Juristen haben Bedenken Verstößt ein Mitgliedervotum gegen das Grundgesetz?

Während die SPD-Spitze mit viel Mühe ihre Mitglieder zum Koalitionsvertrag befragt, werden Stimmen laut, dass dieser Weg gegen die Verfassung verstößt - ebenso wie die Praxis der anderen Parteien, die Entscheidung auf Gremien zu übertragen.
Die SPD-Befragung widerspricht nach Einschätzung des Leipziger Staatsrechtlers Christoph Degenhart Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes - danach müssen die gewählten Abgeordneten völlig frei in ihrer Entscheidung sein. "Auch wenn es weder im Grundgesetz noch im Parteiengesetz oder im Abgeordnetengesetz eine Bestimmung gibt, die Mitgliederbefragungen explizit verbietet, halte ich sie in diesem Fall für verfassungsrechtlich nicht legitim", erklärte er gegenüber der Online-Ausgabe des "Handelsblatts".
Nach dieser Deutung verstößt jede Befragung, die die Abgeordneten bindet, gegen die Verfassung. Staatsrechts-Experte Armin von Weschpfennig von der Uni Bonn hält im Gespräch mit t-Online.de auch die Praxis der anderen Parteien für bedenklich - sowohl CDU als auch CSU legen den Koalitionsvertrag Bundesvorstand und kleinem Parteitag beziehungsweise Vorstand und Bundestagsgruppe zur Zustimmung vor. Ein solches "Abnicken" gibt es schon seit vielen Jahren.
Gabriel hält Kritik für "Quatsch"
SPD-Chef Sigmar Gabriel ist dagegen der Meinung, dass die Mitgliederbefragung nicht zur rechtens, sondern auch zukunftsweisend ist: "Was die SPD jetzt macht, das wird nicht nur gut gehen, sondern es wird Schule machen."
Gabriel glaubt, dass der Koalitionsvertrag mit der Union nicht an der Parteibasis scheitern wird. Die Frage nach rechtlichen Bedenken bezeichnete er in einem eskalierten Interview im "heute-journal" mit ZDF-Moderatorin Marietta Slomka als "Quatsch". Verfassungsrechtliche Gedanken über den Basis-Entscheid habe er sich im Vorfeld nicht gemacht: "weil es ja auch Blödsinn ist." In der CDU entscheide nur der Vorstand, führte der SPD-Chef an: "Dann entscheiden ja noch weniger Menschen über das Schicksal der deutschen Demokratie."
Regierung wird nicht nachträglich ausgehebelt
Auf Dutzenden Regionalkonferenzen in ganz Deutschland wollen Parteiführung und Landesverbände dafür werben, dem Koalitionsvertrag zuzustimmen. Er trage eine klare sozialdemokratische Handschrift, beteuerten mehrere Spitzenkräfte. Ab Samstag sollen die Briefwahlunterlangen an die rund 475.000 Genossen verschickt werden. Das Ergebnis wird für den 14. Dezember erwartet. Mindestens ein Fünftel der Mitglieder muss sich beteiligen, damit das Votum überhaupt Gültigkeit erlangt.
Aber selbst wenn die Mitglieder gegen den Koalitionsvertrag stimmen, wären die Abgeordneten nach Meinung der Staatsrechtler juristisch nicht daran gebunden. Am 17. Dezember soll Merkel zum dritten Mal zur Kanzlerin gewählt werden. Eines ist klar: Selbst wenn das Bundesverfassungsgericht die Praxis der Parteien für gesetzeswidrig erklären würde, hätte das keine Auswirkung auf die neue Regierung - nur künftig müssten sie solche Befragungen unterlassen.