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"Das tun sich die wenigsten Frauen freiwillig an"
Die neue Regierung will das Familienrecht modernisieren. CSU-Politikerin Dorothee BÀr sieht in den PlÀnen der Ampel jedoch das Ziel eines Umbaus der Gesellschaft. Im Interview mit t-online erklÀrt sie warum.
Im Dezember wurde die ehemalige Digitalstaatsministerin Dorothee BĂ€r zur Vize-Fraktionschefin der Unions-Bundestagsfraktion gewĂ€hlt mit ZustĂ€ndigkeit fĂŒr Familie, Medien und Kultur. Wegen der Ănderungsvorhaben der Ampel im Familienrecht, bangt BĂ€r um die traditionellen Formen von Ehe und Familie. Im Interview mit t-online kritisiert die CSU-Politikerin die neue Bundesregierung und spricht ĂŒber ihre Ăngste als Frau.
t-online: Frau BĂ€r, Ihr derzeitiger Fraktionschef Ralph Brinkhaus hat angekĂŒndigt, zugunsten von Friedrich Merz auf sein Amt verzichten zu wollen. Er stellt seine eigenen Ambitionen damit hinter den Parteifrieden. Der richtige Schritt?
Dorothee BĂ€r: Meiner Meinung nach macht das BĂŒndeln von Posten Sinn. Schon die Trennung von CSU-Vorsitz und MinisterprĂ€sidentschaft unter GĂŒnther Beckstein und Erwin Huber hielt ich damals fĂŒr keine gute Idee. Als Horst Seehofer kam, war ich eine derjenigen, die forderten, dass er wieder beide Ămter vereinen muss.
Gilt das auch in der Opposition?
Umso mehr. Klar hĂ€tte es Ralph Brinkhaus auf eine Kampfkandidatur gegen Friedrich Merz ankommen lassen können. Aber er hat auch wie alle gesehen, mit welch ĂŒberwĂ€ltigender Mehrheit Friedrich Merz zum Parteichef gewĂ€hlt wurde. Trotzdem hat mir sein Schritt viel Respekt abverlangt. Auch, da er sein Amt nun sogar viel frĂŒher abgibt, als zunĂ€chst vereinbart. Das hĂ€tte er nicht gemusst. Daran merkt man, dass sich Ralph Brinkhaus voll in den Dienst der Sache stellt.
HĂ€tten Sie sich einen solchen gerĂ€uscharmen RĂŒckzug auch im vergangenen Jahr beim Streit um die Unions-Kanzlerkandidatur gewĂŒnscht?
Lothar MatthĂ€us hĂ€tte gesagt: "WĂ€re, wĂ€re â Fahrradkette".
Die Frage ging aber an Sie.
Das ist vergossene Milch.
Inwiefern?
Vielleicht lernt man als Frau schneller, einen kĂŒhlen Kopf zu bewahren, wenn man im Leben immer viele Dinge gleichzeitig in der Luft halten muss: Kindererziehung, Karriere, Ehrenamt.
Trifft das nicht auch auf mÀnnliche Spitzenpolitiker zu?
Na ja, viele mĂ€nnliche Spitzenpolitiker machen hĂ€ufig nicht viel anderes als Spitzenpolitik. Das ist schon ein groĂer Unterschied zu ihren Kolleginnen. Ich glaube zum Beispiel nicht, dass sich die Mehrheit der mĂ€nnlichen Parlamentarier um Weihnachtsgeschenke fĂŒr die ganze Familie kĂŒmmert oder immer genau und ohne Erinnerung weiĂ, wann die Schwiegerfamilie Geburtstag hat.
Ich hatte eigentlich vor, Ihr Frau-Sein nicht zu thematisieren. Weil es in nahezu allen Interviews mit Ihnen um Ihr Geschlecht geht. Nun kommen Sie selbst darauf. Sind Sie das Thema nicht lÀngst leid?
