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Ukraine-Krieg: Abschuss russischer Flugzeuge – neue Waffe eingesetzt?


Zwei wichtige Flugzeuge abgeschossen
Drängt eine neue Waffe Russlands Flieger in die Defensive?


Aktualisiert am 20.01.2024Lesedauer: 5 Min.
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Eine Berijew A-50 hebt im Raum Moskau ab (Archivbild): Ein solches Aufklärungsflugzeug mit markantem Radar-Aufsatz wurde über dem Asowschen Meer abgeschossen. (Quelle: Artyom Anikeev via www.imago-images.de/imago-images-bilder)

Russland hat zwei seiner wichtigsten Flugzeuge wohl durch Beschuss in der Ukraine verloren. Die ukrainischen Truppen könnten dabei eine neue Waffe eingesetzt haben.

Am vergangenen Sonntag verkündete die Ukraine den Abschuss zweier strategisch wichtiger Flugzeuge der russischen Luftwaffe. Dabei handelte es sich um ein A-50 Aufklärungsflugzeug und eine Iljuschin Il-22M. Schon bald begannen die Spekulationen: Wie könnten der Ukraine diese Abschüsse gelungen sein?

Auch Russlands Militärblogger fingen an, Gerüchte zu streuen: Angeblich habe die russische Flugabwehr selbst die Abschüsse zu verantworten. Von "menschlichem Versagen" war die Rede, ein bloßer "Bedienungsfehler" habe zum Abschuss der für Russlands Luftwaffe essenziellen Flugzeuge geführt. Mehr dazu lesen Sie hier.

Warum die russische Flugabwehr von den kremlnahen Bloggern als derart unfähig dargestellt wird, ist unklar. In jedem Fall ist der Verlust der Flugzeuge ein herber Rückschlag für Wladimir Putin und seine Truppen. "Die A-50 und die Il-22M haben russische Luftschläge gegen die Ukraine koordiniert", erklärt Militärexperte Nico Lange im Gespräch mit t-online.

Welche russischen Flugzeuge wurden abgeschossen?

Bei der A-50 des Herstellers Berijew handelt es sich um ein Aufklärungsflugzeug. Mit ihrem Radar kann es Flugzeuge und Marschflugkörper aus rund 300 Kilometern Entfernung orten. Normalerweise fliegt sie mit einer Besatzung von 15 bis 20 Mann. Nach dem Abschuss wurden keine Überlebenden gemeldet. Es ist bereits das zweite A-50-Exemplar, das im Ukraine-Krieg für Russland verloren ging. Im vergangenen Frühjahr hatten belarussische Partisanen einen der Flieger beschädigt.

Die Iljuschin Il-22M soll es hingegen nach dem Beschuss schwer beschädigt zum russischen Flugplatz in Anapa geschafft haben. Das Flugzeug wird auch als Kommandozentrale genutzt, ist aber vermutlich nicht mehr einsatzfähig. Später tauchte ein mutmaßliches Foto der Maschine auf, das schwere Schäden am Heckruder zeigt. Vor dem Angriffskrieg verfügte Russland wohl über zehn bis zwölf dieser Maschinen. Im vergangenen Juni war bereits ein Exemplar beim Marsch der Gruppe Wagner auf Moskau´von den Söldnern abgeschossen worden.

Ist die Ukraine für die Abschüsse verantwortlich?

Oberst Markus Reisner vom österreichischen Bundesheer hält einen Abschuss der zwei Maschinen durch die Ukraine am vergangenen Sonntag für die wahrscheinlichste Variante: "Blickt man auf die Abschussorte der beiden Flugzeuge, bemerkt man, dass diese recht weit auseinanderliegen", sagt er t-online. Die A-50 verschwand über der ukrainischen Stadt Kyryliwka am Asowschen Meer vom Radar, die Il-22M schaffte noch die Landung in Anapa, wurde also wahrscheinlich weiter südlich getroffen. Beide Orte trennen gut 230 Kilometer Luftlinie. "Ein Abschuss von gleich zwei derart hochwertigen Systemen durch die eigene Luftverteidigung wäre deshalb ein großer Zufall", meint Reisner.

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Auch Nico Lange ist sich sicher, dass die Ukraine für den Abschuss verantwortlich ist. Er sieht den Erfolg der Ukraine als "Teil einer größeren Operation der Ukraine im Süden in Richtung der Krim". Dort mache die Ukraine bereits seit Längerem Fortschritte, so Lange: "Die russische Luftverteidigung – Radare, Sensorik und Luftüberwachung – wird systematisch ausgeschaltet, mehrere Kampfjets wurden in dem Gebiet bereits vom Himmel geholt." Mehr dazu sehen Sie in diesem Video.

Eine Besonderheit dieser Operationen ist laut dem Militärexperten, dass sich die Ukraine auf die "hochtechnologischen Systeme der Russen" konzentriere. Damit sind etwa S-300-Flugabwehrsysteme – die mit Marschflugkörpern angegriffen wurden – oder die jüngst abgeschossenen Flieger gemeint. "Denn im Gegensatz zu Artilleriegranaten oder Drohnen kann Russland diese nicht so einfach ersetzen."

Dass die Ukraine so vorgeht, halte er für sinnvoll, so Lange. "Wenn man größere Dinge im Süden plant, dann ist das systematische Ausschalten der russischen Luftverteidigung ein guter Weg." Die Ukraine will die 2014 von Russland völkerrechtswidrig annektierte Halbinsel Krim wieder zurückerobern. Dazu muss sie weiter in Richtung Süden vorstoßen.

