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Streit im Sommer: Seehofers Grenzkontrollen bringen: fast nichts


Riesen Zoff, kaum Wirkung
Seehofers Grenzkontrollen bringen: fast nichts

  • Johannes Bebermeier
Von Johannes Bebermeier

14.12.2018Lesedauer: 5 Min.
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Angela Merkel und Horst Seehofer: Viel Streit, wenig Ergebnis.Vergrößern des Bildes
Angela Merkel und Horst Seehofer: Viel Streit, wenig Ergebnis. (Quelle: Florian Gaertner/photothek.net/imago-images-bilder)

Merkel gegen Seehofer: Im Sommer zerbrach im Streit über Zuwanderung fast die Regierung. Man schloss einen Kompromiss – der in der Praxis nichts bewirkt, wie aktuelle Zahlen beweisen.

So viel Drama – so wenig Wirkung: In diesem Sommer bringt ein Streit über die Asylpolitik Horst Seehofer auf die Palme, die Unionsfraktion fast zum Zerbrechen und die große Koalition an den Abgrund. Angela Merkel und Horst Seehofer streiten einen Monat lang über die Zurückweisung von Migranten an der Grenze zu Österreich.

Am Ende des Sommers 2018 gibt es nur Verlierer. Seehofer ist einer. Merkel die andere. Und die Politik insgesamt verliert: Vertrauen.

Denn die Regierung bleibt zwar zusammen, die Union intakt und Seehofer Minister. Aber der Kompromiss, der alles glättet, betrifft kaum jemanden. Die CSU erzwingt eine Regelung ohne Wirkung. Das zeigen jetzt Zahlen des Innenministeriums, die t-online.de vorliegen.

  • Von Juli bis Ende November erreichen überhaupt nur 321 Migranten die Grenze, die schon in einem anderen EU-Staat Asyl beantragt haben und somit von dem Kompromiss betroffen sind. Also nicht einmal zwei pro Tag.
  • Die meisten von ihnen können aber nicht weggeschickt werden, weil nicht klar ist, wer sie aufnimmt.
  • Zurückgewiesen werden auf Grundlage des Kompromisses nur: vier Menschen.

Seehofer und sein "Masterplan"

Der Streit im Sommer beginnt mit Horst Seehofers "Masterplan Migration". Genauer: Mit einem einzigen Punkt dieses sogenannten Masterplans, der insgesamt 63 Vorhaben enthält. Seehofer will Migranten, die aus anderen EU-Staat kommen, an der Grenze zu Österreich direkt zurückweisen. Merkel besteht darauf, dass das nur in Absprache mit den europäischen Partnerländern passiert, in die die Migranten zurückgeschickt werden sollen. Andernfalls droht Chaos, fürchtet sie. Die Menschen stünden in Österreich, keiner fühlte sich zuständig.

Die erste Zurückweisung gibt es deshalb für Seehofer selbst, und zwar auf ganz großer Bühne. In der ARD-Talkshow "Anne Will" sagt Merkel zum "Masterplan": Man sei noch in intensiven Gesprächen. Klar sei aber, dass europäisches Recht Vorrang habe vor nationalem Recht. Sie sehe nur in einer europäischen Lösung die wirkliche Lösung.

Seehofer versteht Merkel richtig. Eigentlich will er am nächsten Tag seinen "Masterplan" vorstellen, den bislang kaum jemand kennt. Doch er sagt den Termin ab. In den folgenden Tagen spitzt sich der Streit zu. Es dauert nicht lange, da droht Seehofer der Kanzlerin zum ersten Mal mit einem Alleingang. Er wolle notfalls eigenmächtig anordnen, Migranten zurückzuweisen.

Der harte Sommer des Horst Seehofer

Es ist kein angenehmer Sommer für Seehofer. Die CSU fürchtet sich vor der bayerischen Landtagswahl im Oktober. Ministerpräsident Markus Söder und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt bringen deshalb die Bierzelt-Rhetorik in die "Tagesschau". Sie sprechen von "Asyltourismus", einer "Anti-Abschiebe-Industrie" und dem "Endspiel um die Glaubwürdigkeit".

Es gibt nicht wenige, die sagen, vor allem Söder und Dobrindt hätten die Eskalation betrieben. Glaubt man dem "Spiegel", bringen sie Seehofer auch dazu, in seinem "Masterplan" die Zurückweisung von wesentlich mehr Migranten zu fordern, als er zunächst vorgesehen hat: Ursprünglich sollten nur diejenigen abgewiesen werden, die schon einen Asylantrag in einem anderen EU-Land gestellt haben. Söder und Dobrindt sei das zu wenig gewesen. Also fordert Seehofer irgendwann, auch jene Migranten zurückzuweisen, von denen nur die Fingerabdrücke genommen wurden. Das sind wesentlich mehr.

