Überraschung im Spionage-Prozess Plötzlich wendet sich seine Komplizin gegen ihn

Der eine schweigt grimmig, die andere scheint zur Kooperation bereit: Zum Auftakt des großen Spionage-Prozesses in Dresden verfolgen die Angeklagten unterschiedliche Strategien.
Es sind zwei ungleiche Angeklagte, die am Dienstagmorgen in Handschellen in den Verhandlungssaal in Dresden geführt werden: Der 44-Jährige Jian G., in beige-braunem Vlies-Pulli, trägt seine Unterlagen für den Prozess in einer bunten DM-Tasche mit sich. Sein Blick bleibt den ganzen Tag über grimmig, die Schultern krumm, die Stirn oft gerunzelt, das Kinn nach vorne geschoben. Trotzig wirkt er – und schweigen will er, das kündigt sein Anwalt gleich zu Anfang an. Nur sein Verteidiger soll für ihn sprechen.
Wenige Schritte von ihm entfernt sitzt Yaqi X. Sie trägt eine weiße, leicht transparente Bluse, unter der sich ihre Schultern abzeichnen. Schmal ist sie, zerbrechlich wirkt sie – oder will so wirken. Und im Gegensatz zu G. will sie reden, zu den Vorwürfen gegen sie Stellung beziehen. Eine Dolmetscherin übersetzt für sie ins und aus dem Chinesischen. Manchmal schlägt X. schnell mit den Wimpern, während sie der Übersetzung lauscht, als würde sie sie nicht verstehen. Manchmal schüttelt sie leicht den Kopf, wenn sie mit leiser Stimme auf chiensisch antwortet und legt die Hand an die Stirn – als suche sie verzweifelt nach der richtigen Antwort.
- Die Exklusiv-Recherche: Das China-Gate des Maximilian Krah
- Krah als Spitzenkandidat: Der Brandbeschleuniger
Jian G. und Yaqi X. wird Spionage im Auftrag Chinas vorgeworfen. Oder: "geheimdienstliche Agententätigkeit für eine fremde Macht", wie es im Juristendeutsch heißt. Die beiden sollen über Jahre viele und viele sensible Informationen gesammelt haben zur Weiterleitung an einen chinesischen Geheimdienst – und Jian G. soll sie auch weitergegeben haben. Informationen, die aus Sicht des Generalbundesanwalts taugen, die Sicherheit Deutschlands zu gefährden.
"Wir würden ihnen gerne glauben, aber es fällt mir schwer"
Jian G. ist in China geboren, inzwischen aber deutscher Staatsbürger. Seit 2002 schon soll er in Deutschland für einen chinesischen Geheimdienst arbeiten, wirft ihm die Anklage vor. Die gegen ihn in der elfseitigen Anklageschrift angeführten Beweise der Ermittler stammen aber alle aus der Zeit ab 2019. Von 2019 bis zu seiner Festnahme 2024 war G. im EU-Parlament für den AfD-Politiker Maximilian Krah als Assistent tätig. Zuvor war G. bis zu seinem Austritt 2015 mehrere Jahre SPD-Mitglied. Dort war er laut SPD weder Funktionär noch Angestellter.
Yaqi X. hingegen ist chinesische Staatsbürgerin. Sie wurde in Peking geboren, hat in China Handelswissenschaften studiert. In dieser Zeit sei sie in die Kommunistische Partei Chinas eingetreten, gibt sie an. 2015 sei sie zum Studium nach Deutschland gekommen.
Bis zu fünf Jahre Haft drohen Yaqi X.. Weil die Generalbundesanwaltschaft bei Jian G. von einem besonders schweren Fall von Spionage ausgeht, drohen ihm sogar zehn Jahre Haft. Seit Monaten sitzen die beiden in Untersuchungshaft. Nun wird das sogenannte Staatsschutz-Verfahren hinter dickem Sicherheitsglas geführt und auch sonst unter verschärften Bedingungen: keine Handys für die Presse, kein Internetzugang auf den Laptops.
13 Termine sind schon jetzt bis Ende September für den Prozess anberaumt. Ein Monsterverfahren. Und beim Auftakt am Dienstag wird klar, warum: Groß sind auch die Vorwürfe, die bisher nur teilweise bekannt waren. Ein solches Verfahren, mit so schweren Spionage-Vorwürfen, habe es in Dresden noch nie gegeben, wird eine Sprecherin des Gerichts später sagen.
Acht Stunden dauert der erste Verhandlungstag. Er besteht vor allem aus dem Verlesen der Anklageschrift und der stundenlangen Befragung von Yaqi X. Die beiden Angeklagten lassen sich unabhängig voneinander vertreten – unterschiedliche Verteidiger, andere Kanzleien, verschiedene Strategien.
