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Fake-Seiten und Bots: Diese Russen arbeiten für Kampagne gegen den Westen


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Mysteriöse Kampagne gegen den Westen: Sie machen mit


Aktualisiert am 27.03.2024Lesedauer: 13 Min.
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Vadim C. und Alexander J.: t-online hat die Männer vor der Kamera konfrontiert. (Quelle: t-online)

Seit Frühjahr 2022 versuchen Unbekannte, mit Fake-Seiten und Bot-Armeen die Stimmung auch in Deutschland zu manipulieren. t-online hat erstmals Russen identifiziert, die daran mitwirken.

Das Signal aus dem Netzwerk hinter der riesigen Kampagne zur Destabilisierung des Westens kommt von einem unspektakulären Ort: einem Wohnzimmer mit einem goldgerahmten Bild über einem Sofa vor längsgestreiften Tapeten. Hier sitzt ein Mann an seinem Computer und führt über das Videokonferenzprogramm Zoom Interviews, links unten im Fenster steht ein Name. Der Mann im Bild heißt Vadim C, er ist in Moskau gemeldet und von dort aus sammelt er im Westen Aussagen von Interviewpartnern, die sich gegen den Westen verwenden lassen.

Vadim C. steht im Mittelpunkt einer Recherche, mit der t-online erstmals direkt beteiligte Personen an einer seit Frühjahr 2022 laufenden Desinformationskampagne identifizieren kann. Sie ist unter dem Namen "Doppelgänger" bekannt geworden. Vadim C. und ein Kollege sind Journalisten aus Russland, die Interviews mit Experten und Politikern führen und dafür in vielen Fällen ihre Interviewpartner über Hintergründe und Verbreitungswege täuschen.

Die Inhalte landen, zum Teil sinnentstellt wiedergegeben, in einem Geflecht von teils gefälschten Seiten und werden von einer schier unerschöpflichen Bot-Armee massenhaft verbreitet. Sie sind ein wichtiger Baustein für das "Doppelgänger"-Netzwerk, das Tag für Tag daran arbeitet, den Westen schlecht zu machen, Unsicherheit, Angst und Zwietracht im Westen zu schüren und Putin als beliebten und fähigen Führer darzustellen.

Beim Interviewer steht falscher Name

Das geschieht verdeckt und geheim, auf Internetseiten ohne Impressum und mit gefälschten Accounts. Doch ganz können sich Vadim C. und ein Kollege von der russischen Zeitung "Iswestja", Alexandre J., nicht verstecken – denn es ist offenbar ihr Job, Interviewpartner aus dem Westen aufzutreiben und zu befragen. Vadim C. und Alexander J. treten nicht unter ihren richtigen Namen auf. Über ihre Kontaktdaten und Datenlecks konnte t-online dennoch herausfinden, wer sie sind. Spuren führen zu einem Medienkonzern in Putins Umfeld.

Das Gespräch: Um 14.59 Uhr poppt auf dem Rechner von Simon Schnetzer im Allgäu eine Nachricht von reninternation@gmail.com auf. Schnetzer ist einer der führenden Jugendforscher Europas und hatte per Mail die Bitte erhalten, anlässlich eines in Russland anstehenden Turniers, das Gaming, Computerspiel, mit physischem Sport verbinden soll, etwas zu E-Sports zu erzählen.

Das Gespräch wird anders laufen, als die Russen sich das gedacht haben.

In der Erinnerungsmail steht "Alexandre Knyazev" als Absender, er schreibt auf Englisch: "Der Korrespondent bittet mich, den Hinweis zu geben, dass er bereit ist für das Interview. Der Link ist schon aktiviert." Der "Korrespondent" wartet in der Zoom-Konferenz, als Schnetzer dazu kommt, ein Name "Valeriy Stepanov" steht im Fenster.

Erst später wird sich durch Recherchen erhärten, dass der Interviewer nicht den russischen Allerweltsnamen Stepanov trägt und von dem auch andere Interviewte erzählen. Es ist Vadim C., der das Gespräch von einer Wohnung aus führt und aufzeichnet. Angefragt und vereinbart hatte "Alexandre" den Termin, und der heißt eigentlich Alexander J. Offenbar ein eingespieltes Team, so läuft es seit Monaten bei Dutzenden Interviews: Dabei entsteht jeweils neues Material für die aufwendigste digitale Desinformationskampagne der Geschichte. AfD-Politiker machen offenbar bereitwillig mit, andere fühlen sich getäuscht, haben mit t-online darüber gesprochen. Schnetzer ist einer davon.

