t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikBundestagswahl 2025

FDP-Wahlkampf in Vorpommern: So will die Partei Wähler gewinnen


FDP-Wahlkampf in Ostdeutschland
Von Schaumtorten und Zahnarztterminen


26.01.2025Lesedauer: 6 Min.
urn:newsml:dpa.com:20090101:250109-911-008210Vergrößern des Bildes
Christian Lindner: Bei einem Auftritt in Greifswald wurde der FDP-Chef mit einer Schaumtorte angegriffen. (Quelle: Stefan Sauer/dpa)
News folgen

Die FDP steht unter Druck, bangt um den Wiedereinzug in den Bundestag. Wie will sie das ändern? Ein Besuch beim Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern.

Eine ältere Frau läuft über den Marktplatz der vorpommerschen Kreisstadt Anklam. Heute ist Mittwoch, Markttag. Sie will ein paar Einkäufe erledigen. Da kommt von der Seite ein groß gewachsener, blonder Mann direkt auf sie zu, spricht sie an: "Christian Bartelt, ich bin Ihr Bundestagsabgeordneter und Zahnarzt in Spantekow." Die Frau stoppt abrupt, schaut dem Fremden ins Gesicht und fragt: "Ah ja?"

Loading...

"Genau, wählen Sie doch am 23. Februar die FDP", antwortet Bartelt und reicht der Frau einen Flyer. Die Rentnerin schaut kurz auf das Papier, dann auf Bartelt. "Warum nicht?", sagt sie und ist schon im Begriff, weiterzugehen, da bleibt sie noch einmal stehen: "Nehmen Sie noch Patienten an?" Bartelt kennt diese Frage bereits: "Na klar, rufen Sie einfach an." Die Frau nickt, dreht sich um und geht in Richtung Marktplatz, um ihren Einkauf fortzusetzen. Über Politik will sie mit Bartelt nicht sprechen.

Loading...
Symbolbild für eingebettete Inhalte

Embed

Es ist Winterwahlkampf in Deutschland, einer der kürzesten in der Geschichte der Bundesrepublik. Wahlkämpfer stellt das vor besondere Herausforderungen. Die der Ampelparteien ganz besonders. Denn nie zuvor war eine Regierung so unbeliebt wie die im November zerbrochene Dreierkoalition.

Die FDP steht in Umfragen bei vier Prozent, bangt um ihren Einzug ins Parlament. Vor allem die Diskussionen um ihr sogenanntes D-Day-Papier, in dem die Partei niederschrieb, wie sie die Regierung sprengen wollte, haben sie Vertrauen und Ansehen gekostet. Im Osten hat es die Partei zudem traditionell schwer. Von der Politik der FDP will fast niemand etwas wissen. Wie soll so der Wiedereinzug in den Bundestag gelingen?

Viel Sympathie, weniger Politik

Es ist kalt an diesem Januarmorgen, der Schnee und Wind der vergangenen Tage sind zwar weg, aber draußen hat es nur vier Grad. Etwas verfroren steht Bartelt am Stand des FDP-Kreisverbandes Ostvorpommern. Der 48-Jährige trägt einen karierten Mantel, darunter erkennt man eine gelbe Fleecejacke. Er geht auf einen Mann mit Fahrrad zu, der am Wahlstand vorbeiläuft und flüchtig in Richtung des halben Dutzends FDP-Wahlkämpfer schaut. "Wissen Sie schon, wen Sie wählen?", fragt der Bundestagsabgeordnete. "Falls nicht, wählen Sie doch FDP."

Der Mann antwortet verhalten: "Mal schauen." Den Flyer nimmt er an, da wandert sein Blick zu einem der beiden Stehtische. Darauf liegen typische Wahlkampfartikel mit FDP-Logo: Stifte, Bierdeckel, Feuerzeuge – und für den Winterwahlkampf auch Handwärmer. "Kann ich Ihnen noch etwas anbieten?", will Bartelt wissen. Einen Stift nehme er gerne, sagt der Radfahrer und geht weiter. Erneut kein Wort über Politik.

Viele Gespräche verlaufen ähnlich. Ein kurzer Plausch, eine Wahlempfehlung für die FDP und ein kleines Geschenk. Das war's. Dabei kommt Bartelt eigentlich gut an, er ist interessiert, offen und in der Region verwurzelt. Viele Menschen, die er hier auf dem Marktplatz trifft, kennt er persönlich, oft sind sie Patienten in seiner Praxis. Viele nehmen seinen Flyer mit. Nur: Mit konkreten Inhalten überzeugt er an diesem Tag weniger.

