Macht Biden eine Kennedy zur Top-Diplomatin in Berlin?
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Seit einem Jahr gibt es in Deutschland keinen offiziellen US-Botschafter mehr. Doch nun kommt Bewegung in die wichtigste diplomatische Personalie. Es zeichnet sich eine Γberraschung ab.
Γber eine Frage wird in Berlin seit Monaten gerΓ€tselt: Wen betraut US-PrΓ€sident Joe Biden mit dem begehrten und einflussreichen Botschafterposten in Berlin?
Denn schon seit mehr als einem Jahr muss die US-Vertretung am Pariser Platz, gleich neben dem Brandenburger Tor, ohne Botschafter auskommen. Angesichts der Bedeutung des Postens ist das kein guter Zustand. Der vom ehemaligen US-PrΓ€sidenten Donald Trump eingesetzte Richard Grenell trat im Juni 2020 nach gerade einmal zwei Jahren im Amt als ranghΓΆchster Diplomat in Berlin zurΓΌck. Trump hatte zwar noch vor, Douglas Macgregor als Nachfolger zu nominieren, doch zur Abstimmung ΓΌber den umstrittenen Kandidaten ist es im US-Senat nie gekommen.
Seither leitete die Nummer zwei die US-Botschaft: Robin Quinville ist als Gesandte schon seit 2018 als ranghΓΆchste diplomatische Beamtin am Berliner Standort tΓ€tig. Seit 2020 ist Quinville die sogenannte "GeschΓ€ftstrΓ€gerin" und wird in Berliner Diplomatenkreisen hochgeschΓ€tzt. Wer sich nach ihr erkundigt, hΓΆrt, egal ob von Briten, Deutschen oder Franzosen meistens den Satz: "Robin macht einen exzellenten Job". KΓΆnnte Joe Biden sie dann nicht einfach zur offiziellen Botschafterin ernennen?
Theoretisch schon. Praktisch aber wird der Job in Berlin traditionell meist politisch besetzt und eben nicht mit Berufsdiplomaten. Quinville wird die Hauptstadt deshalb im Juli turnusgemÀà verlassen und eine andere Aufgabe wahrnehmen.
Nach Informationen von t-online wird ihr im Amt als Gesandter Woodward Clark Price nachfolgen. Er war schon 2016 an der US-Botschaft in Berlin tΓ€tig und arbeitete bis jetzt als Direktor fΓΌr europΓ€ische und eurasische Angelegenheiten im US-AuΓenministerium. FrΓΌher arbeitete er in der Russland-Abteilung des Nationalen Sicherheitsrates. Price soll im Juli die GeschΓ€fte in der US-Botschaft ΓΌbernehmen, ist aber als Berufsdiplomat ebenfalls die Nummer zwei.
Die Suche nach Mr oder Mrs X
Wer aber wird die vom US-PrΓ€sidenten vorgeschlagene und schlieΓlich vom US-Senat zu bestΓ€tigende Nummer eins? In Berliner Regierungskreisen war man bislang weitgehend ratlos bis ahnungslos. Aus US-Diplomatenkreisen erfuhr t-online nun jedoch, dass zwei vielversprechende Kandidatinnen auf der Liste stehen sollen.
Γber die ehemalige Demokratische US-Senatorin von Missouri Claire McCaskill heiΓt es: "She's on the list for Berlin". Dass mit ihr eine Frau im GesprΓ€ch ist, dΓΌrfte kein Zufall sein. "Es kann sehr gut mΓΆglich sein, dass es erstmals eine Frau wird. DiversitΓ€t ist dem jetzigen PrΓ€sidenten sehr wichtig", sagt James Bindenagel, der unter Kanzler Helmut Kohl als geschΓ€ftsfΓΌhrender US-Botschafter in Bonn arbeitete. Schon bei der Aufstellung seines Kabinetts hatte Biden nicht nur auf Expertise, sondern auch auf Geschlecht und Herkunft geachtet. Und mit DiversitΓ€t sieht es bei den US-Diplomaten eher dΓΌrftig aus. So gibt es gerade mal eine Handvoll afroamerikanischer Botschafter.
