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HomePolitikChristoph Schwennicke: Einspruch!

AfD in der Krise: Wird das Superwahljahr zum Flop?


AfD in der Krise
Rottet der gärige Haufen jetzt zu Ende?

MeinungEine Kolumne von Christoph Schwennicke

Aktualisiert am 30.05.2024Lesedauer: 4 Min.
Meinung
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AfD-Politiker Stephan Brandner, Alice Weidel und Tino Chrupalla (Archivbild): Ein "gäriger Haufen"?Vergrößern des Bildes
AfD-Politiker Stephan Brandner, Alice Weidel und Tino Chrupalla (Archivbild): Ein "gäriger Haufen"? (Quelle: Sean Gallup/getty-images-bilder)

Lange war die AfD gegen jede Krise, gegen jeden Skandal immun. Aber jetzt brennt die Hütte lichterloh. Wie kommt das?

Als kleiner Junge hat mich der Zaubertrick mit dem Zuckerwürfel ungemein fasziniert. Der Hobbyzauberer, ein Kollege meines Vaters, mit einigem Showtalent präsentierte uns einen Würfel und forderte uns auf, ihn mit einem Feuerzeug anzuzünden. Nichts passierte. Dann nahm er ihn wieder in die Hand, machte ein bisschen Hokuspokus, hielt das Feuerzeug an den Würfel. Und der brannte lichterloh, bis nur noch ein Häufchen braune Melasse von ihm übrig war.

So ähnlich ging das nun seit Jahren mit der AfD. Sie hatte Machtkämpfe übelster Art, Intrigen, Affären, Skandale. Das Spitzenpersonal massakrierte sich immer wieder auf offener Bühne. Nichts passierte. Sie war wie der Zuckerwürfel in unseren Kinderhänden. Nicht entflammbar. Feuerresistent. Wie Asbest-beschichtet.

Christoph Schwennicke
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Christoph Schwennicke ist Politikchef und Mitglied der Chefredaktion von t-online. Seit fast 30 Jahren begleitet, beobachtet und analysiert er das politische Geschehen in Berlin, zuvor in Bonn. Für die "Süddeutsche Zeitung", den "Spiegel" und das Politmagazin "Cicero", dessen Chefredakteur und Verleger er über viele Jahre war. Bei t-online schreibt er jeden Donnerstag seine Kolumne "Einspruch!"

Jetzt aber brennt sie lichterloh, wie der Zuckerwürfel in den Händen des Zauberers beim Kindergeburtstag. Der Trick bei ihm war, wie ich viel später erfuhr: Asche. Man musste den Würfel nur unterseitig unbemerkt in etwas Asche reiben, dann fing er genau an der Stelle Feuer.

Die Rolle der Asche als Brandbeschleuniger, genauer: als Brandauslöser übernehmen bei der AfD derzeit deren beiden Spitzenkandidaten für die Europawahl, Maximilian Krah und Petr Bystron. Beide versinken in einem Sumpf aus ziemlich validen Korruptionsvorwürfen. Die Beweislage ist überwältigend, dass die exponiertesten Kandidaten jener Partei sich von fremden Mächten wie China und Russland schmieren lassen, die das Land derzeit mit dem Slogan "Deutschland zuerst" pflastern lässt. "Zuallererst ich", scheinen Krah und Bystron diesen Spruch für sich abgewandelt zu haben.

Wieso war die AfD so lange feuerfest beschichtet wie eine Mondrakete und steht jetzt in Flammen wie eine ausgetrocknete, harzreiche Zypresse in einem Dürresommer? Vor Jahren einmal habe ich mit Volker Rühe in anderem Zusammenhang über das Phänomen gesprochen, dass manchen Politikern nichts etwas anhaben kann, obwohl sie schon knietief in der eigenen Jauche stehen. Damals ging es um Karl-Theodor zu Guttenberg, einem Nachnachnachfolger Rühes als Bundesverteidigungsminister. Weil, sagte der politisch hochversierte Rühe seinerzeit, die Leute lange festhielten an jemanden, von dem sie sich haben einnehmen lassen. Weil eine Abkehr von dieser Person das Eingeständnis impliziert, sich getäuscht zu haben, einen Fehler begangen zu haben. Bis zu diesem Eingeständnis dauert es sehr lange. Aber wenn es kommt, dann kommt der Erdrutsch.

