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Nahost-Konflikt | IGH-Urteil: "Gericht hat Signal an Israel gesendet"


Urteil des Internationalen Gerichtshofes
"Klares und starkes Signal an Israel"

  • Marianne Max
Von Marianne Max

26.01.2024Lesedauer: 4 Min.
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Israelische Soldaten (Archivbild): Israels Armee ist bestens ausgerüstet, oft musste sie das Land gegen Angriffe verteidigen.Vergrößern des Bildes
Israelische Soldaten (Archivbild): Israels Armee will die Terrororganisation Hamas im Gazastreifen bekämpfen. (Quelle: RONEN ZVULUN/Reuters)

In der Völkermord-Klage gegen Israel ist ein erstes Urteil gefallen. Was für Israels Ministerpräsident Netanjahu ein Rückschlag ist, ist für Südafrika ein Grund zum Feiern.

Es ist ein Dämpfer, den die israelischen Vertreter am frühen Freitagnachmittag im Gerichtssaal des Internationalen Gerichtshofes (IGH) kassierten: Zwar kam das UN-Gericht dem Eilantrag Südafrikas nicht nach, von Israel den sofortigen Stopp des Kampfes in Gaza zu verlangen – das höchste Gericht der Vereinten Nationen sieht sich jedoch für die Völkermord-Klage Südafrikas gegen Israel zuständig. Einer Bitte Israels, sie abzulehnen, wird es somit nicht nachkommen. Bis es ein Urteil gefällt hat, muss Israel im Kampf gegen die Terrororganisation Hamas zudem einen Katalog an Sofortmaßnahmen erfüllen, um die Zivilbevölkerung in Gaza zu schützen.

Es handelt sich um eine erste Entscheidung im Völkermord-Verfahren, das nun über die nächsten Monate oder sogar Jahre laufen wird. Südafrika hatte Ende Dezember Klage gegen Israel eingereicht. Das Land wirft Israel vor, gegen die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes zu verstoßen. Mit seiner Klage, so urteilten die Richter nun, komme Südafrika seiner Verantwortung als Unterzeichner der Konvention nach. Zudem hätten die Palästinenser im Gazastreifen ein Recht darauf, vor einem möglichen Genozid geschützt zu werden.

"Das Gericht hat mit seinem Urteil ein klares und starkes Signal an Israel gesendet", sagt Markus Krajewski, Professor für Völkerrecht an der Universität Erlangen-Nürnberg im Gespräch über die Entscheidung des UN-Gerichts zu t-online. "Es hat klargemacht, dass es einen Völkermord in Gaza zumindest nicht ausschließen kann, und Israel darum zu diesen Maßnahmen verpflichtet", so Krajewski. Völkerrechtsexperten hatten das Urteil, wie es der Internationale Gerichtshof nun gefällt hat, erwartet. Einige Nuancen in der Begründung der Richterinnen und Richter überraschten jedoch. Und auf Israel dürfte es den Druck erhöhen.

Berichte über humanitäre Katastrophe in Gaza

Anlass für die Klage Südafrikas ist die humanitäre Katastrophe im Gazastreifen. Nachdem die Terrororganisation Hamas am 7. Oktober nach Israel eingedrungen war, rund 1.200 Menschen getötet und etwa 250 Israelis als Geiseln genommen hatte, startete Israels Armee einen Kampf gegen die Terrororganisation in dem palästinensischen Gebiet. Dabei sind laut Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde bislang 26.083 Menschen getötet worden. 75 Prozent von ihnen seien Frauen, Kinder oder ältere Männer gewesen.

Unabhängig prüfen lassen sich die Zahlen nicht. Doch auch Hilfsorganisationen warnen seit Wochen etwa davor, dass in dem Gebiet eine Hungersnot drohe. Auch mehrten sich die Berichte von Medizinern, dass sie Operationen wie Kaiserschnitte teils ohne Narkose durchführen müssten.

Israel muss Sofortmaßnahmen ergreifen

Die Richterinnen und Richter des Internationalen Gerichtshofes erinnerten daher am Freitag daran, dass Israel sich an die Völkermordkonvention halten müsse. Auch erwähnte das UN-Gericht explizit, dass Israel dafür sorgen müsse, dass auch die Truppen der israelischen Armee im Gazastreifen nicht gegen die Völkermordkonvention verstießen. Mehr zu der Konvention lesen Sie hier.

"Zu den Verpflichtungen zählt auch die Verhütung und Bestrafung öffentlicher Aufforderungen, Völkermord zu begehen", sagt Astrid Reisinger Coracini, Völkerrechtsexpertin an der Universität Wien zu t-online. Öffentliche Äußerungen, die die palästinensische Zivilbevölkerung entmenschlichen oder dazu auffordern, sie zu töten, müsse Israel demnach strafrechtlich verfolgen.

