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Stefan Effenberg über Tönnies: "So jemand hat in der Bundesliga nichts zu suchen"


Rassismus im Sport
So jemand hat in der Bundesliga nichts zu suchen

MeinungEine Kolumne von Stefan Effenberg

Aktualisiert am 10.06.2020Lesedauer: 7 Min.
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Clemens Tönnies ist bei jedem Schalke-Spiel in der Arena. Stefan Effenberg findet es nicht okay, dass er den Verein weiterhin führen darf.Vergrößern des Bildes
Clemens Tönnies ist bei jedem Schalke-Spiel in der Arena. Stefan Effenberg findet es nicht okay, dass er den Verein weiterhin führen darf. (Quelle: Kirchner-Media/imago-images-bilder)

Während wir über Rassismus diskutieren, darf Clemens Tönnies weiter Schalke-Chef sein. Ein Unding – und eines der wichtigsten Themen vor dem Saison-Endspurt.

Während die anderen europäischen Topligen sehnsüchtig den Re-Start ihrer Liga erwarten, befinden wir uns in Deutschland schon mitten im zweiten Wettbewerb. Auch, wenn der weder gestern Abend spannend war noch es heute sein wird. Nach dem deutlichen 3:0-Sieg von Leverkusen in Saarbrücken erwarte ich einen Erfolg des FC Bayern gegen Eintracht Frankfurt.

Deshalb lohnt es, sich mit den drängenden Fragen im deutschen Fußball vor dem Bundesliga-Endspurt zu beschäftigen. Und die betreffen ein mögliches Bayern-Triple, Timo Werner, den FC Schalke in der Krise, Rassismus in der Bundesliga und den Umgang einiger Medien mit Trainern und Stars.

1. Ist Heiko Herrlich als Trainer des FC Augsburg noch tragbar?

Allein diese Frage ist aus meiner Sicht ein Witz. Die "Bild"-Zeitung hat sie in dieser Woche zum zweiten Mal aufgeworfen. Beim ersten Mal hatte Herrlich die Corona-Regeln verletzt, indem er das Teamhotel verließ und eine Handcreme kaufte. Nun warf er dem Videoschiedsrichter nach dem 1:1 gegen Köln Parteilichkeit vor. Damit ist er leider nicht der erste – und ganz sicher auch nicht der letzte.

Viel schlimmer ist aber: Aus meiner Sicht wird hier ganz klar mit zweierlei Maß gemessen. Auch andere Trainer haben schon deutliche Kritik an Schiedsrichtern geübt – oder sich nicht genau an die Hygieneregeln gehalten. Zum Beispiel Christian Streich: Der hat nach dem 1:0-Sieg gegen Borussia Mönchengladbach am vergangenen Spieltag die ganze Freiburger Bank im Zuge seines Jubels angesprungen, abgeklatscht und umarmt, als gäbe es keine Corona-Pandemie und auch keine Hygienevorschriften der DFL. Das Echo in den Medien und in der Bundesliga? Verständnisvoll und nachsichtig. Ganz einfach, weil es sich um den netten Christian Streich handelte. Motto: So ist er halt, dieser sympathische Kerl.

Das darf bei der Beurteilung aber keine Rolle spielen. Heiko Herrlich hat sich für seinen Regelverstoß entschuldigt und sich in Quarantäne begeben – und die DFL sieht nach seiner Schiedsrichter-Kritik keinen Grund für Ermittlungen. Also: was soll diese Diskussion?

2. Wird Timo Werner bei Chelsea glücklich?

Timo Werner macht mit einem Wechsel zum FC Chelsea alles richtig. Der Klub hat doch in diesem Sommer einen viel größeren Reiz als der FC Liverpool oder Real Madrid. Liverpool hat vergangene Saison die Champions League gewonnen und wird dieses Jahr den Meistertitel in England holen – den ersten nach 30 Jahren. Was sollte Werner denn da noch draufsetzen? Wie soll er das toppen? Das geht gar nicht. Und das Gleiche gilt für Real Madrid. Der Klub hat von 2016 bis 2018 dreimal hintereinander die Champions League gewonnen. Mehr geht doch gar nicht.

Chelsea dagegen ist der beste Klub, um Geschichte zu schreiben. Hier kann er in zwei, drei Jahren etwas aufbauen, um dann Titel zu gewinnen. Das Wichtigste für einen Spieler ist ohnehin die Wertschätzung – und die genießt er bei Chelsea uneingeschränkt.

