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Plant Putin wirklich den Sturm auf Kiew? Die Zeit läuft gegen ihn


Krieg in der Ukraine
Die Zeit läuft gegen Putin

Von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 15.03.2022Lesedauer: 7 Min.
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Wladimir Putin: Der russische Präsident hat sich im Ukrainekrieg verrechnet.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Der russische Präsident hat sich im Ukrainekrieg verrechnet. (Quelle: Reuters-bilder)

Die russische Armee hat im Ukraine-Krieg die Strategie verändert. Große Städte werden einkesselt und massiv beschossen. Doch Russland gewinnt nur langsam an Boden. Plant Putin wirklich den Sturm auf Kiew?

Der Beschuss vieler ukrainischer Städte durch die russische Armee geht weiter. In Charkiw liegen ganze Straßenzüge in Trümmern, im eingekesselten Mariupol beerdigen die Bewohner ihre Toten mittlerweile in Massengräbern oder in den Gärten hinter ihren Häusern. Besonders in der strategisch wichtigen Hafenstadt wird die humanitäre Katastrophe immer größer, es gibt keinen Strom, keine Heizung und kaum noch Lebensmittel, die Menschen verstecken sich im Untergrund vor den russischen Bomben. Es ist eine Katastrophe.

Der russische Präsident Wladimir Putin hat bei seinem Angriff auf die Ukraine seine Strategie gewechselt. Nach dem Scheitern des russischen "Blitzkrieges" setzt Russland nun auf Bombenterror und Einkesselung der Städte. Dabei ist völlig unklar, ob Putin zum Sturm auf die Städte ansetzt oder die Ukraine mit einer Politik der verbrannten Erde zur Kapitulation zwingen will.

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Eines ist klar: Die ukrainischen Streitkräfte leisten weiterhin erbitterten Widerstand und hatten in den Städten nun sehr viel Zeit, um Verteidigungspositionen einzurichten. Putin gehen langsam die Kräfte aus, zumindest um seine politischen Ziele in der Ukraine erreichen und um Kiew wirklich einnehmen zu können. Nun droht ein massives Blutvergießen, auch auf russischer Seite.

Putin hält an Plänen fest

Putin sorgte am Freitag mit einer Aussage international für überraschte Gesichter, als er bei einem Treffen mit dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko erklärte, dass die Gespräche mit der Ukraine in die "richtige Richtung" laufen würden. Diese Aussage war zynisch, weil in eben diesem Augenblick Menschen in der Ukraine durch russische Bomben starben.

Leider ist es auch kein Zeichen der Entspannung. Putin scheint weiterhin entschlossen, seine Ziele in der Ukraine durchzusetzen, entweder mit militärischer Gewalt oder am Verhandlungstisch. Für den Kremlchef gibt es keinen Weg zurück, zu hoch ist der Preis Russlands für diese Invasion.

Das Treffen mit Lukaschenko hatte eher strategischen Charakter. Immerhin sollte die belarussische Armee eigentlich von Brest nach Süden stoßen und die Westgrenze der Ukraine sichern, wie belarussische Deserteure im Ausland berichteten. Doch der Plan scheiterte, weil Lukaschenko der Rückhalt in der eigenen Armee für den Überfall auf den Nachbarstaat fehlt. Ein Rückschlag für Putin.

Strategische Fehler der russischen Armee

Es war nicht die einzige russische Fehlplanung im Ukraine-Krieg. Eigentlich hat der Kreml mit einem Sieg in wenigen Tagen gerechnet, die Soldaten sind für einen längeren Krieg nicht gut verpflegt und es fehlt an Treibstoff. Die westlichen Sanktionen gegen Russland fallen härter aus, als man das in Moskau erwartet hatte, und es gibt kaum jemanden in der Ukraine, der den russischen Soldaten zujubelt. Im Prinzip ist der russische Angriff schon jetzt zu einem Fiasko geworden und es gibt kaum eine Perspektive, wie man das Land regieren möchte, sollte man es denn erobern.

Das erklärt den Strategiewechsel. Aus Sicht der russischen Militärs ist die Einkesselung und starke Bombardierung der Städte ein logischer Schritt. Neben der Schnelligkeit ihrer mechanisierten Kräfte ist die Stärke der Artillerie der zweite große Vorteil der russischen Armee. Russland führt jetzt Krieg, wie es in der Vergangenheit oft Krieg führte: Erst kesselt man Städte ein, beschießt sie aus der Luft und mit Artillerie, bis ein Angriff mit Bodeneinheiten möglich ist.