Solange wir noch keine echte Gleichberechtigung haben, nicht. Ich bin Bundestagsabgeordnete und habe drei Kinder. Und finde es sehr wichtig, das zu betonen. Auch, um anderen Frauen den RĂŒcken zu stĂ€rken. Erst kĂŒrzlich saĂ ich auf einer Veranstaltung neben einer prominenten Frau. Sie ist â genau wie ihr Mann â voll berufstĂ€tig und hat mir ihr Leid geklagt, wie viel an ihr hĂ€ngen bleibe, obwohl ihre Beziehung von auĂen nach totaler Gleichberechtigung aussieht.
Die Union hat auch ein Frauenproblem und macht ihren Mangel an weiblichen SpitzenkrÀften an internen Strukturen fest. Etwa spÀten Sitzungen, an denen Frauen mit kleinen Kindern nicht teilnehmen können.
Die Bereitschaft, seine eigenen Kinder nicht selbst ins Bett zu bringen, ist bei manchen MĂ€nnern sicher höher als bei den meisten Frauen. Was in den letzten Jahren noch dazugekommen ist: der Umgang mit Frauen im Netz. Die verbale sexuelle Gewalt. Zu jeder Kritik kommt ein sexualisierter Kontext hinzu. Das tun sich die wenigsten Frauen freiwillig an. Schon gar nicht auf der kommunalen Ebene. Und erst recht nicht, wenn noch die Familie mit reingezogen wird. Und ich habe totales VerstĂ€ndnis dafĂŒr.
Erleben Sie solche Gewalt auch auĂerhalb des Netzes?
Bis heute telefoniere ich zur Sicherheit, wĂ€hrend ich nachts zu FuĂ gehe. Ich ĂŒberlege mir auch genau, welchen Weg ich gehe, und drehe mich trotzdem ab und zu um.
Wovor genau haben Sie Angst?
Wovor jede Frau Angst hat.
Sind Sie selbst mal in eine brenzlige Situation geraten?
Klar. Ich hatte einige Geschichten, manche schlimm, manche weniger. Viele MĂ€nner fĂŒhlen sich getriggert, wenn sie einen erkennen. Und wenn sie schon hundertmal im Netz Dreck ĂŒber einen ausgekĂŒbelt haben, ist die Hemmschwelle zur physischen Gewalt geringer.
Gauben sie, dass es da einen Unterschied gibt zu mÀnnlichen Politikern?
Ganz sicher. Allein der Physis wegen.
Was kann der Gesetzgeber tun?
In der vergangenen Legislaturperiode haben wir als Regierung neue StraftatbestĂ€nde eingefĂŒhrt, von denen ich nie gedacht hĂ€tte, dass man sie mal braucht. Upskirting und Downblousing beispielsweise.
Bedeutet was?
Dass man keiner Frau unter den Rock oder in den Ausschnitt fotografieren darf. NatĂŒrlich sollte jedem klar sein, dass so was nicht geht. Trotzdem wurde es zeitweise zum MassenphĂ€nomen. Aber prĂ€ventive MaĂnahmen allein reichen oft nicht. Das ist auch eine Frage der Erziehung und des Anstands. Jeder sollte wissen, dass sich so was einfach nicht gehört.
Als Staatsministerin fĂŒr Digitalisierung setzten Sie mit gewagten Outfits Akzente, wie etwa dem Latexkleid bei der Verleihung des Deutschen Computerspielpreises.
Erstens war das Kleid aus Leder und zweitens hĂ€tte ich nie gedacht, dass so etwas im Jahre 2019 noch irgendwelche GemĂŒter in Deutschland erhitzt. Zudem war ich mir sicher, unter den ganzen Cosplayern gar nicht aufzufallen. So kann man sich tĂ€uschen.
Die Kanzlerin trug mit ihren stets Àhnlichen Blazern eine Art Uniform. Erweist sich das im Politikbetrieb nicht als am effizientesten?
