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Asylstreit zwischen Merkel und Seehofer: Mehr Europa ist richtig


Deutscher Machtkampf
Weniger Europa ist falsch, mehr Europa ist richtig

MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

Aktualisiert am 18.06.2018Lesedauer: 4 Min.
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Angela Merkel und Horst Seehofer: In jeder Politiker-Generation gibt es menschenvernichtende Duelle.Vergrößern des Bildes
Angela Merkel und Horst Seehofer: In jeder Politiker-Generation gibt es menschenvernichtende Duelle. (Quelle: Markus Schreiber/ap)

Angela Merkel steht ziemlich allein gegen ihre Verächter rund um Seehofer und Söder. Drehen sie nicht bei, muss sie ihren Innenminister entlassen. Legt es die Münchner Kamarilla darauf an?

In den letzten Tagen habe ich mir Fotos angeschaut, die von Angela Merkel und Horst Seehofer geschossen wurden. Sie sprechen mit uns, sie erzählen eine Geschichte von Zorn, Kummer und Ratlosigkeit, vom Dauermangel an Schlaf und Erholung, vom Altern und von wenig Glück.

Es ist immer interessant, welche Momentaufnahmen die Zeitungen oder das Fernsehen von der Kanzlerin zeigen. Solange sie die mächtigste Frau der westlichen Welt war, sahen wir Fotos, die Vertrauen und Sicherheit vorführten: kontrolliert die Gesichtszüge, zuversichtlich der Blick, schmeichelhaft das Licht. Damit ist es seit der Wahl im September vorbei. In diesen Tagen sind ganz andere Fotos zu sehen.


Zum Beispiel dieses Foto: Angela Merkel schaut gequält hoch zu Horst Seehofer, sie scheint zu sagen: Meine Güte, du schon wieder, lass mich doch zufrieden, ich kanns nicht fassen, warum tue ich mir das überhaupt noch an? Ihr Blick: gequält und erschrocken, fast ängstlich, fast waidwund. Von Seehofer ist kaum das Profil zu erkennen. Ein älterer Herr, nach vorne gebeugt, das weiße Haar oben auf dem Kopf gelichtet. Er sieht so aus, als würde er leicht lächeln, süffisant, wie er fast immer lächelt. Er schaut auf sie herab, er behandelt sie von oben herab. Er redet, sie hört zu.

Schon Kohl war gut darin, körperliche Größe in Macht zu verhandeln.

Wer größer ist, hat einen Vorteil. Helmut Kohl war ein Weltmeister darin, körperliche Größe in Macht zu verhandeln. So schüchterte er ein, so stellte er ein Gefälle her, das kann etwas Gewaltsames haben.

Seehofer setzt seinen Körper ähnlich ein, wenn er im Stehen mit der Kanzlerin redet. Unvergessen der CSU-Parteitag, als er am Pult stand und über sie und ihre verfehlte Flüchtlingspolitik redete und sie stand neben ihm, musste ausharren und gute Miene zum bösen Spiel machen. Wie ein dummes Schulmädchen behandelte er sie, wie jemanden von geringer Bedeutung, der sich vom großen Staatsmann sagen lassen muss, wo es langgeht, was richtig ist und was falsch.

Niemals wird sie ihm das vergessen und die Gründe zur Vergebung nehmen täglich ab.

In jeder Politikergeneration gibt es solche menschenvernichtenden Duelle. Der Bundeskanzler Konrad Adenauer, der wie ein alter Indianer aussah, lästerte über den SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher, einen Schmerzensmann, dem der rechte Arm und das linke Bein amputiert worden waren. Respekt aus Mitleid kann die Schärfe in menschlichen Auseinandersetzungen mindern; die Politik kennt Rücksichtnahme so gut wie nie.

Dann Helmut Schmidt, der hochmütige Hanseat mit dem messerscharfen Verstand, und Franz Josef Strauß, der brodelnde Vulkan mit mangelhafter Selbstbeherrschung. Oder Gerhard Schröder, der immer auch ein Spieler war, und Oskar Lafontaine, der jesuitische Rechthaber, der davon rannte, als er nicht Recht bekam. Die Feindschaften unter Parteifreunden fallen am bittersten aus.