Anfrage kam am Tag des großen Bauernprotests

Er und Interviewer Vadim sehen sich bereits zum zweiten Mal. Der Allgäuer war am 8. Januar darum gebeten worden, etwas zur Stimmungslage der Jugend in Deutschland zu sagen. Simon Schnetzer ist der Hauptautor einer Reihe von Trendstudien mit dem Titel "Jugend in Deutschland", die Haltung, Problemen und Erwartungen junger Menschen nachspüren. Er gibt auch Nachwuchsjournalisten und weniger bekannten Medien eine Chance für Interviews.

Deshalb hatte er sich nichts dabei gedacht, als am 8. Januar am Tag des großen Bauernprotests in Berlin zum ersten Mal per Mail eine Anfrage von einem ihm bis dahin unbekannten "Alexandre" für eine französischsprachige Medienseite gekommen war: "rrn.media/fr". Dieser Alexandre, der Alexander heißt, schrieb, den Kontakt habe er von einem anderen deutschen Wissenschaftler bekommen. Schnetzer ließ sich darauf ein.

Der Interviewer, der sich auf Alexanders Vermittlung hin am 10. Januar meldete, hatte einen leichten Sprachfehler, "ich habe mit ihm gefühlt und ihm helfen wollen". Schnetzer führte das Gespräch und ging davon aus, dass seine Aussagen für einen Text verwendet würden.

Facebook-Mutter fand erste Verbindung nach Russland

Doch dann das: Das Interview zur Stimmungslage der Jugend landete als Video, in einen falschen Kontext gestellt und mit falschen Zusammenfassungen, auf einer Seite namens "Wanderfalke". Dort las es sich wie eine Bekräftigung des Forschers, dass es mit den Bauernprotesten in Deutschland ernst werde. Und das Video wurde auf der Plattform X von Bots geteilt. So wurde der Jugendforscher unfreiwillig Teil einer ausgeklügelten, riesigen antiwestlichen Stimmungsmache.

Für das zweite Gespräch hat sich Schnetzer von t-online überreden lassen. Es ist die Chance, dem angeblichen Valeriy Stepanov mehr zu entlocken. Schnetzer fragt auch scheinbar besorgt nach, wo es diesmal landen soll, ob sein Gesprächspartner die Rechte an dem Video hat und ob das auch nichts mit sanktionierten Firmen zu tun habe. Er nennt dazu "Struktura" und "ASP". Ausschnitte des Gesprächs sehen Sie hier im Video.

Das Netzwerk: Die Aufträge dieser beiden russischen Unternehmen waren der erste Beweis dafür, dass eine riesige Kampagne, die kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine gestartet wurde, tatsächlich Verbindungen nach Russland hat. Meta, der Facebook-Mutterkonzern, hatte für die beiden Firmen Anzeigen im Wert von 105.000 Euro geschaltet. Es waren vor allem Postings mit Links zu Webseiten, die dem Netzwerk seinen Namen gegeben haben: "Doppelgänger".

Wer auf die Links klickte, landete auf Seiten, die aussehen wie Doppelgänger des Nachrichtenangebots bekannter Medienmarken wie "FAZ", "Spiegel", "t-online" oder "Welt" in Deutschland oder "The Guardian", "Le Monde" oder "El Mundo". Tatsächlich stammen deren Inhalte aber aus Propagandafabriken: Es geht darin stets gegen Russland-Sanktionen, gegen eine Unterstützung für die Ukraine, gegen die jeweiligen westlichen Regierungen.

Absurde Spekulationen zu Attentat auf gefälschter "Spiegel"-Seite

Bis heute verbreiten Fake-Accounts pausenlos Links zu entsprechenden Texten. Nach dem Anschlag des IS auf das Konzert bei Moskau gab es etwa eine gefälschte "Spiegel"-Seite, die die Ukraine als Auftraggeber des Terrors darstellen sollte – verbreitet von Bots, also von automatisiert betriebenen Social-Media-Accounts. Auf der Plattform X, dem früheren Twitter, ist das besonders sichtbar. Gefälschte Konten verbreiten aber auch auf Facebook weiter Doppelgänger-Inhalte, dort oft über bezahlte Inhalte, erklärt der Journalist Max Bernhard, der im vergangenen Jahr für "Correctiv" über das Phänomen berichtete.