Sie wollen mich zwar nicht aufs Frau- oder Muttersein ansprechen, auf Klamotten aber schon? Eine Uniform wĂ€re nichts fĂŒr mich persönlich. Ich mag Mode. Schon immer. Und ich stehe dazu. Ich erinnere mich, als ich Kommunion hatte. Da wurde darĂŒber diskutiert, ob wir Kinder alle Kutten tragen sollen. Das hĂ€tte ich schon als NeunjĂ€hrige furchtbar gefunden und ich hĂ€tte unverzĂŒglich die Kirchengemeinde gewechselt. Ich trage bis heute das, was mir gefĂ€llt. Das wĂŒrde ich auch, wenn ich keine Politikerin wĂ€re.
Lassen Sie uns mal in den Ampelkoalitionsvertrag gucken: Darin heiĂt es: "Familien sind vielfaÌltig. Sie sind uÌberall dort, wo Menschen Verantwortung fĂŒreinander ĂŒbernehmen". Das ist ein ziemlich weit gefasster Familienbegriff. Gehen Sie da mit?
Wenn zwei am Berg hĂ€ngen und der eine den anderen abseilt, dann ĂŒbernimmt er auch Verantwortung. Sind die beiden eine Familie? Nein. Meine Tante war 40 Jahre OP-Schwester und hat mit dem Chefarzt zusammen Verantwortung fĂŒr ihre Patienten ĂŒbernommen. Handelte es sich dabei um eine Familie? Nein.
Geht es etwas konkreter?
Die Stelle aus dem Koalitionsvertrag, die Sie da gerade zitiert haben, ist doch völlig diffus. Die Ampel weiĂ selbst nicht, was eine Verantwortungsgemeinschaft sein soll, auĂer, dass es im Gegensatz zur Ehe vier Personen sein dĂŒrfen â und das hat nichts mit hetero- oder homosexuellen Beziehungen zu tun. Das gibt es in keinem anderen europĂ€ischen Land. Ich sehe den Bedarf nicht. Wenn mir jemand konkrete FĂ€lle zeigt, wo es Regelungsbedarf gibt, schauen wir uns das an. Bisher sagen mir AnwĂ€ltinnen und Notare, dass dies nicht der Fall sei. Eher im Gegenteil, dass es ungleich komplizierter wĂŒrde.
Vielleicht ist unsere Regierung einfach fortschrittlicher. Im Grunde schafft die Ampel doch nur einen Rechtsrahmen fĂŒr Lebens- und Partnerschaftsmodelle, die ohnehin schon gelebt werden. Das muss man nicht unbedingt schlecht finden.
Nicht alles, was vermeintlich den Aufkleber "modern" bekommt, ist es auch. "Liberalitas Bavariae" ist Teil meiner DNA. Ich trete sehr stark fĂŒr die Freiheit eines jeden Einzelnen ein.
So wie die Ampelregierung.
Aber es mĂŒssen schon grundsĂ€tzliche Fragen geklĂ€rt sein: Verantwortung nur bei Sonnenschein und bei Regen ist alles plötzlich leicht kĂŒndbar und unverbindlich? Was ist mit Kindern in einer sogenannten Verantwortungsgemeinschaft, wenn sie mal zerbricht? Das ist nicht geklĂ€rt. Aus meiner Sicht handelt es sich bei dieser Partnerschaftsform, die in der letzten Periode von der FDP eingebracht wurde und von den GrĂŒnen â zurecht â abgelehnt wurde, um ein Steuersparmodel fĂŒr ein bestimmtes Klientel. Mit Ă€hnlichen Privilegien wie eine Ehe, aber nicht denselben Pflichten.
Vielleicht hat die Ampel erkannt, dass es in unserer Gesellschaft einen Wandel gibt, hin zu weniger Verbindlichkeit.
