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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Tiefe Krise in den USA Trump droht und beleidigt
Die Armee kommt, um Los Angeles zu kontrollieren – und das soll laut Trump erst der Anfang sein. Was als Protest gegen die Abschiebekampagne des US-Präsidenten begann, eskaliert zu einer schweren innenpolitischen Krise Amerikas.
Bastian Brauns berichtet aus Los Angeles
Die Innenstadt von Los Angeles steht unter Militärkontrolle. Hunderte uniformierte Soldaten der Eliteeinheit der US-Marines sollen die Umgebung des großen Bundesgefängnisses, dem Metropolitan Detention Center, absichern. Mehr als 4.000 Nationalgardisten patrouillieren durch Kaliforniens größte Stadt und blockieren immer wieder Straßen. In mehreren Vierteln brannten in den vergangenen Stunden Autos, Läden wurden verwüstet und Journalisten wurden verletzt.
Die Bürgermeisterin von L.A., Karen Bass, spricht von einem gefährlichen "Experiment" des US-Präsidenten, um das ihn niemand in ihrer Stadt je gebeten habe. Donald Trump droht derweil offen damit, sie und seinen politischen Gegner, Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom, verhaften zu lassen. Der Demokrat wiederum warnt vor Donald Trump als einem Mann, der mit seiner Eskalation endgültig ein autoritäres Regime errichten wolle. "Wir müssen auf unsere Gerichte hoffen. Vielleicht ist das der letzte verbleibende Zweig der Gewaltenteilung", sagte Newsom.
Was als Reaktion auf die teils gewalttätigen Proteste gegen großangelegte Razzien der amerikanischen Abschiebehörde ICE (Immigration and Customs Enforcement) begann, hat sich in nur vier Tagen zu einer der gravierendsten innenpolitischen Krisen der jüngeren US-Geschichte ausgeweitet. Die rechtliche, politische und historische Dimension reicht weit über Kalifornien hinaus.
Los Angeles soll erst der Anfang sein
"Wir werden überall Truppen haben", sagte Trump zu seinen weiteren Plänen, die offenbar über Los Angeles hinausgehen sollen. "Wir lassen unser Land nicht zerstören." Überall, wo die ICE-Behörde mit harten polizeilichen Mitteln Migranten aus dem Land schaffen will und dabei auf Widerstand stößt, soll die Nationalgarde und im Zweifel das Militär die Aktionen schützen. Derweil haben sich Demonstranten auch in anderen Städten, wie New York, Boston oder Philadelphia, aus Solidarität versammelt.
Zwar betonte das Pentagon, dass die Marines keine Polizeiaufgaben übernehmen, was sie gesetzlich laut dem sogenannten Posse Comitatus Act auch nicht dürfen. Doch intern wird längst an Richtlinien gearbeitet, in welchen Fällen die Elitesoldaten eben doch Menschen festhalten dürfen. Zum Beispiel bei unmittelbarer Gefahr für Leib und Leben. Wann das gegeben ist, bleibt dann allerdings Auslegungssache.
Warnschüsse seien untersagt, Deeskalation sei das Ziel, heißt es in einem Schreiben des Verteidigungsministeriums. Aber die Grenze zwischen Deeskalation und Machtdemonstration wirkt in diesen Tagen zunehmend durchlässig.
Der politische Hintergrund: Trumps große Abschiebeagenda
Die Eskalation in Los Angeles ist kein Zufall, sondern das Ergebnis einer politischen Strategie, die Trump seinen Anhängern seit Monaten und Jahren versprochen hat: eine nationale Massenabschiebungskampagne. Der Präsident hatte schon im Wahlkampf angekündigt, "mehrere Millionen illegale Einwanderer" abschieben zu lassen. Dazu scheint ihm nun jedes Mittel recht, sogar der Einsatz des Militärs im Innern. Schon die Entsendung der Nationalgardisten, ohne Einverständnis des kalifornischen Gouverneurs, ist ein seit Jahrzehnten einmaliger Vorgang; die Armee einzusetzen, ist beispiellos.
Was sich nun in Los Angeles abspielt, so sagen es Kritiker des Präsidenten, sei ein kalkulierter Testlauf: Die Proteste gegen die ICE-Razzien werden als Argument genutzt, um mit aller Härte gegen politische Gegner und die Zivilgesellschaft vorzugehen. "Er hofft auf Chaos, um noch mehr Repression zu rechtfertigen", schrieb etwa Gouverneur Gavin Newsom. Das alles sei "eine sehr ernste Situation". Die Trump-Regierung hatte die Entsendung der Truppen kurzerhand veranlasst, ohne Rücksprache mit dem Gouverneur oder der Bürgermeisterin zu halten.