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In den vergangenen Wochen war es in der israelischen Politik zu Streit über Aussagen einiger rechtsextremer Minister gekommen. So sagte etwa Kulturerbe-Minister Amichai Elijahu, es sei eine Option, eine Atombombe auf Gaza zu werfen. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu distanzierte sich daraufhin und schloss ihn vorerst von weiteren Kabinettssitzungen aus.

Zusätzlich soll Israel nun auf Anweisung des UN-Gerichts Maßnahmen ergreifen, um die humanitäre Lage der Zivilbevölkerung in Gaza zu verbessern. Zudem muss das Land dem Internationalen Gerichtshof darüber Bericht erstatten. Gleichzeitig forderte das UN-Gericht die sofortige Freilassung aller von der Hamas gefangen gehaltenen Geiseln.

Richter legten Fokus auf humanitäre Situation in Gaza

"Angesichts der ständigen Rechtsprechung hatte ich erwartet, dass der Internationale Gerichtshof Israel zu diesen vorsorglichen Maßnahmen verpflichten wird. Das wird den internationalen Druck auf Israel nochmals erhöhen", so Reisinger Coracini. Überraschend sei jedoch gewesen, dass der Gerichtshof das Leiden der Zivilbevölkerung in Gaza so umfassend beschrieben und ausdrücklich sowohl die Einhaltung des humanitären Völkerrechts durch alle Konfliktparteien als auch zur sofortigen Freilassung der Geiseln gefordert habe, "obwohl letzteres nicht unmittelbar in seine Zuständigkeit fällt", so Reisinger Coracini.

Das UN-Gericht sollte lediglich über den Eilantrag Südafrikas zur sofortigen Einstellung der Kampfhandlungen entscheiden sowie über die Bitte Israels, die Klage Südafrikas abzulehnen. Dass die Richterinnen und Richter die humanitäre Situation im Gazastreifen dennoch so stark betonten, fiel auch Völkerrechtsexperte Krajewski auf. "Auch war es überraschend, dass die Richter so hervorgehoben haben, dass Israel Sorge dafür tragen muss, dass nicht öffentlich zum Töten von Palästinensern aufgerufen wird", so der Experte. "Damit hat das Gericht nicht nur seine formalen Punkte abgearbeitet, sondern sie auch in einen klaren Kontext gesetzt."

"Israels Respekt für das internationale Recht ist unerschütterlich"

Die Entscheidung des UN-Gerichts ist für Israel eigentlich bindend. Die Richter haben aber kein Machtmittel, um diese auch durchzusetzen. In der Vergangenheit kam es daher vor, dass Länder, die durch das UN-Gericht verurteilt wurden, der Rechtsprechung nicht nachkamen. "Da sich Israel dem Völkerrecht und der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet fühlt, gehe ich davon aus, dass Israel der Aufforderung des Gerichts nachkommen wird", sagt Reisinger Coracini jedoch.

Zähneknirschende Äußerungen von Israels Ministerpräsident Netanjahu legen das nahe. Zwar verurteilte er die Völkermord-Klage gegen sein Land als "nicht nur falsch, sondern auch empörend", doch "Israels Respekt für das internationale Recht ist unerschütterlich", so Netanjahu. Zugleich machte er klar, dass sich Israel weiterhin "gegen die Hamas, eine völkermordende terroristische Organisation, zur Wehr setzen" werde. "Unser Krieg ist gegen Hamas-Terroristen, nicht gegen palästinensische Zivilisten", so Netanjahu.

Südafrika feiert die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs indes als "einen entscheidenden Sieg für die internationale Rechtsstaatlichkeit". Der Beschluss des höchsten Gerichts der Vereinten Nationen sei "ein bedeutender Meilenstein bei der Suche nach Gerechtigkeit für das palästinensische Volk", teilte das Außenministerium mit. Auch aus den Reihen der Länder, die Südafrika bei seiner Klage gegen Israel unterstützen, kam Jubel. Das mit der Hamas verbündete islamische Regime im Iran etwa feierte die Entscheidung des UN-Gerichts als "Erfolg". Auch die Palästinensische Autonomiebehörde bezeichnete das Urteil als "einen Weckruf für Israel" und seine Verbündeten.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Völkerrechtsexpertin Astrid Reisinger Coracini und Völkerrechtsexperte Markus Krajewski am 26. Januar 2024
  • Verfolgung der Urteilsverlesung des Internationalen Gerichtshofes am 26. Januar 2024
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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