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SPD-Pleite nach der Hessen-Wahl: Das Problem sind immer die anderen


SPD nach der Wahl
Das Problem sind immer die anderen

Eine Analyse von Jonas Schaible, Wiesbaden

Aktualisiert am 30.10.2018Lesedauer: 5 Min.
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Thorsten Schäfer-Gümbel, Spitzenkandidat der SPD: Beim Wahlkampf in Hessen habe man alles richtig gemacht, so die Meinung der Genossen.Vergrößern des Bildes
Thorsten Schäfer-Gümbel, Spitzenkandidat der SPD: Beim Wahlkampf in Hessen habe man alles richtig gemacht, so die Meinung der Genossen. (Quelle: Oliver Dietze/dpa)

Die Sozialdemokraten in Hessen sind wütend. Vor allem auf die Regierung in Berlin. Man selbst habe keine Fehler gemacht – diese Analyse klingt verdächtig bekannt.

Gegen 18.30 Uhr steht Thorsten Schäfer-Gümbel auf der Bühne in einer Bar nahe dem Wiesbadener Landtag und sagt, was ein Spitzenkandidat nach enttäuschenden ersten Prognosen an einem Wahlabend eben sagt: "Ein schwerer und bitterer Abend für die hessische SPD. Wir haben nicht ansatzweise das Ergebnis erhalten, dass wir wollten."

"Das wir verdient hätten", entfährt es Gerhard Merz leise. Merz hätte Sozialminister werden sollen, hätte Schäfer-Gümbel den Sieg verkündet, nicht die Niederlage erklärt.

Prozentuale Stimmenverteilung width: 100%; height: 440px; border: 0;

Nicht einmal zwanzig Prozent hat die SPD geholt, gleichauf mit den Grünen steht sie da, sie ist nicht einmal mehr wirklich zweitstärkste Kraft. Am Ende steht sie ohne Chance auf eine Regierungsbeteiligung da. Für eine Ampel reicht es nicht, für eine rot-rot-grüne Koalition auch nicht. Da ist nicht viel Hoffnung, nichts, um sich festzuhalten.

Nur Enttäuschung. Sehr viel, sehr tiefe Enttäuschung. Die sich schon in der ersten Stunde des Abends zu einer Erzählung verdichtet, die darauf hinausläuft, dass in Hessen alles bleiben kann, wie es war, sich aber in Berlin vieles ändern muss.

Wenig Gäste, keine Stimmung

Um 17.30 Uhr, eine Stunde bevor Schäfer-Gümbel auf der Bühne steht, ist die Bar noch nicht einmal zur Hälfte gefüllt. Einige hundert Meter weiter im Landtag kommen die anderen Landtagsfraktionen zur Wahlparty zusammen, die SPD trifft sich in einer Bar in einem gläsernen Würfel. Kein Andrang, vor allem ernst dreinblickende Leute. Stimmung kommt bis zu den Hochrechnungen um 18 Uhr keine auf. Danach sowieso nicht mehr.

Schon die ersten Prognosen zeigen, dass alles so schlimm gekommen ist wie befürchtet. Als im ZDF eine Koalitionsoption nach der anderen angezeigt wird, und auch die letzte mit SPD-Beteiligung, eine schwarz-rote Koalition, nach dieser Vorhersage keine Mehrheit hat, ruft eine Frau leise: "Neiiin."

"Perfekter Wahlkampf"

Frank Stauss, Politikberater und Kampagnenmacher, der auch diesmal mitgearbeitet hat, lehnt an einem Stehtisch und sagt: "Das war ein perfekter Wahlkampf. Man kann es handwerklich nicht besser machen." Man habe die Themen getroffen, man habe das organisatorisch super gemacht.

Woran hat es dann gelegen? "Der Unionsstreit im Juni, Maaßen, der Diesel, das hat unglaublich geschadet", sagt Stauss. "Dieses Ergebnis geht nicht auf unsere Kappe", sagt Gerhard Merz.

"Wir hatten nicht nur keinen Rückenwind, wir hatten sogar regelmäßig Sturmböen im Gesicht", sagt Schäfer-Gümbel.

Er gibt die Deutung vor, die am Abend so viele aufgreifen: Man wisse aus Umfragen, dass die SPD mit ihren drei Hauptthemen Mieten, Verkehr, Bildung nicht nur Themen gesetzt und die Sorgen der Menschen getroffen habe, man habe auch die besten Kompetenzwerte gehabt. Damit gewinne man normalerweise eine Wahl. Aber mit Landesthemen sei man einfach nicht durchgedrungen. Außerdem stecke die SPD in einer tiefen Glaubwürdigkeitskrise.

