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Wahl in Frankreich: Gewinnt Deutschland-Hasser Jean-Luc Mélenchon?


Konkurrent von Macron
Dieser Deutschland-Hasser will Frankreichs Premier werden

Von Lisa Becke

11.06.2022Lesedauer: 7 Min.
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Jean-Luc Mélenchon (Archiv): Der Linkspopulist will französischer Premierminister werden. Verliert Macron seine Mehrheit im Parlament?Vergrößern des Bildes
Jean-Luc Mélenchon (Archiv): Der Linkspopulist will französischer Premierminister werden. Verliert Macron seine Mehrheit im Parlament? (Quelle: Barbara Neyman/Starface/imago-images-bilder)

Der französische Präsident wurde eben erst wiedergewählt, da lauert die nächste Herausforderung: Ein linkes Bündnis steht vor der Parlamentswahl überraschend gut da und könnte Macrons Politik blockieren. Wie konnte das passieren?

An Selbstbewusstsein mangelt es ihm nicht. "Für Macron wird es die Hölle", verspricht Jean-Luc Mélenchon. Für die einfachen Leute aber werde er die Hölle beenden – mit ihm als Premierminister Frankreichs werde die "Luft leichter" und die "Sonne schöner" sein.

Seine Anhänger springen von ihren Sitzen, Applaus brandet auf. Das zeigen Videoaufnahmen aus dem Salle Olympe de Gouges – der Veranstaltungsort im Pariser 11. Arrondissement ist nach der französischen Revolutionärin benannt. "Es liegt Mélenchon in der Luft", konstatiert das französische Nachrichtenmagazin "L'Obs".

Der Linkspopulist will französischer Premierminister werden, und die Umfragen für den ersten Durchgang der Parlamentswahlen am Sonntag sehen sein Bündnis gleichauf mit dem von Präsident Macron. Der steht damit nur sieben Wochen nach seiner Wiederwahl vor seiner nächsten großen Herausforderung: Gewinnt nicht er, sondern Mélenchon eine Mehrheit in der Nationalversammlung, müsste der Präsident einen Premierminister ernennen, der gegen ihn arbeiten würde – damit wäre Macron in seiner zweiten und letzten Amtszeit im Parlament blockiert.

Während sich Macron bei der Präsidentschaftswahl mit der Rechten Marine Le Pen duellierte, kommt die Gefahr für ihn nun von links. Beim Kampf um die 577 Sitze in der Nationalversammlung ist das Mélenchon-Bündnis die stärkste Gegnerin des Mitte-Bündnisses des Staatschefs – und die Unzufriedenheit mit Macron ist hoch. Der Präsident wurde zwar wiedergewählt, doch mit dem Signal: Wir wählen dich nur, um eine Rechtsradikale zu verhindern.

"Mélenchon scheint die Gunst der Stunde auf seiner Seite zu haben", sagt Frankreich-Expertin Ronja Kempin t-online. Wie hat Mélenchon das geschafft? Und wie gefährlich kann er dem französischen Präsidenten werden?

"Wahl nicht nach dem Herzen, sondern der Vernunft"

Eigentlich war Jean-Luc Mélenchon, auch "JLM" genannt, im klassischen Sinne zunächst ein Verlierer: Bei den Präsidentschaftswahlen im April landet er auf dem dritten Platz, unterliegt gegen den amtierenden Präsidenten und die Rechtspopulistin, die an ihm vorbei in die Stichwahl einziehen. Jedoch: Es ist knapp – Mélenchon kommt auf für viele Beobachter überraschend viele Stimmen.

Das ist mit einer Besonderheit der diesjährigen Präsidentschaftswahlen zu erklären, sagt Kempin von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Da viele Französinnen und Franzosen unbedingt eine erneute Stichwahl zwischen Macron und Le Pen, wie bereits 2017, verhindern wollen, stimmen viele bereits in der ersten Wahlrunde nicht für ihren eigentlich favorisierten Kandidaten – sondern für Mélenchon. "2022 haben die Französinnen und Franzosen bereits im ersten Wahlgang nicht nach dem Herzen, sondern nach der Vernunft gewählt", sagt Kempin. Das ging zulasten der Sozialisten, der Grünen oder der Kommunisten.

"Dieses Momentum hat er geschickt für sich genutzt"

Das bedeutet: Kandidaten dieser Parteien, unter ihnen etwa die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo, kommen auf nur wenige Prozentpunkte, Mélenchon geht gestärkt hervor. "Dadurch konnte sich Mélenchon als Anführer des linken Lagers sehen", sagt die Frankreich-Expertin, "dieses Momentum hat er geschickt für sich genutzt".

