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Mullah-Regime – Proteste im Iran: Revolutionsgarden könnten nach Macht greifen


Iranische Revolutionsgarden
Das könnte das Mullah-Regime den Kopf kosten

Von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 01.12.2022Lesedauer: 4 Min.
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Ein Soldat der iranischen Revolutionsgarde in Teheran: Die Elitetruppen der Mullahs stehen in der staatlichen Hierarchie über der iranische Armee.Vergrößern des Bildes
Ein Soldat der iranischen Revolutionsgarde in Teheran: Die Elitetruppen der Mullahs stehen in der staatlichen Hierarchie über der iranischen Armee. (Quelle: IMAGO/Morteza Nikoubazl)

Das Mullah-Regime reagiert mit immer brutalerer Gewalt auf die Proteste im Iran. Greifen nun die mächtigen Revolutionsgarden nach der Macht?

Sicherheitskräfte feuern auf offener Straße auf Demonstrierende. Sie morden und foltern im Auftrag der iranischen Führung und stecken immer mehr Menschen in Gefängnisse. Seit Monaten versucht das Mullah-Regime, die systemkritischen Proteste im Land niederzuschlagen – und geht dabei immer brutaler vor. Dennoch kämpfen die Regime-Gegner weiter. Trotz Lebensgefahr lässt sich die Freiheitsbewegung nicht einschüchtern, die Menschen gehen weiter auf die Straßen.

Aber könnten die Proteste tatsächlich zum Sturz des Regimes führen? Die Kölner Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur hält das für möglich. Allerdings anders, als sich die Demonstrierenden dies wohl wünschen: durch einen Militärputsch.

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"Es droht im Iran auch die Gefahr, dass einige Revolutionswächter einen Militärputsch wagen", sagte Amirpur, die an der Universität zu Köln Professorin für Islamwissenschaft ist, vor Kurzem dpa. Die Gefahr, dass der Iran hin zu einer Militärdiktatur steuern könnte, ist nicht neu. Denn schon seit vielen Jahren haben die Streitkräfte eine immer wichtigere Position im Staat eingenommen, auch durch die vielen Konflikte mit dem Ausland.

Im Gespräch mit t-online bestätigte Amirpur, dass es sich bei ihren Aussagen um theoretische Überlegungen handelt, dennoch steht fest: Je angeschlagener das Regime ist, desto abhängiger sind die Mullahs von den Revolutionsgarden. Sie werden das gegenwärtige Chaos nutzen, um ihren Einfluss weiter auszubauen.

Kampf für die Revolution, gegen Israel und den kapitalistischen Westen

Denn die Elitetruppen der Mullahs sind schon lange ein Staat im Staat.

Seit der Islamischen Revolution von 1979 gibt es im Iran zwei rivalisierende Parallelarmeen: die Streitkräfte der Islamischen Republik Iran und die Armee der Wächter der Islamischen Revolution, die Revolutionsgarde. Beide Armeen sind strukturell strikt voneinander getrennt. Sie haben unterschiedliche Befehlsketten, jeweils ein eigenes Heer, eine eigene Luftwaffe und eine eigene Marine.

Die komplizierte Sicherheitsstruktur ergibt erst auf den zweiten Blick Sinn: Das Mullah-Regime vertraut den regulären Streitkräften des Iran nicht, weil sie die Nachfolger der Kaiserlich Iranischen Landstreitkräfte waren, die wiederum zum Schah standen. Nach der Revolution schloss die iranische Führung deshalb verbündete Milizen, die am Sturz des Schahs beteiligt waren, zusammen: die Geburtsstunde der Revolutionsgarde.

Ihre Aufgabe ist es vor allem, die religiöse Führung und ihre Ideologie zu schützen. Es ist also eine ideologische Armee mit gigantischer Kraft, die nicht zum Schutz der Bevölkerung existiert, sondern die islamistische Revolution von 1979 verteidigen soll.

Die Revolutionsgarden stehen daher auch nicht an der Seite der aktuell Demonstrierenden, denn sie lehnen einen freiheitlichen Aufbruch des Landes ab. Vielmehr sind die Revolutionsgarden Schwert und Schild der religiösen Führung – im In- und Ausland.

Die Interessen im Ausland soll eine Eliteeinheit innerhalb der Revolutionsgarden schützen – die Quds-Brigade. Sie kämpft in Syrien, im Irak und verübt Anschläge, kidnappt Menschen und führt andere Geheimdienstoperationen durch. Ihr Name – "Al-Quds" ist der arabische Name von Jerusalem – verweist dabei auf das übergeordnete Ziel der Revolutionsgarde: der Kampf gegen Israel und die Eroberung Jerusalems.

