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"Dark"-Star Mark Waschke im Interview: "Man fällt ständig auf die Fresse"


"Tatort"-Star Mark Waschke
"Kinder kann man eigentlich nicht erziehen"

  • Steven Sowa
InterviewVon Steven Sowa

Aktualisiert am 26.06.2020Lesedauer: 8 Min.
Interview
Unsere Interview-Regel

Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Mark Waschke: Der 48-Jährige ist in den "Tatort"-Produktionen vom Rundfunk Berlin-Brandenburg als Kommissar Robert Karow zu sehen.Vergrößern des Bildes
Mark Waschke: Der 48-Jährige ist in den "Tatort"-Produktionen vom Rundfunk Berlin-Brandenburg als Kommissar Robert Karow zu sehen. (Quelle: rbb/Gundula Krause)

Seit 2015 ist Mark Waschke im Berliner "Tatort" als geheimnisvoller Kommissar unterwegs. Im Gespräch mit t-online.de bestätigt der Schauspieler den Eindruck, ein Mann mit tiefgründigen Gedanken zu sein.

Als "Tatort"-Kommissar Robert Karow stößt er mit seiner eigenwilligen Art beim Publikum immer wieder auf Unverständnis. Das hat Mark Waschke den Ruf eines kühlen, eigenbrötlerischen Darstellers eingebracht. Im Interview mit t-online.de zerstreut sich dieses Vorurteil schnell. Der 48-Jährige ist ein Mann, der jeder Frage mit Respekt und Substanz begegnet – es sei denn, die Fragen drehen sich um Privates, denn Waschke hat kein Interesse daran, sein Berliner Familienleben mit Frau und Tochter öffentlich auszubreiten.

Also tun wir dem Theater-, "Tatort"- und Serien-Star den Gefallen: Wir sprechen mit ihm über Tiefgründiges, über die "großen Fragen". Das Gespräch dreht sich um die Corona-Krise, Kindererziehung und den Theoriewettstreit zwischen freiem Willen und Determinismus – denn in der deutschen Netflix-Produktion "Dark" steht diese existenzielle Frage im Mittelpunkt. Und Waschke spielt darin – klar – einen geheimnisvollen Charakter.

t-online.de: Herr Waschke, Sie denken gerne über philosophische Fragen nach. Also beginnen wir doch gleich substanziell: In den Achtzigern gab es eine Phase, in der die Menschheit sehr mit der eigenen Fragilität konfrontiert wurde – ausgelöst unter anderem durch Tschernobyl 1986. Ist das eigentlich etwas, was Sie gegenwärtig auch durch die Corona-Krise spüren?

Mark Waschke: In den Achtzigern gab es noch einen großen Unterschied verglichen mit der gegenwärtigen Situation: die Stimmung in der Bundesrepublik. Die Menschen fühlten sich bedroht vom Ende der Welt, wie sie sie kannten. Das atomare Wettrüsten sorgte für eine Bedrohungslage und der Widerspruch zwischen den Systemen aus Ost und West bestimmte die Welt. Dieser Wettkampf der Systeme existiert nicht mehr. Durch den Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus ist das globale Entwerfen von gesellschaftlichen Utopien hinfällig geworden.

Glauben Sie, dass durch den Wegfall dieser bipolaren Weltordnung ein Vakuum entstanden ist?

Vielleicht, ja. Die großen Fragen des Lebens werden heute anders gestellt: 'Wofür lohnt es sich zu leben?' ist so ein Beispiel dafür. Die letzten Jahre ist sehr viel zurück ins Private gefallen, was früher der Staat vorgegeben hat. Stichwort: die Selbstverwirklichung der Individuen. Und da erlebe ich auch so eine Ohnmacht der Menschen, ein Vakuum. Aber die Fragilität und das Bewusstwerden der eigenen Verletzlichkeit können ja auch eine Chance sein.

Die Corona-Krise als Chance: Das hört man in den vergangenen Monaten nun immer häufiger.

