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Präsidentschaftswahl in Frankreich: "Viele Franzosen hassen Macron"


Präsidentenwahl in Frankreich
Ulrich Wickert: "Immer mehr Leute sagen: Le Pen hat recht"

  • David Schafbuch
InterviewVon David Schafbuch

Aktualisiert am 09.04.2022Lesedauer: 6 Min.
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Marine Le Pen: Die Rechtsextremistin bewirbt sich zum dritten Mal um das Amt des Präsidenten in Frankreich.Vergrößern des Bildes
Marine Le Pen: Die Rechtsextremistin bewirbt sich zum dritten Mal um das Amt des Präsidenten in Frankreich. (Quelle: Julien Mattiax/imago-images-bilder)

Kaum ein Deutscher kennt Frankreich besser als Ulrich Wickert. Der ehemalige "Tagesthemen"-Mann bewertet die Amtszeit von Emmanuel Macron, wer ihm noch gefährlich werden könnte und erklärt den Erfolg von Marine Le Pen.

Auch wenn Ulrich Wickert nicht mehr über die Präsidentschaftswahlen in Frankreich berichtet, ist der 79-Jährige der Grande Nation immer noch sehr verbunden. Erst in der vergangenen Woche war er in dem Land unterwegs, das ihn lange Jahre seines Lebens geprägt hat: Seinen ersten journalistischen Text schrieb er noch in Jugendjahren über den Eiffelturm. Später berichtete er für die ARD als Korrespondent aus Paris und erlangte Bekanntheit, als er über den viel befahrenen Place de La Concorde lief, ohne nach links oder rechts zu schauen.

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Bei der anstehenden Präsidentschaftswahl in Frankreich geht der Blick dagegen weit nach rechts: Aussichtsreichste Herausforderin für Präsident Emmanuel Macron ist erneut Marine Le Pen – und sie steht mittlerweile nicht mehr alleine am rechten Rand. Im Interview mit t-online spricht Wickert über den Erfolg der Rechtsextremistin, darüber, wie er einst Emmanuel Macron persönlich kennenlernte und welcher Politiker aus der Mitte in Zukunft französischer Präsident werden könnte.

t-online: Herr Wickert, der Historiker Joseph de Weck sagte uns kürzlich in einem Interview, Emmanuel Macron sei ein Charmeur, und dass Personen, die ihn gerade getroffen haben, leicht verzaubert wirken. Wie war das, als Sie ihn 2014 erstmals getroffen haben?

Ulrich Wickert: Ich war tatsächlich direkt eingenommen von diesem jungen Herrn. Ich habe ihn in Hamburg mit dem damaligen Premierminister Manuel Valls getroffen. Da war er gerade Wirtschaftsminister geworden und schaute sich die Airbus-Werke an. Anschließend gab es ein Essen mit Olaf Scholz, der damals Bürgermeister in Hamburg war. Wir haben uns eine Dreiviertelstunde unterhalten. Er redete ganz offen und direkt, nicht wie ein Politiker. Ich habe ihn gefragt, wie die kommenden Präsidentschaftswahlen 2017 ausgehen würden. Er sagte: Derjenige, der im zweiten Wahlgang gegen Marine Le Pen antritt, wird gewinnen. Genauso kam es dann auch.

Aber er machte nicht den Eindruck, als würde er selbst derjenige sein, der diesen Sieg erringen wird?

Ich vermute, dass er damals schon mit dem Gedanken gespielt hat, als Präsident zu kandidieren. Aber salopp gesagt, ist er dann eher zufällig in das Amt gekommen. Sein konservativer Kontrahent François Fillon hatte sich damals in Affären verstrickt. Dadurch war der Weg für ihn frei. Der anschließende Sieg gegen Marine Le Pen war leicht.

Ulrich Wickert (79) gilt als einer der besten Kenner Frankreichs in Deutschland: Der Journalist und Moderator lebte bereits in seiner Jugend mehrere Jahre Paris und berichtete seit dem Ende der Sechziger von dort. 1984 wurde er Studioleiter der ARD in Paris. Zwischen 1991 und 2006 moderierte er für den Sender die "Tagesthemen". Daneben hat Wickert mehrere Bücher über das Land verfasst.

