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AfD | Vorsicht, Verfassungsschutz: Warum die Beobachtung umstritten ist


AfD im Visier
Das sollte der Verfassungsschutz lassen

  • Uwe Vorkötter
MeinungVon Uwe Vorkötter

13.02.2024Lesedauer: 4 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Björn Höcke (Archivbild): Sein AfD-Landesverband ist laut Verfassungsschutz gesichert rechtsextremistisch.Vergrößern des Bildes
Rechtsaußen-Politiker: Björn Höcke ist Partei- und Fraktionschef der vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Thüringer AfD. (Quelle: Schröter/imago images)

Fast immer, wenn es um die AfD geht, geht es auch um den Verfassungsschutz. Der schützt die Demokratie vor den Rechten, oder? Unser Kolumnist hat daran so seine Zweifel.

Sie kennen die Formulierung: "Die AfD, die vom Verfassungsschutz als in Teilen rechtsextremistisch eingestuft wird, ...". Oder: "Der Thüringer Landesverband der AfD, der laut Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem gilt, ...". Sie hören das in der Tagesschau, in Ihrem Radiosender, lesen es in der Lokalzeitung und natürlich auch auf der Internetplattform Ihres Vertrauens. Der Verfassungsschutz entlarvt die AfD!

Wenn ich diese Meldungen lese oder höre, habe ich ein Störgefühl. Es kommt aus der Vergangenheit. Die Älteren unter uns erinnern sich noch an den berüchtigten Radikalenerlass in den 70er-Jahren. Teile der Studentenbewegung radikalisierten sich damals, bis hin zum Terrorismus. Und die Politik griff durch: Wer im öffentlichen Dienst arbeiten wollte, etwa als Lehrer, musste sich vom Verfassungsschutz durchleuchten lassen. Eine ganze Generation wurde verdächtigt, den Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verlassen zu haben.

Viele Jahre lang beobachtete, überwachte und infiltrierte der Verfassungsschutz alles, was irgendwie links war. Zum Beispiel die Zeitschrift "Demokratie und Recht", die an der Universität Gießen erschien. In der Redaktion engagierten sich zwei Mitglieder der Juso-Hochschulgruppe: Brigitte Zypries, die später Justizministerin wurde. Und ein gewisser Frank-Walter Steinmeier, der heute im Schloss Bellevue unsere Republik repräsentiert.

Schlimmer kann's nicht werden – oder?

Darüber kann man vierzig Jahre später lachen, aber es war längst nicht alles zum Lachen. Der Verfassungsschutz verwanzte das Haus des Kernenergie-Managers und späteren Umweltaktivisten Klaus Traube. Der Vorwurf, Traube unterhalte Kontakte zur RAF, erwies sich als völlig haltlos. Man muss Freiheit und Bürgerrechte gegen den Verfassungsschutz verteidigen – das war die Lehre aus diesem illegalen Lauschangriff.

Uwe Vorkötter
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Uwe Vorkötter gehört zu den erfahrensten Journalisten der Republik. Seit vier Jahrzehnten analysiert er Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, er hat schon die Bundeskanzler Schmidt und Kohl aus der Nähe beobachtet. Als Chefredakteur leitete er die "Stuttgarter Zeitung", die "Berliner Zeitung" und die "Frankfurter Rundschau". Er ist Herausgeber von "Horizont", einem Fachmedium für die Kommunikationsbranche. Nach Stationen in Brüssel, Berlin und Frankfurt lebt Vorkötter wieder in Stuttgart. Aufgewachsen ist er im Ruhrgebiet, wo man das offene Wort schätzt und die Politik nicht einfach den Politikern überlässt.

Alte Geschichten? Die neuen sind nicht besser. Jahrzehnte später, Anfang der 2000er-Jahre, scheiterte das Verbotsverfahren gegen die NPD vor dem Bundesverfassungsgericht. Der Verfassungsschutz hatte die rechtsextreme Partei mit verdeckten Ermittlern durchsetzt; es war nicht mehr klar, wer diese Partei eigentlich steuerte: die Nazis oder die Nazi-Aufklärer. Damals dachte ich, schlimmer kann’s nicht mehr werden.

Konnte es aber doch. Als weitere zehn Jahre später die Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Bönhardt und ihre Komplizin Beate Zschäpe mitten in Deutschland neun Menschen, überwiegend mit türkischem Migrationshintergrund, ermordeten, wusste der Verfassungsschutz von nichts. Angeblich. Aber ein V-Mann-Führer hielt sich während des Überfalls auf Halit Yozgat in dessen Internetcafé in Kassel auf. Er meldete sich nicht bei der Polizei. Ein Beamter der Sonderkommission, die hinterher viele Ungereimtheiten aufklären sollte, ließ wichtige Akten schreddern. Der Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtags kam zu dem Ergebnis, dass die Verfassungsschützer für eine "mittelbare Unterstützung" und die Begünstigung rechtsextremer Strukturen verantwortlich seien.