Wie könnten der Ukraine die Abschüsse gelungen sein?

Für Oberst Reisner kommen nur zwei mögliche Systeme für die Abschüsse infrage: eine Boden-Luft-Rakete oder eine Luft-Luft-Rakete. Als Boden-Luft-System seien die Patriot-Flugabwehrbatterien die wahrscheinlichste Option. Kiews Truppen sollen davon bis zu fünf Systeme besitzen. "Die Ukraine legt damit (sowie mit S-300-Systemen) Berichten zufolge immer wieder sogenannte 'Hinterhalte'", erklärt Reisner. Die Systeme werden nah an die Front verlegt, ohne das Radar einzuschalten. "So sind die Patriots oder S-300 zunächst nicht für die Russen zu orten."

Video | So funktioniert das Luftabwehrsystem Patriot
Quelle: Glomex

Die Ukraine kläre in dem Szenario mögliche Ziele mit anderen Mitteln auf. Erst kurz vor dem Abfeuern einer Rakete werde dann das Radar zur Zielsuche eingeschaltet. Nach dem Abschuss werden die Systeme dann schnell versteckt, damit sie kein Ziel für russische Gegenschläge bieten. "Allerdings sind von den Patriot-Systemen nur wenige verfügbar", gibt Reisner zu bedenken. "Ein Einsatz nah an der Front birgt große Risiken, weil Russland die Waffen entdecken und selbst angreifen könnte."

Laut Nico Lange kann sich dieses Risiko jedoch lohnen. "Denn die A-50 und die Il-22M haben russische Luftschläge gegen die Ukraine koordiniert. Das können sie nun nicht mehr." Der Militärexperte hält die Abschüsse für "die logische Fortsetzung der ukrainischen Operation im Süden". Die Ukraine schränkt damit weiter die russischen Fähigkeiten zur Luftverteidigung und Aufklärung ein.

Hat die Ukraine eine neue Waffe eingesetzt?

Die zweite Möglichkeit wäre der Einsatz einer Luft-Luft-Lenkrakete. Im vergangenen Herbst hatten die USA die Lieferung von AIM-120-Raketen angekündigt. Diese ließen sich sowohl von den MiG-29-Jets sowjetischer Bauart als auch mit dem bodengestützten Flugabwehrsystem Nasams abfeuern. Möglicherweise verfüge die Ukraine bereits über die Geschosse, ohne dass dies öffentlich verkündet wurde, so Markus Reisner.

Es wäre nicht das erste Mal, dass die Ukraine unangekündigt neue Waffen testet: "In der Vergangenheit hat die ukrainische Führung oft den Einsatz neuer Waffensysteme erst dann bestätigt, wenn er nicht mehr zu leugnen war – etwa wenn Russland Trümmerteile präsentieren konnte", sagt Reisner. Unklar ist jedoch, welche Ausführung der AIM-120-Raketen die Ukraine erhalten soll. Die Reichweite der Geschosse beträgt bis zu 160 Kilometer, es könnte je nach Modell jedoch auch weniger sein. Möglicherweise würde die Reichweite des Systems nicht für einen Abschuss von Flugzeugen weit hinter der Front ausreichen.

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Denkbar ist auch der Einsatz eines sogenannten "FrankenSAM". SAM steht für "Surface-to-Air Missile" (zu deutsch, Boden-Luft-Rakete). Der Zusatz "Franken" spielt auf das aus der Literatur bekannte Monster von Dr. Frankenstein an. Damit ist die Kombination von Flugabwehrsystemen westlicher und sowjetischer Bauart gemeint: "So könnte das Radar einer russischen S-300 mit der Abschussvorrichtung eines Patriot-Systems verbunden werden", erklärt Reisner. Das Patriot-System wäre für die russische Aufklärung damit zunächst nicht als solches erkennbar. "Ein solcher Einsatz ist zu diesem Zeitpunkt jedoch reine Spekulation."

Was bedeuten die Abschüsse für Russland?

Die A50 sei eine der "seltensten und möglicherweise wertvollsten Maschinen der russischen Luft- und Raumfahrtstreitkräfte", schreiben die Sicherheitsexperten Christian Mölling und András Rácz bei "ZDF heute". Russland habe wohl nur noch weniger als zehn dieser Maschinen. "Russlands luftgestützte Überwachungs- und Führungsfähigkeiten haben somit einen erheblichen und nicht wiedergutzumachenden Schaden erlitten." Eine kostet etwa 330 Millionen Euro. Allein der materielle Wert ist also hoch.

Aber auch auf dem Schlachtfeld in der Ukraine haben die Abschüsse Auswirkungen: "Für Russland bedeuten die Abschüsse, dass die Luftwaffe in die Defensive gezwungen wird, bis sie eine Antwort auf die ukrainische Bedrohung gefunden hat", sagt Markus Reisner. Der Ukraine waren zuletzt immer wieder Abschüsse russischer Kampfflugzeuge gelungen.

"Regional begrenzt ist bereits jetzt ein Nachlassen der russischen Luftaktivität zu beobachten", erklärt Reisner. Langfristige Folgen der Abschüsse lassen sich davon jedoch noch nicht ableiten: "Dazu müssten derartige Ereignisse die Regel sein und nicht die Ausnahme", so der Militärexperte. Denn die russische Luftwaffe kam – besonders im Vergleich zu den Landstreitkräften – bisher vergleichsweise verlustarm durch den Krieg.

Verwendete Quellen
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