Wut auf die FDP? Fehlanzeige

Die Leute hier sind nicht einmal wütend auf die FDP und ihre Rolle in der Ampelregierung, aber die Programminhalte der Partei interessieren sie offenbar wenig. Sie spricht zu wenige Wählergruppen an. Auf dem Land, abseits der urbanen Zentren, erreicht sie deshalb viele Menschen nicht. Das könnte für die FDP zum Problem werden.

Bartelt bekommt das auf dem Anklamer Marktplatz zu spüren. Viele Gespräche drehen sich mehr um seinen Beruf als Zahnarzt als um seine Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter oder das Wahlprogramm der FDP. "Meine Tochter war mal Zahntechnikerin in Spantekow", entgegnet ihm ein Mann. Eine Frau klagt darüber, dass ihr Zahnarzt Ende des Jahres aufhört. Bartelt weiß, dass es die FDP im Osten schwer hat. "Wir haben hier deutlich weniger Tradition als andere Parteien. Die haben einen deutlichen Vorsprung", versucht er zu erklären. "Ich weiß nicht, warum 'Privat vor Staat' nicht mehrheitsfähig ist. Vielleicht werden die Menschen auch einfach gerne regiert."

In Greifswald wurde es ungemütlich

Wenige Tage zuvor in Greifswald: In einem modernen Plasmatechnologiezentrum auf dem Campus soll gleich der Wahlkampfauftakt der FDP in Mecklenburg-Vorpommern starten. Neben dem landesweiten Spitzenkandidaten Bartelt ist auch der Bundesvorsitzende Christian Lindner angereist. Schon eine Dreiviertelstunde vor Veranstaltungsbeginn bilden sich vor dem Gebäude Schlangen. Hinein kommt ohnehin nur, wer sich vorher angemeldet hat – die Veranstaltung war schnell ausgebucht. Gerne hätte Bartelt einen größeren Raum gebucht, doch der war kurzfristig nicht zu bekommen.

Die Menschen hier sind alle FDP-Anhänger – zumindest fast alle. Roland Günter zum Beispiel ist seit wenigen Tagen in der Partei. Er findet: "Christian Lindner ist der Held der vergangenen Monate. Die Bürger sollten ihm dankbar sein." Ein anderer Mann bezeichnet sich als FDP-Wähler. Das Wahlprogramm kenne er gut. Andere Optionen als Gelb sehe er aktuell kaum: "Vor allem bloß nicht die Grünen."

150 Menschen sitzen auf den aufgebauten Stuhlreihen, es gibt Brezeln und Popcorn. Eigentlich eine Wohlfühlveranstaltung für Bartelt und Lindner. Sie schimpfen über die Ampel und betonen die Wichtigkeit der Wirtschaft. Als Lindner wegen des Schneetreibens verspätet eintrifft, gratuliert Bartelt ihm nachträglich zum Geburtstag. Der Parteichef erzählt, dass ein Urururgroßvater aus der Region komme.

Doch es gibt auch Widerstand. Vor dem Gebäude demonstrieren Mitglieder der Linken, und als Lindner sich drinnen gerade darüber beschwert, dass Bürgergeldempfänger zu viele Leistungen bekämen, kommt es zum Eklat: Eine Linken-Lokalpolitikerin steht auf und wirft Lindner eine Schaumtorte ins Gesicht. Die Bilder werden kurz darauf in ganz Deutschland zu sehen sein.

Loading...
Loading...

Sie habe Lindner rasieren wollen, weil dieser den Sozialstaat frisiere, begründet die Gruppe, die hinter der Aktion steht, später die Tat. Es gibt hier also auch Widerstand gegen die FDP – allerdings nur vom politischen Gegner. Doch wie sieht das bei den Menschen aus, die Bartelt erreichen will?

Christian Bartelt, der Einzelkämpfer

Auch auf dem Anklamer Marktplatz sehen manche die FDP kritisch. Ein älterer Herr gesellt sich an den Wahlkampfstand. "Ich finde es gut, dass der Lindner die Torte ins Gesicht bekommen hat", beginnt er das Gespräch. Das will Bartelt genauer wissen: Warum? "Weil er ein Spinner ist." Bartelt reagiert gelassen, verurteilt aber die Tat. "Wen wählen Sie denn?" Er sei schon immer SPD-Wähler gewesen, entgegnet der Mann. "Wie kann ich Sie denn umstimmen?", will Bartelt wissen. Doch der Mann bleibt hart: "Ich glaube, gar nicht." Auch die Gegner wollen nicht über Inhalte reden.