Yaqi X. wendet sich an diesem Dienstag gegen Jian G., mit dem sie vor ziemlich genau zehn Jahren eine Affäre hatte, wie sie angibt. Sie sendet vor allem die Botschaft: Sie sei unschuldig, habe von Spionage nie etwas geahnt. Der Treiber, der Drahtzieher, sei Jian G. Doch immer wieder verfängt sie sich auf Nachfragen der Richter auch in Widersprüchen, mehrfach muss sie sich korrigieren. "Wir würden Ihnen gerne das, was Sie sagen, glauben – aber es fällt mir schwer", sagt Bundesanwalt Stephan Morweiser nach Stunden der Befragung.
Es geht um das Militär, Oppositionelle, EU-Dokumente und die AfD
Was wird Jian G. und Yaqi X. genau vorgeworfen? Größer, relevanter und somit potenziell gefährlicher als bisher bekannt ist die Materialsammlung, die G. und X. aus unterschiedlichen Quellen über Jahre für den chinesischen Geheimdienstapparat zusammengetragen haben sollen. Die Anklageschrift gegen sie ist in vier Abschnitte unterteilt:
Militärgeheimnisse vom Flughafen Leipzig/Halle: Der Flughafen ist ein Drehkreuz für die Bundeswehr, die US-Armee auf dem Weg nach Ramstein, andere Nato-Partner und wichtig auch für europäische Rüstungsfirmen. Yaqi X. war dort bei dem Unternehmen PortGround GmbH angestellt, das Dienstleistungen zu "Passagieren, Flugzeugen und Fracht" erbringe, heißt es in der Anklageschrift. Sie soll Fotos, Emails und detaillierte Informationen speziell zum Transport von Waffen und Rüstungsgütern sowie über Beschäftigte der Rüstungsindustrie an Jian G. geschickt haben – und bestätigte diesen Vorwurf der Anklage am Dienstag im Prozess. Jian G. wiederum soll die Informationen mit Kommentaren auf Chinesisch versehen und zum Versenden bereit gemacht haben. "Die schnelle Eingreiftruppe der Bundeswehr wird nach Ungarn verlegt", soll er zum Beispiel im April zu einem Foto von X. zu Truppen- und Flugbewegungen geschrieben haben.
Insgesamt soll Yaqi X. vom 16. August 2023 bis zum 19. Februar 2024 mindestens 14 Übermittlungen sensibler Daten an Jian G. getätigt haben. Die Richter lassen die Fotos, die auf einem ihrer Handys gefunden wurden, später auf den Bildschirmen im Gerichtssaal einblenden. X. nickt mehrfach: Ja, das Foto habe sie gemacht. Gesendet haben soll X. so unter anderem Fotos und Informationen über anstehende Bundeswehr-Flüge; über Drohnen-Lieferungen nach Israel sowie in die USA; über als radioaktiv gekennzeichnete Sendungen. Im Dezember 2023 soll sie eine Passagierliste mit Namen, Geburts- und Reisepassdaten, Nationalitäten und Adressen von Menschen übermittelt haben, die für das deutsche Rüstungsunternehmen Rheinmetall arbeiten oder mit ihm in Verbindung stehen.
Das Ausspähen von chinesischen Oppositionellen: Dieser Punkt wird in der Anklageschrift allein Jian G. zur Last gelegt. Am späten Dienstag aber zeichnet sich ab, dass auch Yaqi X. hier mitgewirkt hat – offenbar allerdings in sehr viel geringerem Umfang und auf Drängen von G. Der soll – unter anderem in entsprechenden Kanälen von Dissidenten im sozialen Medium "Telegram" – Informationen über chinesische Oppositionelle gesammelt haben. Er soll sich hierfür selbst als Kritiker der chinesischen Regierung ausgegeben haben. Darüber berichtete t-online bereits im Herbst 2023. G. soll auf seinem Mobiltelefon im April 2024 unter anderem zwei Excel-Tabellen im Umfang von rund 1.000 und 24.000 Zeilen gespeichert haben. Die längere enthielt Namen, Personalausweisnummern, Adressen, Rufnummern von chinesischen Oppositionellen. Sie sollen unter anderem der "White Paper"-Bewegung angehört haben, die 2022 und 2023 aus Kritik an den repressiven Maßnahmen der chinesischen Regierung in der Corona-Zeit entstanden ist.
Sensible Informationen aus dem EU-Parlament: Jian G. soll als Assistent von AfD-Politiker Krah zudem im EU-Parlament Informationen gesammelt und sie für geheimdienstliche Zwecke aufbereitet haben. Insgesamt soll er mehr als 500 Dokumente des EU-Parlaments auf Laptops oder USB-Sticks abgespeichert haben, davon mindestens elf, die als "sensitiv" gekennzeichnet waren. Auf einer China-Reise im Februar 2024 soll er Unterlagen auf einem USB-Stick an Geheimdienststellen übergeben haben, heißt es in der Anklageschrift. Im Januar 2024 soll er außerdem Mitarbeiter eines chinesischen Geheimdienstes zwei Mal telefonisch über Prozesse im EU-Parlament unterrichtet haben – darunter einen Führungsoffizier des Geheimdienstes.
