland geeinigt. Wobei, eigentlich ist es kein Embargo. Eigentlich ist es ein Schweizer Käse. So viele Löcher wie ein Emmentaler hat der Beschluss nämlich. Immerhin sollen bald mehr als zwei Drittel der russischen Öl-Lieferungen in die EU von dem Einfuhrverbot betroffen sein, verkündet EU-Ratspräsident Charles Michelwenn es denn konsequent umgesetzt wird. Hier sind die Details.


Herr Rhein am Main

Die Hessen sind bekanntlich ein besonderes Völkchen. Urgemütlich, trotzdem fleißig, kulturbeflissen, dazu der schönste Dialekt der Republik: hellisch, escht! Nicht unterschlagen darf man allerdings den gelegentlichen hessischen Hang zu Skandalen. Sei es in der Polizei, beim Verfassungsschutz oder im Bürgermeisteramt. Was sich Frankfurts OB Peter Feldmann derzeit erlaubt, ist escht ein starkes Stück. Nun muss er vor Gericht antreten – oder lieber gleich zurücktreten? Heute steht erst mal jener Mann im Rampenlicht, der Feldmann anno 2012 bei der Stichwahl um den Posten des Stadtoberhaupts überraschend unterlag: der konservative Jurist und gegenwärtige hessische Landtagspräsident Boris Rhein von der CDU. Weil der 70-jährige Dauerministerpräsident Volker Bouffier sein Amt nach fast zwölf Jahren abgibt, müssen die Abgeordneten im Landtag einen Nachfolger bestimmen. Und weil die Regierungskoalition aus CDU und Grünen dort nur eine Mini-Mehrheit von einer Stimme hat, wird die Wahl richtig spannend. Geht sie glatt, soll Herr Rhein am Main um 16.15 Uhr die Staatskanzlei übernehmen.

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Es geht ums Geld

Der Bundestag beginnt seine Haushaltsberatungen. Zur Debatte stehen die Etats der Ministerien für Wohnen, Finanzen, Familie und Verkehr. Richtig spannend wird es dann morgen.


Zitat der Woche

"Man kann mit China, das mit einem Anteil von über 30 Prozent an den weltweiten Emissionen der mit Abstand größte CO2-Verursacher ist, nicht unkonditionierten Handel treiben. Wir dürfen unsere Märkte nicht überschwemmen lassen von nicht nachhaltig gefertigten Produkten aus China oder anderen Ländern."


Was noch lesen?

Der Tankrabatt und das 9-Euro-Ticket sind gut gemeinter Unfug. Mit den Wohlfühlmaßnahmen hindert die Regierung die Bürger daran, die wahre Dimension der Krise zu erfassen, meint unser Kolumnist Christoph Schwennicke.


Im Donbass kann die ukrainische Armee dem russischen Druck kaum noch standhalten. Nun droht das Szenario, das der Westen eigentlich verhindern wollte: Putin könnte diesen Krieg gewinnen, schreibt unser Außenpolitikredakteur Patrick Diekmann.


Geht es Ihnen auch so, dass Sie Ihre Urlaubsgewohnheiten überdenken? Flugbenzin schadet dem Klima, lange Autofahrten dito. Man kann ja auch anders reisen – und dabei mindestens genauso viel erleben wie in der großen weiten Welt. Wie das geht, beschreibt die Autorin Alexandra Schlüter in ihrem neuen Reisebuch "Rad, Land, Fluss": Mit dem Fahrrad ist sie die Elbe entlanggeradelt, von Cuxhaven bis Schmilka südöstlich von Dresden. Sie berichtet von Routen, Aussichten und Begegnungen, bei denen sie Deutschland aus neuen Perspektiven erlebt hat. Sie traf Bauern, Naturschützer, Winzer und Lebenskünstler, sie lernte Orte kennen, an denen die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Verlockend bebildert und einfühlsam formuliert, ist dies genau das richtige Buch für einen richtig schönen Sommer.


Was amüsiert mich?

Die Bundeswehr kann jetzt richtig losballern.

Ich wünsche Ihnen einen friedlichen Tag.

Herzliche Grüße und bis morgen

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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