Bartelt kennt das alles schon. Es ist sein zehnter Wahlkampf für Bundes- und Landtagswahlen. Lange Zeit zog er nie in ein Parlament ein. Doch 2023 schaffte er es als Nachrücker in den Bundestag – als einziger Vertreter der FDP in Mecklenburg-Vorpommern. Trotz aller Erfahrung stellt Bartelt fest: "Dieser Wahlkampf ist besonders intensiv, weil er so kurz ist."

Er tritt erstmals als Abgeordneter an, ist Spitzenkandidat für das Bundesland – und steckt in einer Dreifachbelastung. Jeden Tag pendelt Bartelt derzeit zwischen Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, morgens behandelt er zeitweise noch Patienten in seiner Praxis. "Und meine Frau und Kinder will ich ja auch noch sehen – aber das geht dann meistens nur nachts", sagt Bartelt halb scherzhaft.

Plakate und Wahlprogramme lassen auf sich warten

Die Personaldecke der FDP in Mecklenburg-Vorpommern ist dünn, viele Parteikollegen sind schon älter. Sie unterstützen ihn zwar tatkräftig, doch Bartelt muss viel selbst anpacken. Morgens hat er noch den neu folierten Wahlkampfbulli aus Berlin geholt, abends geht es dann dorthin zurück. Zwischendurch plakatiert er, wenn er über die Landstraßen zu Terminen fährt. Immer wieder schaut er auf sein Handy. "Eigentlich müssten die Plakate schon geliefert worden sein. Gerade bestellen natürlich alle Parteien ihre Materialien." Auch die Kurzversionen der Wahlprogramme fehlen noch.

Auch das macht es schwer, in Anklam über Inhalte zu reden. Auf dem aktuellen Flyer sind zwar sein Gesicht und sein Name abgedruckt, aber keine Forderungen. Das stellt auch Bartelts Team vor Herausforderungen. Als eine junge Frau sich dann doch mal für Inhalte interessiert, sprechen Bartelts Leute über Bürokratieabbau und den häufig an diesem Tag ausgesprochenen Slogan "Privat vor Staat". Die junge Frau ist interessiert, will mehr wissen. Da ist eine der Wahlkämpferinnen kurz ratlos, sie fragt in die Runde. "Was wollen wir denn eigentlich noch?"

Vereinzelt ist das Interesse da

Das ist eine berechtigte Frage. Mit dem FDP-Markenkern Staatsabbau können die Wahlkämpfer im Osten wenig punkten. Bernd Lange, der mit Bartelt im Vorstand des Kreisverbandes Ostvorpommern sitzt, erklärt das so: "Aus den DDR-Zeiten sind die Leute viel Staat gewohnt und erwarten das jetzt noch. Das wollen wir aber nicht anbieten." Da helfen auch Flyer und Wahlprogramme nicht mehr. Gerade die älteren Generationen fremdeln mit der Grundausrichtung der FDP.

Doch vereinzelt gibt es auch andere an diesem Tag in Anklam: Drei Leute bleiben sogar länger als 20 Minuten am Stand, sie diskutieren über Bürokratieabbau, Inflation und die schwächelnde Wirtschaft. In vielem stimmen sie Bartelt zu. Andere sprechen zumindest kurz etwas an, bevor sie weiterziehen. Insbesondere die Ärzteversorgung klagen Menschen an, als sie von Bartelts Beruf erfahren.

Bartelt sagt deshalb nach drei Stunden, als er die Flyer zusammenpackt und die Stehtische in den Bulli räumt, dass er mit diesem Tag zufrieden sei. Er glaubt fest daran, dass die FDP wieder in den Bundestag einzieht. Wenn nicht: Bartelt hat dann immer noch seine Zahnarztpraxis – und ein paar im Wahlkampf neu gewonnene Patienten.

Verwendete Quellen
  • Eigene Eindrücke aus Anklam und Greifswald
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...


Bleiben Sie dran!
App StorePlay Store
Auf Facebook folgenAuf X folgenAuf Instagram folgenAuf YouTube folgenAuf Spotify folgen


Telekom