Ist es Aufgabe des Staates "weniger Verbindlichkeit" mit der Ehe gleichzusetzen und zu subventionieren? Ich wĂŒrde mir den Respekt, den ich anderen Lebensformen entgegenbringe, vonseiten der Ampel auch gegenĂŒber der sogenannten traditionellen Familie wĂŒnschen.
Sie finden also, die Ampel geringschÀtzt das traditionelle Familienmodel?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Eine groĂe Discounter-Kette hat neulich einen Riesen-Shitstorm abbekommen, weil sie mit einer vermeintlich traditionellen Familie aus Vater, Mutter und drei Kindern Werbung machte. Der Vorwurf lautete Diskriminierung. Und dass dies nicht mehr die Gesellschaft abbilde.
Das ist doch ein Twitter-PhÀnomen.
Mag sein. Aber natĂŒrlich kommen solche Debatten auch in der Gesellschaft an. In meinem Wahlkreis verstehen die Leute bei solchen Diskussionen die Welt nicht mehr. Da ist eine Konstellation aus Vater, Mutter und Kindern etwas völlig Normales.
Wer sagt denn, dass sie nicht normal ist?
Ich habe groĂe Sorge, dass man Familienmodelle nur noch dann anerkennt, wenn man meint, dass sie unter den derzeitigen UmstĂ€nden politisch korrekt sind und dass dabei das vermeintlich traditionelle Familienmodell hinten runterfĂ€llt. Und mal ehrlich, in Zeiten von Inflation, Wohnungsmangel, Rekordenergiepreisen und Corona erwarten die Menschen doch, dass wir uns mit den Alltagsproblemen beschĂ€ftigen und nicht tĂ€glich ein familiensoziologisches Theorieseminar abhalten. Da stimmt doch der Kompass der PrioritĂ€ten nicht.
Wie definieren Sie Familie?
Als kleinste Einheit. Man hat doch jetzt gerade in Corona-Zeiten gesehen: in einer Familie ist man selten einsam. Man kĂŒmmert sich im Krankheitsfall umeinander, bei TodesfĂ€llen. Deshalb verdienen sie auch besonderen Schutz, weil sie dem Staat auch Pflichten abnehmen und ihn bei der FĂŒrsorge-Arbeit entlasten. Das kann doch nur im Interesse eines jeden Staats sein.
Zeigt die Union in Sachen Familie jetzt jene konservative Seite, die ihre AnhÀngerinnen und AnhÀnger zuletzt vermisst haben?
Es ist gut, dass man bei den Gesellschafts- und Wertethemen jetzt sieht, dass es einen Unterschied macht, wen man wĂ€hlt. Das ist jetzt Union pur. Wir haben in der Familienpolitik eben eine gĂ€nzlich andere Auffassung. Wir sind modern, aber nicht beliebig. Wir halten den Dreiklang aus Vorteilen, Verantwortung und Pflichten fĂŒr eine Errungenschaft. Und ich glaube im Ăbrigen auch nicht, dass die Ampel eine gesellschaftliche Mehrheit fĂŒr ihre Umbildungsfantasien hat.
Die Union hat es nicht geschafft, eine Kandidatin ins Rennen ums BundesprÀsidentenamt zu schicken. Eine verpasste Chance?
Man kann nicht immer nur dann eine Frau ins Rennen schicken, wenn man weiĂ, dass sie ohnehin nicht gewinnt. Das hat mich schon immer gestört. Ich habe fĂŒnf BundesprĂ€sidentschaftswahlen mitgemacht. Es wurde immer eine Frau gebracht, wenn man wusste, die wird eh nicht gewĂ€hlt. NatĂŒrlich muss der Anspruch der Union sein, in Zukunft die erste BundesprĂ€sidentin Deutschlands zu stellen. Das wĂ€re nach der ersten Bundeskanzlerin und der ersten EU-KommissionsprĂ€sidentin an der Zeit.
Frau BĂ€r, ich danke Ihnen fĂŒr dieses GesprĂ€ch.