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Virologe: "Befinden uns in einem Blindflug"


Trotz Hotspot-Regeln?
Virologe: "Befinden uns in einem Blindflug"


Aktualisiert am 27.04.2022Lesedauer: 4 Min.
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Eine Papierfahne mit dem Hamburg-Wappen und der Aufschrift "Hotspot" steckt in einer Mauer am Jungfernstieg (Symbolbild): Nur zwei Bundesländer haben die Möglichkeit genutzt, die Corona-Maßnahmen zu verlängern.Vergrößern des Bildes
Eine Papierfahne mit dem Hamburg-Wappen und der Aufschrift "Hotspot" steckt in einer Mauer am Jungfernstieg (Symbolbild): Nur zwei Bundesländer haben die Möglichkeit genutzt, die Corona-Maßnahmen zu verlängern. (Quelle: Hanno Bode/imago-images-bilder)

Hotspot Hamburg: Diese Maßnahme hat in der Hansestadt für reichlich Diskussionen gesorgt. Die Inzidenz sinkt, aber im Vergleich zu anderen Bundesländern steht Hamburg dennoch nicht gut da.

Tausende Neuinfektionen am Tag, zahlreiche Todesfälle und eine hohe Inzidenz: Das Coronavirus hat die Stadt Hamburg weiterhin fest im Griff. Während in anderen Ländern die Corona-Regeln zum 1. April bereits gelockert wurden, müssen Hamburger beispielsweise in Innenräumen immer noch eine Maske tragen.

Doch zeigen die strengeren Maßnahmen eine Wirkung? Im bundesweiten Vergleich des RKI liegt die Stadt Hamburg mit einer Inzidenz von 677,9 im Mittelfeld. Nur sechs Länder verzeichnen höhere Zahlen. Spitzenreiter ist dabei Schleswig-Holstein mit einer Inzidenz von 981,2. (Informationen vom 21. April) Die Zahlen, die die Stadt selbst erhebt, zeichnen ein anderes Bild. Mit 4.403 Neuinfektionen am Donnerstag liegt die Sieben-Tage-Inzidenz knapp über der Marke von 1.000 und damit weit über dem bundesweiten Durchschnitt.

Statistik zeigt: Entwicklungen in den Bundesländern ähnlich

Eine Statistik des Statistikers Christoph Rothe von der Uni Mannheim vergleicht die Anzahl der Meldungen einer Corona-Erkrankung der Hotspot-Länder Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern mit denen der übrigen Bundesländer. Hier wird deutlich: Die Kurven zeigen ähnliche Verläufe.

Eine deutliche Verbesserung der Lage in den Hotspot-Regionen ist nicht erkennbar. Dabei merkt er im Gespräch mit t-online an, dass die einzige Gemeinsamkeit, die die Länder einer Gruppe zuordnet, die Anwendung oder auch Nicht-Anwendung der Hotspot-Maßnahme sei. Andere Faktoren wie Bevölkerungsdichte oder Impfquote werden nicht einbezogen.

Außerdem sei nicht zu erwarten, dass Maßnahmen oder Lockerungen eine sofortige Wirkung zeigen. Dies sei in Anbetracht einer langen Inkubationszeit, Testphase und eventuell verspäteten Meldung einer Erkrankung erst nach einigen Wochen bemerkbar.

Andere Ergebnisse ohne Maskenpflicht

Der Sprecher der Hamburger Sozialbehörde, Martin Helfrich, betrachtet die Kurven unter einem anderen Aspekt. Die Analogie der Entwicklung sei eventuell nicht trotz, sondern wegen der Verlängerung der Maskenpflicht vorhanden. Es sei spekulativ, über eine Entwicklung ohne die Regelung zu mutmaßen. "Wir wissen nicht, was passiert wäre, hätte man die Schutzmaßnahme nicht ergriffen", so der Sprecher.

"In den ersten 14 Wochen des Jahres waren die Infektionszahlen in Hamburg zehnmal so hoch wie im Vorjahr", gibt Helfrich zu bedenken. Der Trend zeige eine sinkende Inzidenz – also ein Erfolg für die Hansestadt.

Virologe: Maßnahmen kommen zu spät

Laut dem Virologen Till Koch vom Universitätsklinikum Eppendorf sind die Infektionszahlen ohnehin nicht aussagekräftig genug. "Wir befinden uns in einem Blindflug", erklärt er. Einfache Maßnahmen wie eine Maskenpflicht reichen nicht aus, um die Infektionszahlen alleine maßgeblich senken zu können. "Der Zeitpunkt ist einfach zu spät", so der Fachmann.