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Auf X sind die Bots derzeit daran zu erkennen, dass sich comicartige Profilbilder und Account-Beschreibungen jeweils stark ähneln. Oft kommt ein Zusammenspiel mehrerer Bots zum Einsatz, "Inhaltebots" und "Verteilerbots". Vereinzelt gibt es sogar Bots, die bei X den bezahlten "blauen Haken" besitzen, der ihnen mehr Glaubwürdigkeit verleihen soll.

Die Hinterleute der Kampagne haben weit mehr als 300 Internetadressen für ihre Botschaften registrieren lassen, meldete Frankreichs staatliche Beobachtungsstelle für ausländische digitale Einflussnahme "Viginum" im vergangenen Jahr. Bei der EU hat der Deutsche Lutz Güllner, Leiter der Abteilung für Strategische Kommunikation im Europäischen Auswärtigen Dienst, das Thema besonders im Blick. Er spricht von einem "ganzen Ökosystem", das in diesem Bereich eingesetzt wird. Es gehe eben nicht nur um ein Problem der Plattformen. Die "Doppelgänger"-Kampagne illustriere das am besten.

Es stehe nicht einfach eine Sichtweise gegen eine andere Sichtweise. Güllner: "Das Problem ist eine koordinierte, klar finanzierte und sehr absichtliche Manipulation, die sich nicht nur auf die Inhalte bezieht, sondern eben auf die Methoden."

Direkt verlinkt werden die Seiten von der Bot-Armee längst nicht mehr – weil die Adressen gesperrt sind, hat das Netzwerk ein aufwendiges System mit Umleitungen eingerichtet.

Das Geflecht an Webseiten begann im März 2022 mit dem Start einer, die "Reliable Russian News" ("Zuverlässige russische Nachrichten" – RRN) hieß. Dieser Name war den Machern dann aber offenbar zu verräterisch: Die Seite wurde umbenannt in Reliable Recent News, "Zuverlässige aktuelle Nachrichten".

Keine Spur von angeblicher Redaktion in Deutschland

Die Seite gibt vor, ein "gemeinnütziges Informationsportal" zu sein "mit Redaktionen in Deutschland, Italien, Spanien und Serbien". Bestätigungen dafür gibt es ebenso wenig wie ein Impressum. Zwei Autoren mit Sinnlos-Buchstabenkombinationen als Namen sollen zusammen fast 24.000 Beiträge verfasst haben, dazu kommen fast 80.000 Beiträge unter dem Namen "RRN Staff" (also "RRN Mitarbeiter"). Die hohen Zahlen erklären sich auch dadurch, dass die Seite Beiträge in mehreren Sprachen veröffentlicht und viele Artikel nur kurze Meldungen sind. Sie können von überall anonym produziert werden, auch teilautomatisiert mit Künstlicher Intelligenz.

Manche der Beiträge erscheinen aber auch mit eingebetteten Interviews, und für diese müssen Menschen mit anderen Kontakt aufnehmen und sprechen. Ein wunder Punkt, weil "Doppelgänger"-Helfer nach außen auftreten müssen. Vadim und Alexandre kommen ins Spiel. Wer sind sie?

Die Spuren zu Vadim und Alexander: Wer lange sucht, findet im Netz ein Interview vom Januar 2022, das der Polit-Aktivist Christoph Hörstel gegeben und hochgeladen hat und das einen wichtigen Hinweis liefert. Hörstel, der auch schon offizieller "Beobachter" der erzwungenen Schein-Referenden zum Anschluss der besetzten ostukrainischen Gebiete an Russland war, schrieb dazu: "Iswestjas Alexander rief mich an wegen der heftigen Kritik an Gazprom. Interviewer: Vadim." Sein Gesprächspartner ist bei ihm zu sehen – es ist Vadim, der Mann, der auch Simon Schnetzer befragte. Das Interview erschien in einem Beitrag bei REN TV, einem privaten russischen TV-Sender. Hörstel wollte sich auf Nachfrage nicht äußern.

