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CSU-Politikerin Doro Bär: "Das tun sich die wenigsten Frauen freiwillig an"


"Das tun sich die wenigsten Frauen freiwillig an"

Von Sebastian Späth

31.01.2022Lesedauer: 7 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Familienpolitikerin Bär: "Vielleicht lernt man als Frau schneller, einen kühlen Kopf zu bewahren."Vergrößern des Bildes
Familienpolitikerin Bär: "Vielleicht lernt man als Frau schneller, einen kühlen Kopf zu bewahren." (Quelle: Hannibal Hanschke/Reuters-bilder)

Die neue Regierung will das Familienrecht modernisieren. CSU-Politikerin Dorothee Bär sieht in den Plänen der Ampel jedoch das Ziel eines Umbaus der Gesellschaft. Im Interview mit t-online erklärt sie warum.

Im Dezember wurde die ehemalige Digitalstaatsministerin Dorothee Bär zur Vize-Fraktionschefin der Unions-Bundestagsfraktion gewählt mit Zuständigkeit für Familie, Medien und Kultur. Wegen der Änderungsvorhaben der Ampel im Familienrecht, bangt Bär um die traditionellen Formen von Ehe und Familie. Im Interview mit t-online kritisiert die CSU-Politikerin die neue Bundesregierung und spricht über ihre Ängste als Frau.

t-online: Frau Bär, Ihr derzeitiger Fraktionschef Ralph Brinkhaus hat angekündigt, zugunsten von Friedrich Merz auf sein Amt verzichten zu wollen. Er stellt seine eigenen Ambitionen damit hinter den Parteifrieden. Der richtige Schritt?

Dorothee Bär: Meiner Meinung nach macht das Bündeln von Posten Sinn. Schon die Trennung von CSU-Vorsitz und Ministerpräsidentschaft unter Günther Beckstein und Erwin Huber hielt ich damals für keine gute Idee. Als Horst Seehofer kam, war ich eine derjenigen, die forderten, dass er wieder beide Ämter vereinen muss.

Gilt das auch in der Opposition?

Umso mehr. Klar hätte es Ralph Brinkhaus auf eine Kampfkandidatur gegen Friedrich Merz ankommen lassen können. Aber er hat auch wie alle gesehen, mit welch überwältigender Mehrheit Friedrich Merz zum Parteichef gewählt wurde. Trotzdem hat mir sein Schritt viel Respekt abverlangt. Auch, da er sein Amt nun sogar viel früher abgibt, als zunächst vereinbart. Das hätte er nicht gemusst. Daran merkt man, dass sich Ralph Brinkhaus voll in den Dienst der Sache stellt.

Hätten Sie sich einen solchen geräuscharmen Rückzug auch im vergangenen Jahr beim Streit um die Unions-Kanzlerkandidatur gewünscht?

Lothar Matthäus hätte gesagt: "Wäre, wäre – Fahrradkette".

Die Frage ging aber an Sie.

Das ist vergossene Milch.

Inwiefern?

Vielleicht lernt man als Frau schneller, einen kühlen Kopf zu bewahren, wenn man im Leben immer viele Dinge gleichzeitig in der Luft halten muss: Kindererziehung, Karriere, Ehrenamt.

Trifft das nicht auch auf männliche Spitzenpolitiker zu?

Na ja, viele männliche Spitzenpolitiker machen häufig nicht viel anderes als Spitzenpolitik. Das ist schon ein großer Unterschied zu ihren Kolleginnen. Ich glaube zum Beispiel nicht, dass sich die Mehrheit der männlichen Parlamentarier um Weihnachtsgeschenke für die ganze Familie kümmert oder immer genau und ohne Erinnerung weiß, wann die Schwiegerfamilie Geburtstag hat.

Ich hatte eigentlich vor, Ihr Frau-Sein nicht zu thematisieren. Weil es in nahezu allen Interviews mit Ihnen um Ihr Geschlecht geht. Nun kommen Sie selbst darauf. Sind Sie das Thema nicht längst leid?

Solange wir noch keine echte Gleichberechtigung haben, nicht. Ich bin Bundestagsabgeordnete und habe drei Kinder. Und finde es sehr wichtig, das zu betonen. Auch, um anderen Frauen den Rücken zu stärken. Erst kürzlich saß ich auf einer Veranstaltung neben einer prominenten Frau. Sie ist – genau wie ihr Mann – voll berufstätig und hat mir ihr Leid geklagt, wie viel an ihr hängen bleibe, obwohl ihre Beziehung von außen nach totaler Gleichberechtigung aussieht.

Die Union hat auch ein Frauenproblem und macht ihren Mangel an weiblichen Spitzenkräften an internen Strukturen fest. Etwa späten Sitzungen, an denen Frauen mit kleinen Kindern nicht teilnehmen können.