War er in den vergangenen fünf Jahren ein guter Präsident?

Er hat eine Menge erreicht, aber weniger, als er wollte. Die Gelbwesten-Bewegung, Corona und jetzt der Ukraine-Krieg haben vieles blockiert. Er hat sehr schnell die Arbeitsmarktgesetze reformiert. Dadurch kommt es zu viel mehr internationalen Investitionen in Frankreich als in Deutschland. Die Arbeitslosigkeit liegt auf dem niedrigsten Stand seit 30 Jahren. Dazu kommen Dinge, die vielen Franzosen gar nicht auffallen.

Warum fühlen sich dann trotzdem so viele Leute von ihm enttäuscht?

Viele Franzosen hassen Macron. Denn er tritt sehr arrogant auf. Er tut häufig so, als wisse er alles besser. Auch jetzt hat er den Fehler gemacht, größtenteils auf einen Wahlkampf zu verzichten. Er dachte wohl: Ich bin der Chef und werde sowieso wiedergewählt.

Sie haben oft davon gesprochen, dass die Franzosen auch etwas Königliches in ihrem Präsidenten sehen wollen, was Nicolas Sarkozy und François Hollande aus Ihrer Sicht nicht hatten. Macron scheint dem mehr zu entsprechen. Warum mögen vielen ihn trotzdem nicht?

Die Franzosen sagen: Wer Präsident werden will, muss Gewicht haben. Das bringt Macron mit. Aber er hat keinen Bezug zum Volk. Er ist ein scharfer Geist, aber das spielt er viel zu sehr aus. Er trifft alle Entscheidungen aus dem Kopf. Die Franzosen fühlen sich ihm nicht nahe.

Man hat manchmal den Eindruck, als sei er im Ausland beliebter als zu Hause: Die Außenpolitik, die Zukunft der EU und Frankreichs Rolle in der Weltpolitik scheinen ihn deutlich mehr zu kümmern als das alltägliche Leben der Franzosen. Ist das seine größte Schwäche?

Er beschäftigt sich schon stark mit der Innenpolitik. Aber er verlangt auch viel von seinem Volk. Er will etwa das Rentenalter auf 65 erhöhen, weil er glaubt, dass es anders nicht geht. Seine Konkurrenten sagen dagegen: Wir tun euch Gutes, selbst wenn wir es nicht bezahlen können. Die Franzosen sind immer für Reformen, solange sie nicht persönlich davon betroffen sind. Auch Macron meinte schon, Frankreich sei unregierbar. Dummerweise erfuhr die Presse davon.

Wie schon 2017 läuft es auf ein Duell zwischen ihm und der Rechtsextremistin Marine Le Pen hinaus. Generell scheinen neben Macron nur noch populistisch bis extremistisch denkende Politiker eine Chance zu haben. Warum konkurrieren diese beiden Lager schon wieder miteinander?

Weil weder die Sozialisten noch die Republikaner einen Kandidaten haben, der überzeugt. Beide Parteien sind untereinander zerstritten. In Frankreich ist das Programm nicht unbedingt entscheidend, es braucht einen Kandidaten, der zieht. Der Konservative, der noch immer am meisten respektiert wird, ist Nicolas Sarkozy. (Lacht) Der musste zeitweise eine Fußfessel tragen!

Gibt es wirklich keinen weiteren Politiker aus der Mitte, der Macron gewachsen ist?

Wenn Sie mich fragen, wer in Zukunft Chancen auf das Amt hat, ist es Édouard Philippe (ehemaliger Premierminister unter Macron, Anm. d. Red.). Er ist schon jetzt der beliebteste französische Politiker. Im Moment ist er Bürgermeister von Le Havre und war früher Republikaner. Gerade hat er wie Macron seine eigene Partei gegründet. Er baut sich aber erst jetzt eine Position auf, um in fünf Jahren zu kandidieren.