Michael Mross, ein weiterer früherer Interviewpartner von Vadim C., erkennt ihn auf einem Foto wieder. Mross war bis 2008 Moderator der Börse bei dem Nachrichtensender N24 (heute: Welt-TV) und betreibt inzwischen den Wirtschafts-Blog mmnews.de mit teilweise verschwörungsideologischen Inhalten. Mross sieht sich durch seine Interviewpartner getäuscht: "Unter dem Vorwand eines fairen Interviews wurde ich in die Falle gelockt", sagte er t-online. Er hat seine Kommunikation mit den "Doppelgänger"-Vertretern t-online offengelegt und die ihm bekannten Kontaktdaten weitergegeben: Über WhatsApp hatte Mross Kontakt mit Alexander und Vadim.

"Im Hintergrund war redaktionelles Ambiente zu sehen"

Von einer Verbreitung per Bots auf Twitter sei nie die Rede gewesen, er hätte dem nie zugestimmt, so Mross. Vadim schrieb ihm: "Ich helfe einer jungen Medienfirma, sich zu entwickeln." Es folgte ein Link zu RRN. Beim Video-Interview sei im Hintergrund "redaktionelles Ambiente" zu sehen gewesen, Schreibtische und Mitarbeiter. Vadim interviewt also nicht immer aus dem Homeoffice mit den gestreiften Tapeten.

Die Telefonnummer, die Mross von Vadim vorliegt, kennt auch der AfD-Bundestagsabgeordnete Rainer Rothfuß, der ebenfalls interviewt wurde und dessen Aussagen Bots verbreiteten. Vadim habe ihm gesagt, er arbeite "für Start-ups", so Rothfuß zu t-online.

Rothfuß erklärt, er kenne Vadim aus dessen Zeit beim russischen Staatssender RT. Vadim arbeitete demnach auch für RT Deutschland, das in Europa nicht mehr senden darf – "totalitäre Entmündigung" nennt Rothfuß das. Er findet, welchen Weg seine "wertvolle Information" gehe, sei zweitrangig. Das Interview mit ihm liegt einige Monate zurück, als das "Doppelgänger"-Netzwerk in Deutschland noch nicht so bekannt war.

Vor Kurzem erst hat der neue brandenburgische AfD-Landesvorsitzende René Springer dem "Doppelgänger"-Netzwerk ein Interview gegeben. Wusste er das? Springer beantwortet das t-online nicht, sondern erklärt: Er stehe Interviewanfragen grundsätzlich offen gegenüber. "Dass meine Aussagen im Nachhinein verzerrt oder aus dem Zusammenhang gerissen dargestellt werden, ist nicht neu und leider auch in bundesdeutschen Leitmedien ein großes Problem."

Russische Datenlecks liefern Informationen

Die E-Mail-Adresse von Alexander und Telefonnummern von ihm und Vadim geben weiter Aufschluss: In öffentlich verfügbaren Datenbanken aus Leaks in Russlands gibt es diverse Treffer. Sie führen zu Profilen in den sozialen Netzwerken Facebook und VK, zu Daten von Versicherungen, von Parkhäusern, von Banken, von einer Covid-Test-Kette. Vadim C. ist 31 Jahre alt. Alexander J. 28, beide haben Adressen in vielgeschossigen Wohnsilos in Moskauer Außenbezirken.

Beide haben in Moskau studiert, Alexander an der Lomonossow-Universität Moskau, Vadim an Russlands renommiertestem Institut für Betriebswirtschaft an der Präsidentenakademie für Volkswirtschaft und öffentliche Verwaltung. Über Vadim ist auch zu erfahren, dass er Mitglied in diversen Telegram-Gruppen ist, unter anderem in "RELLEN NEDERLAND 🇳🇱☠️", "Aufstand Niederlande": Während der Coronazeit wurde dort zu gewalttätigen Protesten mobilisiert. In deutschen Gruppen ist er offenbar nicht.

Beide haben auch LinkedIn-Profile ohne Fotos, auf denen sie erkennbar wären, aber mit ihren richtigen Namen. Vadim macht dort öffentlich, dass er auch für die französischen Sender France Télévisions und TF1 tätig war. Ein Foto zeigt ihn mit einem französischen TV-Team in einer Molkerei, offenbar war er auch bei der Fußball-WM in Russland zur Unterstützung französischer und kanadischer Teams im Einsatz.

Die möglichen Hinterleute: Bei beiden führen die Angaben immer wieder zur National Media Group (NMG). Vadim gab 2020 den Kanal 1 als Arbeitgeber an, in einer Datenbank mit Stand Juli 2022 nennt er die russische Zeitung "Iswestija". "Iswestija" und REN-TV finden sich auch bei Alexander J. – beide Medien gehören ebenso wie Kanal 1 zum NMG-Konzern. NMG hat auf eine Mail mit Fragen von t-online nicht geantwortet.

