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Kampf gegen organisierte Kriminalität: Fahnder setzen auf neue Gesetze


Kampf gegen Drogen und Schrottimmobilien
"Wir haben die 24. Mordkommission in diesem Jahr einrichten müssen"

Von Dietmar Seher

Aktualisiert am 04.08.2018Lesedauer: 7 Min.
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Die Henriettenstraße in Marxloh: Am Tag nach dem Tod des 14 Jahre alten Jungens versammelten sich zahlreiche Menschen am Tatort.Vergrößern des Bildes
Die Henriettenstraße in Marxloh: Am Tag nach dem Tod des 14 Jahre alten Jungens versammelten sich zahlreiche Menschen am Tatort. (Quelle: Reichwein/imago-images-bilder)

Familien-Clans aus Südosteuropa und dem arabischen Raum machen deutschen Sicherheitsbehörden massive Probleme. Auch das Ruhrgebiet ist ein Schwerpunkt ihrer organisierten Kriminalität. Jetzt setzen Fahnder auf neue Gesetze.

Nordrhein-Westfalen mit 18 Millionen Einwohnern gilt, was die innere Sicherheit betrifft, als ruhiges Pflaster. Eigentlich. Ingo Dudenhausen ist einer der leitenden Polizeibeamten in Duisburg – und sieht das ein bisschen anders. "Am Sonntag haben wir die 24. Mordkommission in diesem Jahr einrichten müssen", sagt er.

Im Vorjahr ermittelten 57 Mordkommissionen. Während Fälle von Wohnungseinbrüchen und Körperverletzungen bundesweit – und auch in Duisburg – sinken, steigt die Zahl der Tötungsdelikte. 2016 sind 15 Menschen eines gewaltsamen Todes gestorben. 2017 waren es schon 24.

Dudenhausens Analyse vor drei Dutzend seiner Berufskollegen aus Nordrhein-Westfalen, die die Gewerkschaft der Polizei (GdP) Anfang Juli nach Düsseldorf zur Bestandsaufnahme geladen hatte, zeigt: Der gefährliche Trend ist ungebrochen. Clans, die der organisierten Kriminalität nachgehen, verstärken ihn. Sie sammeln mit Drogen- und Menschenhandel, Prostitution, Betrug und Geldwäsche Millionensummen und verteidigen ihre Bezirke mit Gewalt. Zwar sind bei weitem nicht alle der Opfer in Straßenkriegen zwischen zugewanderten Großfamilien umgekommen. Aber es gehören bedrückende Fälle dazu.

In Duisburg passt es nicht mehr zusammen

Einer der Toten des Jahres 2017 war 14 Jahre alt. Er wollte einen Streit zwischen Angehörigen bulgarischer Familien aus Duisburg und Dortmund schlichten, es ging um ein unbezahltes Handy. Ein Beteiligter rammte dem Jungen vor den Augen seines Vaters eine 14 Zentimeter lange Klinge in die Lunge. Das Kind starb wenig später. Tatzeit war der Abend des Ostersonntags, Tatort die Henriettenstraße im Nord-Vorort Marxloh.

Duisburg ist ein Beispiel für Städte, die sich die Clans als Operations-Terrain aussuchen. Die Sozialstruktur ist kompliziert. 30 Prozent der Duisburger haben einen Migrationshintergrund. Lange war das kein großes Problem. Doch zu den 34.000 alteingesessenen und großteils gut integrierten Türken sind seit sieben Jahren 18.000 Südosteuropäer und 2.800 Libanesen gekommen. Das passt nicht mehr zusammen. So entstehen "abgeschottete Subkulturen", sagen die Behörden. Familien, die ihre streng hierarchischen Dorfstrukturen mitgebracht haben, werden zur Basis für kriminelle Aktionen und Clans zur Herausforderung für die innere Sicherheit.

Anfang Juli hat die Berliner Polizei bei einer Razzia 77 Immobilien einer arabischen Großfamilie beschlagnahmt. Gegen 16 ihrer Mitglieder wird ermittelt. Doch nicht nur Berlin hat arabische, türkische, libanesische und kurdische Gruppen, die glauben, Straßenzüge oder ganze Stadtteile zum Herrschaftsgebiet machen zu können. In Bremen und Niedersachsen und an Rhein und Ruhr: In Essen, Dortmund, Köln, Gelsenkirchen oder Leverkusen. Und eben in Duisburg.

22.000 Libanesen sollen in NRW leben

Wie viele nach Deutschland eingewanderte Menschen den Clans angehören? Die Schätzungen sind grob. In Berlin seien es 20 große Familien mit je bis zu 500 Mitgliedern, sagen die Behörden an der Spree. In Bremen sprechen sie von 30 Familien, zusammen 2.600 Angehörige. Niedersachsen geht von 25.000 Clan-Mitgliedern aus.

Es ist möglich, dass Nordrhein-Westfalen das toppt. Rund 22.000 Libanesen sollen hier leben. Alleine in Duisburg-Marxloh werden derzeit 2.800 Personen, meist aus Osteuropa, kriminellen Gruppen zugerechnet.