Ja, klar. Aber in den Geisteswissenschaften gibt es solche Tendenzen schon seit Jahren. Anders noch als in der Hippie-Kultur der Sechziger- oder Achtzigerjahre versuchen wir die Welt als Organismus zu begreifen. Als etwas Ganzes, wo man nicht einfach etwas wegnimmt, sondern auch wieder Dinge zurückgibt. Insofern kann die eigene Vergänglichkeit als menschliches Wesen natürlich auch etwas sein, was man akzeptieren kann, um das große Ganze weiter am Laufen zu halten.

Das große Ganze, das ist ja auch etwas, was in "Dark" eine ganz entscheidende Rolle spielt. Frei nach der These: Alles hängt miteinander zusammen. Dabei werden Widersprüche, die vorher abstrakt waren, noch sichtbarer. Was ist für Sie der Reiz an Widersprüchlichkeiten?

Man wünscht sich, dass die Welt mit einer Wahrheit zu begreifen ist. Oder dass es die eine Wahrheit gibt. Auf der Suche nach der Wahrheit fällt man ständig auf die Fresse, und man stellt beim auf die Fresse fallen fest, dass darin viel mehr Wahrheit liegt als in einem Ziel, was man eh nie erreicht. Diese Entdeckung zu machen, dass Wahrheit in mehrere Richtungen fließt, mindestens aber in zwei Richtungen und dass beides nacheinander oder sogar gleichzeitig wahr sein kann, ohne dass das große Ganze damit beliebig wird, ist erleichternd. Ich finde das sowohl spirituell als auch persönlich interessant und natürlich vor allem in der Kunst.

Wie stellt sich das bei Ihnen als Schauspieler dar?

Wenn ich versuche, einen Gegenstand abzubilden oder ein Konstrukt, eine Gesellschaft, eine Geschichte, dann wird es immer wesentlich lebendiger und schlüssiger, wenn ich sie mir immer wieder aus verschiedenen Perspektiven angucke. Und diese Blicke können sich absolut widersprechen oder sogar ausschließen. Aber ich komme dem Gegenstand, den ich abbilden will, doch wesentlich näher.

Sie sind jemand, der sich nicht davor scheut, existenzielle Fragen zu thematisieren. Was hat Sie im Hinblick auf Ihre Denkweisen geprägt?

Im Nachhinein fragt man sich immer: 'Warum habe ich das so gemacht?' 'Bin ich darauf gekommen, weil das und das passiert ist?'. Je älter ich werde, umso schwieriger fällt es mir, für meinen Lebensverlauf Kausalketten aufzumachen. Es reicht mir schon, wenn ich es überhaupt noch ansatzweise hinkriege, Dinge zu benennen und zu beschreiben, die mir passiert sind. Aber ob das dann der Grund für eine Haltung oder eine Entscheidung im Leben war, das maße ich mir nicht an, zu beurteilen. Es gibt so viele Dinge, wo ich im Rückblick dankbar bin, dass ich sie zu einem bestimmten Zeitpunkt erkannt habe oder dass ich sie reflektieren konnte. Für mich hat reifer und älter werden ganz viel mit Wahrnehmung und mit Erkennen zu tun.

Welche Kindheitserinnerungen würden Sie denn für sich als so nachhaltig beschreiben, dass diese Sie bis heute beeinflussen?

Gerade im Umgang mit Kindheit hat es viel mit dem Blick auf die Dinge zu tun. Der Blick auf die Kindheit ist jeden Tag ein anderer. Trotzdem weiß ich, dass der Umgang mit Dingen, die einem zunächst unerreichbar erscheinen, entscheidend ist. Oder der Umgang mit den Momenten, wo man unsicher und verletzbar wurde – dass kann die frühe Kindheit sein, in der man sich allein fühlt oder die wechselhafte Pubertät mit 12, 13 Jahren. Das sind mit Sicherheit die Momente, wo am meisten in einem passiert und von dem auch ich am meisten geprägt wurde.

