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"Samaritan's Purse": Die zweifelhaften Methoden einer Hilfsorganisation


Barmherzige Samariter
Die zweifelhaften Methoden einer Hilfsorganisation

Von Niclas Staritz

Aktualisiert am 25.12.2022Lesedauer: 4 Min.
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Der sogenannte "Prayers march" in Washington, USA (Archivbild): Angeführt wird die Veranstaltung von Franklin Graham.Vergrößern des Bildes
Der sogenannte "Prayer March" in Washington, USA (Archivbild): Angeführt wird die Veranstaltung von Franklin Graham. (Quelle: Michael A. McCoy)

Seit 1993 sammelt das Hilfswerk Samaritan's Purse Weihnachtsgeschenke für bedürftige Kinder. Doch vieles an der Organisation ist fragwürdig.

Die Idee scheint simpel: Geschenke für Kinder in Not in einen Schuhkarton packen, an eine Sammelstelle senden, von da aus in die ärmeren Regionen der Welt versenden lassen und Kindern eine Freude machen. So weit, so gut, finden auch Prominente aus Politik und Unterhaltung, die die Aktion "Weihnachten im Schuhkarton" in Deutschland unterstützen. Doch der Verein hinter der Spendenaktion steht schon lange in der Kritik.

"Die barmherzigen Samariter" nennt sich der deutsche Ableger der Organisation Samaritan's Purse, die 1970 in den USA vom evangelikalen Pfarrer Robert Willard Pierce gegründet wurde und Büros auch in Großbritannien, Kanada, Australien und Deutschland unterhält. Mit "Weihnachten im Schuhkarton" hat die Organisation nach eigenen Angaben seit 1993 mehr als 157 Millionen Kinder in 160 Ländern beschenkt. Doch Kritiker werfen Samaritan's Purse vor, unter dem Deckmantel der Barmherzigkeit evangelikale Missionierung zu betreiben – in Form von Kinderbüchern, die den Schuhkartons beigelegt werden.

"Bibelgeschichten in der jeweiligen Landessprache"

"Vielen wohlmeinenden Spendern in Schulen, an Arbeitsplätzen und anderen Organisationen ist nicht klar, dass den Schuhkartons christliche Literatur beigelegt wird", schreibt beispielsweise der britische Humanistenverband. "'Die barmherzigen Samariter' sind also bestenfalls nicht ganz ehrlich mit der Öffentlichkeit, schlimmstenfalls betreiben sie eine manipulative Form der Missionierung von Kindern durch Spielzeug".

Vonseiten der "barmherzigen Samariter" heißt es auf Anfrage von t-online, dass den Schuhkartons "Literatur jeglicher Art entnommen" werde. In einigen Fällen würden allerdings Hefte mit "Bibelgeschichten in der jeweiligen Landessprache" von Partnern vor Ort beigelegt. Außerdem lade man "Kinder und ggf. ihre Angehörigen in diesem Kontext vor Ort zu Glaubensgrundkursen ein".

Missionierung sei dies aber nicht. Man möchte lediglich "Menschen zum Glauben an Christus einladen". Als Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste (AMD), einem Fachverband der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), sei dieses Anliegen wohlbegründet. Aber ist der EKD und den prominenten Unterstützern der Schuhkarton-Aktion klar, für welche Werte Samaritan's Purse sonst noch steht?

Umerziehungstherapien für Homosexuelle

Der deutsche Vorstand von Samaritan's Purse bildet gleichzeitig den Vorstand der Billy Graham Evangelistic Association (BGEA) in Deutschland. Die evangelikale Stiftung ist in der Katastrophenhilfe tätig. Sie ist außerdem dafür bekannt, international sogenannte Konversionsbehandlungen für Homosexuelle zu unterstützen.

Diese "Umerziehungstherapien" sind mehr als umstritten: Für Minderjährige sind sie in Deutschland seit 2020 verboten. Bei Erwachsenen bedarf es einer expliziten Zustimmung der Person, die "behandelt" werden soll. Auf der US-amerikanischen Website bewirbt die BGEA außerdem Bücher, die dabei helfen sollen, der Homosexualität zu entkommen. In Deutschland ist auch die Werbung für die Therapien zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung verboten.

"Homosexualität ist weder eine Entwicklungsstörung noch eine Erkrankung. Dennoch werden Homosexuelle heute nach wie vor stigmatisiert", ordnet die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. (DGPPN) die Behandlung von Homosexualität auf ihrer Internetseite ein.