Trotzdem gewinnt die russische Armee kaum an Boden, weil sie noch immer den Widerstandswillen der Ukraine unterschätzt und weil sie viele strategische Fehler begeht. So rücken russische Panzerverbände ohne Sicherung durch Infanterie in urbane Gebiete vor und können von ukrainischen Kräften mit Panzerabwehr und Artillerie zurückgeschlagen werden.

Auch gelingen der Ukraine immer wieder erfolgreiche Angriffe auf russische Nachschublinien, weil diese aus der Luft nicht abgesichert werden. Die schultergestützten Panzer- und Luftabwehrsysteme sind bisher effektiv gegen die vorrückende russische Armee.

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Mittlerweile hat Putin alle seine Soldaten im Einsatz, die er in den vergangenen Monaten an der Grenze zur Ukraine zusammenziehen ließ. Es ist also kein Zufall, dass der Präsident nun syrische Soldaten in den Krieg schicken möchte, vor allem, wenn er Lukaschenko in Moskau nicht dazu drängen konnte, doch noch seine Armee in den Kampf zu schicken. Wenn Putin seine Ziele in der Ukraine erreichen möchte, braucht er in jedem Fall mehr Soldaten.

Zeit spielt gegen Putin

Die Zeit läuft momentan gegen Russland. Mit jedem Kriegstag zerbröselt die russische Propaganda, dass es sich in der Ukraine nicht um einen Krieg, sondern um eine "militärische Sonderoperation" handele. Mit jedem Tag steigt der Sanktionsdruck auf Russland, der Unmut in der russischen Bevölkerung, und die ukrainische Armee hat immer mehr Zeit, ihre Stellungen zu befestigen.

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Der Faktor Zeit ist wichtig in diesem Krieg und momentan ist er auf der Seite der Ukraine. Das wird dadurch deutlich, dass die russische Kriegspropaganda immer verzweifelter wirkt. Mit dem russischen Vorwurf, dass die USA die Herstellung von Biowaffen in der Ukraine förderten, will sich der Kreml womöglich die innenpolitische Legitimation für ein Massaker holen. Experten weltweit schütteln mit dem Kopf, Beweise legt Russland nicht vor – auch für einen angeblichen Genozid an der russischsprachigen Bevölkerung im Donbass nicht. In Kriegen stirbt oft als Erstes die Wahrheit, die russische Propaganda ergibt allerdings in vielen Punkten keinen Sinn.

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Auch weil Russland den Informationskrieg schon verloren hat, versucht Putin den Faktor Zeit zu seinen strategischen Gunsten zu drehen. Sind die ukrainischen Städte erst einmal eingekesselt, von westlichem Nachschub abgeschnitten und die Bewohner hungern, ist die Zeit auf Seiten der russischen Armee. Der Kreml wird dann das Narrativ bedienen, dass die Ukraine jederzeit das Leid beenden könnte, wenn sie kapituliert. Das ist eine Umkehr von Opfer und Täter.

Erbitterter Widerstand der Ukraine

Somit setzt die Ukraine viel daran, die Einkesselung der Städte zu verhindern, was auch teilweise gelingt. Aber militärisch ist Russland immer noch weit überlegen und die Ukraine muss darüber nachdenken, ob sie Positionen im Osten aufgibt, um zum Beispiel die Stellungen um Kiew zu verteidigen. Das Problem dabei ist, dass sie in Bewegung ein einfaches Ziel für die russische Luftwaffe sind.

Letztlich hat der erfolgreiche Widerstand der Ukraine viele Beobachter überrascht, aber nicht an jeder Front läuft es gut. Ein Überblick:

Süden

Im Süden hatte die russische Armee die wichtigsten Landgewinne und es ist noch völlig unklar, was da auf ukrainischer Seite schiefgelaufen ist. Russische Panzerverbände von der Krim konnten am ersten Kriegstag die ukrainischen Stellungen einfach überrollen.

Mit der schnellen Eroberung von Cherson hatte Russland schnell einen Brückenkopf über den Fluss Dnipro, ihre Kräfte konnten sich dann zweiteilen und marschierten nach Osten in Richtung Mariupol und nach Westen in Richtung Odessa.

Mit großer Kraftanstrengung konnte die Ukraine sie im Westen stoppen, im Osten konnten russische Verbände die Landbrücke von der Krim zum Donbass erobern und Mariupol einkesseln. Auch der Nachschub scheint für Russland im Süden besser zu funktionieren als im Norden.