Marxloh ist keine No-Go-Area. Diesen Begriff wollen die Behörden im Westen der Republik nicht verwenden. No-Go-Area bedeute ja, dass keine Polizei präsent sei, heißt es im NRW-Innenministerium. Doch die Polizei ist durchaus vor Ort, immer öfter sogar immer stärker: Statt mit nur einem kommen sie mit zwei oder mehr Streifenfahrzeugen. Schwächer ausgestattete kommunale oder private Ordnungskräfte schreckten nicht genug ab, sagt eine Personalrätin: "In Köln laufen die Ordnungskräfte schnell weg."

Die Einsätze sind unangenehm, nicht selten gefährlich. Im Schnitt werden Polizisten in Nordrhein-Westfalen 25 mal pro Tag angegriffen, sechs tägliche Übergriffe mehr als noch 2014. In 901 Fällen waren sie im letzten Jahr Opfer von Spuck-Attacken. "Einem Kollegen wurde beim Sprechen ein Gemisch aus Blut und Speichel in den Mund gespuckt", berichtet Michael Mertens, der Landesvorsitzende der GdP. Alle Streifenwagen sollten mit Spuckschutz-Masken ausgestattet werden, fordert die Gewerkschaft. Von "Respektlosigkeit gegenüber einschreitenden Polizeibeamten" berichtet Ingo Dudenhausen und einer "Zunahme von Tumultlagen" in Clan-Ressorts wie Marxloh. Es komme vor, dass schon bei einer simplen Unfallaufnahme 100 Personen die Polizei bedrängen.

Einnahmen durch Shisha-Bars und Wettbüros

Wie hilflos mögen sich da Anwohner und Geschäftsleute fühlen, wenn sie sich ihr Viertel mit zugewanderten Großfamilien wie den Remmos, den Al Zeins und den El Kadis teilen müssen? Reibungslose Nachbarschaft ist schwierig. Familienmitglieder heiraten untereinander. Nur das Wort des Clan-Ältesten gilt als Recht, das des ernannten Friedensrichters gilt als Rechtsprechung. Nicht wenige Clans machen ihr Geld mit Gebrauchtwagenhandel, in Shisha-Bars, mit Wettbüros und Spielcasinos und setzen an Straßenecken ihre Interessen mit Schutzgeld-Erpressung und Gewalt durch. Offiziell beziehen viele Hartz IV. Selbst Mitarbeiter von Behörden und Polizeidienststellen und deren Angehörige werden bedroht, wenn sie ihren Job machen.

In Essen, wo Libanesen der kurdischen Mhallami-Familie citynah agieren, herrscht in der 1. Weberstraße nicht selten ein Klima der Angst und der Bedrückung. Ein Clan-Sturm auf das Café Olympia hat jetzt zur Rebellion der Anlieger geführt. Die ansässige Geschäftswelt monierte "permanente Rechts- und Regelverstöße bis hin zu organisiertem kriminellen Verhalten". Werte und Rechtsvorstellungen klafften auseinander. Fahrer der claneigenen Protz-Autos gefährdeten durch Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung spielende Kinder. Der zentrale Vorwurf: Der Staat schützt die Einwohner nicht mehr.

BKA warnte schon 2004 vor den Clans

Schon 2004 hatte das Bundeskriminalamt vor so einer Entwicklung gewarnt. Es gebe "nicht mehr zu kontrollierende Ethno-Clans", die kaum integrierbar seien und vorhandene Schwachstellen des deutschen Ausländer- und Asylrechts ausnutzten, hieß es damals in einem Lage-Bericht. Viele dieser Zugewanderten haben nur einen Duldungs-Status. Ausweisungen sind dennoch selten. Der Vorwurf galt auch der Justiz. Gerichte hätten aus falsch verstandener Toleranz das Problem verschärft.

Die BKA-Predigt ist 14 Jahre her. Langsam reagieren Sicherheitsbehörden und Politik. Im Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Landesregierung von Nordrhein-Westfalen heißt es ausdrücklich, gegen Familienclans wolle man eine Null-Toleranz-Strategie verfolgen und maximalen Kontroll- und Verfolgungsdruck ausüben. Das Bundeskriminalamt hat die Zahl seine Ermittlungen gegen die Clans bundesweit deutlich gesteigert. 2017 lag die Zahl der Verfahren wegen organisierter Kriminalität bei 38. Im Jahr davor waren es 26. BKA-Chef Holger Münch verspricht: "Wir sind jetzt sehr wachsam". Fehler wie bei früheren Einwanderungswellen der 1980er und 1990er Jahre dürften nicht mehr passieren. Die Doppelstrategie dafür: Bessere Integration – und härtere Ahndung von Regelverstößen.

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Die Einsätzkräfte praktizieren die neue Linie auf der Straße. Es gibt es eine "niedrigere Einschreitschwelle". Selbst kleine Verkehrssünden aus den Reihen der Großfamilien werden hart geahndet. Kleinere Straftaten werden zum Anlass für massive Einsätze. Bei "Gefährderansprachen" bekommen einzelne Bandenmitglieder Besuch von der Staatsgewalt.