Seehofer ist in diesem Sommer ein Getriebener. Einerseits. Er lässt sich aber auch gerne mitreißen und treibt dann selbst die Kanzlerin. Er nennt die Zurückweisungen an der Grenze eine "Frage der Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats". Seehofer will ein Zeichen setzen, ein Stopp-Zeichen für Migranten. Und setzt seiner Kanzlerin ein Ultimatum. Merkel habe Zeit bis kurz nach dem EU-Gipfel, um "wirkungsgleiche Ergebnisse" mit den Partnern zu verhandeln. Klappt das nicht, will er Anfang Juli dichtmachen. Merkel hat zwei Wochen.

"Mehr als wirkungsgleich" – oder nicht?

Die Kanzlerin, die Angriffe in der Regel ignoriert, droht diesmal zurück – mit ihrer Richtlinienkompetenz. Sie bestimmt im Zweifel, wie die Politik der Regierung aussieht. Es ist das ganz große Besteck. Merkel macht klar: Sollte Seehofer sie übergehen und eigenmächtig Zurückweisungen anordnen, würde sie ihn feuern.

Auf dem EU-Gipfel erreicht Merkel dann mehr, als viele ihr zugetraut haben. Sie sagt zufrieden, die Ergebnisse seien "mehr als wirkungsgleich". Seehofer zeigt sich ganz und gar nicht zufrieden. Die EU-Staaten haben sich zwar verpflichtet, die sogenannte Binnenmigration zu bekämpfen. Konkrete Abkommen, dass sie an der Grenze aufgegriffene Migranten auch zurücknehmen, hat Merkel aber nicht mitgebracht.

Seehofer droht jetzt mit Rücktritt, nur um wenig später zu behaupten, ganz so sei das ja auch wieder nicht gemeint gewesen – und seinen möglichen Rücktritt zu verschieben. Es gibt einen Krisengipfel von CDU und CSU. Kurz zuvor setzt Seehofer den Ton. "Ich lasse mich nicht von einer Kanzlerin entlassen, die nur wegen mir Kanzlerin ist", lässt er über die "Süddeutsche Zeitung" wissen. Und doch finden Merkel und Seehofer einen Kompromiss.

Der Kompromiss – und die wenigen Zurückweisungen

Seehofer sagt wenig später, der Kompromiss entspreche in allen Punkten seinen Vorstellungen. Was natürlich nicht stimmt. Er sieht nur noch die Zurückweisung von Migranten vor, die schon einen Asylantrag in einem anderen Land gestellt haben. Sofern sie an einem der drei dauerhaften Grenzposten zwischen Deutschland und Österreich aufgegriffen werden. Alle wissen, dass das nicht viele sein werden.

Und es braucht Abkommen mit den EU-Staaten, um Migranten zurückzuschicken. Die muss Seehofer als zuständiger Minister selbst aushandeln, wie Merkel ihm zu verstehen gibt. Das ist nicht einfach. Zumindest nicht bei den Ländern, aus denen auch wirklich Migranten über die Grenze kommen, die die Regelung betrifft.

Mit Griechenland hat Seehofer ein solches Abkommen recht schnell in der Tasche. Doch dorthin zurückgeschickt hat Deutschland seit Juli genau vier Migranten. Auch Spanien hat kein Problem mit einem Abkommen. Wohl wissend, dass niemand über die deutsch-österreichische Grenze reist, wenn er von Spanien nach Deutschland will. Kein einziger Migrant ist bislang durch das Abkommen zurück nach Spanien geschickt worden.

Die Regierung in Italien mit der extrem rechten Lega-Partei hat keinerlei Interesse an einem Abkommen. Und auch Österreich spielt nicht mit. Der deutsche Kompromiss sieht zunächst vor, dass alle Migranten aus den EU-Ländern, mit denen Deutschland kein Rücknahmeabkommen hat, einfach zurück nach Österreich geschickt werden. Doch Kanzler Sebastian Kurz und die rechtspopulistische FPÖ wollen die Migranten nicht.

Politik, die niemandem nützt

Also werden durch den Kompromiss derzeit nur Migranten nach Griechenland und Spanien zurückgewiesen. Seit Juli eben: vier. Zwar wurden noch 57 andere Migranten zurückgewiesen, die schon einen Asylantrag in einem anderen EU-Land gestellt haben. Sie wurden aber schlicht zurückgeschickt, weil sie an der Grenze nicht zu erkennen gegeben haben, Asyl in Deutschland zu wollen. Das wäre auch ohne den Kompromiss möglich gewesen.

Zufrieden ist nach diesen vier Wochen Sommerchaos niemand. Seehofer nicht, weil vier Zurückweisungen in fünf Monaten keinen einzigen Migranten abschrecken werden. Merkel nicht, weil sie einer europäischen Lösung der Flüchtlingsfrage kaum nähergekommen ist. Beide verlieren später nicht zuletzt wegen dieses Streits ihre Chefposten in den Parteien. Merkel ist eine Gerade-noch-Kanzlerin, Seehofer ein Gerade-noch-Innenminister.

Verdammt viel Lärm um nichts.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Zahlen des Bundesinnenministeriums
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