Γber Claire McCaskill hatte schon Ende Mai die US-Nachrichtenwebseite "Axios" berichtet, dass sie von Joe Biden fΓΌr einen der begehrten Botschafterposten in Westeuropa vorgesehen sein soll. Auch in der Schweiz gilt sie als mΓΆgliche neue Botschafterin. Weil sie aber als scharfe Kritikerin der GeschΓ€ftspraktiken von Schweizer Banken im Zusammenhang mit Offshore-Steuerparadiesen gilt, wΓ€re ihre Anwesenheit in Bern zumindest brisant. Γber Berlin Γ€uΓerte sich McCaskill im vergangenen Sommer sehr positiv. Als nach dem gewaltsamen Tod George Floyds durch US-Polizisten Proteste am Berliner Alexanderplatz stattfanden, schrieb sie: "Wow. Unsere VerbΓΌndeten. In so vielen Belangen."
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Die andere Kandidatin, ΓΌber die in Berlin mit gewissem Promi-Eifer gesprochen wird, ist Victoria Anne "Vicki" Kennedy. Die Witwe von Ted Kennedy, dem Bruder des Ex-PrΓ€sidenten John F. Kennedy, soll ebenfalls "on the list" fΓΌr eine westeuropΓ€ische Hauptstadt sein. Gut mΓΆglich, dass der US-PrΓ€sident sie auch fΓΌr Deutschland vorsieht. Joe Biden kennt ihren verstorbenen Mann noch gut aus seiner Zeit als US-Senator und schΓ€tzt "Vicki". Auch Ex-PrΓ€sident Barack Obama ist ein Fan von ihr, bezeichnete sie als "groΓartige Frau". Sollte sie wirklich die neue US-Botschafterin werden, wΓΌrde zum zweiten Mal in der Geschichte ein Mitglied des Kennedy-Clans sagen kΓΆnnen: Ich bin ein(e) Berliner(in).
Doch es bleibt spannend. Ein Blick auf die Listen der grΓΆΓten Spender im Biden-Wahlkampf verrΓ€t, dass da noch einige, auch mΓ€nnliche Kandidaten, infrage kommen kΓΆnnten. Dass aber jemand wie etwa der GrΓΌnder des Karrierenetzwerks Linkedin, Reid Hoffman, jetzt gerne nach Berlin wechseln wΓΌrde, gilt als ausgeschlossen.
Zumal bereits recht viele Namen im GesprΓ€ch waren. Etwa Karen Donfried, die PrΓ€sidentin der US-Stiftung des "German Marshall Fund". Sie spricht flieΓend Deutsch, war unter anderem Sonderassistentin von US-PrΓ€sident Barack Obama im Nationalen Sicherheitsrat und Seniorchefin fΓΌr EuropΓ€ische Angelegenheiten. Mitte April aber hatte sich die mΓΆgliche Personalie fΓΌr Berlin erledigt. Joe Biden bedachte Donfried mit dem Posten einer stellvertretenden Staatsministerin im US-AuΓenministerium. "Sie wΓ€re von allen mit Kusshand begrΓΌΓt worden", sagt einer in Berlin, der die US-Diplomatie seit Jahren gut kennt.
Warum dauert es so lange?
Als eine andere mΓΆgliche Kandidatin galt lange Zeit auch Julianne "Julie" Smith. Auch sie arbeitete schon viel zu Europa und den transatlantischen Beziehungen. Von 2012 bis 2013 war sie die stellvertretende nationale Sicherheitsberaterin des damaligen VizeprΓ€sidenten Joe Biden. Smith gilt als sehr gut vernetzt in Deutschland und Europa. Im Juni aber nominierte Biden sie als kΓΌnftige US-Botschafterin bei der Nato. James Bindenagel sagte t-online: "Julie ist auf dem Nato-Posten genau richtig."
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Die einen Personalien haben sich also inzwischen erledigt, nun gibt es eben neue Spekulationen. Aber wann wird der Berliner Botschaftsposten endlich vergeben, und warum dauert das so lange? Will Joe Biden warten, bis er weiΓ, welche Partei die Bundestagswahl gewonnen hat und zu wem die Person am besten passt? "Die Bundestagswahl spielt wahrscheinlich keine so groΓe Rolle", sagt James Bindenagel. Die Amerikaner sΓ€hen keine so entscheidenden Unterschiede zwischen den Parteien, was die Beziehungen zu Amerika angeht. "Die letzten Koalitionsverhandlungen dauerten auΓerdem viele Monate. So lange wartet man ganz sicherlich nichtβ, so Bindenagel.
