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Ukraine-Krise: Gibt es für Putin überhaupt noch einen friedlichen Ausweg?


Szenarien für Ukraine-Krise
Kann Putin den Gesichtsverlust überhaupt noch abwenden?

Von Nils Kögler

17.02.2022Lesedauer: 4 Min.
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Putin an Bord eines Militärschiffs (Archivbild): Eine Deeskalation in der Ukraine-Krise könnte für den russischen Präsidenten innenpolitische Probleme mit sich bringen.Vergrößern des Bildes
Putin an Bord eines Militärschiffs (Archivbild): Eine Deeskalation in der Ukraine-Krise könnte für den russischen Präsidenten innenpolitische Probleme mit sich bringen. (Quelle: Itar-Tass/imago-images-bilder)

Die diplomatischen Verhandlungen in der Ukraine-Krise sind festgefahren. Wladimir Putin hält an seiner Eskalationsstrategie fest. Er könnte keine andere Wahl haben.

Seit Wochen stehen mehr als 100.000 russische Soldaten an der Grenze zur Ukraine. Nach Einschätzung der USA könnte es jederzeit Krieg geben. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach nach seinem Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin von deutlichen Unterschieden, Anknüpfungspunkte für eine friedliche Einigung seien aber vorhanden.

Das Problem: Putin hat an der ukrainischen Grenze eine riesige Drohkulisse aufgebaut. Zieht er seine Truppen wieder ab, ohne Gewinne für sein Land erzielt zu haben, hat das schwere Auswirkungen auf sein Ansehen. Die diplomatischen Bemühungen gehen zwar weiter, unter anderem im Rahmen der Münchener Sicherheitskonferenz am Wochenende. Doch immer stärker drängt sich die Frage auf, ob es überhaupt noch einen Kompromiss gibt, mit dem sowohl ein Krieg als auch ein Gesichtsverlust für Russlands Präsidenten vermieden werden kann? Auch unter Experten gibt es dazu kontroverse Diskussionen.

Invasion ausgeschlossen

Leon Aron glaubt zumindest nicht an eine Invasion der Ukraine. Aron ist politischer Soziologe und Leiter der russischen Forschungsabteilung am American Enterprise Institute (AEI) in Washington. Zurzeit arbeitet er an einem Buch über die innenpolitischen Überzeugungen, die Putins Außenpolitik formen.

Er habe die Möglichkeit einer russischen Invasion von Anfang an ausgeschlossen, verriet Aron dem "Stern". Er glaubt, Putin adressiere mit seinem Vorgehen vor allem sein innenpolitisches Publikum. Im Kreml sei alles darauf ausgerichtet, Putin 2024 die Wiederwahl möglichst geräuschlos zu ermöglichen – inklusive der Außenpolitik. Daran, dass er wiedergewählt werde, bestehe zwar kein Zweifel, denn zur Not würden die Wahlen gefälscht. Der Kreml stehe aber noch vor der Frage, wie sich ernsthafte Unruhen vermeiden ließen.

Putin kontrolliert die Propaganda

"Die russische Öffentlichkeit ist gespalten", sagt Aron. Nach einer neuesten Umfrage wollten 42 Prozent der Russen Putin nach 2024 nicht mehr im Amt sehen. "Und diese Spaltung wird sich noch zuspitzen. Die russische Wirtschaft steckt in einer tiefen Krise. Und die ökonomische Situation wird sich noch weiter verschlechtern", so Aron. Um das abzuwenden, seien tiefgreifende Reformen nötig, zu denen Putin nicht bereit sei.

Um also von den innenpolitischen Problemen abzulenken, stilisiere er die Ukraine zu einem äußeren Feind, der Russland bedrohe und gegen den man sich verteidigen müsse. "Sollte er in die Ukraine einmarschieren, würde das die gesamte Legende auf den Kopf stellen", meint Aron.

Sollte Putin aus dem Konflikt allerdings mit leeren Händen herausgehen, sieht der Experte darin kein riesiges Problem für den russischen Präsidenten. "Putin kann immer sagen: Die Nato wollte Russland mittels der Ukraine angreifen. Ich habe aber ihnen solch einen Schrecken eingejagt, dass ich all ihre Pläne zunichte gemacht habe", sagt Aron. Diese Version könne er dem heimischen Publikum immer verkaufen und das Gesicht wahren, meint er. Allerdings werde die Nato um kleinere Zugeständnisse, etwa in Bezug auf die Stationierung von Mittelstreckenraketen, nicht umhinkommen.