Informationen über die AfD: Im Dezember 2023 und Januar 2024 soll Jian G. insgesamt drei Dokumente über die AfD und führendes Parteipersonal in chinesischer Sprache verfasst haben. Unter anderem flossen dabei Informationen aus Gesprächen mit Maximilian Krah selbst, Krahs damaligem Büroleiter Jörg Sobolewski sowie dem Bundestagsabgeordneten Jan Wenzel Schmidt ein. Die Papiere tragen Namen wie "Tee am Nachmittag" oder "Projekt künstliche Diamanten".
Jian G.s Anwalt: "007 oder 0815"?
Für Jian G. bezieht gleich nach Verlesung der Anklageschrift sein Verteidiger Stellung. Er führt an, dass es zu G.s Aufgabenbereich als Assistent von AfD-Politiker Krah im EU-Parlament gehört habe, Kontakte zu organisieren und Gespräche zu führen. Nicht ausgeschlossen sei, dass darunter Gesprächspartner gewesen sein könnten, die Geheimdiensten angehörten. Nie aber habe G. sicherheitsrelevante Informationen weitergegeben oder sich dazu bereit erklärt.
G.s Anwalt verfolgt außerdem eine Argumentation, die auch AfD-Politiker Krah immer wieder öffentlich vertrat: Dass G.s Aktivitäten entweder gar nicht relevant gewesen seien oder aber die deutschen Behörden sich schuldig gemacht hätten, weil sie Krah nicht präventiv vor der Gefahr in seinem Büro gewarnt hätten. Es werde sich zeigen müssen, ob Jian G. ein "007 oder ein 0815Plus" sei, sagt G.s Anwalt.
Doch Yaqi X. zeichnet kurz darauf ein anderes Bild von Jian G. – erst in einer Stellungnahme, die ihre Verteidigerin für sie verliest, dann in ihrer langen Befragung. Jian G. sei ein "komplizierter Mensch", verliest die Anwältin zunächst im Auftrag von Yaqi X. Er sei primär an Geld interessiert, hinter allem vermute er einen Komplott. "Er sagte einmal, er sei ein Mann, der in der Dunkelheit lebt."
"Mann, der in der Dunkelheit lebt"
Sie selbst habe ihm vertraut, als sie 2015 zum Studium nach Deutschland gekommen sei. Er habe jahrelange Erfahrung in Deutschland gehabt, ein Unternehmen geführt. Im selben Jahr hätten die beiden eine "kurze Liebesbeziehung geführt", G.s Frau aber habe davon erfahren, die Beziehung sei danach zunächst merklich abgekühlt. Später habe man wieder Kontakt gehabt, mal mehr, mal weniger. Von ihrem Arbeitsplatz am Flughafen habe sie militärische Informationen an G. geliefert – einerseits, weil der sie eben angefragt habe und sie sich nichts weiter dabei dachte. Andererseits, weil sie Angst vor einer Ausweitung erst des Ukraine-, dann des Gaza-Kriegs gehabt habe – und G. ihr gesagt habe, dass die AfD etwas dagegen unternehmen könne.
Die Richter und Staatsanwälte aber bohren nach, stellen Yaqi X. immer wieder Nachfragen, die ihre zunächst gegebenen Antworten erheblich in Zweifel ziehen. Die wichtigsten drehen sich dabei um ihr eigenes Motiv: Warum sie auch Informationen über chinesische Oppositionelle geliefert habe? Warum sie so sensible Daten vom Flughafen geschickt habe – und eben auch welche, die nicht mit der Ukraine oder Israel in Verbindung stünden? Ob sie nicht misstrauisch geworden sei, angesichts der vielen Forderungen und Nachfragen von G.? Warum sie mehrere Handys gehabt und eines von G. übernommen habe? Warum Bargeld in roten Umschlägen in ihrer Wohnung gefunden worden sei? Warum sie so viele Informationen von ihren Handys gelöscht habe?
Die Skepsis der Ankläger und Richter angesichts von X. Aussagen ist greifbar. Staatsanwalt Stephan Morweiser formuliert sie kurz vor Ende des ersten Verhandlungstags ganz explizit: "Ich möchte, dass Sie überlegen, ob das nachvollziehbar ist", sagt er da. Auch der Vorsitzende Richter Hans Schlüter-Staats appelliert an X. mit Ausblick auf den nächsten Tag, in sich zu gehen: "Sie müssen das nicht heute machen, Sie können es auch morgen machen."
Kurz darauf klicken Yaqi X. Handschellen, Justizbeamte führen sie aus dem Saal. Weitere Wendungen sind in diesem Verfahren nicht ausgeschlossen. Vielleicht folgen sie sogar schon zeitnah.
Druck baut das nicht nur auf Jian G. auf, sondern auch auf seinen ehemaligen Arbeitgeber Maximilian Krah. Der soll Anfang September selbst im Verfahren aussagen. Und Krah gilt als wendig – wie er sich genau zu G. positionieren wird, steht in den Sternen.
- Eigene Beobachtungen beim Prozessauftakt