Als "Putins mächtigste Propagandaquelle" bezeichnete der russische Oppositionspolitiker Boris Nemzow auf Facebook die Mediengruppe im September 2014. Im Februar 2015 wurde Nemzow kurz nach einem Interview ermordet, in dem er Putins "verrückte, aggressive und tödliche Politik des Krieges gegen die Ukraine“ kritisiert hatte. Das Posting über die NMG hatte er geschrieben, als Alina Kabajewa dort neue Vorstandsvorsitzende geworden war – die angebliche Freundin von Putin.

Putin-Vertraute an der Spitze des Medienkonzerns

Alina Kabajewa ist frühere Olympia-Siegerin im Turnen und war Duma-Abgeordnete für Putins Partei "Vereintes Russland". Seit Jahren heißt es, Putin und sie hätten eine Beziehung. Beide dementierten das. Vor einem Jahr sagte sie zum 15-jährigen Bestehen von NMG, dass "Informationsarbeit" heute wie eine militärische Waffe sei und "in ihrer Bedeutung einem Kalaschnikow-Sturmgewehr in nichts nachsteht". Als "enge Vertraute" Putins und Verantwortliche der NMG wurde sie am 3. Juni 2022 von der EU auf die Sanktionsliste gesetzt,

Dort stand bereits seit Jahren der größte Anteilseigner von NMG, "Putins Bankier" und Freund Juri Kowaltschuk. Er und seine Bank Rossiya gehörten zu den ersten, die nach der russischen Annexion der Krim 2014 auf Sanktionslisten in den USA und Europa landeten.

Dem Sender REN TV wurde im Dezember 2022 wie zuvor schon RT die Sendelizenz in der EU entzogen, "um gegen die systematische internationale Kampagne der Desinformation und Informationsmanipulation der Russischen Föderation vorzugehen". Zum gleichen Zeitpunkt kamen diverse Manager und verantwortliche Journalisten von REN TV auf die Sanktionsliste.

Gibt es auch bei den Interviews für das "Doppelgänger"-Netzwerk eine Beziehung zu dem Medienkonzern? Bei dem Interviewversuch mit Simon Schnetzer bekommt Vadim die Frage aus Kempten zu hören, wo denn das neue Gespräch gesendet werde und wer Vadims Auftraggeber sei. Die Nachfrage wirkt nicht verdächtig, Schnetzer sagt, dass er nach der Erfahrung beim letzten Mal vorsichtig sein will, wo seine Aussagen landen.

"Natürlich", ist Vadims Antwort. "Kann ich vollkommen verstehen." Er habe auch nicht gewusst, dass ihr erstes gemeinsames Interview auf der Seite wanderfalke.net gelandet sei, behauptet er. Keine Erklärung, keine Entschuldigung.

Vadim C. blockiert nach Anruf Telefonnummer

Bei welchem neuen internationalen Netzwerk er denn Korrespondent sei, will Schnetzer wissen – so hatte der "Alexandre" in der Mail Vadim beim ersten Mal angekündigt. Vadim sagt jetzt, er sei kein Korrespondent, "nur ein Interviewer. Ich arbeite mit verschiedenen Leuten".

Nach dem Interview schickte t-online ihm und Alexander per Mail Fragen – ohne Reaktion. Bei einem Anruf spricht zumindest Alexander J.: Für Fragen zu seiner Arbeit verweist er auf Verschwiegenheitspflichten, will aber schon länger nicht mehr mit Vadim zusammengearbeitet haben, und RRN kenne er nicht. Für alles Weitere solle man Vadim selbst fragen. Vadim hat schlechten Empfang. Dann blockiert er die Nummer des Anrufers aus Deutschland.

Als er der Interviewer war und etwas aus Deutschland hören wollte, hatte er versucht, Bedenken zu zerstreuen: Das Thema diesmal sei ja ein ganz einfaches, umwarb Vadim Schnetzer: "Gaming. Das Gaming selbst."

Und wofür dieses Interview? Eine lange Pause, dann die Antwort: "Es ist für das internationale Sport-Event."

"Alexandre" habe ihn kontaktiert und beauftragt, der sei aber nur ein Freund.

