Altersdiskussion in den USA Was, wenn Biden wirklich nicht mehr kann?
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Die Gesundheit und das Alter von Joe Biden gelten schon lange als ein verdrängtes Risiko für die Demokraten. Szenarien für den Ernstfall sind kaum vorhanden.
Bastian Brauns berichtet aus Washington.
Zu den eher unappetitlichen Seiten der politischen Auseinandersetzung in den USA gehörte vor einigen Wochen eine Aussage von Nikki Haley über Joe Biden. In einem Interview mit dem Sender Fox News sagte die Republikanerin und Präsidentschaftskandidatin aus South Carolina: "Ich denke, wir können alle ganz klar und sachlich sagen, wer für Joe Biden stimmt, rechnet in Wahrheit mit einer Präsidentin Harris. Denn ich glaube nicht, dass er das Alter von 86 Jahren packen wird." Es war die bislang unverblümteste Mutmaßung über ein mögliches baldiges Ableben von Joe Biden.
Nikki Haley war unter Donald Trump einst Amerikas Botschafterin bei den Vereinten Nationen in New York. Jetzt tritt sie gegen ihren einstigen Förderer an und will selbst Präsidentin werden. Damit das gelingt, müsste sie allerdings zuerst Trump bei den Vorwahlen der Republikaner im Jahr 2023 schlagen und anschließend 2024 gegen Joe Biden gewinnen.
Das scheint alles noch weit weg, aber Haley schießt schon jetzt scharf, indem sie sich kritisch zur Gesundheit und zum hohen Alter des Amtsinhabers äußert. Was nach Altersdiskriminierung klingen mag, ist in den USA allerdings längst Mehrheitsmeinung. Mehr als 60 Prozent der Amerikaner finden, Joe Biden sei zu alt für eine zweite Amtszeit.
Die Demokraten aber halten sich aus Angst, den eigenen Kandidaten zu beschädigen, mit ihrem eigenen Unmut zurück und setzen auf das Prinzip Hoffnung. Es ist eine Situation, die, wenn es keine Vorbereitungen für den Ernstfall gibt, schnell ziemlich heikel werden kann. Schließlich könnte sie nicht nur Joe Biden die Präsidentschaft kosten, sondern auch anderen Kandidaten der Demokraten den Weg ins Weiße Haus versperren.
Angst vor pietätlosen Fragen
Diese gerne verdrängte Realität bringt der neuerliche Sturz von Joe Biden auf seiner Rednerbühne in Colorado Springs wieder in die Schlagzeilen der Medien. Dabei scheint es egal zu sein, ob nun ein unglücklich platzierter Sandsack die Ursache war, Joe Bidens Tapsigkeit oder beides zusammen.
Was, wenn der US-Präsident doch "unfit for office", also gesundheitlich nicht mehr in der Lage sein sollte, sein Amt auszuführen? Was, wenn "Sleepy Joe", wie ihn seine Gegner gern verspotten, womöglich wirklich eines Tages nicht mehr aufwachen sollte?
Sich diesen Fragen zu stellen, ohne pietätlos zu werden, ist eine erkennbare Schwachstelle der Demokraten. Dabei besteht die Möglichkeit eines plötzlichen Todes theoretisch immer, mit steigendem Alter erst recht. Auch, als etwa Donald Trump während seiner Präsidentschaft an Covid-19 erkrankt war und ins Krankenhaus eingeliefert werden musste, wurden zahlreiche Artikel geschrieben über die Frage: "Was passiert, wenn der Präsident stirbt?"
Totalausfall Kamala Harris
Im Falle eines solchen Worst-Case-Szenarios wären die Folgen im Falle Joe Bidens für die Demokraten schon in der laufenden Amtszeit dramatisch. Als Vizepräsidentin müsste dann die bislang glücklose Kamala Harris als US-Präsidentin bis Ende der Amtszeit vereidigt werden. Das regelt der 25. Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung, in dem klar festgelegt ist, was passiert, wenn der Präsident stirbt, zurücktritt oder seines Amtes enthoben wird.
