Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Unruhe auf den Fluren des Bundestags

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
es geht um Geheimnisse, Geld, Abhängigkeiten, Sex: In Dresden steht seit Dienstag der mutmaßliche chinesische Spion Jian G. vor Gericht. An seiner Seite ist seine frühere Geliebte und Komplizin Yaqi X. angeklagt. Es gilt die Unschuldsvermutung, bis das Gericht ein Urteil fällt. Das Material aber, das Ermittler auf Laptops, Handys und USB-Sticks, bei den beiden gefunden haben, ist umfangreich – und zumindest Yaqi X. ist geständig, ihren Teil geliefert zu haben. Dabei dürfte ein Großteil der Daten verloren sein: Die Ermittler konnten im Fall von Jian G. nur auf einen von vier Laptops in seinem Besitz zugreifen, wie eine Kriminalbeamtin am Mittwoch vor Gericht berichtete.
Vom Flughafen Leipzig/Halle haben die beiden mutmaßlichen Spione laut Anklage Militärinformationen über radioaktive Fracht, Truppenbewegungen, Drohnen, Waffen und Mitarbeiter der deutschen Rüstungsindustrie gesammelt – bis zu Personalausweisnummern und Adressen. Persönliche Informationen trug G. wohl auch über Chinesen zusammen, die ihre Regierung online oder in Magazinen kritisierten.
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Hinzu kommen Hunderte, teilweise als sensibel eingestufte Dokumente aus dem Brüsseler EU-Parlament, die G. gespeichert hat und an den chinesischen Geheimdienst weitergegeben haben soll. Auch telefonisch soll er den Dienst über Entscheidungen aus dem EU-Parlament informiert haben. Akkreditiert war Jian G. in Brüssel als Assistent des AfD-Politikers Maximilian Krah. Er verfügte damit über einen Hausausweis – den Schlüssel zu den Türen der Macht.
Spione agieren im Verborgenen, es ist der vielleicht wichtigste Teil ihres Jobs. Wenn eine Operation so gründlich auffliegt, wie es im Fall von Jian G. geschehen sein soll, dann ist für sie und ihre Auftraggeber schon vieles schiefgelaufen. Immer wieder aber ist es in den vergangenen Jahren trotzdem gelungen, Agententätigkeiten aufzudecken. Und immer wieder fanden sie wie im Fall Jian G. in den Herzkammern der Demokratie statt – in den Parlamenten. Das aber ist ein Problem für Deutschland: Denn mit dem Bundestag ist sein Herz recht ungeschützt.
Dabei sind auch aus Berlin mehrere Spionage-Verdachtsfälle in Bundestagsbüros aus den vergangenen Jahren öffentlich bekannt. Der pro-russisch ausgerichtete AfD-Abgeordnete Eugen Schmidt beschäftigte etwa einen Mann, den die EU wegen seiner Kooperation mit dem russischen Geheimdienst FSB später auf ihre Listen für Einreiseverbote und Sanktionen setzte. Auch beim CDU-Abgeordneten Christian Hirte war ein Russe mit Kontakten zum FSB angestellt – Hirte entließ ihn nach einer Warnung durch die Sicherheitsbehörden.
Die Fälle legen einen Zwiespalt offen: Zwar wird vor dem Bundestag aus Gründen der Sicherheit gerade ein zehn Meter breiter und zweieinhalb Meter tiefer Graben gegraben. Die Polizei verteidigt den Schritt mit Blick auf Zeiten, in denen Abgeordnete immer häufiger angegriffen und bedroht würden. Mit Röntgen- und Metalldetektoren werden Besucher, Journalisten und Lobbyvertreter beim Eintritt zum Bundestag ohnehin gecheckt, seit Januar gelten noch einmal strengere Regeln.
Doch nicht in allen Gebäuden im Regierungsviertel sind die Kontrollen so streng, für Abgeordnete und Mitarbeiter sind sie oft sehr viel laxer oder gar nicht existent. Wer aber einmal drin ist in einem der angrenzenden Bürogebäude, der kann über unterirdische Tunnel leicht auch in den Bundestag kommen. Wer als Mitarbeiter zudem Zugriff auf die Computersysteme hat, könnte leicht sensible Informationen abgreifen. Ein Traum, nicht nur für Spione.
Auf den Fluren des Bundestags löst das regelmäßig Unruhe aus, die allerdings selten nach außen dringt. Oft heizt die AfD sie an, die immer wieder Schlagzeilen macht, weil ihre Abgeordneten Rechtsextremisten und sogar Gewalttäter beschäftigen. Skepsis aber wurde auch schon mit Blick auf Reinigungskräfte formuliert, die aus dem Ausland stammen. Theoretisch könnten schon "Säcke voller Waffen" in irgendwelchen Büros lagern, scherzte ein Abgeordneter im Gespräch mit t-online. Es ist ein bitterer Scherz. Seit Russlands Angriff auf die Ukraine ist die Sorge speziell vor Spionage noch einmal erheblich gewachsen.
Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz ist wegen der real drohenden Gefahren aktiv geworden. Es hat nach Informationen von t-online eine Informationsoffensive in den Parlamenten gestartet und dort Fraktionen gebrieft. Das sonst recht schweigsame Amt selbst spricht auf Anfrage von "zahlreichen Sensibilisierungsgesprächen im politischen Raum", die es wegen der vorgezogenen Bundestagswahl durchgeführt habe. Die Aussage ist ein öffentliches Signal: Wir sind nicht untätig.
Doch erhebliche Schwachstellen bleiben. Zwar werden Mitarbeiter beispielsweise überprüft, bevor sie einen Hausausweis und damit in der Regel auch Zugang zum internen IT-System erhalten. Viele Abgeordnete aber sind unsicher, welche Stellen eigentlich abgefragt und welche Problemfälle so genau ausgesiebt werden können. Bei Besuchern jedenfalls dürfe der Verfassungsschutz etwa im Zuge einer Überprüfung keine Hinweise auf Gefährder und Extremisten an die Bundestagspolizei übermitteln, wie Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) gerade scharf kritisierte. Es fehlen schlicht die Berechtigungen dafür. Ausgerechnet jene also, die der Demokratie am meisten schaden möchten, werden in ihr Zentrum vorgelassen. Nicht nachvollziehbar ist das – und gefährlich naiv.
Mit einem Bundestagspolizeigesetz will Klöckner diese Schwachstellen nun heilen. Es war schon in der vergangenen Legislatur im Gespräch, einen 107-seitigen Entwurf hatten SPD und Grüne erstellt. Doch verabschiedet wurde er wegen des Scheiterns der Ampelregierung nie. Ausgerechnet Klöckners Fraktion aus CDU und CSU, die für die Mehrheit nötig gewesen wäre, sprach sich gegen einen "Schnellschuss" mit diesem Umfang aus.
Nun will Klöckner den Entwurf wieder aus der Schublade ziehen und vorantreiben. Zumindest hat sie das angekündigt. Einen konkreten Zeitplan allerdings gibt es für die Umsetzung dieses Plans nach Informationen von t-online bislang nicht. Bleibt zu wünschen, dass sich das rasch ändert. Und dass nicht nur Klöckners Fraktion dieses Mal ohne Probleme mitzieht. Es wird allerhöchste Zeit.
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Zum Schluss
Ich wünsche Ihnen einen sonnigen Donnerstag. Morgen schreibt mein Kollege David Schafbuch für Sie.
Herzlichst
Ihre Annika Leister
Politische Reporterin im Hauptstadtbüro von t-online
X: @AnnLei1
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Mit Material von dpa.
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