Selbst Andrea Nahles, die als Partei- und Fraktionschefin hauptverantwortlich für das Stimmungstief in Berlin ist, sagt das so ähnlich.

Selbstbeschäftigung statt Erneuerung

Damit war früh klar, wo das Problem gelegen haben musste. "Er hat keinen einzigen Fehler gemacht", sagt eine Frau über Schäfer-Gümbel. Das ist, bei weniger als 20 Prozent für eine einstige Volkspartei im einstigen roten Hessen, eine bemerkenswert selbstbewusste Behauptung.

Einerseits stimmt das offensichtlich. CDU und SPD haben, wie schon vor zwei Wochen in Bayern, zusammen rund 20 Prozentpunkte verloren. Nur Tage, nachdem die Koalitionsspitzen sich darauf geeinigt hatten, den Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen zum Staatssekretär in Innenministerium mit höherer Besoldung zu versetzen, begann die Hessen-SPD in Umfragen zu verlieren.

Andererseits hat Thorsten Schäfer-Gümbel soeben seine dritte Wahl als Spitzenkandidat bestritten. Nie wurde die SPD unter ihm stärkste Partei. Diesmal war sie so schlecht wie seit 1946 nicht. In denselben Umfragen, in denen die SPD als kompetent bewertet wurde, wollten immer noch deutlich mehr Hessen Volker Bouffier als Ministerpräsidenten als Schäfer-Gümbel. Dabei kann Bouffier zwar herzlich sein, ein charismatischer Menschenfischer ist er aber nicht.

Keine Kritik an TSG

War vielleicht der Kandidat nicht der richtige? Diese Frage ist in Wiesbaden am Abend beinahe blasphemisch. Eine Diskussion um TSG, wie Schäfer-Gümbel genannt wird, blocken die Genossen kategorisch ab. Keiner sagt im Gespräch auch nur ein kritisches Wort. "Wir sind gut beraten, ihn zu hegen und zu pflegen", sagt Sozialpolitiker Merz.

Koalitionsrechner width: 100%; height: 560px; border: 0;

Kurz nach 20 Uhr kommt Schäfer-Gümbel noch einmal in die Bar und man versteht dann, warum das so ist. Er geht die Treppe hoch auf die Galerie der Bar, bleibt stehen, dann nimmt er einen Mann in den Arm. Oder der ihn. Lange, intensiv, beide drücken sich herzlich. So geht es weiter. Schäfer-Gümbel drückt eine junge Frau, setzt sich an einen Tisch, die Presse wird gebeten, ihm ein bisschen Raum zu lassen für Gespräche mit seinen Vertrauten. Dann klopft er an ein Glas, seine Frau hat auch noch Geburtstag, die Genossen singen für sie.

Es ist nicht zu übersehen, dass es sehr viele Sozialdemokraten hier geben muss, die Schäfer-Gümbel nicht nur als Chef mögen, sondern offensichtlich auch als Menschen schätzen. So etwas kann man nicht spielen, gerade an einem Wahlabend.

Die Analysen klingen vertraut

TSG will bleiben. Und seine Leute wollen TSG. In Hessen wird also alles bleiben, wie es war. Und im Bund? Müsse es Konsequenzen geben, fordert Schäfer-Gümbel. Es sei aber nicht wichtig, ob man an der Regierung sei oder nicht. Heißt: Man müsse nicht unbedingt raus aus der großen Koalition. Nahles' Rücktritt fordert in Wiesbaden auch niemand offen. Es reiche ja nicht, wenn Köpfe rollten, sagt einer.

Es ist viel Wut zu hören, viel Frust. Und das Gefühl, die bessere SPD zu sein. Die Bundes-SPD könne viel lernen von Hessen, sagt einer. Dabei ähnelt die auf Berlin wütende Hessen-SPD in ihren Schlussfolgerungen frappierend der Bundes-SPD.

Die Hessen sind überzeugt, dass ihre Inhalte richtig sind. "Sagen Sie ein politisches Problem, wir haben ein Konzept dafür", sagt Gerhard Merz. Auch Parteichefin Nahles ist schon lange überzeugt, dass sie ungerecht behandelt wird, weil sie schon als Ministerin für ihre gute Arbeit nicht mit Anerkennung und Wählerstimmen belohnt worden sei.


Beide sind überzeugt, dass es keine personellen Konsequenzen geben muss. Dass Kandidaten, die seit Jahren keine Wahlen gewinnen, künftig Wahlen gewinnen werden.

Selbst eine große Koalition, die zu Beginn des Abends noch möglich scheint, können sich viele Hessen vorstellen, denn es gehe schließlich darum, sozialdemokratische Inhalte umzusetzen. Auch dieses Argument kennt man aus Berlin.

Das Problem sind immer die anderen.

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