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Machtkampf um Venezuela – ein idealtypischer Stellvertreterkonflikt


Der Umbruch
Kampf um Venezuela – ein idealtypischer Stellvertreterkonflikt

  • Gerhad Spörl
MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

Aktualisiert am 04.02.2019Lesedauer: 5 Min.
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Junge Menschen demonstrieren in Venezuela gegen die Regierung: Die Chancen für Gegenpräsident Guaidó und seine Anhänger sind gut, meint Kolumnist Gerhard Spörl.Vergrößern des Bildes
Junge Menschen demonstrieren in Venezuela gegen die Regierung: Die Chancen für Gegenpräsident Guaidó und seine Anhänger sind gut, meint Kolumnist Gerhard Spörl. (Quelle: Rodrigo Abd/ap-bilder)

Die Chancen für die Opposition stehen gut, auch wenn das waidwunde Regime zu vielem fähig bleibt. Zugleich ist der Machtkampf ein Stellvertreterkrieg mit China und Russland hier und Amerika dort.

Wenn Menschen zu Zehntausenden auf die Straße gehen und gegen den schwach gewordenen starken Mann demonstrieren, wenn sie vereint nach Demokratie und Freiheit rufen und eine Diktatur abschütteln wollen, haben sie unsere Sympathie, das versteht sich von selber. Wir hoffen darauf, dass es gut geht, dass die Sondertruppen und das Militär kein Blutbad verursachen, dass der Bürgerkrieg ausbleibt. Das alte Regime soll abtreten und dann darf das Neue beginnen, auch wenn wir nicht genau wissen, wie das aussehen wird.

In Venezuela tritt am 23. Januar ein nicht besonders bekannter junger Mann hervor und ernennt sich zum Gegenpräsidenten. Das darf er nach der Verfassung, sagt Juan Guaidó, denn er war gerade zum Präsidenten des Parlamentes gewählt worden und da es keinen Staatspräsidenten gibt, wie er behauptet, ist er es eben. Er ist 35 Jahre alt, Bauingenieur und traut sich was zu. Mehr wissen wir noch nicht über ihn.

Das Eindrucksvollste: sein Schnauzbart

Natürlich gibt es einen Präsidenten, der Nicolás Maduro heißt, im Mai 2018 wiedergewählt wurde, unter den üblichen betrügerischen Begleiterscheinungen. Um das renitente Parlament zu umgehen, berief er eine gefügige Nationalversammlung, das hat Tradition in Venezuela, das machte Hugo Chávez vor: Ich baue mir mein eigenes Haus, wenn ihr nicht macht, was ich will, und ihr könnt sehen, wo ihr bleibt. Maduro ist 56 Jahre alt, gelernter Busfahrer, das Eindrucksvollste an ihm ist sein Schnauzbart. Ihn salbte Chávez vor seinem Tod zum Nachfolger.

Somit ist die Bühne bereitet für einen klassischen Machtkampf. Zwei Präsidenten und zwei Parlamente stehen einander gegenüber. Die geballte Staatsmacht aus Polizei, Sondereinheiten und Militär hat es mit der moralischen Macht der Straße zu tun.

Jeder der beiden Präsidenten hat seine Gönner im Ausland. Maduro kann sich auf China und Russland verlassen. Guaidó haben die USA, Kanada und die Europäische Union sofort anerkannt. Damit ist aus dem internen Konflikt ein externer geworden oder, genauer gesagt, ein idealtypischer Stellvertreterkrieg, den der Osten und der Westen aus ureigenen Interessen gegeneinander eingehen.

Großmächte verschärfen ein kompliziertes Problem

Der Osten möchte, dass sich nichts verändert, weder in Kuba noch in Venezuela, den beiden sozialistischen Inseln weit weg. Der Westen, voran Amerika, will dringend, dass sich etwas verändert. Weder Kuba noch Venezuela können aus eigener Kraft existieren, das ist das Problem des Ostens und die Chance für den Westen.

Die Großmächte verschärfen ein kompliziertes Problem. Kaum anzunehmen, dass der Osten Venezuela aufgibt oder Maduro rasch das Weite sucht und das Land Guaidó überlässt, damit der eine Übergangsregierung bilden kann und Neuwahlen ausruft, was er will, wie er sagt und in der "New York Times" schreibt.

Umbrüche sind so: Es kann schnell gehen, weil das alte Regime moribund ist und der Herrscher eine Pflaume. Maduro ist nicht im Entferntesten so charismatisch oder so besessen von seiner Sache wie der große Hugo. Seit gestern faselt er von einem Bürgerkrieg gegen den Büttel des Westens, womit er Guaidó meint.

Es kann lange dauern

Es kann aber auch länger dauern, wenn sich die Sicherheitskräfte (Militär, Nationalgarde, Polizeiführung, Sondereinheiten) nicht bald in Scharen auf die Seite der Opposition schlagen. Der Opportunismus dieser Säulen des Regimes lässt normalerweise nichts zu wünschen übrig. Sobald sie mehr zu verlieren als zu gewinnen haben, laufen sie über. Ein Zwei-Sterne-General hat den Anfang gemacht. Mal schauen, wie viele ihm folgen.

