"Tiefgraue Zone" Israel gegen Iran: Wer verteidigt sich gegen wen?

Israel rechtfertigt die Angriffe auf den Iran als "Präventivschlag". Laut Juristen hat diese Argumentation jedoch eine klare Schwachstelle.
Im Konflikt zwischen Israel und dem Iran berufen sich beide Seiten auf ihr Recht zur Selbstverteidigung. Israel bombardiert seit vergangenen Freitag Atomanlagen und militärische Einrichtungen im Iran und hat zahlreiche führende Kommandeure des iranischen Militärs getötet – erklärtes Ziel ist die Zerstörung des iranischen Atomprogramms. Israels Premier Netanjahu hat zudem angedeutet, dass ein "Regimewechsel" das Ergebnis der israelischen Angriffe sein könne. Der Iran reagiert mit Drohnen- und Raketenangriffen auf Israel.
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Grundsätzlich dürfen nach dem Völkerrecht andere Staaten nicht einfach so angegriffen werden. Das allgemeine Gewaltverbot ist im 2. Artikel der Charta der Vereinten Nationen festgelegt. Demnach haben die Mitgliedstaaten "jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete" Androhung oder Anwendung von Gewalt zu unterlassen.
Recht auf "kollektive Selbstverteidigung"
Das bedeutet aber nicht, dass sich die UN-Mitgliedsländer nicht verteidigen dürfen. Bei einem bewaffneten Angriff haben sie das Recht "zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung", wie es in Artikel 51 heißt, und zwar bis der Sicherheitsrat Maßnahmen "zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit" getroffen hat.
Auf dieses Recht beruft sich Israel. Verteidigungsminister Israel Katz spricht von einem "Präventivschlag" aufgrund des weit fortgeschrittenen iranischen Atomprogramms. Sogenannte präemptive Selbstverteidigung kann in besonderen Ausnahmefällen zulässig sein, wenn ein überwältigender Angriff unmittelbar bevorsteht, keine Zeit bleibt und es keine andere Möglichkeit gibt.
Experten: Bedrohung durch iranisches Atomprogramm zu abstrakt
Mehrere deutsche Juristen äußerten sich skeptisch und sehen die Voraussetzung nicht erfüllt. So sagte etwa Dominik Steiger von der Technischen Universität Dresden dem ZDF: "Hier war die Gefahr noch zu abstrakt, Israel hätte also nicht angreifen dürfen."
Kai Ambos von der Universität Göttingen sagte dem "Spiegel", ein präventiver Schlag sei nur dann gerechtfertigt, "wenn er gleichsam das letzte Fenster der Möglichkeit ist, einen Angriff zu verhindern". Doch selbst der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu habe gesagt, dass Iran noch Monate von einer nuklearen Kapazität entfernt sei.
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Im "Verfassungsblog" schrieb Mehrdad Payandeh von der Bucerius Law School in Hamburg: "Der Iran hat Israel nicht angegriffen, und selbst wenn man ein präemptives Selbstverteidigungsrecht anerkennt, setzte dieses einen unmittelbar bevorstehenden Angriff voraus, wofür auf der Grundlage der zur Verfügung stehenden Informationen keine Anhaltspunkte bestehen." Matthias Herdegen von der Universität Bonn sprach in einem Beitrag im Onlinedienst X von einer völkerrechtlich "tiefgrauen Zone".
Iran verstößt wohl gegen humanitäre Völkerrecht
Auch der Iran beruft sich auf sein Selbstverteidigungsrecht. Dabei müssen die Grundsätze des humanitären Völkerrechts beachtet werden. Die Zivilbevölkerung muss verschont werden, so sieht es das 1. Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen vor. Das gilt ebenso für zivile Objekte. Der Bochumer Völkerrechtler Pierre Thielbörger sagte der ARD, Ziel von iranischen Verteidigungsangriffen dürften nur militärische Ziele sein.
"Die Angriffe des Iran scheinen aber unterschiedslos zu sein, das heißt, sie scheinen sich gleichsam gegen zivile wie militärische Ziele zu richten", sagte er. In diesem Fall werde gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen. Die militärischen Reaktionen des Iran müssten "auch tatsächlich der Selbstverteidigung dienen", betonte auch Payandeh in seinem Beitrag. Vergeltungsmaßnahmen seien ebenso unzulässig wie Angriffe auf zivile Objekte und Zivilisten.
- Nachrichtenagentur AFP