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Ich habe mich an meinen Wechsel zum FC Bayern 1998 erinnert gefühlt. Damals war der Verein international auch nicht auf dem allerhöchsten Niveau, es war eine unruhige Zeit im Verein. Es war der richtige Zeitpunkt, um etwas aufzubauen, drei Jahre später die Champions League zu gewinnen und so Geschichte zu schreiben.

3. Ist Bayern jetzt in allen drei Wettbewerben Favorit?

In der Bundesliga hat der FC Bayern vier Spieltage vor Schluss sieben Punkte Vorsprung auf den Tabellenzweiten Borussia Dortmund. Die Meisterschaft wird er also logischerweise gewinnen. Auch im Pokal geht die Tendenz dahin. Einen klareren Favoriten als gegen Frankfurt heute kann es in meinen Augen nicht geben. In der Champions League ist es dagegen nach wie vor zu früh, Bayern zum alleinigen Top-Favoriten zu erklären.

Es ist noch immer unklar, wann es in diesem Wettbewerb weitergeht. Und es ist überhaupt nicht einzuschätzen, wie die anderen Topklubs aus der Pause kommen – von Paris St. Germain über Manchester City bis Juventus Turin. Bayern kann die Champions League gewinnen, das habe ich vor Monaten schon gesagt – und es hat sich sicher etwas verschoben durch die vergangenen Monate. Es ist aber derzeit unmöglich, sich diesbezüglich festzulegen.

4. Ist Goretzka der neue Leader bei Bayern?

Man hat das Gefühl, dass Leon Goretzka nicht nur eine hervorragende Entwicklung bei Bayern nimmt, sondern auch in eine Führungsrolle hineinwächst. Er ist damit aber nur ein Spieler von vielen, die in Topform sind. Alphonso Davies ist einer der besten Einkäufe der vergangenen Jahre und zeigt, dass es nicht immer ein Transfer im hohen zweistelligen Millionenbereich sein muss.

Auch Jerome Boateng, David Alaba in neuer Rolle oder Thomas Müller spielen wieder hervorragend und strahlen vor Spielfreude. An dem Trio Müller, Boateng, Mats Hummels geht auch bei der EM im kommenden Jahr in der Nationalmannschaft kein Weg vorbei, sollten sie ihre Form halten und sollte das Leistungsprinzip gelten. Dann muss Bundestrainer Joachim Löw über seinen Schatten springen und die Spieler zurückholen, die er 2019 aussortiert hat.

5. Wer trägt die Schuld an der nächsten Schalke-Krise?

Für die Entwicklung auf Schalke fehlen einem mittlerweile fast die Worte. Was der Verein in der Öffentlichkeit für ein Bild abgibt, ist kläglich. Sportlich ist Schalke seit zwölf Spielen ohne Sieg – damit hat der Klub den Negativrekord aus der Saison 1993/94 eingestellt. Absteigen wird man wohl trotzdem nicht.

Das größte Problem für Schalke wartet aber noch. Das wird in den kommenden Jahren die Frage: Wer will überhaupt noch zu Schalke wechseln? Wer ist denn bereit, hier noch einen Vertrag über zwei, drei Jahre zu unterschreiben? Wenn ich Angebote von Schalke und einem anderen Klub bekomme, frage ich mich doch unweigerlich: Willst du bei einem Klub mit so einer schlechten Außendarstellung und unsicherer Zukunft wirklich spielen? Wo selbst Kapitäne wie Nübel, Höwedes oder Fährmann in aller Regelmäßigkeit rasiert werden, nachdem ihnen zuvor noch das Vertrauen ausgesprochen worden ist?

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Nein. Ich würde zu einem anderen Verein wechseln – ob er Wolfsburg, Hoffenheim oder anders heißt.

Auch mit jungen Spielern pflegt Schalke einen fragwürdigen Umgang. Nach der Entmachtung von Nübel hat der Klub auch dessen Vertreter Markus Schubert bereits zweimal wieder aus dem Tor genommen. Sie haben so viele Baustellen auf Schalke – und die meisten haben sie selbst aufgemacht.

