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Virologen-Chef sagt voraus: Die Anti-Corona-Tablette wird kommen


Virologen-Chef sagt voraus
Die Anti-Corona-Tablette wird kommen


Aktualisiert am 09.06.2021Lesedauer: 5 Min.
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Eine Tablette, die das Virus besiegt: Das ist keine Science Fiction.Vergrößern des Bildes
Eine Tablette, die das Virus besiegt: Das ist keine Science Fiction. (Quelle: filadendron/ Getty Images)

Sinkende Inzidenzen, Lockerungen allerorten

Die Impfkampagne nimmt Fahrt auf. Gesundheitsminister Spahn versprach in der Bild am Sonntag: "80 Prozent der impfwilligen Erwachsenen werden bis Mitte Juli mindestens einmal geimpft sein." Zwar korrigierte er damit seine Prognose von 90 auf 80 Prozent nach unten, doch der Ausblick macht Hoffnung. t-online sprach mit dem Präsidenten der Gesellschaft für Virologie, Dr. Ralf Bartenschlager, über die aktuelle Lage, Impfstoffe und die Forschung an neuen Medikamenten.

t-online: Herr Bartenschlager, wie beurteilen Sie die derzeitige Situation der Pandemieentwicklung in Deutschland?

Dr. Ralf Bartenschlager: Derzeit sinken die Inzidenzen und das ist gut. Wir sehen hier auch wieder, dass bei Covid-19 die Saisonalität eine Rolle spielt. Die genauen Gründe der Saisonalität kennt man bis heute nicht wirklich, es hat aber sicher auch damit zu tun, dass die Menschen im Sommer eben mehr draußen sind und dort die Virusübertragung nicht oder nur sehr schlecht funktioniert. Doch wir sollten in jedem Fall vorsichtig bei den Lockerungen bleiben. Das Worst-Case-Szenario wäre, dass wir mit zu schnellen Lockerungen unseren Vorteil wieder verspielen.

Der thüringische CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt fordert, ab einer Inzidenz von 20 alle Corona-Auflagen zu streichen. Wie stehen Sie dazu?

Ich frage mich, wie man auf diese Zahl kommt. Warum nicht fünf, zehn oder fünfzehn? Ich denke, das hat vielleicht auch etwas mit Wahlkampf zu tun. Es ist nicht sehr populär, Corona-Lockerungen aufzuschieben und zur Vorsicht zu mahnen. Wie gesagt, eine zu schnelle Lockerung aller Maßnahmen kann uns sehr schnell wieder zum Nachteil werden.

Dr. Ralf Bartenschlager
Dr. Ralf Bartenschlager (Quelle: privat)



Dr. Ralf Bartenschlager leitet die Abteilung für Molekulare Virologie an der Universität Heidelberg und ist Präsident der Gesellschaft für Virologie.

Der Leiter der Virologie an der Berliner Charité, Christian Drosten, hat Ende Mai im "Parlamentarischen Begleitgremium Covid-19-Pandemie" des Bundestags erklärt, dass die jetzige Phase die schwierigste für politische Entscheidungen ist. Sehen Sie das auch so?

Das stimmt. Durch die zunehmenden Impfungen und die fallende Inzidenz ergibt sich eine Gemengelage, bei der auf der einen Seite nach Lockerungen gerufen wird. Auf der anderen Seite haben aber noch nicht genug Menschen eine ausreichende Immunität aufgebaut, um die Virusvermehrung in der Bevölkerung gut kontrollieren zu können. Das macht politische Entscheidungen schwierig.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach bringt die Prognose ins Spiel, dass die Impfung schon Anfang 2022 wieder aufgefrischt werden müsste ...

Das ist vorstellbar. Da gilt aber vermutlich das Ähnliche wie im Moment: Wen soll man vorrangig nachimpfen, insbesondere dann, wenn Impfstoff wieder knapp sein sollte? Denkbar wäre, Risikopatienten vorrangig zu impfen, wir reden dann aber wieder über eine Priorisierung. Wahrscheinlich ist, dass man dann solche Impfstoffe nutzt, die die neuen Varianten adressieren. Das lässt sich mit Vektor- und mRNA-Impfstoffen gut machen. Die sind leicht modifizierbar.

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder drängt auf eine baldige Zulassung des russischen Impfstoffes Sputnik V. Was ist über ihn bekannt?

Es handelt sich hierbei um einen Vektorimpfstoff, ähnlich wie der von Astrazeneca. Allerdings werden zwei verschiedene Vektoren für die Erst- und die Zweitimpfung verwendet. In der Slowakei hat sich wohl die zuständige Behörde darüber beschwert, dass der gelieferte Impfstoff nicht in allen Details identisch mit dem war, der zuvor in der Literatur beschrieben wurde. Hier gibt es vermutlich Informationsdefizite zur Produktion. Zwischenzeitlich scheint sich das geklärt zu haben, denn Sputnik V wird jetzt in der Slowakei verimpft.

Für Aufregung sorgte in Fachkreisen, dass es sich bei einem der beiden verwendeten Vektoren offenbar um ein Virus handelt, das noch vermehrungsfähig ist.

Das ist nicht neu, das scheint sogar im Beipackzettel des Impfstoffes zu stehen. Bei Sputnik V wird mit Adenoviren (Erkältungsviren, Anmerkung der Redaktion) als Trägerstoffe gearbeitet. Die können sich zwar nicht mehr vermehren, allerdings kann es beim Produktionsprozess dazu kommen, dass kleinste Mengen vermehrungsfähiger Adenoviren entstehen. Das sind aber in aller Regel harmlose Adenoviren, sodass keine Komplikationen zu erwarten sind.