Ob Harris' schon lange erkennbare Schwächen dabei über Nacht verschwinden würden, gilt in Washington als fraglich. Ohne ausreichend erkennbaren Rückhalt in der eigenen Partei könnte eine Schlammschlacht folgen, die nicht nur Harris als Präsidentschaftskandidatin für 2024 beschädigen würde, sondern auch ihre möglichen Herausforderer und damit die Demokraten insgesamt.
Geschehe das Unfassbare mitten im kommenden Wahlkampf, wäre ein möglicher Ausfall von Joe Biden ebenfalls eine politische Katastrophe für die Demokraten. In der Partei ist inzwischen erkennbar alles einzig auf ihn als Präsidenten zugeschnitten. Die Spendenkampagnen sind längst angelaufen. Mögliche Alternativen bekommen bis auf wenig aussichtsreiche Kandidaten bislang keine Möglichkeit, auf sich aufmerksam oder sich in diesem großen Land überhaupt halbwegs bekannt zu machen.
Unvorbereitet oder in Lauerstellung?
Angesichts der realen Möglichkeit des Ablebens eines US-Präsidenten wirken die Demokraten derzeit zumindest offiziell extrem schlecht vorbereitet. Dabei haben die USA immerhin eine gewisse Erfahrung mit dem Tod ihrer Staatsoberhäupter gemacht: Insgesamt starben acht Präsidenten im Amt.
Der erste war William Henry Harrison im Jahr 1841. Der letzte war John F. Kennedy im Jahr 1963. Dessen damaliger Vizepräsident Lyndon B. Johnson schaffte anschließend sogar die eigene Wiederwahl. Es wurde sogar der höchste Sieg in der amerikanischen Geschichte, gemessen am Verhältnis der Stimmen.
Zu glauben, die Demokraten wären auf den Fall der Fälle allerdings vollkommen unvorbereitet, ist trotzdem unrealistisch. Denn in gewisser Weise gleicht das dröhnende Schweigen der Demokraten über Joe Bidens Alter jener Phase dieses Jahres, in der er seinen erneuten Willen zur Kandidatur noch nicht offiziell verkündet hatte.
Auch damals galt in den Teams der möglichen Alternativkandidaten wie dem kalifornischen Gouverneur Gavin Newsom oder der Gouverneurin aus Michigan, Gretchen Whitmer, stets das Motto: "be prepared", also "sei bereit". Eine solche Bereitschaft jedoch öffentlich auszubreiten, würde den 80-jährigen Joe Biden als Kandidaten aber nur beschädigen.
Sollte der Fall der Fälle wirklich eintreten und Joe Biden im Amt sterben, würden sich andere Kandidaten vorwagen. Und sollte bei den Republikanern am Ende wirklich der nur vier Jahre jüngere Donald Trump (76) antreten, hätten die Demokraten mit einer Person, die wahrscheinlich deutlich jünger wäre, einen Vorteil, der bislang bei ihren Gegnern liegt. Ein neues Gesicht bedeutet immer auch eine Chance.
Joe Biden bleibt ein Kämpfer
Wie sehr Joe Biden in Sachen Gesundheit allerdings ein Kämpfer ist, hat er schon mehrmals bewiesen. Zwei Operationen wegen eines Aneurysmas im Gehirn hat er in seinem Leben beispielsweise bereits hinter sich gebracht.
Um die großen Zweifel in der Bevölkerung zu zerstreuen, müsste der Präsident seine Fitness allerdings in Wahlkampfzeiten der Öffentlichkeit gezielt vorführen.
Vorfälle, wie der von Colorado Springs, endeten für Biden zwar bislang gesundheitlich glimpflich. Für seine Kampagne und die Partei bleiben sie eine große Hypothek.
- Eigene Beobachtungen und Recherchen