Die europäischen Verbündeten rücken ab

So war es bei Guttenberg. Und so könnte das jetzt auch bei der AfD kommen. Zumal sie nichts begreift. Jedenfalls sieht es so aus, wenn Parteichef Tino Chrupalla eine "Melonisierung" der übrigen rechtspopulistischen Parteien Europas wahrnimmt, wenn diese sich von den deutschen Schmuddelkindern distanzieren und mit dieser AfD keine Fraktionsgemeinschaft mehr im EU-Parlament bilden möchten.

Die Formulierung begreift Chrupalla als Vorwurf an die amtierende Ministerpräsidentin Italiens, Giorgia Meloni, die ihre vormals faschistische Partei auf einen gemäßigteren Kurs gebracht hat, einen dezidiert proeuropäischen obendrein. Ebenso die Chefin des französischen Rassemblement National, Marine le Pen, die sich dafür sogar mit ihrem rechtsradikalen Vater und Parteigründer überworfen hat.

Die Beobachtung von Chrupalla ist völlig richtig. Seine Schlussfolgerung (Alles Weicheier! Alles Verräter unserer Sache!) ebenso völlig falsch. Denn während Meloni (die für mich immer aussieht wie eine Mischung aus Gianna Nannini und Suzi Quatro) in Italien Immer mehr in die Mitte ging und eine für das Stiefelland vergleichsweise stabile Regierung leitet und Marine Le Pen dem amtierenden Präsidenten Emmanuel Macron im Kampf um den Elyséepalast im Nacken sitzt, kapselt sich die AfD ab und wird selbst von nahestehenden Parteifreunden anderer Länder geächtet.

Der lange Hals der Giraffe

Richard Dawkins, der berühmte Evolutionsbiologe, hat ein wunderbares Buch ("Gipfel des Unwahrscheinlichen") über das "Wunder der Evolution“ geschrieben. Darin beschreibt er in der Tradition Darwins, wieso die Giraffe einen so langen Hals entwickelt hat und der Elefant so eine lange Nase, dass man sie Rüssel nennt. Weil sie damit erfolgreicher waren. Das ist das Wunder der Evolution.

Diese Evolution kann man bei vormaligen Geschwisterparteien der AfD in anderen europäischen Ländern beobachten. Sie haben damit Erfolg. Auch wenn man den Argwohn nicht loswird, dass da gar nicht so viel genetische Veränderung, sondern eher Mimikry dahintersteckt: Verstellung und ein Haufen Kreide auf den Stimmbändern.

Die AfD hingegen entwickelt sich nicht fort. Sie regrediert eher. Und zersetzt sich teilweise, wie die Abspaltungen in Björn Höckes Thüringen zeigen. Sie hat sich mit jedem Putsch an der Parteispitze weiter radikalisiert, so weit, dass eine bundesweite Einstufung als rechtsextrem durch den Verfassungsschutz nicht mehr fern ist. Zugleich haben sich Verdachtsmomente von Selbstbedienung und Korruption derart zementiert, dass ihre Erzählung nicht mehr zieht: Wir sind die Sauberen, die andern, die Altparteien sind die Korrupten. Das Gegenteil scheint eher der Fall. Die Unterstellung der Korruption bei andern rührt aus der eigenen Anfälligkeit dafür.

Alexander Gaulands Trugschluss

Einen "gärigen Haufen" hat Alexander Gauland seine AfD einmal genannt. Damit wollte er sagen, dass am Ende dieses Gärprozesses feinster Humus herauskommen kann.

Das ist im Prinzip auch möglich und gar kein schlechtes Bild. Aber alle, die im eigenen Garten einen Komposthaufen haben und pflegen, wissen: Das ist kein Selbstläufer. Es kann bei falscher Handhabung und fehlender Pflege auch einfach nur ein unbrauchbarer Schlamm dabei herauskommen. Stinkend und faulig.

Verwendete Quellen
  • Eigene Überlegungen
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