Merkels Kompromiss: Zeit schinden

Jetzt also Seehofer und Merkel, bayerische Ich-weiß-was-das-Volk-denkt-Verschlagenheit und Ich-warte-ab-was-sich-tut-und-entscheide-dann-Tücke. Die Kanzlerin hat im Laufe der Zeit Männer, die ihr gefährlich werden konnten, in Serie abserviert. Das geht in Phasen der Stärke und verleiht Macht. Seehofer aber stellt Ultimaten, weil die Kanzlerin nicht mehr mächtig ist, geschweige denn übermächtig.

In Machtkämpfen wird die Sache, um die es geht, schnell zur Nebensache. Die Lage an der Grenze zu Österreich ist momentan alles andere als dramatisch: Pro Monat kommen rund 150 Flüchtlinge in Passau an, von denen mehr als die Hälfte abgewiesen werden – das sind die Zahlen der Bundespolizei, die es wissen muss.

Die CSU verlangt nach einer nationalen Handhabe, die Flüchtlinge wegzuschicken, nach dem Vorbild von Österreich oder auch Frankreich. Die Kanzlerin will jetzt nicht erst in zwei Wochen, sondern schneller eine europäische Regelung anstreben. Das klingt nach einem Kompromiss, nach einem Merkel-Kompromiss: Zeit schinden.

Macht die CSU mit? "Ich kann mit der Frau nicht mehr arbeiten," soll Seehofer gesagt haben. Ich traue ihm den Satz zu, die Nerven flattern, die Wut übernimmt und Kontrollverlust ist die Folge. Der Satz ist auch hübsch symbolisch, denn natürlich ist es wichtig, dass hier ein klassisch-konservativer Macho-Mann gegen eine Frau steht, der er den Respekt verweigert. Da kann er schon mal vergessen, dass er nicht sie, aber sie sehr wohl ihn entlassen darf.

Wollen wir wirklich Neuwahlen riskieren?

Ich stehe aus zwei Gründen auf ihrer Seite: Weil sie, erstens, die Kanzlerin ist und Seehofer gegen sie putscht. Macht er damit heute weiter, kann sie gar nicht anders, als ihn seines Amtes zu entheben. Natürlich ist das keine gute Lösung, da sie dann geschwächt ist: durch wackeligen Rückhalt in ihrer Partei; durch die Meinungsumfragen zur Flüchtlingspolitik; durch die AfD; durch den Überdruss an 13 Jahren Merkel. Die noch schlechtere Lösung wäre es aber, den putschenden Seehofer nicht anzutasten, weil sie sich dann um den Rest ihrer Autorität brächte.

Der zweite Grund ist Europa. Europa leidet eh schon unter der Renationalisierung in einigen Ländern. Es gibt nur Emmanuel Macron und Angela Merkel, die Europa fortentwickeln wollen. In einer Welt, in der Amerika sich vom Atlantik abgewendet und dem Indischen Ozean zugewendet hat, ist es bitter nötig darüber nachzudenken, welche Rolle Europa im Zweikampf zwischen Amerika und China einnehmen sollte und einnehmen kann. Weniger Europa ist falsch, mehr Europa ist richtig. In dieser Perspektive ist Angela Merkel die verantwortungsbewusste Kanzlerin, die sowohl die politischen als auch die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands am besten vertritt.

So reduziert sich der Machtkampf auf die Frage: Wollen wir wirklich, dass die Kanzlerin zurücktritt und wollen wir wirklich Neuwahlen nach noch nicht einmal 100 Tagen Regierung? Wollen wir wirklich, dass diese Klein-Macchiavellis in München und Berlin machen können, was sie wollen? Clowns regieren neuerdings Italien. Sollen Clowns auch Deutschland regieren, dem es ökonomisch gut geht, obwohl Unverantwortlichkeit in der Autoindustrie oder den Banken schon genügend Schaden angerichtet haben?

Oft ist ein Wochenende hilfreich. Man kann länger schlafen, man kann abschalten, nicht ganz, schon wahr, aber so viel man will, man muss nicht jeden Anruf annehmen, man kann Dampf ablassen und sich besinnen. Dann besinnt euch mal schön, liebe CSU.

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