Eine davon ist die um den Aufsichtsratsboss Clemens Tönnies. Denn in Zeiten, in denen Deutschland genau wie die ganze Welt über institutionalisierten Rassismus diskutiert, muss ich an Tönnies denken. Ich denke, man darf schon nochmal fragen, wie ein Verein sich glaubhaft gegen Rassismus positionieren möchte, nachdem der Chef 2019 beim "Tag des Handwerks" in Paderborn zum Thema "Unternehmertum mit Verantwortung – Wege in die Zukunft der Lebensmittelerzeugung" die Finanzierung von Kraftwerken in Afrika empfohlen hat. Tönnies sagte damals: "Dann würden die Afrikaner aufhören, Bäume zu fällen, und sie hören auf wenn’s dunkel ist, Kinder zu produzieren." Die Ethikkommission des DFB hat darauf verzichtet, ein Verfahren einzuleiten. Tönnies hat selbst lediglich drei Monate freiwillig sein Amt ruhen lassen in der Hoffnung, dass die Zeit seine Aussage vergessen lässt. Aber Rassismus wird eben nicht vergessen.

In der Bundesliga werden Spieler für weit weniger rausgeworfen oder suspendiert. Zuletzt hat Hertha Salomon Kalou rausgeworfen, weil er die Hygieneregeln missachtet hat. Natürlich können wir missachtete Hygieneregeln nicht mit Rassismus vergleichen. Aber Fakt ist: Clemens Tönnies darf bis heute den Verein führen. Für mich ist das ein Unding. Ich habe dafür null Verständnis. Wer sich rassistisch äußert, hat in keiner Funktion eines Vereins etwas zu suchen. So jemand hat in der Bundesliga nichts zu suchen.

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Boris Becker hat zuletzt gesagt, dass das Thema Rassismus in Deutschland ganz gerne mal unter den Teppich gekehrt wird. Ich würde es etwas anders ausdrücken. Aus meiner Sicht sind wir in Deutschland Meister der Inkonsequenz und des Totschweigens. Der Fall Clemens Tönnies ist für mich das beste Beispiel. Und aus heutiger Sicht ist der Umgang mit der Konsequenz, dass er heute wieder auf der Tribüne sitzt, eine Katastrophe gewesen.

6. Wie bekommt Borussia Dortmund Jadon Sancho in den Griff?

Jadon Sancho ist ein begnadeter Fußballer, der die Bundesliga bereichert und ein Leistungsträger bei Borussia Dortmund ist. Er hat ganz sicher den ein oder anderen Fehler gemacht, indem er zu spät zum Training oder zu einem Treffen kam, protzige Videos postete oder nun die Hygieneregeln missachtete. Der Umgang mit ihm ist fragwürdig. Wir dürfen nicht vergessen, dass Sancho gerade erst 20 Jahre alt geworden ist. In dem Alter machen andere ihr Abitur und beginnen mit dem Studium. Auf ihm dagegen lastet Woche für Woche ein unfassbarer Druck. Mir kommt das in der Diskussion zu kurz. Ein 19- oder 20-Jähriger kann doch unmöglich schon ein Vorbild sein. Er steht erst am Anfang einer großen Karriere und kann ganz sicher noch sehr vieles lernen.

Allein die "Sport Bild" mit der "Akte Sancho" auf der Titelseite ist ein absoluter Witz. Ein Schwerverbrecher hat eine Akte. Aber ein 20-jähriger Fußballer? Ich gehe davon aus, dass wir einen jungen Spieler wie Sancho so vergraulen. Er wird die Bundesliga sicherlich verlassen und ich kann es ihm nicht verdenken. Wenn wir ihn in diese Ecke stellen, brauchen wir uns in Deutschland nicht wundern. Wir müssen ihn in der Öffentlichkeit schützen anstatt ihn zu vergraulen.

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Wir sehen, wie unterschiedlich im Sport Personen beurteilt und behandelt werden. Überwiegend positiv wie Streich oder negativ wie Herrlich oder Sancho. Sie werden teilweise in Schubladen gesteckt und werden das leider Gottes auch nie mehr los.

Wenn wir das mit immer jüngeren Spielern machen, ist das eine extrem gefährliche Entwicklung in Deutschland.

Transparenzhinweis
  • Stefan Effenberg ist Botschafter des FC Bayern München und sagt dazu: „Ich repräsentiere den FC Bayern, insbesondere im Ausland. Mein Engagement hat keinen Einfluss auf meine Kolumnen bei t-online. Hier setze ich mich weiterhin kritisch und unabhängig mit dem Fußball auseinander — auch und insbesondere mit dem FC Bayern.“
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