In den USA wurde über sogenannte Durchbruchsinfektionen berichtet, also Menschen, die sich trotz Impfung anstecken. Auffällig war: Das betraf eher Frauen als Männer.

Wenn man sich die Zahlen dieser Studie der US-Seuchenschutzbehörde CDC anschaut, ist das leicht zu erklären: In der Impfgruppe waren mehr Frauen als Männer und letztlich gab es keinen geschlechterspezifischen Unterschied bei den Impfdurchbrüchen.

Aber allgemein scheint es wohl so zu sein, dass die Wirksamkeit der Impfstoffe bei Frauen immer ein klein wenig schlechter ist. Man kann im Moment nicht sagen, warum. Möglicherweise hat das etwas mit dem weiblichen Hormon Östrogen zu tun. Ein Grund könnte sein, dass die Immunität bei Frauen nach der Menopause, also dann, wenn der Östrogenspiegel absinkt, geringer ist. Ob das bei Durchbruchsinfektionen eine Rolle spielt, ist im Moment aber unklar.

Wie sieht es bei den Medikamenten aus? Im Idealfall würde der Arzt bei einem positiven PCR-Test eine Tablette verschreiben und damit würde die Virusvermehrung gestoppt. Ist das realistisch?

Ja, ich denke das wird kommen. Vorbild dafür ist zum Beispiel das Anti-Grippemittel Tamiflu. Das kann ich nehmen, wenn beispielsweise ein Familienmitglied an Grippe erkrankt ist und es sehr wahrscheinlich ist, dass ich mich infiziert habe. Es blockiert das Virus in seiner Vermehrung und wenn es sehr früh genommen wird, würgt man die Virusausbreitung im Körper ab.

Bei SARS-CoV-2 würden zum Beispiel Polymerase-Hemmer wie etwa Remdesivir infrage kommen. Es blockiert die Vermehrungsmaschine des Virus. Remdesivir wurde 2014 für die Behandlung der Ebolavirus-Infektion entwickelt, hat aber nicht die therapeutische Zulassung erlangt. Es zeigt aber auch Aktivität gegen SARS-CoV-2 und wurde deshalb 2020 in den USA zur Behandlung von Covid-19-Patienten zugelassen.

Allerdings muss es intravenös verabreicht werden, was ein Grund ist, warum es keine breite Anwendung findet. Denn wie gesagt, man muss diese Virushemmer sehr früh nach der Infektion nehmen und wer macht schon eine intravenöse Behandlung von Personen, bei denen man nicht einmal genau weiß, ob sie überhaupt schwer erkranken werden.

Sie fordern die Entwicklung von Breitbandvirostatika, also von Medikamenten, die gegen alle Coronavirus-Arten wirken. Wie kann man sich das vorstellen?

In der Humanmedizin kennen wir vier Arten von Coronaviren, die eine klassische Erkältung verursachen. Dazu kommen SARS-CoV, SARS-CoV-2 und das MERS-CoV. Im Tierreich gibt es noch weit mehr Coronavirus-Arten. Und hier liegt auch die größte Gefahr für die Zukunft. Denn: SARS-CoV-2 wird möglicherweise nicht das letzte Coronavirus sein, das vom Tier auf den Menschen überspringt. Dann würden wir bei einem SARS-CoV-3 wieder von vorne anfangen. Besser wäre es, dann schon ein entsprechendes Mittel in der Hand zu haben.

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Wie könnte das funktionieren?

Wichtig wäre dort anzusetzen, wo alle Coronaviren Gemeinsamkeiten aufweisen. Zum einen kann man auch hier bei der Polymerase ansetzen, also der Vermehrungsmaschine des Virus. Diese Polymerasen sind zwischen den verschiedenen Coronaviren relativ konstant, sodass die Chance besteht, dass ein Wirkstoff gegen eine bestimmte Coronavirus-Polymerase auch die eines anderen Coronavirus hemmt.

Vielversprechend sind aber auch Interferone, also Proteine, die das Immunsystem stimulieren. Diese alarmieren von einer infizierten Zelle ausgehend alle Nachbarzellen, wenn ein Eindringling erkannt wurde. Das regelt die Immunantwort sofort hoch und die Nachbarzellen sind weitgehend immun gegen die Infektion. Hier wäre zum Beispiel ein Einsatz als Inhalationsspray denkbar, um gegen die Coronaviren, die meist Atemwegserkrankungen hervorrufen, zu wirken.

Oder man setzt an den Zellfaktoren an, auf die Coronaviren für ihre Vermehrung angewiesen sind, die für die gesunde Körperzelle aber zumindest vorübergehend entbehrlich sind.

Ist das Science-Fiction oder wird das mal kommen?

An diesen Ansätzen wird derzeit geforscht, allerdings nicht ausreichend intensiv. Es wäre aber eine große Hilfe, um gegen zukünftige Pandemien besser geschützt zu sein. Man hätte von Anfang an ein Mittel beispielsweise gegen Coronaviren und könnte damit die Ausbreitung in der Bevölkerung sehr viel besser kontrollieren. Ob das wirklich klappt, können wir nicht sagen, aber wenn es eine Lehre aus der Pandemie gibt, dann ist es die, dass wir neue Wege beschreiten müssen.

Herr Bartenschlager, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Interview mit Ralf Bartenschlager (4. Juni 2021)
  • Eigene Recherche
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