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Israel vor UN-Gericht: Deutschland steht mit dem Rücken zur Wand


Israel vor dem Internationalen Gerichtshof
Deutschland steht fast alleine da

  • Marianne Max
Von Marianne Max

26.01.2024Lesedauer: 5 Min.
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Annalena Baerbock, Bundesaußenministerin (Archivbild): Sie warnt vor einer Militäroffensive in Rafah.Vergrößern des Bildes
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Archivbild): Die Bundesregierung hat sich klar gegen die Klage Südafrikas positioniert. (Quelle: Virginia Mayo/AP/dpa/dpa-bilder)

In der Anklage gegen Israel wird am Freitag eine erste Entscheidung des UN-Gerichts erwartet. Während Deutschland die Klage kritisiert, stehen viele Länder dahinter.

Schon am Freitag könnte die erste Entscheidung fallen: Der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag könnte Israel dazu auffordern, alle Kampfhandlungen im Gazastreifen einzustellen. Das hatte Südafrika in einem Eilantrag bei dem höchsten Gericht der Vereinten Nationen beantragt. Dieser ist Teil einer Klage Südafrikas gegen Israel. Das Land wirft der israelischen Regierung darin vor, einen Völkermord im Gazastreifen zu begehen. Die Hauptverhandlung über diesen Vorwurf könnte Jahre dauern, doch über die Einstellung der Kampfhandlungen in Gaza entscheidet das UN-Gericht auf Bitte Südafrikas in einem Eilverfahren. Mehr zu dem Prozess lesen Sie hier.

Die Bundesregierung wies den Vorwurf des Völkermords gegen Israel zurück. Man könne das Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen kritisieren, doch: "Israel Völkermord vorzuwerfen, ist eine Verdrehung von Opfern und Tätern", sagte etwa Wirtschaftsminister Robert Habeck. Die Terrororganisation Hamas hatte Israel am 7. Oktober vergangenen Jahres angegriffen und tötete dabei mehr als 1.200 Menschen. US-Außenminister Antony Blinken äußerte sich wie sein britischer Amtskollege David Cameron ähnlich.

Seit dem Terrorangriff der Hamas greift Israels Armee Strukturen der Terroristen im Gazastreifen an. Die Folge: Auch Tausende Zivilisten wurden getötet. Die humanitäre Lage für die palästinensische Zivilbevölkerung wird immer katastrophaler, das Welternährungsprogramm warnte zuletzt etwa vor einer drohenden Hungersnot. Auch fehlt es an medizinischer Versorgung für Verletzte, Alte, Kinder und Schwangere.

Mit ihrer Position stehen die USA, Großbritannien sowie die Bundesregierung daher zunehmend allein da, um nicht zu sagen: mit dem Rücken zur Wand. Zwar ist noch unklar, wie das UN-Gericht letztendlich urteilen wird, doch die Klage ist für internationale Beobachter ein Symbol: Südafrika fühlt sich traditionell den Palästinensern sehr verbunden und hat außerdem ein enges Bündnis mit Russland. Hinter der Klage Südafrikas versammeln sich nun viele weitere Länder.

Länder im Nahen und Mittleren Osten

Die Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) war eine der ersten, die Südafrikas Klage unterstützte. Der Zusammenschluss von 57 Ländern, darunter Iran, Irak, Saudi-Arabien, Katar und Ägypten beschuldigte Israel, "wahllose Angriffe" auf die Zivilbevölkerung im Gazastreifen auszuüben. Einigen Ländern des Zusammenschlusses kommt die Klage gegen Israel jedoch vor allem aus politischen Motiven gelegen.

  • Das islamische Regime im Iran unterstützt die Terrororganisationen, die seit dem 7. Oktober regelmäßig Angriffe auf Israel verüben, darunter die palästinensische Hamas, die libanesische Hisbollah und die Huthi-Rebellen im Jemen. Die Klage gegen Israel ist für die Führungselite in Teheran nun eine gute Gelegenheit, sich nach außen hin als Unterstützer der Palästinenser zu geben, während es bei seinen Anhängern weiter mit der angeblich nahenden Vernichtung Israels prahlen kann.
  • Ägypten war der erste arabische Staat, der Israel offiziell anerkannt hat. Bei der Belieferung der palästinensischen Bevölkerung arbeitet es, wenn auch nicht reibungslos, mit der israelischen Regierung zusammen. Für die humanitäre Lage im Gazastreifen macht Ägyptens Regierung jedoch Israel verantwortlich. Auch warf Ägyptens ehemaliger Außenminister Nabil Fahmy Deutschland und der USA zuletzt eine Doppelmoral vor. Das Land fürchtet zudem eine Überlastung durch mögliche weitere Geflüchtete. Nach Angaben des UNO-Flüchtlingshilfswerks beherbergt das Land schon jetzt mehr als 560.000 Schutzsuchende, etwa aus dem Bürgerkriegsland Jemen oder Syrien.
  • Saudi-Arabien ist in einer verzwickten Lage: Riad sieht sich traditionell als muslimische Führungsmacht. Das Land brach den Annäherungsversuch an Israel nach Angriff der Hamas am 7. Oktober zunächst ab, was Beobachter als vorläufigen Sieg für den mit Saudi-Arabien verfeindeten Iran werteten. Gleichzeitig unterstützt Saudi-Arabien die jemenitische Regierung im Kampf gegen die pro-iranischen Huthi-Rebellen, die immer wieder Angriffe auf Handelsschiffe im Roten Meer verüben.