Im Grunde sei das derzeitige Warten ein ganz normaler Vorgang, sagt der ehemalige Botschafter. "Erst besetzt der PrΓ€sident sein Kabinett, dann die StaatssekretΓ€re, dann die stellvertretenden StaatssekretΓ€re. Erst dann kommen die Botschafter und Diplomaten." Dennoch: Das von Joe Biden gepflegte Mantra "America is back" gilt offensichtlich noch nicht fΓΌr die nach wie vor Hunderten vakanten Stellen rund um die Welt. Die US-Diplomatie jedenfalls ist lΓ€ngst noch nicht in voller StΓ€rke zurΓΌck.
In den kommenden Wochen, vielleicht sogar Tagen, dΓΌrfte es aber so weit sein. Inzwischen gibt das WeiΓe Haus wΓΆchentlich immer mehr Nominierungen von Diplomatenjobs bekannt, bislang vor allem fΓΌr Staaten auΓerhalb Europas. Mehr als 250 Auslandsvertretungen mΓΌssen von der Biden-Regierung neu besetzt werden.
Bald ist schon Herbst
Nach einem Regierungswechsel in den USA ist es ΓΌblich, dass 70 Prozent der Posten an Berufsdiplomaten gehen. 30 Prozent der Botschafterpositionen werden normalerweise mit Leuten besetzt, die mit dem US-PrΓ€sidenten verbunden sind, ob freundschaftlich oder als generΓΆse Spender. Gerade fΓΌr die begehrten Posten, zu denen auch Berlin zΓ€hlt, mΓΌssten aber durchaus ein paar Millionen US-Dollar fΓΌr den Wahlkampf gespendet worden sein, verrΓ€t ein US-Diplomatie-Insider t-online. "Das ist wie eine inoffizielle BΓΆrse, die natΓΌrlich nie verΓΆffentlicht wird. Aber allen ist klar: Mit 500.000 Dollar bekommen Sie vielleicht Belgien, aber nicht Deutschland."
Es gehΓΆrt zur internationalen Diplomatie-Gepflogenheit, dass der "Entsendestaat" dem "Empfangsstaat" seinen Vorschlag unterbreitet, um das "AgrΓ©ment" einzuholen, also die vΓΆlkerrechtliche Zustimmung, bevor eine Nominierung offiziell bekannt gegeben wird.
Seit klar ist, dass Joe Biden die Bundeskanzlerin am 15. Juli im WeiΓen Haus in Washington, D.C. empfangen wird, scheint zuletzt Bewegung in die wichtige Personalie fΓΌr Berlin zu kommen. "Es ist gut mΓΆglich, dass der PrΓ€sident bei Angela Merkels Besuch in Washington Mitte Juli den Kandidaten vorschlΓ€gt", sagt James Bindenagel. Es kΓΆnne aber auch sein, "dass die US-Regierung schon vorher an die Bundesregierung kommuniziert, damit die Person dann schon bei dem Treffen mit Angela Merkel dabei sein kann." TatsΓ€chlich kΓΆnnte auch AuΓenminister Antony Blinken, der in dieser Woche zur Libyen-Konferenz in Berlin erwartet wird, den Vorschlag ΓΌberbringen.
Wann zieht der Botschafter oder die Botschafterin endgΓΌltig nach Berlin? Wird die US-Nominierung fΓΌr Berlin nicht vor dem 4. Juli offiziell bekannt gegeben, muss Berlin noch bis in den Herbst auf den neuen Botschafter oder die neue Botschafterin warten. Denn bestΓ€tigt werden muss die Personalie vom US-Senat mit einfacher Mehrheit. Ab 4. Juli beginnt die bis September andauernde Sommerpause im politischen Washington. Es dΓΌrfte also knapp werden.
Wahrscheinlich heiΓt es deshalb fΓΌr Berlin: "Wake me up when September ends".
- Eigene Recherchen
- HintergrundgesprΓ€che
- Telefon-Interview mit James D. Bindenagel
- Aargauer Zeitung: Scharfe Kritikerin von UBS & Co.
- Axios: Biden eyes Claire McCaskill for plum Europe ambassadorship (Englisch)
- Tagesspiegel: Robin Quinville wird neue Chefin der US-Botschaft
- Welt: Der Abschied von Ted Kennedy
- American Foreign Service Association: Appointments Joseph R. Biden (Englisch)
- The White House: President Biden Announces His Intent to Nominate Nine More Individuals to Serve as Ambassadors (Englisch)
- CNN: Jewish advocacy groups slam Trump's pick for German ambassador for bigoted comments (Englisch)