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Dritte Generation der RAF: Terror ohne Täter


Terror ohne Täter
Die unbekannte dritte RAF-Generation

Von Dietmar Seher

21.07.2018Lesedauer: 6 Min.
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Das Wrack des Dienstwagens von Alfred Herrhausen: Im Jahr 1989 stirbt der Deutsche-Bank-Manager bei einem Bombenanschlag in Bad Homburg.Vergrößern des Bildes
Das Wrack des Dienstwagens von Alfred Herrhausen: Im Jahr 1989 stirbt der Deutsche-Bank-Manager bei einem Bombenanschlag in Bad Homburg. (Quelle: AP/ullstein-bild)

Sie tötete Manager, Diplomaten und US-Soldaten: Die dritte Generation der Roten Armee Fraktion ist bis heute nahezu unbekannt. Sind drei flüchtige Räuber wirklich der Schlüssel zur Aufklärung?

Die Täter schlugen fast immer nahe der Haustür der Opfer zu – oder auf deren Arbeitsweg.

1. Februar 1985 in Gauting am Starnberger See: Sie schellen bei Ernst Zimmermann, dem Chef des Motoren-Herstellers MTU, dringen ins Haus ein, fesseln den Manager und seine Frau und richten ihn mit einem gezielten Kopfschuss hin.

Juli 1986 in Straßlach bei München: Hier töten sie Siemens-Vorstand Karl Heinz Beckurts und seinen Fahrer Eckhard Groppler mit einer ferngezündeten Bombe. Beckurts war im Unternehmen verantwortlich für die Atomkraft.

Oktober 1986 in Bonn-Ippendorf: Hans-Dietrich Genschers Top-Diplomat Gerold von Braunmühl kommt abends von der Akten-Arbeit, als ihn Unbekannte vor der Tür seines Hauses auf offener Straße erschießen. Eine Platte im Pflaster erinnert daran.

November 1989 in Bad Homburg: Drei Wochen nach dem Mauerfall und nur 500 Meter vor seiner Wohnung stirbt Deutsche Bank-Chef Alfred Herrhausen. Eine Bombe am Straßenrand, ausgelöst durch eine raffinierte Lichtschranke, zerreißt seinen gepanzerten Dienstwagen vor den Taunusthermen.

April 1991 in Düsseldorf: Der Treuhand-Chef Detlev-Karsten Rohwedder, der nach der Einheit den Umbau der Ex-DDR in eine funktionierende Marktwirtschaft handhaben soll, kommt mit seiner Frau von einer privaten Feier zurück in die Villa am Düsseldorfer Rheinufer. Als er sich im Wohnzimmer umzieht, treffen ihn zwei Schüsse durchs Fenster tödlich. Die Schützen haben im Schrebergarten gegenüber gewartet.

Die unbekannte dritte Generation

Die Täter, da sind sich die Fahnder bei der Bundesanwaltschaft jeweils sicher, gehörten der dritten Generation der linksextremen "Rote Armee Fraktion" an. Die letzten RAF-Terroristen wüteten von 1984 bis 1998. Zehn Menschen starben durch ihre Hand. Drei mal schlug der versuchte Mord fehl. Mehr als zwei Dutzend Opfer erlitten Verletzungen.

In der Zeit des RAF-Terrors zwischen 1970 und 1998 war Deutschland im ständigen Ausnahmezustand. Insgesamt werden 62 Menschen ermordet, viele verletzt, ein dreistelliger Millionen-Schaden entsteht, mehrere Sondergesetze werden erlassen – die Ermittlungen füllen mittlerweile elf Millionen Seiten Akten.

Doch die letzte der drei Generation der Terroristen ist weitgehend unaufgeklärt geblieben. Keine einzige Tat konnte gesühnt werden. Denn bis auf vier Gesuchte, den toten Wolfgang Grams und die Terroristinnen Eva Haule und Birgit Hogefeld, die ihre Strafe abgesessen haben, sind die meisten RAF-Terroristen der dritten Generation unbekannt.