    Im Gaza-Krieg sucht Saudi-Arabien ähnlich wie Ägypten nach einem diplomatischen Weg für Frieden im Nahen Osten und verlangt einen eigenen Staat für die Palästinenser. Die saudische Führung gilt momentan als wichtigster Partner des Westens, um die Lage am Golf zu befrieden. Die Bundesregierung sagte Saudi-Arabien, wohl auch darum, vor Kurzem erstmals seit Jahren wieder Waffenlieferungen zu. Mehr dazu lesen Sie hier.

Auch die Arabische Liga, der insgesamt 22 Staaten angehören, die größtenteils auch Mitglieder der OIC sind, unterstützt die Klage Südafrikas vor dem UN-Gericht. Weitere Staaten, die sich hinter den Vorwurf gestellt haben, sind Malaysia, Jordanien, Bolivien, die Malediven, Namibia, Pakistan, Kolumbien und Brasilien.

Erdoğan hat freie Bahn

Vom europäischen Kontinent hat sich bislang lediglich das Nato-Land Türkei hinter die Klage Südafrikas gestellt. Nach dem Terroranschlag am 7. Oktober brachte sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan als Vermittler ins Gespräch, doch auch durch die innenpolitische Stimmung im Land vollzog er eine Kehrtwende. So weiß er den Krieg in Nahost, wenn nicht außenpolitisch, zumindest innenpolitisch für sich zu nutzen: Ende März finden in der Türkei Kommunalwahlen statt und die Unterstützung für die Palästinenser in der türkischen Bevölkerung ist hoch.

Mit seiner AKP will Erdoğan mit seiner Anti-Israel-Haltung bei den Wahlen punkten. Öffentlichkeitswirksam schießt er daher immer wieder gegen Israel und Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu persönlich. So verglich er ihn etwa mit Hitler oder warf ihm vor, einen Völkermord in Gaza zu verüben.

Die türkisch-israelischen Beziehungen befinden sich dadurch an einem neuen Tiefpunkt. Doch abgesehen davon muss Erdoğan als Antwort auf seine scharfen Töne gegen Netanjahu derzeit nicht wirklich etwas fürchten, denn wenige Länder haben sich so klar gegen die Klage Südafrikas positioniert wie die Bundesregierung. Und die Türkei sieht sich – ähnlich wie Saudi-Arabien – als muslimische Führungsmacht in der Tradition des Osmanischen Reiches.

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Deutschland ohne Rückhalt

Die einzigen Nato-Partner, die sich dagegen öffentlich gegen den Völkermordvorwurf an Israel positioniert haben, sind neben der Bundesrepublik Tschechien, Großbritannien sowie die USA. Und auch von der Europäischen Union kann Israel derzeit keinen Rückhalt erwarten: Die EU hat einen Kommentar zu der Klage abgelehnt, weil es unter den Mitgliedsstaaten dazu keine gemeinsame Position gibt.

Indes erhöht auch die EU den Druck auf Israels Regierung, über die von vielen Israelis abgelehnte Zweistaatenlösung zu sprechen. Die deutsche Bundesregierung bleibt also mit ihrer Ablehnung der Völkermordklage Südafrikas so gut wie allein zurück. Auch weitere Großmächte wie China und Russland haben sich bislang nicht zu der Klage geäußert. Wladimir Putin und sein chinesischer Amtskollege Xi Jinping sehen den Gaza-Krieg als westliches Problem, sie schauen lediglich dabei zu, wie ihre Bündnispartner Iran oder auch Südafrika für Instabilität im westlichen Bündnis sorgen.

Mit dieser Strategie fahren die stillschweigenden Länder auf Sicht, denn die Urteile des IGH sind zwar politische Schwergewichte, jedoch rechtlich nicht bindend. Auch stehen dem IGH keine wirklichen Instrumente zur Verfügung, um eine Einhaltung seiner Urteile durchzusetzen.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der durch die Angehörigen der Geiseln innenpolitisch zunehmend unter Druck steht, hatte bereits angekündigt, dass er und die israelische Armee sich durch "nichts und niemanden" aufhalten lassen werde – auch durch das IGH in Den Haag nicht. Trotzdem sieht die israelische Führung mit Sorge, dass sie international an Rückhalt verliert. Auch in diesem Zusammenhang war das jüngste israelische Angebot für eine längere Waffenruhe zu werten, das die Hamas ablehnte. Lesen Sie hier mehr dazu.

Verwendete Quellen
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