Putin würde Vertrauen verlieren

Gerhard Mangott sieht das anders. Mangott ist Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Innsbruck. Er glaubt, Putin werde nicht einfach nachgeben können. "Natürlich kontrolliert Putin das Narrativ nach innen, aber darum geht es nicht", sagt er. Sollte eine Verhandlungslösung scheitern und Putin eine militärische Antwort unterlassen, würde er Ansehen, Glaubwürdigkeit und Vertrauen beim Militär und im Sicherheitsapparat verlieren. "Diese Kreise haben ihm schon 2014 vorgeworfen, keine größeren Territorien der Ukraine besetzt zu haben", so Mangott. Damit würde er das Vertrauen in einem Teil seiner Führungsmannschaft verlieren.

Hinzu komme die außenpolitische Komponente. "Da würde die Erzählung sein, dass die westlichen Drohungen mit harten Wirtschafts- und Finanzsanktionen sowie die Androhung einer deutlichen Verstärkung der Nato-Militärpräsenz in den östlichen Mitgliedsstaaten Putin letztendlich von einem Angriff abgeschreckt haben", sagt Mangott. Dieses Bild werde er nicht hinnehmen wollen. "Das wäre das Eingeständnis, dass seine bisherige Außenpolitik ein Fiasko war", so Mangott weiter.

Kernforderungen müssen erfüllt sein

Folgt man Mangotts Argumentation, dass Putin nicht ohne weitreichende Zugeständnisse deeskalieren könnte, drängt sich eine weitere Frage auf: Was bräuchte es, damit Putin auf eine militärische Intervention verzichtet?

"Putin hat wiederholt deutlich gemacht – auch in der Pressekonferenz mit Olaf Scholz –, dass die Kernforderungen Russlands erfüllt werden müssen: keine Nato-Osterweiterung, Rücknahme des Mitgliedschaft-Versprechens an die Ukraine sowie der Abzug von Nato-Soldaten und militärischer Infrastruktur aus den östlichen Mitgliedsstaaten", sagt Mangott.

Es sei schwer vorstellbar, dass sich Putin mit weniger zufriedengebe. Die Rüstungskontrollverhandlungen, die die Nato vor dem russischen Truppenaufmarsch stets abgelehnt, nun aber angeboten habe, seien der russischen Seite nicht mehr genug. "Russlands Verhandlungsposition wird sich nicht ändern, die des Westens allerdings auch nicht", so Mangott.

Eskalation unvermeidlich

Die Fronten seien verhärtet. Auch eine Kompromisslösung, wie ein zehnjähriges Moratorium auf die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine, hält Mangott für unrealistisch. In Kombination mit einem Zurückfahren der militärischen Zusammenarbeit zwischen Nato und Ukraine würde sich Russland zwar möglicherweise darauf einlassen. "Ich denke aber nicht, dass es auf der westlichen Seite einen Konsens dafür gibt", so Mangott.

Ist eine kriegerische Auseinandersetzung also unvermeidlich? Mangotts Antwort lautet Ja. Sie könne aber viele Gesichter haben. "Derzeit sieht es so aus, als ob keiner der Verhandlungspartner sich bewegen wird", sagt er. Dann werde Putin zu entscheiden haben, was er mit seiner Drohung einer "militärisch-technischen Antwort" gemeint habe.

Viele mögliche Szenarien

Dabei könne es sich um eine Stationierung moderner Nuklearwaffen an der Westgrenze Russlands oder in Belarus handeln. Auch ein Cyberangriff auf die kritische Infrastruktur der Ukraine sei möglich. "Einen Vorgeschmack darauf haben wir am Dienstag erlebt", sagt er. Da wurden das Verteidigungsministerium sowie zwei staatliche Banken der Ukraine digital attackiert.

Ein Beschuss durch Artillerie aus der Distanz, sodass kein russischer Soldat gefährdet werde, sei ebenfalls möglich, "oder eine weitere Vorwärts-Stationierung der russischen Truppen, sodass eine Bodeninvasion weiter jederzeit möglich wäre", sagt Mangott. Damit könne Russland die ukrainische Wirtschaft schwächen. "Wenn Russland diesen Druck weiter aufrechterhält, schadet es der Ukraine mit jedem Tag und jeder Woche", so der Experte. Eine raumgreifende Bodeninvasion könne zwar nicht ausgeschlossen werden, "für sehr wahrscheinlich halte ich sie aber nicht", meint Mangott.

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