Im Moment glauben viele Menschen, Präsident und Staat repräsentierten sie nicht mehr.

Wir müssen uns vergegenwärtigen: Frankreich ist etwa um ein Drittel größer als Deutschland, hat allerdings 20 Millionen Einwohner weniger. In vielen Dörfern fehlen mittlerweile Bäcker, Metzger oder die Bistros. Deshalb fühlen sich viele verlassen. Die Politik hat das noch nicht in den Griff bekommen.

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In diese Lücke ist Le Pen gestoßen.

Sie konnte das nutzen: Le Pen versucht, ihr rechtsradikales Image abzulegen. Sie will etwa nicht mehr den Euro abschaffen und aus der EU austreten. Aber sie hat noch immer sehr viele radikale Vorstellungen. Vor allem aber hat sie sich mit der Kaufkraft auf das Thema konzentriert, das die meisten Franzosen bewegt. Als ich vergangene Woche in Frankreich war, habe ich in den Medien ständig gehört, man solle Strom sparen und seine Heizung herunterdrehen. Das führt dazu, dass immer mehr Leute sagen: Le Pen hat recht.

Ist ihr harmloseres Auftreten denn echt?

Das ist nur Fassade. Sie hat den Vorteil, dass sie durch den noch extremeren Éric Zemmour harmloser wirkt. Er deckt diesen Rand für Le Pen ab. Im zweiten Wahlgang nützt ihr das. Man sagt in Frankreich: Im ersten Wahlgang wählt das Herz, im zweiten der Kopf. Viele könnten zuerst für Zemmour stimmen, danach für Le Pen.

Was würde eine Präsidentin Le Pen bedeuten?

Für Europa wäre sie eine Katastrophe. Sie würde alles dafür tun, das deutsch-französische Verhältnis zu beschädigen. Stattdessen würde sie dann den Block mit Viktor Orbán stärken. Einen Zusammenbruch der EU kann ich mir mit Le Pen allerdings nicht vorstellen. Aber viele Wähler wollen schon eine gewisse Distanzierung zu Europa.

In der Vergangenheit haben sie und andere Konkurrenten Macrons immer wieder für Wladimir Putin geschwärmt. Warum können offenbar trotz des Kriegs in der Ukraine so viele Franzosen darüber hinwegsehen?

Zunächst konnte auch Macron profitieren. Dann haben sich aber viele gefragt: Was ist wichtiger – der Krieg oder die Kaufkraft? Fabien Roussel, der für die Kommunisten kandidiert, hat gesagt: Wir wollen, dass alle Franzosen gemütlich leben und ins Restaurant gehen können. Kaufkraft heißt eben auch "schöner Leben". In Deutschland könnte man damit nicht werben, in Frankreich geht das. Trotzdem gehe ich davon aus, dass Macron die Wahl gewinnen wird.

Wohin steuert Frankreich mit ihm dann in den nächsten Jahren?

Er wird versuchen, die EU weiterzuentwickeln. Die jetzige Situation in der Ukraine hat bei vielen die Einsicht gebracht, dass Europa eine eigenständige Macht werden muss. Er hatte ja einst auch der Nato den "Hirntod" attestiert. Das ist nun vorbei.

Dafür wird Macron Deutschland brauchen. Sehen Sie bei Olaf Scholz die Bereitschaft zu einer gemeinsamen Linie?

Im Moment hat die Bundesregierung noch keine Vision, wo sie genau hinwill. Scholz hat in seiner Zeit als Finanzminister einige Dinge zu Europa gesagt, die nicht klug waren. Er hatte etwa einmal gefordert, Frankreich solle seinen permanenten Sitz im UN-Sicherheitsrat für die EU abgeben. Das ist natürlich Quatsch, denn Europa ist keine Nation und dadurch in der UN überhaupt nicht vertreten. Zudem ist die Zusammensetzung des Rates ein Ergebnis der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs. Wenn ein deutscher Politiker so etwas fordert, hat Le Pen bei der kommenden Wahl gleich fünf Prozentpunkte gewonnen.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Ulrich Wickert am 7.4.2022
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