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Ukraine: Vorgetäuschter Mord von Babtschenko wirft viele Fragen auf


Arkadi Babtschenko
Der vorgetäuschte Mord wirft viele Fragen auf


Aktualisiert am 31.05.2018Lesedauer: 3 Min.
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Arkadi Babtschenko während einer Pressekonferenz in Kiew: Der vorgetäuschte Mord soll seit Monaten geplant worden sein.Vergrößern des Bildes
Arkadi Babtschenko während einer Pressekonferenz in Kiew: Der vorgetäuschte Mord soll seit Monaten geplant worden sein. (Quelle: Efrem Lukatsky/ap)

Der ukrainische Geheimdienst fälschte offenbar den Mord an einem russischen Journalisten. Russland könnte davon profitieren. Sechs Fragen zum Fall.

Einen Tag lang trauerten nicht nur Journalisten um ihren Kollegen Arkadi Babtschenko, einen russischen, Putin-kritischen Journalisten, der in die Ukraine floh, weil er Angst um sein Leben hätte. Babtschenko sei ermordet worden, meldete die Polizei in Kiew. Schuld sei Russland, hieß es.

Dann, am nächsten Tag, tauchte der totgeglaubte Babtschenko plötzlich auf einer Pressekonferenz auf. Zusammen mit dem Generalstaatsanwalt und dem Chef des ukrainischen Geheimdiensts SBU.

Letzterer erklärte: Der Geheimdienst habe den Mord inszeniert, um ein echtes Komplott aufzudecken und einen Attentäter zu stellen, der auf Babtschenko angsetzt worden sei. Die Aktion sei gelungen. Auftraggeber des geplanten Anschlags wäre die russische Regierung.

Nun herrscht Verblüffung, gerade unter Journalisten in der Ukraine auch Erleichterung. Schon gibt es die ersten Versuche, zu deuten und zu begreifen, was da geschehen war.

Sechs Fragen stellen sich sofort.

1. Warum das Ganze?

Völlig klar wurde aus der ersten Pressekonferenz und den Berichten darüber nicht, warum es notwendig gewesen sein soll, einen Mord vorzutäuschen, um einen angeblich angeheuerten Mörder zu fassen. Sollte er reagieren, nachdem er die Nachricht vom Mord zu hören bekam? Sollte er sich mit einer Tat brüsten, die er nicht begangen hatte? Warum konnten die Dienste nicht zugreifen, ohne einen Mord zu fälschen?

All das muss in den kommenden Wochen aufgeklärt werden.

2. Welche Folgen hat das für die Beziehungen?

Da inszeniert ein Geheimdienst offenbar einen Mord, lässt selbst die Familie des vermeintlichen Opfers im Unklaren, um dann vor der Medienöffentlichkeit alles aufzulösen und einen anderen Staat offen zu beschuldigen, einen Auftragskiller angeheuert zu haben.

Das ist bemerkenswert. Darin sind sich Beobachter einig.

Unklar ist, welche Folgen das für das Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine hat. Beide Staaten sind seit Jahren faktisch im Krieg. Zyniker könnten anmerken, dass es schlimmer kaum werden könnte. Und steht schließlich der nicht unplausible Vorwurf im Raum, Russland habe einen Mordanschlag geplant: Was also hätte die Ukraine tun können?

Andererseits ist allgemein die Deutung akzeptiert, dass Russlands Präsident Wladimir Putin sensibel auf empfundene Demütigungen reagiert. Diese Inszenierung könnte also doch Folgen haben.

3. Wie verändert das den Informationskrieg?

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Kritiker merken an, selbst wenn die Aktion notwendig gewesen sein möge, um Babtschenko zu retten, werde sie Folgen haben. "Ein taktischer Coup des ukrainischen Geheimdiensts – aber ein strategisches Desaster im Informationskrieg", schreibt etwa der Journalist Mark Urban.

Denn zweierlei ist bekannt: Erstens, dass immer wieder Kritiker der russischen Regierung ermordet werden. Zweitens, dass die russische Regierung sich grundsätzlich von Vorwürfen distanziert. Stattdessen streut sie Gerüchte, ausländische Geheimdienste wollten Russland etwas anhängen.

Künftig wird sie dabei immer ein Argument verwenden können: Im Fall Babtschenko habe man doch gesehen, dass ein anderer Geheimdienst ein übles Spiel mit Russland spiele. Wer sage, dass in einem fraglichen aktuellen Mord nicht alles genauso sei? Und habe sie nicht auch im Fall Babtschenko die Wahrheit gesagt, als sie den Mord dementierte?

Die russische Propaganda dürfte sich die Hände reiben.

4. Welche Folgen hat das für den Journalismus?

Ein Journalist, der sich, wenn auch, um sein Leben zu retten, mit dem Geheimdienst zusammentut und den Diensten einen PR-Erfolg beschert, dazu eine Falschmeldung, die alle Medien verbreiten – für den Journalismus könnte der Fall zum Problem werden. "Reporter Ohne Grenzen" hat sich auf Twitter bereits kritisch geäußert: "Es ist immer gefährlich, wenn der Staat mit Fakten spielt, gerade auf dem Rücken von Journalisten", schreibt Generalsekretär Christophe Deloire.

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5. Was heißt das für Babtschenko?

Wenn wirklich ein Mordanschlag geplant gewesen sein sollte, wie sicher ist Babtschenko jetzt? Einerseits macht ihn die öffentliche Aufmerksamkeit womöglich sicherer; andererseits könnte es auch sein, dass sich seine Gegner jetzt erst recht angestachelt fühlen.

6. Wie sehr kann die Öffentlichkeit einem möglichen Prozess trauen?

Ein Verdächtiger soll festgenommen worden sein. Anzunehmen ist, dass ihm öffentlich der Prozess gemacht wird. Die Gelegenheit für die Ukraine ist verlockend, Russland vorzuführen und die eigenen Sicherheitsbehörden zu preisen. Doch nach dem gefälschten Mord wird immer die Frage im Raum stehen: Wie glaubhaft ist der Prozess? Russland wird Zweifel säen und säen lassen, wann immer möglich. Tatsächlich wird es auch für unabhängige Beobachter schwieriger: Sie wissen, fallen sie noch einmal auf die Behörden rein, ist ihr Ruf ruiniert.

All das unterminiert die Integrität des Justizsystems, das in der Ukraine, in der Korruption weit verbreitet ist, ohnehin keinen guten Ruf hat. Andererseits könnte im Land selbst der PR-Coup unter den zahlreichen Patrioten gut ankommen, und mögliche Zweifel überdecken.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • dpa
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