Die Bereitschaft, seine eigenen Kinder nicht selbst ins Bett zu bringen, ist bei manchen Männern sicher höher als bei den meisten Frauen. Was in den letzten Jahren noch dazugekommen ist: der Umgang mit Frauen im Netz. Die verbale sexuelle Gewalt. Zu jeder Kritik kommt ein sexualisierter Kontext hinzu. Das tun sich die wenigsten Frauen freiwillig an. Schon gar nicht auf der kommunalen Ebene. Und erst recht nicht, wenn noch die Familie mit reingezogen wird. Und ich habe totales Verständnis dafür.

Erleben Sie solche Gewalt auch außerhalb des Netzes?

Bis heute telefoniere ich zur Sicherheit, während ich nachts zu Fuß gehe. Ich überlege mir auch genau, welchen Weg ich gehe, und drehe mich trotzdem ab und zu um.

Wovor genau haben Sie Angst?

Wovor jede Frau Angst hat.

Sind Sie selbst mal in eine brenzlige Situation geraten?

Klar. Ich hatte einige Geschichten, manche schlimm, manche weniger. Viele Männer fühlen sich getriggert, wenn sie einen erkennen. Und wenn sie schon hundertmal im Netz Dreck über einen ausgekübelt haben, ist die Hemmschwelle zur physischen Gewalt geringer.

Gauben sie, dass es da einen Unterschied gibt zu männlichen Politikern?

Ganz sicher. Allein der Physis wegen.

Was kann der Gesetzgeber tun?

In der vergangenen Legislaturperiode haben wir als Regierung neue Straftatbestände eingeführt, von denen ich nie gedacht hätte, dass man sie mal braucht. Upskirting und Downblousing beispielsweise.

Bedeutet was?

Dass man keiner Frau unter den Rock oder in den Ausschnitt fotografieren darf. Natürlich sollte jedem klar sein, dass so was nicht geht. Trotzdem wurde es zeitweise zum Massenphänomen. Aber präventive Maßnahmen allein reichen oft nicht. Das ist auch eine Frage der Erziehung und des Anstands. Jeder sollte wissen, dass sich so was einfach nicht gehört.

Als Staatsministerin für Digitalisierung setzten Sie mit gewagten Outfits Akzente, wie etwa dem Latexkleid bei der Verleihung des Deutschen Computerspielpreises.

Erstens war das Kleid aus Leder und zweitens hätte ich nie gedacht, dass so etwas im Jahre 2019 noch irgendwelche Gemüter in Deutschland erhitzt. Zudem war ich mir sicher, unter den ganzen Cosplayern gar nicht aufzufallen. So kann man sich täuschen.

Die Kanzlerin trug mit ihren stets ähnlichen Blazern eine Art Uniform. Erweist sich das im Politikbetrieb nicht als am effizientesten?

Sie wollen mich zwar nicht aufs Frau- oder Muttersein ansprechen, auf Klamotten aber schon? Eine Uniform wäre nichts für mich persönlich. Ich mag Mode. Schon immer. Und ich stehe dazu. Ich erinnere mich, als ich Kommunion hatte. Da wurde darüber diskutiert, ob wir Kinder alle Kutten tragen sollen. Das hätte ich schon als Neunjährige furchtbar gefunden und ich hätte unverzüglich die Kirchengemeinde gewechselt. Ich trage bis heute das, was mir gefällt. Das würde ich auch, wenn ich keine Politikerin wäre.

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Lassen Sie uns mal in den Ampelkoalitionsvertrag gucken: Darin heißt es: "Familien sind vielfältig. Sie sind überall dort, wo Menschen Verantwortung füreinander übernehmen". Das ist ein ziemlich weit gefasster Familienbegriff. Gehen Sie da mit?

Wenn zwei am Berg hängen und der eine den anderen abseilt, dann übernimmt er auch Verantwortung. Sind die beiden eine Familie? Nein. Meine Tante war 40 Jahre OP-Schwester und hat mit dem Chefarzt zusammen Verantwortung für ihre Patienten übernommen. Handelte es sich dabei um eine Familie? Nein.

Geht es etwas konkreter?

Die Stelle aus dem Koalitionsvertrag, die Sie da gerade zitiert haben, ist doch völlig diffus. Die Ampel weiß selbst nicht, was eine Verantwortungsgemeinschaft sein soll, außer, dass es im Gegensatz zur Ehe vier Personen sein dürfen – und das hat nichts mit hetero- oder homosexuellen Beziehungen zu tun. Das gibt es in keinem anderen europäischen Land. Ich sehe den Bedarf nicht. Wenn mir jemand konkrete Fälle zeigt, wo es Regelungsbedarf gibt, schauen wir uns das an. Bisher sagen mir Anwältinnen und Notare, dass dies nicht der Fall sei. Eher im Gegenteil, dass es ungleich komplizierter würde.

Vielleicht ist unsere Regierung einfach fortschrittlicher. Im Grunde schafft die Ampel doch nur einen Rechtsrahmen für Lebens- und Partnerschaftsmodelle, die ohnehin schon gelebt werden. Das muss man nicht unbedingt schlecht finden.