Newsom und Kaliforniens Generalstaatsanwalt Rob Bonta haben darum am Montag Klage gegen die Bundesregierung eingereicht. Der Vorwurf: Verfassungsbruch und Überschreitung präsidialer Kompetenzen. Bonta betonte, es gebe weder eine "Rebellion" noch eine "Invasion", die den Einsatz von Bundesstreitkräften rechtfertige. "Der Präsident versucht, Chaos für seine eigenen politischen Zwecke zu inszenieren", sagte Bonta. "Das stellt einen Missbrauch der Exekutivgewalt dar."
Zwischen Gummigeschossen, Gebeten und Tränengas
Währenddessen geht der Protest weiter, mit sehr unterschiedlichen Bildern. Vor dem Metropolitan Detention Center singen Geistliche gemeinsam mit friedlichen Demonstranten. In El Pueblo tanzen Menschen zu Musik mit mexikanischen Fahnen, die immer mehr zu einem Symbol der Widerstandsbewegung inmitten der USA werden.
Gleichzeitig meldet die Polizeibehörde von Los Angeles (LAPD) mehr als 600 eingesetzte Gummigeschosse, mehr als 50 Festnahmen, drei verletzte Polizisten und einen schwer verletzten Fotojournalisten, der sogar notoperiert werden musste. Eine australische TV-Journalistin wurde ebenfalls von einem Gummigeschoss der Polizei verletzt.
Am Montag wurde schließlich der prominente Gewerkschaftsführer David Huerta gegen Kaution freigelassen. Er war am Freitag bei einer Demonstration festgenommen worden. Ihm wird von Bundesanwälten eine "Verschwörung zur Behinderung von Bundesbeamten" vorgeworfen. Gerade die Festnahme von Huerta hatte landesweit Solidaritätskundgebungen ausgelöst.
Trump droht und beleidigt
Trumps Kommunikation ist derweil so offen aggressiv wie selten. Auf "Truth Social" beschimpfte er Gouverneur Gavin Newsom als "inkompetent" und nannte ihn "Newscum". Es ist sein Lieblingsspitzname für den Demokraten, der den Namen Newsom mit dem Wort "scum", also Abschaum verbindet. Trump ordnete eine Maßnahme an, wonach jeder, der sich maskiert, festgenommen werden soll. "Wenn sie spucken, schlagen wir zurück. Und das härter als jemals zuvor", drohte Trump den Demonstranten, die er als Rebellen bezeichnete.
Die Reaktionen auf Trumps Aussagen sind entsprechend scharf. Der Minderheitsführer im Senat, Chuck Schumer, bezeichnete den Militäreinsatz als "unnötige, provokative Ablenkung" von innenpolitischen Problemen wie Trumps Steuerplänen und dem jähen Bruch mit Elon Musk. Auch die frühere Vizepräsidentin Kamala Harris schaltete sich als Kalifornierin ein und nannte die Handlungen von Trump "eine gefährliche Eskalation, die darauf abzielt, Chaos zu provozieren". Die frühere US-Außenministerin Hillary Clinton behauptete, Trumps Ziel sei es, "Chaos zu verursachen, denn Chaos ist gut für Trump".
Kaliforniens Gouverneur bittet: "Bleibt friedlich"
In Los Angeles hat unterdessen eine weitere ungewisse Nacht begonnen. Hubschrauber kreisen über der Stadt, Polizeisirenen hallen durch die Straßenschluchten, während sich erneut Demonstranten versammeln, bislang vor allem friedlich. Beobachter, Politiker und Bewohner bangen, ob es wieder zu Ausschreitungen kommt.
Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom appellierte auf der Plattform X eindringlich an die Menschen: "Bleibt ruhig. Wendet niemals Gewalt an. Bleibt friedlich." Der Polizeichef von Los Angeles, Jim McDonnell, wurde deutlich: "Wir unterstützen das Recht auf friedlichen Protest. Aber wer Gewalt sucht, wer randaliert oder Beamte angreift, wird festgenommen."
Die kommenden Stunden und Tage entscheiden darüber, ob Los Angeles zur Ruhe kommen oder ob die Spirale aus Provokation, Eskalation und Repression sich weiter drehen wird. Trump, so scheint es derzeit, kann vor allem gewinnen. Kommt es zur Eskalation mit gewaltvollen Zusammenstößen, spielt ihm das in die Hände, weil er sich dann bestätigt fühlen kann. Bleibt es nun friedlich, kann er behaupten, dies sei eine Folge seiner Maßnahmen und ungehindert mit den intransparenten Massenabschiebungen fortfahren.
- Eigene Überlegungen und Beobachtungen
- apnews.com: "Live updates on the LA protests" (Englisch)
- wahingtonpost.com: "‘He’s waging a war on us’: As Trump escalates, Angelenos defend their city" (Eglisch)