Neben der Polizeipräsenz ist die Spur des Geldes entscheidend für den Erfolg der neuen Linie. Wie im Fall der 77 beschlagnahmten Immobilien in Berlin werden die seit einem Jahr geltenden Sicherstellungs-Gesetze genutzt, um die Clans finanziell auszutrocknen. Anders als in der Hauptstadt, wo zu einem einzigen mächtigen Schlag gegen die Banden ausgeholt wurde, hält NRW eine Politik der "kleinen Nadelstiche" für sinnvoll.

Nicht alle Familienmitglieder sind kriminell

Bis zum Jahresende wird der im Kampf gegen Mafiosi und Rockerbanden erfahrene Polizeidirektor Thomas Jungbluth vom Landeskriminalamt eine Clan-Analyse für das westliche Bundesland vorlegen. Sie soll zeigen, wie "ethnisch abgeschottete Subkulturen" funktionieren: Wo und wie sie arbeiten, wer was zu sagen hat und wie die Abwehr klappen könnte. Der Einblick ist wichtig, denn bei weitem nicht alle Mitglieder der Clans sind kriminell. Das betont das LKA ausdrücklich.

Gegen die Kriminellen unter ihnen setzt es hingegen Nadelstich für Nadelstich.

In Leverkusen nahmen sich Fahnder den Roma-Clan von „Don Mikel“ vor, der wohl mit Enkeltricks, Teppichhandel und Schockanrufen bei Senioren Millionen machte, Geldwäsche betrieb und in großem Stil Immobilien kaufte. Um die 600.000 Euro sollen Beschuldigte alleine bei Sozialämtern erschummelt haben. Die Polizei durchsuchte 70 Objekte und beschlagnahmte Nobelkarossen. Einen Rolls Royce "Phantom" musste sie mit einem schweren Kran sicherstellen.

In der Essener 1. Weberstraße kam Innenminister Herbert Reul (CDU) gleich mit zur Razzia, als schwer bewaffnete Polizeieinheiten Shisha-Bars und Spielcasinos auf den Kopf stellten und Personalien von 800 Menschen aufnahmen.

Zuletzt sind in Oberhausen 15 Immobilien durchsucht und 17 Verdächtige wegen Drogenhandels festgesetzt worden.

244 Jahre Knast für führende Clan-Köpfe

In Dortmund zielt die Kooperation von Polizei und Stadtverwaltung gegen die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Libanesen und Kurden in der Nordstadt – und speziell gegen den Miri-Clan, nachdem Polizisten und Mitarbeiter der Verwaltung in ihrem privaten Umfeld bedroht wurden. Seit Januar gab es 150 Schwerpunkteinsätze, 70 Platzverweise, 70 Strafanzeigen. In den letzten Jahren wurden 60 führende Köpfe zu insgesamt 244 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

Mit den Projekten "Triangel" und "Task Force Problemimmobilien" gehen unterdessen Polizei und Stadt in Duisburg vor. Sie haben eine spezielle Art von Kriminalität im Visier, die auf die Plünderung der deutschen Sozialkassen hinausläuft. Die Ermittler identifizierten "Schrottimmobilien", Wohnhäuser mit extremer baulicher Vernachlässigung. Osteuropäische Clans quartieren in solchen Objekten massenweise Landsleute aus Bulgarien und Rumänien ein, von denen 35.000 im Ruhrgebiet leben sollen. Sie geben ihnen zum Schein eine geringfügige Beschäftigung und drängen sie zum Antrag auf Kindergeld, das sich die Schlepper nach Bewilligung und Auszahlung abgreifen. Den Clan-Bossen bleiben so angeblich rund 100.000 Euro pro Schrott-Haus – im Monat.

Auch die Duisburger Behörden nutzen neuere Bestimmungen im Baurecht, um gegen die Gangs vorzugehen. Kleine Hygiene- und Brandschutzverstöße in den mit Dutzenden Menschen belegten Wohnungen führen zur sofortigen Räumung. Oft haben die Bewohner nur vier Stunden Zeit dafür. Eine erste Bilanz: Statt der zunächst identifizierten 280 Massenquartiere gibt es jetzt nur noch 60, die Quelle sind für zahlreiche Rechtsverstöße.

Wo bleiben die Menschen – meist EU-Bürger mit allen Rechten? Schulterzucken. Wahrscheinlich ziehen sie von einem Haus ins nächste. Wie viel Zeit für die Lösung des Problems nötig ist? "Wir haben es gerade zum ersten Mal geschafft, vor Gericht eine Familie zur Ausreise zu zwingen", sagt der Duisburger Polizeibeamte Ingo Dudenhausen. Ob er das erleichtert sagt oder resigniert? Es bleibt unklar.

Verwendete Quellen
  • WAZ
  • Ruhrnachrichten
  • Kölner Stadtanzeiger
  • Spiegel, Jg. 2004
  • eigene Recherche
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