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Mit Blick auf den Reifeprozess im Leben waren dementsprechend auch für Sie die Hürden und Problemstellungen für Ihre Charakterentwicklung entscheidend?

Klar! In den Momenten, wo es richtig unangenehm wird, wo es richtig wehtut im Leben, passieren der größte Wachstumsprozess und die größte Veränderung. Wenn alles immer nur fein und glatt läuft, wenn einem das Stipendium zufliegt, und man ständig tolle Reisen macht, dann passiert mit den Menschen nicht sehr viel an Veränderung. Daran wächst ein Mensch nicht. Das ist eigentlich nur ein konsumierendes Genießen. Aber da, wo es knirscht, da, wo es wehtut und wo ich mich unsicher gefühlt habe, da bin ich im Nachhinein am meisten dankbar, dass ich das ausgehalten habe. Man könnte sagen: Je mehr es schmerzt, desto besser ist es.

Das ist ja vor allem eine Erkenntnis der Retrospektive. Jetzt haben Sie aber auch eine Tochter und führen ein Familienleben. Ist das etwas, was Sie ihr als Familienvater mitgeben und sagen: 'Ja, pass auf, je mehr es knirscht, desto besser.'

Ich bin der Meinung: Kinder kann man eigentlich nicht erziehen. Man erzählt ihnen, wo sie nicht raufklettern sollen, in welchen Situationen sie aufpassen müssen und im besten Fall hören sie zu. Aber sie haben vorher schon längst alles mitgekriegt. Erziehung läuft über Nachahmung, über Imitation und über sich körperlich aufgehoben fühlen. Lange bevor das erste Wort gesprochen wird, bekommt ein Kind mit, wie Vater oder Mutter reagieren, wenn sie sich bedroht fühlen. Der Körper zieht sich zusammen, die Nackenhaare stellen sich buchstäblich auf. Das Kind imitiert das.

Deshalb empfinden Kinder Situationen auch als bedrohlich, weil sie es spüren, wenn ihre Eltern unruhig werden.

Ja, aber wenn der Papa sich entspannt, spürt das Kind das auch und imitiert diese Gelassenheit. Das Fatale in der Erziehung ist, dass man sehr oft widersprüchliche Botschaften erlebt. Der Vater erzählt vielleicht, es sei alles gut, aber das Kind merkt die ganze Zeit, es ist überhaupt nicht alles gut. Der ist nämlich total aufgeregt, er hat ganz harte Oberarme und sein Brustkorb hebt sich auch nicht so entspannt wie vorher. Mit diesem Widerspruch hat man dann etwa 20 Jahre zu tun. Mit 40 Jahren realisiert man, dass der Vater gar nichts für sein Verhalten konnte. Aber die entscheidenden Botschaften geben wir von unseren Körpern von selbst weiter. Die übertragen sich über Generationen, ganz oft auch unbewusst.

Und wie übertragen Sie das nun auf die Erziehung Ihrer Tochter?

Das Entscheidende, was ich meiner Tochter mitgegeben habe, habe ich mir nicht vorher überlegen können. Was ich mental noch oben draufpacken kann, das ist nettes Beiwerk. Aber die Essenz der Erziehung läuft über die körperlichen Signale.

Diese familiären Muster werden in "Dark" sehr beeindruckend gezeichnet. Dass zum Beispiel familiäre Historien auf bestimmte Weise alle miteinander eng verwoben sind. Hat die Arbeit an der Serie auch Ihren Blick auf das Familienleben verändert?

Nicht unbedingt verändert, aber es war ein großes Geschenk für mich, an so einer Produktion mitzuwirken. Denn wenn ich mir meine Familie anschaue, interessiert mich immer: Wie haben sich bestimmte Eigenheiten entwickelt über die Generationen? Wo kommt die Generation meiner Urgroßeltern eigentlich her? Welche Motivationen waren in dieser Generation schon verankert? Wo wollten die hin?

Und? Haben Sie darauf Antworten gefunden?