Erzkonservativer US-Prediger gründete Verein

Auf Anfrage von t-online erklärt Samaritan's Purse, dass Menschen in Not geholfen werde. Die Grundhaltung zu Fragen der sexuellen Orientierung sei "für unsere praktische Arbeit irrelevant". Welche Haltung die Organisation zur Homosexualität vertritt, wurde allerdings nicht weiter ausgeführt.

Die Nähe zur BGEA erklärt sie damit, dass Billy Graham 1963 Mitgründer des deutschsprachigen Vereins "Entscheidung" gewesen sei. Dieser wurde später zum heutigen Samaritan's Purse in Deutschland.

Graham war einer der führenden Köpfe der evangelikalen Christen in den Vereinigten Staaten. Als Prediger und Pastor warnte er in seinen Büchern unter anderem vor dem Erscheinen des Antichristen. Er setzte sich aktiv gegen Abtreibungen und Homosexualität ein und stand politisch aufseiten rechter Konservativer.

Billy Graham trat sogar in der DDR auf

Als Dauergast im Weißen Haus war er zudem auf Aufnahmen zu hören, die im Zuge des Watergate-Skandals Anfang der 70er-Jahre entstanden. In dem Mitschnitt äußerte sich Graham antisemitisch und witterte eine jüdische Verschwörung. Nachdem die Aufnahmen 30 Jahre später öffentlich wurden, gab Graham an, sich an nichts erinnern zu können.

Auch in Deutschland konnte Billy Graham seine Ansichten verbreiten. 1954 trat er beispielsweise im Berliner Olympiastadion auf. Im Jahr 1982 folgten Auftritte in der DDR. Seine Spuren hinterließ er letztlich mit der Gründung des Vereins hinter "Weihnachten im Schuhkarton".

Graham-Sohn leitet Organisation heute

Sein Sohn, der Pastor Franklin Graham, führt mittlerweile das Erbe seines Vaters fort. Er leitet die Organisation Samaritan's Purse international. Darüber hinaus ist er prominenter Unterstützer der Republikanischen Partei und bezeichnete Donald Trump im Wahlkampf einst als "Kandidaten Gottes".

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Auf Twitter präsentiert er gerne fröhliche, farbenfrohe Bilder von "Weihnachten im Schuhkarton"-Helfern, die das unschuldige Image der Spendenaktion stärken. Ein Blick auf die Liste der Partnerorganisationen des deutschen Ablegers wirft allerdings weitere Fragen auf.

Kontroverse Partner

Auf der offiziellen Website zeigt sich zum Beispiel die Verbundenheit zur Deutschen Evangelischen Allianz (DEA). In der Vergangenheit fiel diese Organisation mit umstrittenen Positionen zu verschiedenen Themen auf. Homosexualität betrachtet sie dabei regelmäßig kritisch. Im Jahr 2006 beklagte die Allianz beispielsweise eine Grußbotschaft führender CDU-Politiker zum Stuttgarter Christopher Street Day.

Darüber hinaus setzte sich die Organisation in der Vergangenheit für die Lehre der biblischen Schöpfungsgeschichte als Alternative zur Evolutionstheorie in den Schulen ein. Die Einbettung der Evolutionstheorie in den Lehrplan sei eine Einschränkung der Meinungsfreiheit, hieß es 2006. Der Verein ermutigt Mitglieder, sich in der Politik zu engagieren, um die eigene Weltanschauung zu verbreiten.

Prominente Unterstützer

Die Schuhkarton-Spendenaktion ist seit 1996 im deutschsprachigen Raum aktiv. In dieser Zeit haben diverse Prominente sie unterstützt. Zu diesen zählen unter anderem: Stefanie Hertel, Hansi Hinterseer, Samuel Koch und Violinist André Rieu. Der ehemalige österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz ließ sich ebenfalls für die Aktion ablichten.

Auch Grünen-Politikerin Renate Künast unterstützte die Aktion 2016 gemeinsam mit den damaligen Bundestagsabgeordneten Kai Wegner (CDU), Klaus Mindrup (SPD) und Petra Pau (Die Linke).

Heute sucht man Hinweise auf die Unterstützung der Grünen-Politikerin für "Weihnachten im Schuhkarton" vergeblich. Der entsprechende Artikel auf Künasts Website ist archiviert. Auf eine Anfrage von t-online reagierte die Bundestagsabgeordnete bisher nicht. Eine Reaktion der evangelischen Kirche blieb ebenfalls aus.

Verwendete Quellen
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