Filmreifer Scoop nach dem Ende des Terrors

Ein heißer Julitag 1999. Es ist gerade ein Jahr her, dass sich die Rote Armee Fraktion ganz offiziell mit einer Acht-Seiten-Erklärung für aufgelöst erklärt hat. Der Text hat mit einer Ehrung der 26 Toten aus eigenen Reihen geendet und einer Vision: "Die Revolution sagt: Ich war. Ich bin. Ich werde sein". Da kommt es gegen 21.30 Uhr vor dem Einkaufszentrum in der Schauenstraße im linksrheinischen Duisburger Stadtteil Rheinhausen zu einem filmreifen Scoop.

Ein amerikanischer Jeep schießt von der Seite heran, von vorne ein VW Passat. So stoppen sie das Geldtransport-Auto. Dessen Insassen blicken in die Mündungen einer MP, eines Sturmgewehrs und einer Panzerfaust. Keine Chance zur Flucht. Drei mit Integralhelmen und Sturmhauben maskierte Täter laden die Beute aus dem Kastenwagen ein und verschwinden. Passat und Jeep werden später mit den gefälschten Kennzeichen gefunden – und auch die zurückgelassenen Maskierungen.

Lange bleiben die Räuber unbekannt. Doch zur Überraschung des NRW-Landeskriminalamtes verrät viel später die darin sichergestellte DNA, um wen es sich tatsächlich gehandelt hat: Ernst Volker Staub, Burkhard Garweg und Daniela Klette. Drei der vier gesuchten – und der wenigen bekannten – Gesichter der dritten RAF-Generation.

Seit Duisburg 1999 taucht das Trio sporadisch auf, macht Schlagzeilen als Rentner-Bande, die vielleicht von den Niederlanden her bisher elf weitere Supermärkte und Geldtransporter überfallen haben soll. Erst vor Kurzem konnte die Liste durch drei weitere Tatorte ergänzt werden. Mehrere Millionen, zuerst D-Mark, dann Euro müssen sie erbeutet haben. Die Bundesregierung spricht von reiner Geldbeschaffung fürs tägliche Leben. RAF-Terroristen sind ja nicht sozialversichert.

Wer waren die Mörder?

Doch ist dieses Trio die heiße Spur zu den Mördern von Zimmermann, Beckurts und Groppler, von Herrhausen und Rohwedder? Zu den Killern der drei toten US-Soldaten Edward Pimental, Frank Scarton und Becky Bristol, die im August 1985 den Bombenanschlag auf die Rhein-Main-Airbase verübten? Zu den Tätern, die den Rohbau der hessischen Haftanstalt Weiterstadt mit Sprengstoff zerlegten und dabei einen Schaden in dreistelliger Millionenhöhe anrichteten?

Eher nicht, sagen Deutschlands für die Terrorfahndung zuständige Ermittler in Karlsruhe. Weder Straub noch Garweg noch Klette ist die Beteiligung an einem Tötungsdelikt nachzuweisen. Staub saß bis 1988 im Gefängnis. Garweg soll erst 1990 zur RAF gekommen sein. Klette gehörte eher zum legalen Umfeld der Terror-Truppe.

Die Bundesanwaltschaft hat die Fälle der drei deswegen bewusst nicht übernommen. Sie überlässt die Jagd auf die Geldbeschaffer der Staatsanwaltschaft im niedersächsischen Verden. Das Trio ist inzwischen regierungsamtlich für ungefährlich erklärt worden. 2016 schrieb das Bundesinnenministerium auf eine Grünen-Anfrage: "Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse vor, dass die flüchtigen Ex-Mitglieder der dritten Generation der RAF in Deutschland künftig wiederum bewaffnete Anschläge bzw. Angriffe begehen könnten."

Im Untergrund – oder in der Nachbarschaft

Frederike Krabbe, die Gesuchte Nummer 4 – allerdings noch aus der ersten Generation der RAF –, ist seit langem im Irak abgetaucht. Nach dem Einmarsch der US-Armee hat man nach ihr gefahndet. Vergeblich. Wenn sie noch lebt, dann vielleicht in Bagdad? Deutsche Geheimdienste haben ohnehin kein Interesse mehr an Informationen. Der Verfassungsschutz hat mit Islamismus und rechter Szene viel zu tun. Beobachtungen des alten RAF-Umfelds wurden eingestellt.

