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Planloser Chaos-Brexit: "Die haben nichts zustande gebracht"


Experte über Chaos-Brexit
"Die haben nichts zustande gebracht"

InterviewEin Interview von Jonas Schaible

17.01.2019Lesedauer: 6 Min.
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Premierministerin Theresa May: Die britischen Vorbereitungen auf den Brexit sind laut einem Politikwissenschaftler miserabel.Vergrößern des Bildes
Premierministerin Theresa May: Die britischen Vorbereitungen auf den Brexit sind laut einem Politikwissenschaftler miserabel. (Quelle: UK Parliament/Jessica Taylor/reuters)

Die Parteien sind gespalten, die Zeit bis zum Brexit läuft bald ab – doch Großbritannien macht sich noch immer etwas vor, sagt der Politikwissenschaftler Andreas Busch.

Das Brexit-Chaos nimmt kein Ende: Das Austrittsabkommen von Premierministerin Theresa May ist im britischen Parlament gescheitert, eine Misstrauensabstimmung am Mittwochabend konnte sie knapp für sich entscheiden. May will nun noch einmal auf die Parteien zugehen, um eine Alternative zum drohenden ungeregelten Austritt des Vereinten Königreichs aus der EU zu finden. Im Interview erklärt Politikwissenschaftler Andreas Busch, warum sich Großbritannien in der Krise etwas vormacht, welche Schuld Premierministerin May am Chaos trägt und welche Lösung in der Brexit-Krise am wahrscheinlichsten ist.

Herr Busch, das Parlament hat den vorliegenden Brexit-Vertrag am Dienstag mit großer Mehrheit abgelehnt. Was ist die wichtigste Erkenntnis?

Andreas Busch: Dass wir jetzt wissen, wie tief die konservative Partei gespalten ist.

Theresa May hat vor der Abstimmung gesagt, das sei die wichtigste Frage, über die die Abgeordneten in ihrer politischen Karriere zu entscheiden hätten. Wie dramatisch war die Abstimmung wirklich?

Wir erleben eine echte Krise, aber diese Abstimmung war nicht so wichtig, wie May behauptet hat. Das Abkommen ist auch nicht endgültig gescheitert. Aber May muss jetzt Verantwortung übernehmen. Offenbar will sie das. Sie hat einen Rücktritt ausgeschlossen und gestern auch das Misstrauensvotum im Parlament überstanden.

Und das nach der faktischen Misstrauenserklärung am Tag zuvor.

Ja, das wirkt merkwürdig, aber es ist richtig – alles würde nur noch mehr blockiert, wenn die Konservative Partei eine neue Parteiführung bestimmen müsste. Das würde Wochen dauern. Währenddessen liefe die Brexit-Uhr ab. Und zudem würde es die internen Konflikte auch nicht auflösen.

Andreas Busch ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Göttingen. Er hat in Großbritannien studiert, viele Jahre an der Universität Oxford gearbeitet und beschäftigt sich intensiv mit dem Brexit.

Da sind wir bei der Grundfrage, welche Konflikte das sind und wie wir eigentlich hierhergekommen sind. Mein Eindruck ist: Alles folgt aus dem Ursprungsproblem, dass der Brexit nie ein funktionierendes Konzept war, sondern ein nostalgisches Schlagwort.

Ja, da ist etwas dran. Und man muss zudem sagen, dass die Brexit-Entscheidung nicht nur mit der EU zu tun hatte, sondern mit allgemeiner Unzufriedenheit mit der Regierung und ihrer Sparpolitik. Aber umso überraschender ist die Planlosigkeit, denn das Thema rumort in Großbritannien seit 30 Jahren. Großbritannien wollte nie brennend und leidenschaftlich zur Europäischen Union gehören. Dazu hat es sich früher zu sehr als Weltmacht und dann immer noch als Global Player betrachtet.

Gab es denn früher mal so etwas wie ein ausgearbeitetes Konzept für ein Leben außerhalb der EU?

Nein. Und es ist auch von den Brexit-Anhängern kein Konzept ausgearbeitet worden. Theresa May hat ja drei der bekanntesten Befürworter eines Ausstiegs zu Ministern gemacht und mit der Verhandlung des Ausstiegs beauftragt – Boris Johnson, David Davies und Liam Fox. Aber die haben nichts zustande gebracht. Man muss das so hart sagen.

Bis heute nicht. Woran liegt das?

Daran, dass man sich über die Nachteile nie ehrlich Gedanken gemacht hat. Man hat dem Volk das Unerreichbare versprochen, ihm vorgemacht, dass es hinterher sogar wirtschaftlich noch besser geht. Das widerspricht aber aller Erfahrung, aller Theorie und aller Logik. Länder schließen sich ja zusammen, weil sie davon Vorteile haben. Sie erkaufen sich das durch die teilweise Abgabe von Souveränität. Wenn man aussteigt, hat das Nachteile. Die kann man bewusst in Kauf nehmen, aber nicht vermeiden. Das hat aber niemand anerkennen wollen. Man hat es auch in den letzten zwei Jahren versäumt, für die Zeit nach dem Ausstieg eigene Kompetenzen aufzubauen. Wir haben eine gemeinsame Luftverkehrsaufsicht in der EU, wir haben eine gemeinsame Arzneizulassung. Wer aussteigt, muss das neu aufbauen. Es gibt in Großbritannien beispielsweise keine Firma, die Insulin produziert – alles muss importiert werden. Darum hat man sich nicht gekümmert. Und jetzt macht man der EU Vorwürfe und flüchtet sich in ein Selbstmitleid, das dieses Landes nicht würdig ist.