Weiter gibt er zu bedenken, dass die Zahlen, die in den Statistiken der Stadt und dem RKI täglich veröffentlicht werden, nicht dem absoluten Infektionsgeschehen entsprächen. "Wir wissen eigentlich gar nicht genau, was wirklich bei den Infektionszahlen vor sich geht", sagt Koch.

Lockerungen sorgen für höhere Krankheitslast

Mehr als die Hälfte der durchgeführten PCR-Tests in der Hansestadt seien positiv. "Und dann weiß man einfach, dass draußen sehr viele Leute herumlaufen, die gar keine PCR-Tests machen", sagt Virologe Koch. Das entspricht auch den Vermutungen von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Schon Ende März hatte der Politiker geäußert, dass er damit rechne, dass die Zahl der tatsächlichen Neuinfektionen mehr als doppelt so hoch sei als bekannt.

"Wir sind ja eigentlich in einer interessanten Phase der Pandemie, weil es sich langsam sozusagen wandelt, von dem 'wir müssen Corona eindämmen" hin zu "wir müssen damit leben lernen'", führt Koch fort. Und das habe hohe Kosten. Mit der Aufhebung der Maskenpflicht, die die wesentliche Maßnahme der Hotspot-Regelung ist, nehmen die Länder eine erhöhte Krankheitslast in Kauf, ebenso Langzeitfolgen wie beispielsweise Long Covid.

Maskenpflicht erzielt Ergebnisse auch in anderen Bereichen

Der Ausschluss gefährdeter Bevölkerungsgruppen aus dem gesellschaftlichen Leben sei ein Produkt der Aufhebung der Maßnahmen. "Non-Covid ist vorbei, das werden wir nicht mehr erreichen", so Koch. Dennoch sei das Fortbestehen der Maskenpflicht in Hamburg nicht ohne Erfolge. Im Hinblick auf andere respiratorische Erreger sei erkennbar, dass Infektionen wie beispielsweise Influenza oder RSV innerhalb der vergangenen beiden Jahre deutlich zurückgegangen sind.

Mit dem Ende der Hotspot-Regelung in Hamburg rechnet er außerdem mit einem Anstieg der Corona-Infektionen. "Ob wir das allerdings auch in den erfassten Zahlen sehen werden, ist noch unklar", prognostiziert er. Bei einer Kapazitätsgrenze bei PCR-Tests könne eine Infektionszahl überhaupt nur bis zu einer gewissen Grenze nachvollzogen werden. "Über diesen Punkt sind wir deutlich hinaus."

Saisonaler Effekt soll Infektionsgeschehen verlangsamen

Auch die Behörde rechnet zunächst mit einem Anstieg der Infektionszahlen. Klar sei: Wenn weniger Menschen eine Maske tragen, könnten sich wieder mehr Bürger mit dem Virus anstecken. Ob sich dies allerdings auch in den Erhebungen der Stadt zeige, sei ungewiss. Eine generelle Testmüdigkeit sorge für ungenaue Daten. "Es könnte darauf hinauslaufen, dass zahlreiche Menschen, die tatsächlich infiziert sind, gar nicht erst den Test machen", so der Sprecher.

Eine Hoffnung ist der saisonale Effekt. "Das Wetter wird besser, die Menschen treffen sich wieder vermehrt an der frischen Luft", stellt Helfrich in Aussicht. Die Virenübertragung wird erschwert. Das entspricht auch der Einschätzung von Karl Lauterbach. "Saisonal wird die Pandemie zurückgehen", sagte der Bundesgesundheitsminister am Donnerstag als zugeschalteter Redner bei der Konferenz "Ludwig-Erhard-Gipfel" in Gmund am Tegernsee. Man werde geringe Fallzahlen haben, aber keine Situation wie im vergangenen Jahr, dass der Sommer "fast coronafrei" sei.

Dafür sei die aktuelle Omikron-Variante auch bei gutem Wetter zu ansteckend. Der Sommer müsse für Vorbereitungen für den Herbst genutzt werden. "Nach einem guten Sommer kann uns die große Impflücke einen harten Herbst bescheren. Dann erwarten viele Wissenschaftler die nächsten Wellen."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Gespräch mit Christoph Rothe, Statistiker
  • Gespräch mit Till Koch, Virologe
  • Gespräch mit Martin Helfrich, Pressesprecher der Hamburger Behörde für Arbeit, Gesundheit, Soziales, Familie und Integration
  • RKI: COVID-19: Fallzahlen in Deutschland und weltweit
  • Nachrichtenagentur dpa
  • Hamburg.de: "Corona: Zahlen, Fälle, Statistik von COVID-19"
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