Der neue Kampf gegen rechts

Vor allem linke und grüne Politiker haben sich immer wieder für die Abschaffung des Verfassungsschutzes eingesetzt: Hans-Christian Ströbele, das grüne Urgestein. Jürgen Trittin. Claudia Roth und Cem Özdemir, als sie Parteivorsitzende waren. Robert Habeck verlangte 2019, damals noch in der Opposition, der Verfassungsschutz müsse ganz neu aufgestellt werden.

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Jetzt, da ihre Partei regiert, ist alles ganz anders. Jetzt sind die Verfassungsschützer sehr, sehr wichtig – im Kampf gegen rechts. Vor allem gegen die AfD. Die Partei gilt in den Augen des Verfassungsschutzes als "Verdachtsfall", auch wenn sie sich derzeit dagegen gerichtlich wehrt. Das heißt, dass die Verfassungsschützer, übrigens insgesamt über 4.000, Informationen sammeln, aus offenen Quellen, wie sie das nennen. Also aus der "Tagesschau", aus dem Radio, aus der Lokalzeitung, aus der Nachrichtenplattform Ihres Vertrauens. Und aus Facebook, X und Instagram.

Noch einmal langsam, zum Mitschreiben: Der Verfassungsschutz bezieht seine Informationen über die AfD aus den Medien. Daraus entsteht ein Bericht, in dem die AfD als mehr oder weniger rechtsextrem eingestuft wird. Diesen Bericht zitieren die Medien als quasi amtlichen Beleg für die Gefahr, die von der AfD ausgeht. Erkennen Sie das Problem?

Auf einmal hat die Linke den Verfassungsschutz lieb

Aber warum wird die AfD nicht "richtig" überwacht, mit verdeckten Ermittlern, Cyber-Trojanern und dem ganzen nachrichtendienstlichen Instrumentarium? Weil wir nicht mehr in den Siebzigerjahren sind. Weil das im NPD-Verfahren grotesk schiefgegangen ist. Und weil Bodo Ramelow erfolgreich geklagt hat. Der heutige Thüringer Ministerpräsident und seine Partei, die Linke, wurden jahrelang vom Verfassungsschutz beobachtet, wie heute die AfD. Dann entschied das Bundesverfassungsgericht, die Überwachung verletze Ramelow in seinen Abgeordnetenrechten. Punkt. Ein Triumph für Ramelow und seine Partei. Aber jetzt geht es gegen rechts, da hat auch die Linke den Verfassungsschutz lieb.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Wir brauchen eine Behörde, die extreme und gefährliche Szenen und Milieus aufklärt. Die hinter die Kulissen der Hamas-Helfer in Deutschland blickt. Die "Reichsbürger" und andere Verwirrte kennt, damit niemand zu Schaden kommt, wenn sie Schießübungen für ihren Operetten-Putsch veranstalten. Eine Behörde, die weiß, was im Hinterzimmer eines Potsdamer Landhauses über Remigration und die Ausweisung von unliebsamen Menschen fantasiert wird. Apropos: Wusste der Verfassungsschutz das? Die Journalisten von "Correctiv" haben den Fall aufgedeckt, nicht die Geheimdienstexperten.

Kein Aufstand gegen "Gesinnungsschnüffelei"

Neuerdings beobachten sie sogar ihren früheren Chef (!), Hans-Georg Maaßen. Gefährdet Maaßen etwa die Demokratie? Plant er einen Umsturz? Absurd. Der Mann steht für eine Politik von vorgestern, aber das war’s auch schon. Verboten ist das nicht.

Und die AfD, allen voran Björn Höcke? Ein Extremist, keine Frage. Aber alles, was er sagt oder denkt, ist öffentlich. Er schreibt Bücher über seinen Kampf, die kann man (leider) bei Amazon kaufen. Die Medien dokumentieren jede seiner Grenzüberschreitungen, das gehört zu ihren Aufgaben. Über Höcke und die AfD müssen die Wähler entscheiden. Oder Gerichte, falls sie gegen Gesetze verstoßen. Der Verfassungsschutz ist eine Behörde des Innenministeriums. Er taugt nicht dazu, die parlamentarische Opposition zu bekämpfen.

Damals, in Zeiten des Radikalenerlasses, wandte sich der große Sozialdemokrat Herbert Wehner entschieden gegen die "Gesinnungsschnüffelei", die seine eigene Regierung betrieb. Und heute? Kein Wehner weit und breit.

Verwendete Quellen
  • Eigene Überlegungen
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