Welche Verantwortung trägt May?

May trägt große Verantwortung. Sie hat durch ihre "roten Linien" viele Einigungsmöglichkeiten ausgeschlossen, obwohl sie von der Spaltung der Parteien wusste. Sie hätte lagerübergreifend und parteiübergreifend eine Lösung suchen müssen – das wäre politisch klug gewesen und auch dem knappen Ergebnis des Referendums eher angemessen.

Ehrlich gesagt habe ich Zweifel, dass ein Konsens selbst innerhalb der konservativen Tories möglich war.

Wir wissen es aber nicht, weil Theresa May es nicht einmal versucht hat. Das rächt sich jetzt. Der Vertrag, den sie ausgehandelt hat, ist ein relativ vernünftiger Kompromiss, aber sie hat sich nicht um Mehrheiten im Parlament gekümmert, deshalb nützt ihr das jetzt nichts.

Die EU hat in dieser Situation zwei Möglichkeiten: Sie kann warten, ob doch noch Konstruktives aus London kommt, oder selbst Vorschläge machen.

Letzteres erwarte ich nicht und ich hielte es auch nicht für politisch klug. Die EU kann ja schlecht herumprobieren und schauen, welchen Vorschlag die Briten annehmen. Sie muss verlangen, dass die Briten sich nicht nur darauf einigen, was sie nicht wollen, sondern dass sie klar sagen, was sie wollen. Liegt das vor, wird man sicher noch einmal reden.

Die EU hat ja auch Interessen, besonders, weil eine neue Außengrenze zwischen Irland und Nordirland droht.

Die EU hat ein großes Interesse an einer Einigung, deshalb hat sie sich auch sehr darum bemüht. Aber was soll sie denn noch anbieten? Was Irland und Nordirland angeht: Auch da muss sich die britische Regierung ehrlich machen. Will sie eine Grenze vermeiden, dann geht das nur, wenn die Regeln auf beiden Seiten gleich bleiben – man muss also wirtschaftlich eng verbunden bleiben. Oder man sagt: uns ist der Friedensprozess in Nordirland egal, wir können mit einer harten Grenze leben. Keine Grenze und gleichzeitig die Freiheit, eigene Handelsabkommen zu treffen, das geht nicht zusammen.

Schottland und Nordirland haben mehrheitlich gegen den Brexit gestimmt, die knappe Hälfte der Bevölkerung auch, auch Brexit-Anhänger können mit dem politischen Prozess bis heute kaum zufrieden sein: Warum erdulden die Menschen das und wie lange tun sie das noch?

Die Briten regen sich nicht so schnell auf, dafür sind sie bekannt. Aber ich halte die Situation dennoch für sehr bedenklich. Das Land ist tief polarisiert, das gegenseitige Vertrauen weitgehend geschwunden. Die Brexit-Anhänger etwa erklären alle Überlegungen zu einem zweiten Referendum für undemokratisch und wittern Betrug. Das ist sehr gefährlich, weil beide großen Parteien gespalten sind, dadurch gelähmt und nicht mehr integrieren können. Ich sehe das mit großer Sorge.

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Was ist jetzt denkbar? Ein zweites Referendum ist eher unwahrscheinlich …

… da bin ich gar nicht so sicher. Dafür spräche, dass man diesmal klar definierte Optionen abfragen könnte: Bleiben, Deal oder No-Deal-Brexit. Das Parlament, das keine Einigung und keine konstruktive Idee entwickeln kann, könnte die Waffen strecken und die Entscheidung ans Volk zurückgeben.

Außerdem wird über Neuwahlen gesprochen. Aber so gespalten, wie die Parteien sind, dürften Neuwahlen kaum zu einer handlungsfähigen und verhandlungsfähigen Mehrheit führen, oder?

Das Problem beginnt sogar schon vorher. Die Parteien sind so gespalten, dass sie wahrscheinlich noch nicht einmal in der Lage wären, sich jeweils auf ein Wahlprogramm zu einigen.

Andere Option: Die Briten könnten sich einigen und die EU könnte Konzessionen machen. Ist das wahrscheinlich?

Was das Ausstiegsabkommen angeht, ist wenig zu erwarten, solange die Briten ihre Position nicht substanziell ändern. Man kann aber etwas drehen an der politischen Erklärung, die auf das zukünftige Verhältnis abzielt. Da könnte man versuchen, neben freundlichen Worten weitere gemeinsame Ziele zu finden. Aber das alles ändert nichts daran, dass sich die Briten zunächst darüber klar werden müssen, was sie wollen – nicht nur, was sie nicht wollen.


Was glauben Sie: Wie geht es weiter?

Das ist momentan völlig offen. Das Ausstiegsdatum, der 29. März, steht fest. Einer Verlängerung müssten alle EU-Staaten zustimmen. Die werden das aber nicht einfach so gewähren. Ich kann mir vorstellen, dass es diese Zustimmung und eine Verschiebung um ein halbes Jahr gibt, wenn Großbritannien ein zweites Referendum durchführen will. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass sich keine Mehrheit mehr findet und dass damit der No-Deal-Brexit unvermeidlich wird. Genauso kann es aber auch in letzter Minute doch noch eine Mehrheit für den Vertrag geben, auch wenn man ihn gerade noch mit großer Mehrheit verworfen hat.

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