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Die wirklichen Mörder von damals, die unbekannten, könnten tot sein wie Wolfram Grams, der sich 1993 auf dem Bahnhof von Bad Kleinen selbst tötete, nachdem er den GSG-9-Polizisten Michael Newrzella erschoss. Eine DNA-Analyse ordnete später eines seiner Haare dem Tatort des Rohwedder-Mordes zu. Als Verdächtigen führt ihn die Bundesanwaltschaft in diesem Zusammenhang jedoch nicht.

Oder sie könnten im Untergrund oder im Ausland unterwegs sein. Oder sie leben mitten unter uns, sind Großeltern, fahren mit Bahncard 50 durch die Republik und erzählen irgendwo in einem Einfamilienhaus mit Garten vom langen Erwerbsleben. Die eher heiklen Stationen lassen sie gerne weg.

Die letzte These, die vom Ruhestand in der Vorstadt, ist die wahrscheinlichste, vermuten Ermittler beim Bundeskriminalamt seit Langem und das sagen auch die Staatsanwälte, die früher die Jagd auf die RAF angeführt haben. Klaus Griesbaum in Karlsruhe gehört dazu und Klaus Pflieger in Stuttgart. Beide sind Pensionäre. Beide sind überzeugt: Abtauchen ist für die Täter der dritten Generation gar nicht mehr nötig. "Sie leben ganz unauffällig."

Dritte Generation agierte geschickter als zuvor

Das hat, so wissen sie, mit dem Vorgehen der Mörder in den achtziger und Neunziger Jahren zu tun. Die fahren Bahn und nutzen die Bahncard. Sie fahren keine auffälligen Autos wie die RAF-Gründer Andreas Baader und Ulrike Meinhof, denen die Fahrzeuge bei Straßenkontrollen oft zum Verhängnis geworden sind. Sie haben sich bei ihrer Tatbegehung die Fingerkuppen mit Wundgel eingerieben und damit Fingerabdrücke, zum Beispiel auch auf Bekennerschreiben, unsichtbar gemacht.


Sie setzten für diese Bekennerschreiben Computertastaturen ein. In den Terrorjahren um 1977, als die RAF das Land mit Anschlägen überzog, Generalbundesanwalt Siegfried Buback umbrachte und den Arbeitgeberpräsidenten Hans-Martin Schleyer entführte und tötete, haben Schreibmaschinen oder Tonproben nicht selten eine schnelle Überführung möglich gemacht.

Vielleicht gibt es irgendwann die technische Chance, DNA-Spuren mit verfeinerteren Methoden als heute an Asservaten zu finden und abzugleichen. Es scheint für Griesbaum und Pflieger die einzige Möglichkeit zu sein, die Morde noch zu klären und einzelnen Tätern zuzuordnen.

Bei so viel Grauzonen und Unsicherheiten? Gab es die dritte Generation überhaupt? Oder war die gewagte These des 1992 veröffentlichten Buches "Das RAF-Phantom" richtig, die Mörder seien keine Terroristen gewesen, sondern Geheimdienst-Leute, die sich zum Beispiel so den eher sozial eingestellten Managern Herrhausen und Rohwedder entledigt hätten? Auch über eine Verwicklung der Stasi wurde spekuliert.

Dem haben, trotz ihres sonst strikt durchgehaltenen Schweigegelübdes, sogar verurteilte RAF-Täter widersprochen. Eva Haule schrieb 2007 in einem Leserbrief an die "Junge Welt": "Hier noch einmal klipp und klar: Die RAF war verantwortlich u.a. für die Aktionen gegen Alfred Herrhausen, Gerold von Braunmühl und Detlev Rohwedder."

Verwendete Quellen
  • eigene Recherchen
  • LKA Niedersachsen: Fahndung nach RAF-Mitgliedern
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