Vadim wurden die Fragen ungemütlich, er wollte zum Anlass des Gesprächs und zum Interview kommen und leitete über: Er wolle Schnetzer fragen, "weil wir jetzt für die große internationale E-Sport-Community arbeiten." Auftraggeber? "Für die Community, ich gehöre auch dazu, Sportler aus aller Welt kommen."

Es gehe um die "Games of the Future" in Kazan. Was wie eine reine Sportveranstaltung präsentiert wird, ist hochpolitisch. Putin selbst eröffnete die "Sportshow des neuen Formats, die klassische und digitale Sportarten in einem einzigen Wettbewerbsprozess vereint". Russlands Verteidigungsministerium veröffentlichte eine deutschsprachige Pressemitteilung, das Sport-Ministerium war Mitveranstalter, Gazprom Titel-Sponsor. Als Chef des Organisationskomitees amtierte der stellvertretende russische Ministerpräsident Dmitri Tschernyschenko, der auch Geschäftsführer der Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi war.

Das "Doppelgänger"-Netzwerk gab zu den Spielen alles: 1,6 Millionen Retweets von beteiligten Bots registrierte die Gruppe "Antibot4Navalny", die russische Propaganda-Bots akribisch verfolgt und damit international Ansprechpartner für Medien geworden ist. "Games of the Future" war demnach die am längsten laufende Kampagne zu einem einzelnen Event, neun Tage lang wurden dazu vor allem Memes gepostet, mehr oder weniger lustige Bilder. Auch vermeintlich spaßige Inhalte wurden eingestreut, ohne weitere Links.

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Simon Schnetzer hätte dabei wohl mit seinen Aussagen im Interview eine Rolle spielen sollen. Er hätte nur wunschgemäße Antworten liefern müssen, wie völkerverbindend E-Sport sei und wie spannend für E-Sport-Fans auf der ganzen Welt. Und ob das Gaming-Event ein Ort sein könne für aufgeschlossene Menschen aus aller Welt.

Auf diese Fragen von Vadim lieferte er an diesem Tag aber nicht wie gewünscht die Antworten: Er stellte stattdessen Vadim die Gegenfrage: "Es ist auf russischem Gebiet. Ich bin nicht sicher, ob man Politik und die Spiele als zwei getrennt zu betrachtende Dinge sehen kann. Was denkst du?"

Vadim hielt das Interview dadurch offenbar als unbrauchbar. Wohl als Ersatz für Schnetzer wurde ein 76-jähriger rechtsextremer französischer Journalist gefunden: Am 4. März twitterten "Doppelgänger"-Bots ein Video mit ihm: "Jean-Michel Vernochet unterstützt die Future Games voll! Eine schöne Verschmelzung von Körper und Geist."

Die Masse an Postings macht es

Ähnlich aktiv wie bei den Spielen waren die "Doppelgänger" nach der russischen Präsidentenwahl: Auch hier zählte das anonyme Recherchekollektiv "@Antibot4Navalny" innerhalb von 24 Stunden fast 40.000 deutschsprachige Tweets zum Thema, in allen Sprachen fast 200.000 – "ein Rekordvolumen". Die Masse gleicht aus, dass die einzelnen Postings wenig gesehen werden, im Schnitt nur knapp über sechsmal. Wäre die Aktivität folgenlos, würde Russland wohl kaum diesen Aufwand treiben.

"@Antibot4Navalny" beobachtet zudem, dass die Methoden ständig verfeinert werden, um die Vorkehrungen gegen Missbrauch zu umgehen und länger sichtbar zu bleiben. So habe das Netzwerk sein Vorgehen an unterschiedliche Maßstäbe in verschiedenen Sprachräumen angepasst und experimentiere offensichtlich viel mit Zeiten und Taktung. Bots hätten inzwischen eine längere Lebenszeit. Sogar Accounts mit "blauem Haken", für die X Geld kassiert, agieren inzwischen für die russische Kampagne. @Antibot4Navalny folgert daraus: Während es für Forscher Monat für Monat immer schwieriger werde, die Aktivitäten zu analysieren, stoße "Doppelgänger" auf fast keinen ernsthaften Widerstand des Teams für Missbrauchsschutz. Das dürfte auch daran liegen, dass Elon Musk fast alle Mitarbeiter entlassen hat, die dafür mal zuständig waren.

Vadim C. und Alexander J. werden für ihre Arbeit wohl weiterhin Abspielflächen haben.

Verwendete Quellen
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