Ultimative Macht im Iran

Aktuell stützen die Revolutionsgarden die politische Linie des Religionsführers und Staatsoberhauptes Ajatollah Ali Chamenei. Der Kommandeur der iranischen Revolutionsgarden, Hussein Salami, machte am Donnerstag erneut den Westen für die systemkritischen Proteste im Land verantwortlich. Irans Feinde hätten sich für einen Krieg vorbereitet, sagte er während einer Rede in der Stadt Ghom. "Alle Satane der Welt haben sich versammelt. Amerika, England, Deutschland, Frankreich, Israel, die Saudis und weitere." Es war das erste Mal, dass ein hochrangiges Mitglied der Revolutionsgarde Deutschland öffentlich als "Satan" bezeichnete.

Mit diesem Manöver versucht die Führung im Iran von den wahren Gründen der Proteste abzulenken. Klar scheint: Die Revolutionsgarden sind die mächtigste Waffe der iranischen Führung, mit der sie die eigene Bevölkerung unterdrückt. Das belegen auch folgende Zahlen:

  • Die Revolutionsgarden verfügen laut eigenen Angaben aus dem Jahr 2019 über 190.000 Kämpfer.
  • Die Quds-Brigade hat laut Schätzungen 15.000 bis 20.000 Mitglieder.
  • Darüber hinaus kontrollieren die Revolutionsgarden die religiöse paramilitärische Gruppe Basij mit mehr als 600.000 Mitgliedern. Sie entsenden ideologische Schlägertrupps gegen Proteste im Land, sodass sich die Sicherheitskräfte nicht die Hände schmutzig machen müssen.

Aber auch über die personellen Möglichkeiten hinaus wurden die Revolutionsgarden im Vergleich zur regulären iranischen Armee stets gestärkt. Sie erhalten die leistungsfähigsten Panzer, Kampfflugzeuge und Kriegsschiffe. Außerdem kontrollieren sie die meisten Kurz- und Mittelstreckenraketen.

Neben ihrer militärischen Stärke sicherten sie sich auch immer größere Kontrolle über Wirtschaft und Politik. Sie verwalten Medienunternehmen, Gas- und Ölfelder und Bauunternehmen.

Können die Mullahs die Revolutionsgarden noch kontrollieren?

Auf der militärischen Ebene verkörpern die Revolutionsgarden gleichzeitig Armee und Geheimdienst. Sie sind hoch spezialisiert auf asymmetrische Kriegsführung, Guerillakriege, Sabotage, Anschläge oder Entführungen.

Schon jetzt greifen die Revolutionsgarden kurdische Milizen im Irak an. Aber sollten die Proteste im Iran weitergehen, sind auch weitere Anschläge im Ausland denkbar. Im vergangenen Jahrzehnt waren sie etwa für Entführungen von Tankern im Persischen Golf verantwortlich – meist in Zeiten, in denen es Konflikte mit dem Westen gab.

Die religiöse Führung hat die Revolutionsgarden demnach zur mächtigsten Organisation des Iran gemacht. Könnte sich das für die Mullahs am Ende rächen?

In jedem Fall ist das Regime von seinen Elitetruppen in dieser angespannten Situation so abhängig wie nie zuvor. Das macht die Mullahs angreifbar und natürlich verfolgen auch die Führer der Revolutionsgarden Machtinteressen. Trotzdem dürfte klar sein: Die Revolutionsgarden sind Vertreter der gleichen Ideologie wie das aktuelle Regime im Iran. Sie hätten zwar durchaus die Macht, den Kopf der Schlange abzuschlagen. Aber momentan sehen sie wahrscheinlich keinen Grund dafür, da sie die gleiche ideologische Linie wie das Regime vertreten.

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Wohin die Proteste steuern, ist aber weiterhin unklar. "Es gibt genug einflussreiche Revolutionswächter, die dieser Theokratie ein Ende bereiten könnten", ist sich Islamwissenschaftlerin Amirpur sicher.

Doch selbst wenn sich die mächtigen Revolutionsgarden gegen die Mullahs wenden sollten, brächte das den Menschen im Iran wohl kaum mehr Freiheit. Im Gegenteil. Die Revolutionsgarden könnten eine islamistische Militärdiktatur errichten, der Iran dann ein noch repressiverer Terrorstaat werden. Die iranische Zivilbevölkerung hätte nichts gewonnen.

Verwendete Quellen
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