Militärisch gesehen war der Angriff von der Krim aus durchaus ein Erfolg.

Osten

Im Osten sind an der Grenze zum Donbass mit die stärksten ukrainischen Stellungen, die sich bislang sehr gut halten konnten. Allerdings war auch dort der geringste Kräfteeinsatz Russlands in Zusammenarbeit mit den prorussischen Separatisten. Ihnen gelang zwar die Einkesselung von Mariupol, was in der Hafenstadt zu einer humanitären Katastrophe führte, aber die Einkesselung der ukrainischen Stellungen im Osten scheiterte bislang am erfolgreichen Widerstand der Ukrainer.

Russland gewinnt im Osten nur schwer an Boden, die Einnahme von Mariupol ist zwar eher eine Frage der Zeit, aber das wird von Russland mit großen Opfern erkauft. Denn es gibt keine Anzeichen dafür, dass ukrainische Soldaten in dem Kessel aufgeben oder desertieren.

Norden

Im Norden gab es die größte russische Kräftekonzentration für eine schnelle Einnahme von Kiew. Das ist gescheitert und die russischen Verbände kommen nur sehr langsam voran. Der lange russische Konvoi war eine Reaktion darauf und gehörte zu Plan B: Kiew umzingeln und mit Artillerie unter Beschuss nehmen. Auch das ist gescheitert, denn die ukrainischen Kräfte schaffen es teilweise sehr erfolgreich, auch Vororte von Kiew zu verteidigen.

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Russland gewinnt zwar im Raum an Boden, aber schafft es nicht, Städte wie Charkiw oder Sumy einzunehmen. Auch die Hauptstadt kann noch immer aus dem Süden versorgt werden. Die ukrainische Hauptstadt ist groß und die Verteidiger sind vorbereitet. Der Sturm könnte sich über Wochen ziehen und würde viele Opfer auf russischer Seite fordern, zumal die Nachschublinien von der Ukraine oft erfolgreich angegriffen werden.

Putin will Kiew in die Zange nehmen, aber was danach passiert, ist unklar. Entweder beschießt er die Stadt intensiv mit Artillerie und aus der Luft oder er befiehlt tatsächlich die Erstürmung. Aus dem Osten müsste man dafür den Dnipro überqueren, was ein strategischer Albtraum für Russland ist. Bislang hat die Ukraine den Angriff im Osten erfolgreich gestoppt, im Nordwesten stehen russische Truppen an der Stadtgrenze. Generell hat Moskau aber eigentlich nicht genügend Kräfte im Raum Kiew, um die Stadt tatsächlich erobern zu können.

Westen

Im Westen blieb es bislang vergleichsweise ruhig und Städte wie Lwiw sind wichtige Häfen für Geflüchtete aus dem ganzen Land. In der Nacht zu Freitag gab es russische Raketenangriffe auf den Flughafen von Luzk. Aber das ist kein Zeichen dafür, dass der Bodenkampf nun auch im Westen beginnt. Vielmehr ist die ukrainische Luftwaffe immer noch einsatzbereit, was eine große Überraschung ist. Russland möchte das mit diesen Angriffen ändern und westliche Nachschublinien für die Ukraine unterbrechen.

Im Südwesten bereitet sich die Hafenstadt Odessa auf einen russischen Angriff vor und durch die lange Vorbereitungszeit und ukrainische Reserven in dem Raum, wird es für Russland nicht einfach, diese Stadt zu erobern. Die Ukraine befürchtet, dass Odessa mit russischen Kräften aus dem Osten und mit Kräften aus Transnistrien eingekesselt werden könnte.

Letztlich setzt die russische Armee ihren Angriff auf die Ukraine fort und scheint nach Legitimation für ein noch brutaleres Vorgehen zu suchen. Dagegen haben die Gespräche der Außenminister in der Türkei und die Verhandlungen der Delegationen in Belarus eher gezeigt, dass der Kreml noch nicht an ernst gemeinten Verhandlungen interessiert ist und tatsächlich mit einem Angebot und mit einer Rhetorik zu den Gesprächen reist, auf die die Ukraine eingehen könnte.

Der Krieg wird also weitergehen. Die größten Verbündeten der Ukraine sind die Zeit und die Hoffnung, dass der Druck auf Putin so groß wird, dass er zum Rückzug gezwungen ist. Das wird viel Durchhaltevermögen von der Ukraine erfordern, besonders dann, wenn der russische Beschuss von Kiew beginnt.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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