Noch am Abend der Präsidentschaftswahl ruft er die "dritte Runde der Präsidentschaftswahlen" aus. Die gibt es nicht – nach zwei Runden steht in Frankreich der neue Präsident fest. Doch mit dem rhetorischen Kniff will er die Anti-Macron-Stimmung im Land für sich nutzen: Bei den Parlamentswahlen, der "dritten Runde", könne die Linke Macron doch noch schlagen, indem sie ihm eine Mehrheit im Parlament verwehrt.

Die anderen Parteien des linken Lagers lassen sich darauf ein – Mélenchon gelingt, was bis vor kurzem undenkbar schien: Er versammelt die notorisch zerstrittene Linke Frankreichs unter einem gemeinsamen Schirm. "Neue ökologische und soziale Volksunion" (NUPES) nennt er das Bündnis, dem sich neben seiner eigenen Partei namens Unbeugsames Frankreich auch Grüne, Sozialisten und Kommunisten anschließen.

Für den Frankreich-Experten Joseph de Weck hat das auch mit dem französischen Präsidenten selbst zu tun: "Der wichtigste Faktor für Mélenchons Kaperung der Linken ist Macron", sagt er t-online. Indem der Präsident durch seine Politik der Mitte die traditionellen Mitte-Links- und Mitte-Rechts-Kräfte absorbiert habe, habe er die extremen Kräfte auf beiden Seiten gestärkt. "Nur diese können sich wirklich glaubhaft von Macrons Politik unterscheiden", so de Weck.

"Maul zu, Frau Merkel"

Und so wurde ein Mann zur Führungsfigur im linken Lager, der vielen durchaus als radikal gilt. Der 70-Jährige treibt sich bereits seit den 1970er Jahren in der französischen Politik herum. Ursprünglich Trotzkist, engagiert er sich ab 1977 in der Sozialistischen Partei, mit welcher er jedoch 2008 bricht, da sie seiner Meinung nach zu moderat sei. Er gründet sein radikales Linksbündnis, das seit 2016 auf den Namen La France Insoumise (Unbeugsames Frankreich) hört.

Mélenchon ist Antikapitalist, Europafeind, will schrittweise die Nato verlassen. Er will Wohlstand umverteilen, indem er auf der einen Seite den Mindestlohn anheben und gleichzeitig höhere Verdienste deckeln will. Anders als Macron will er das Renteneintrittsalter nicht anheben, sondern absenken. Ursprünglich kokettierte Mélenchon mit einem EU-Austritt Frankreichs – im gemeinsamen NUPES-Programm heißt es nun, dass man bereit sein müsse zum "Ungehorsam" gegenüber Europa, etwa was europäische Budgetregeln angeht.

Das gemeinsame Bündnis komme mit zahlreichen "schmerzhaften Kompromissen" für Sozialisten und Grüne, sagt Kempin. Durch die Sozialistische Partei zieht sich ein tiefer Riss aufgrund des gemeinsamen Bündnisses mit Mélenchon.

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Deutschland ist eines von Mélenchons liebsten Feindbildern, was auch mit seiner großen EU-Skepsis zu erklären sein dürfte. Im Jahr 2014 attackierte er die deutsche Kanzlerin Angela Merkel auf Twitter mit den Worten: "Maul zu, Frau Merkel. Frankreich ist frei." Zuvor hatte Merkel Reformen angemahnt. "Und es ist als Unterscheidung von Macron zu verstehen, der die Nähe zu Deutschland immer wieder unterstreicht", sagt Kempin.

"Gallischer Chávez"

Kontrastprogramm zu Macron ist der Linke in vielerlei Hinsicht, schon im Auftreten: "JLM" ist berüchtigt für seine Ausfälligkeiten. Als Polizisten 2018 seine Parteizentrale durchsuchen, schreit er sie an: "Meine Person ist sakrosankt." Und: "Ich werde Feuer legen."

Als "gallischen Chávez" bezeichnet ihn jüngst der französische Finanzminister Bruno Le Maire, in Anspielung auf den ehemaligen venezolanischen Präsidenten. Nun ist natürlich Wahlkampf – doch er spreche ein Problem an, das man dem Linken durchaus anlasten müsse, sagt Kempin: "Er liebäugelt mit Autokraten, gerade in Mittel- und Lateinamerika, die mit linkem politischen Anstrich an die Macht gekommen sind und dann autoritäre Züge entwickelten."

Kann der Antikapitalist, Deutschland- und EU-Feind Mélenchon tatsächlich Frankreichs Premierminister werden? Dann könnte Mélenchon alle innenpolitischen Fragen, etwa Wirtschafts-, Sozial- und Migrationspolitik, selbst entscheiden, denn bei diesen liegt die Macht im Parlament. "Im Moment stehen die Chancen nicht schlecht", sagt Kempin, und bezieht sich dabei auf die Umfragen für den ersten Wahlgang – eine sieht NUPES dabei sogar knapp vor Macrons Bündnis.