Genauso gut kann aber auch der Schwung des schönen Anfangs verpuffen, wenn der neue junge Anführer nicht an Boden gewinnt und die Demonstrationen abebben. Jeder Euphorie wohnt die Enttäuschung inne, wenn es nicht schnell so kommt wie erhofft. Das kennen wir aus Ägypten genauso gut wie aus der Ukraine.

Venezuela ist eigentlich ein reiches Land. Reich an Öl. Am 31. Juli 1914, als in Europa der erste große Krieg des 20. Jahrhunderts anfing, sprudelte erstmals Öl aus einem 135 Meter tiefen Loch neben dem Maracaibo-See, 264 Barrel am Tag. 20 Jahre später, Venezuela exportierte immer mehr Öl, war der Bolívar eine der stärksten Währungen der Welt. Öl war Gold. Was waren dagegen schon Kaffee und Kakao, die anderen Exportschlager. Landwirtschaft war von gestern. Die Landwirtschaft in Venezuela lag bald brach.

Wenn die Monopolwirtschaft zum Problem wird

Das Heute hat sich aus diesem Damals folgerichtig entwickelt. Venezuela besitzt die ergiebigsten Vorkommen weltweit und exportiert Öl. Mit den Einkünften finanziert es den Sozialismus, den Chávez vor 20 Jahren aufbaute. Große Einkünfte bergen große Möglichkeiten. Geringe Einkünfte bedeuten Unruhen. Ganz wenige Einkünfte unterhöhlen das System und sorgen für den Wunsch, es los zu werden.

Monopolwirtschaft ist kein Problem, solange die Preise auf dem Weltmarkt stimmen. Monopolwirtschaft ist ein Fluch, wenn die Preise nicht stimmen. Seit 2013 sind sie nicht mehr hochgeklettert und seither steckt Venezuela in einer tiefen Krise. Nichts geht mehr, es fehlt an allem, an Nahrungsmitteln und Medizin und an Klopapier, ja daran auch – es fehlt einfach an allem. Leere Läden, hungrige Mägen. Zu haben ist natürlich alles: auf dem Schwarzmarkt, zu absurden Preisen, versteht sich.

China und Russland nehmen Venezuela Öl ab. An China bezahlt es damit seine Kredite ab, die sich auf rund 50 Milliarden Dollar belaufen. An Russland bezahlt Venezuela mit seinem Öl für Waffenlieferungen. Das Land bekommt also kein Geld für einen größeren Teil seiner Exporte.

Devisen flossen in Mengen bislang aus den Vereinigten Staaten für das Rohöl, das dort raffiniert wurde. Venezuela ist der drittgrößte Lieferant an die Weltmacht des Bösen, wie Maduro sagt. Seitdem Donald Trump Sanktionen verhängte, versiegt der Export. Den Verlust für Venezuela schätzen Experten auf 11 Milliarden Dollar pro Jahr. Normalerweise ist das der Todesstoß für ein erschöpftes Regime. Die Inflationsrate liegt jetzt schon bei unfassbaren 1.000 Prozent.

Gold ausfliegen – eine Verzweiflungstat

In den letzten Tagen flog Maduro angeblich Gold an den Golf und nach Moskau, um es in Devisen zu tauschen. Das wäre eine Verzweiflungstat, wenn auch konsequent, weil es an Alternativen mangelt. Aber niemand weiß genau, ob die Maschinen wirklich mit den Barren abhoben oder ob interessierte Kreise nur wilde Gerüchte streuen. Fake News sind die tückischste Propaganda in unübersichtlichen Zeiten. Das gilt für beide Seiten.

In Umbrüchen ist es immer gut, wenn eine neutrale Instanz sich als Vermittler anbietet. Kanada ist fast automatisch ein Kandidat, hat aber Partei ergriffen, indem es Guiadó als Präsident anerkannte. Die Europäische Union spielt auch gerne den ehrlichen Makler, hat sich aber ebenfalls voreilig um die Rolle gebracht. Warum eigentlich? Wem ist damit geholfen? So bleibt nur Mexiko als Organisator für Gespräche.

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Venezuela ist heute ein armes, trauriges, verzweifeltes Land. Drei Millionen Menschen sind schon ins Ausland geflohen, 10 Prozent der Bevölkerung. 27 Millionen Menschen fehlt es am Einfachsten. Der Sozialismus für das 21. Jahrhundert, den Hugo Chavéz ausrief, ist unter seinem Nachfolger zum abschreckenden Beispiel geraten. Kein Wunder, dass sich die Straßen mit Demonstranten füllen, die nur eines wollen: Maduro weg, Hungersozialismus weg.


Was das Regime nicht kann, wissen wir zur Genüge. Was die Opposition kann, wissen wir nicht, aber ihre Chance hat sie sich verdient.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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