Nicht alles, was vermeintlich den Aufkleber "modern" bekommt, ist es auch. "Liberalitas Bavariae" ist Teil meiner DNA. Ich trete sehr stark für die Freiheit eines jeden Einzelnen ein.

So wie die Ampelregierung.

Aber es müssen schon grundsätzliche Fragen geklärt sein: Verantwortung nur bei Sonnenschein und bei Regen ist alles plötzlich leicht kündbar und unverbindlich? Was ist mit Kindern in einer sogenannten Verantwortungsgemeinschaft, wenn sie mal zerbricht? Das ist nicht geklärt. Aus meiner Sicht handelt es sich bei dieser Partnerschaftsform, die in der letzten Periode von der FDP eingebracht wurde und von den Grünen – zurecht – abgelehnt wurde, um ein Steuersparmodel für ein bestimmtes Klientel. Mit ähnlichen Privilegien wie eine Ehe, aber nicht denselben Pflichten.

Vielleicht hat die Ampel erkannt, dass es in unserer Gesellschaft einen Wandel gibt, hin zu weniger Verbindlichkeit.

Ist es Aufgabe des Staates "weniger Verbindlichkeit" mit der Ehe gleichzusetzen und zu subventionieren? Ich würde mir den Respekt, den ich anderen Lebensformen entgegenbringe, vonseiten der Ampel auch gegenüber der sogenannten traditionellen Familie wünschen.

Sie finden also, die Ampel geringschätzt das traditionelle Familienmodel?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Eine große Discounter-Kette hat neulich einen Riesen-Shitstorm abbekommen, weil sie mit einer vermeintlich traditionellen Familie aus Vater, Mutter und drei Kindern Werbung machte. Der Vorwurf lautete Diskriminierung. Und dass dies nicht mehr die Gesellschaft abbilde.

Das ist doch ein Twitter-Phänomen.

Mag sein. Aber natürlich kommen solche Debatten auch in der Gesellschaft an. In meinem Wahlkreis verstehen die Leute bei solchen Diskussionen die Welt nicht mehr. Da ist eine Konstellation aus Vater, Mutter und Kindern etwas völlig Normales.

Wer sagt denn, dass sie nicht normal ist?

Ich habe große Sorge, dass man Familienmodelle nur noch dann anerkennt, wenn man meint, dass sie unter den derzeitigen Umständen politisch korrekt sind und dass dabei das vermeintlich traditionelle Familienmodell hinten runterfällt. Und mal ehrlich, in Zeiten von Inflation, Wohnungsmangel, Rekordenergiepreisen und Corona erwarten die Menschen doch, dass wir uns mit den Alltagsproblemen beschäftigen und nicht täglich ein familiensoziologisches Theorieseminar abhalten. Da stimmt doch der Kompass der Prioritäten nicht.

Wie definieren Sie Familie?

Als kleinste Einheit. Man hat doch jetzt gerade in Corona-Zeiten gesehen: in einer Familie ist man selten einsam. Man kümmert sich im Krankheitsfall umeinander, bei Todesfällen. Deshalb verdienen sie auch besonderen Schutz, weil sie dem Staat auch Pflichten abnehmen und ihn bei der Fürsorge-Arbeit entlasten. Das kann doch nur im Interesse eines jeden Staats sein.

Zeigt die Union in Sachen Familie jetzt jene konservative Seite, die ihre Anhängerinnen und Anhänger zuletzt vermisst haben?

Es ist gut, dass man bei den Gesellschafts- und Wertethemen jetzt sieht, dass es einen Unterschied macht, wen man wählt. Das ist jetzt Union pur. Wir haben in der Familienpolitik eben eine gänzlich andere Auffassung. Wir sind modern, aber nicht beliebig. Wir halten den Dreiklang aus Vorteilen, Verantwortung und Pflichten für eine Errungenschaft. Und ich glaube im Übrigen auch nicht, dass die Ampel eine gesellschaftliche Mehrheit für ihre Umbildungsfantasien hat.

Die Union hat es nicht geschafft, eine Kandidatin ins Rennen ums Bundespräsidentenamt zu schicken. Eine verpasste Chance?

Man kann nicht immer nur dann eine Frau ins Rennen schicken, wenn man weiß, dass sie ohnehin nicht gewinnt. Das hat mich schon immer gestört. Ich habe fünf Bundespräsidentschaftswahlen mitgemacht. Es wurde immer eine Frau gebracht, wenn man wusste, die wird eh nicht gewählt. Natürlich muss der Anspruch der Union sein, in Zukunft die erste Bundespräsidentin Deutschlands zu stellen. Das wäre nach der ersten Bundeskanzlerin und der ersten EU-Kommissionspräsidentin an der Zeit.

Frau Bär, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Doro Bär am 28.01.2022
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