Ökonomisch und sozial wollten sie zum Beispiel raus aus der Arbeiterklasse. Welche Verhaltensweisen sich über die Generationen hinweg fortgesetzt haben, die dann auch drei Generationen später Konsequenzen haben, bleibt noch zu klären. Aber das hat mich schon immer sehr interessiert. Das Spannende bei "Dark" ist, dass sich die Serie anschaut, was passiert, wenn man das nicht so linear nacheinander passieren lässt. Was ist eigentlich, wenn das alles miteinander zu tun hat? Wie wenn ich einen Käse durchschneiden würde und an der Gabel hängen plötzlich drei Generationen gleichzeitig. Das finde ich das Spannende an der ganzen Unternehmung.

Das ist auch etwas, was mit der ganz großen Frage zusammenhängt: Determinismus oder freier Wille. Von welcher Theorie sind Sie mehr überzeugt?

Ich finde es geradezu amüsant, dass es heute noch viele institutionelle Kirchen und Religionen gibt. Dabei sind alle Naturwissenschaften und alle Forschungen und alle Betrachtungen der Welt agnostisch unterwegs. Auf der objektiven Ebene gibt es die Grenze zwischen mir und der Außenwelt nicht. Ich spüre zwar meinen Körper immer mein Leben lang als von der Welt getrennt, aber wenn ich da mit einem Elektronenmikroskop rangehe, gibt es keine Grenzen zwischen den einzelnen Atomen und Molekülen. Das ist im Großen und Ganzen auch so. Wenn das so ist, wie soll da irgendwo noch Platz für einen sogenannten freien Willen sein? Wenn der frei ist, dann muss der ja losgelöst sein von irgendwas. Aber der ist ja die ganze Zeit geprägt und beeinflusst von allem möglichen anderen.

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Sehen Sie diesen Konflikt als problematisch an? Es gibt bestimmt Charaktere, die sich von der Vorstellung, irgendwie "fremdgesteuert" zu sein, bedroht fühlen.

Nein, ganz im Gegenteil: Diese Dualität auszuhalten, ist eine ganz große Chance. Die Fragen nach freiem Willen und Determinismus waren noch nie von einem so breiten gesellschaftlichen Umfeld sowohl wissenschaftlich als auch spirituell beleuchtet wie heute. Wir leben in einer Generation, wo man wissenschaftlich fundiert sagen kann: Das Fehlen des freien Willens kann total befreiend sein.

Zum Abschluss eine ganz triviale Frage: Sie sind "Tatort"-Kommissar und wissen daher, wie das deutsche Fernsehen tickt. Was meinen Sie: Hätte eine Serie wie "Dark" jemals im linearen Fernsehen gezeigt werden können?

Ich fürchte, das wäre so nicht möglich gewesen. Es macht auch von der Möglichkeit, das zu gucken, leider keinen Sinn. Es ist doch bei dieser Serie unvorstellbar, dass sich eine Familie um Viertel nach acht vor dem Fernseher versammelt und in der nächsten Woche weiterschaut. Das wäre vielleicht gerade noch so mit einer Mediathek vorstellbar gewesen. Aber das nicht-lineare Fernsehen ist im Fall von "Dark" der Form sehr angemessen. Hier braucht es einfach die Möglichkeit, die Serie im Ganzen zu sehen. Bei "Dark" war ein anderes Medium nötig. Oder andersherum gedacht: Die Existenz eines non-linearen Mediums hat "Dark" überhaupt erst möglich gemacht.

Die dritte und letzte Staffel "Dark" ist ab dem 27. Juni auf Netflix abrufbereit. Mark Waschke spielt in der Mysteryserie von Baran Bo Odar und Jantje Friese die Figur "Noah". In den ersten beiden Staffeln ist die Rolle Dreh- und Angelpunkt der sehr vertrackten Geschichte um Zeitreisen, Spiegelwelten und den existenziellen Fragen nach Raum und Zeit.

Verwendete Quellen
  • Telefoninterview mit Mark Waschke
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