"Könnte eine Denkzettelwahl sein"

Während die Franzosen in der Vergangenheit in den meisten Fällen Parlamentswahlen dazu nutzten, ihrem eben gewählten Präsidenten eine komfortable Mehrheit in der Assemblée Nationale zu verschaffen, könnte es in diesem Jahr anders kommen, denkt Kempin: "Dieses Mal könnte es eine Denkzettelwahl sein." Laut einer Umfrage wünschen sich nur 35 Prozent der Befragten, dass Macrons Partei eine Mehrheit im Parlament bekommt.

Allerdings gibt es einige Unbekannte: Zunächst ist da die Wahlbeteiligung. Während Macrons Anhängerschaft wahlfreudig ist, ist Mélenchon darauf angewiesen, auch viele derjenigen, die eigentlich nicht zur Abstimmung gehen würden, zur Urne zu bewegen. Bislang geht man von einer Wahlbeteiligung von nur rund 40 bis 44 Prozent aus – das wäre ein neuer Tiefstand. Und: Die Parteien sind auf bekannte Gesichter vor Ort in den Wahlkreisen angewiesen. Ein Problem für Mélenchon, dessen Partei in der Breite des Landes nur wenig verankert ist.

Aus diesen Gründen hält es Experte de Weck für "praktisch unmöglich", dass NUPES selbst eine Mehrheit gewinnt. "Im allerbesten Fall können sie durch ein gutes Resultat verhindern, dass Macron eine Mehrheit gewinnt. Dann wäre dieser gezwungen, eine Koalition im Parlament zu bauen", so de Weck.

Auch wenn das linke Bündnis nicht die Mehrheit im Parlament gewinne, sei es für die beteiligten Parteien sinnvoll: "Durch die Bildung von NUPES werden sie deutlich mehr Sitze gewinnen, als das sonst der Fall gewesen wäre", so de Weck.

Die jüngsten Umfragen für die Stichwahl, die eine Woche später stattfinden wird, gehen im Moment davon aus, dass die Präsidentenpartei samt ihren Verbündeten auf 250 bis 335 Sitze käme – für die absolute Mehrheit bräuchte sie mindestens 289. NUPES würde demnach 160 bis 230 Sitze erreichen.

Angesichts der vielen Unsicherheiten warnen aber selbst Meinungsforscher vor voreiligen Schlüssen. "Ein oder zwei Prozentpunkte mehr oder weniger können bedeuten, dass 40 bis 50 Sitze die Seite wechseln", sagt Brice Teinturier dem Sender France Inter.

Das liegt auch an dem französischen Wahlrecht, das ein absolutes Mehrheitswahlrecht ist. In die zweite Runde schaffen es dabei nur die Bestplatzierten aus der ersten Runde. "Die Karten werden nach dem ersten Wahlgang neu gemischt", sagt Kempin.

Die momentane Regierungsmehrheit Macrons scheint sich des Risikos bewusst zu sein: Ein Sieg der Opposition würde "eine enorme Destabilisierung der Politik auf Jahre hinaus" zur Folge haben, warnt der für Beziehungen zum Parlament zuständige Minister Olivier Véran.

"Mélenchon hält Macron den Spiegel vor"

Macron selbst sagt im Interview mit mehreren französischen Regionalzeitungen: "Keine politische Partei kann einem Präsidenten einen Namen aufzwingen." Und suggeriert damit, dass er nicht Mélenchon zum Premierminister ernennen müsste, selbst wenn NUPES die Mehrheit gewinnen sollte – sondern einen anderen aus den Reihen des linken Bündnisses ernennen könnte.

Doch egal, wie die Parlamentswahl ausgeht, Mélenchon persönlich sei bereits ein Gewinner, denkt de Weck. Denn: "Mélenchon hat es geschafft, zur unbestrittenen Führungsperson im linken Lager zu werden" – ein für ihn wichtiger Erfolg, unabhängig vom Ausgang der Parlamentswahl.

Und Macron? Er könnte es auch als Chance sehen, sagt Kempin: "Mélenchon hält Macron den Spiegel vor." Denn die Präsidentschaftswahl offenbarte auch die große Spaltung und Unzufriedenheit im Land. Macron hat am Wahlabend versprochen, mehr auf die Französinnen und Franzosen zuzugehen, ein anderer Präsident zu werden, die Gesellschaft ein Stück weit zu versöhnen – Mélenchons Erfolg führe vor Augen, wie nötig das sei.

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